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34. Kapitel

Grauwolf schlich sich behutsam, ganz behutsam hinunter und glitt von Busch zu Busch auf den Terrier zu. Die Zeit verging, die Kavalkade hatte inzwischen den Talgrund durchquert und hatte bereits die Höhe auf der anderen Seite erstiegen, als Dan Loftus zufällig zurückblickte. Der Wolf glitt rasch in Deckung. Aber Dan Loftus hatte noch den letzten Zipfel des Schwanzes gesehen und das genügte für ihn. Er verstand sich auf Wölfe und eine einzige Tatzenspur im Schnee genügte, um die Gestalt des ganzen Tieres ihm vor Augen zu rufen. Sein Zuruf weckte Grampus, der schläfrig hinter ihm durch den Schnee trottete.

»Hetz, Grampus, hetz, Pete, hetz, Doc! Faßt ihn, Burschen – da hinaus!«

Sheriff Larned ließ den Zug haltmachen. Die Hunde waren berühmt, er wollte sie auf der Hatz sehen. Selbst Crosdens mürrisches Gesicht hellte sich auf. Es war ein wunderbarer Anblick, wie die drei Tiere zusammen arbeiteten, wie die beiden hochbeinigen Hatzhunde etwas hinter Grampus zurückblieben und wie der erfahrene Spürhund rasch die Witterung aufnahm und ins Tal hinunterstrebte, dem gegenüberliegenden Abhang zu.

Der Wolf hatte anscheinend zu lange gewartet, da er sich nicht darüber klar werden konnte, ob man ihn hinter seinem Busch gesehen hatte oder nicht. Als er sich endlich entschloß davonzulaufen, waren ihm schon die Hunde gefährlich nahe an den Leib gerückt. Sein Vorsprung war zu kurz, und die Jagd drohte nicht lange zu dauern. Selbst Grampus, der von allen dreien der langsamste war, drohte ihn einzuholen, und Pete und Doc hetzten ihm die Seele aus dem Leib, obwohl er sein möglichstes tat.

»Bei Gott!« rief der Sheriff. »Noch sechs Sprünge und sie haben ihn! Die Hunde sind ihr Gewicht in Gold wert, Loftus. Nanu – was ist jetzt das?«

Hinter einem dichten Klumpen Gebüsch tauchte etwas auf, das weißer war als der Schnee, über den es lief, und schoß wie ein silberner Blitz in der Richtung der jagenden Hunde. Groß war die Freude, die die Brust des gejagten Wolfs erfüllte. Der gefürchtete Leiter des Packs kam mit Windesschnelle ihm zu Hilfe. Er faßte wieder Mut. Bis jetzt hatte er nur einen Gedanken gehabt: zu flüchten, so rasch ihn seine Läufe trugen, jetzt war er bereit, auch einen langen und schweren Kampf zu bestehen.

»Das ist ja auch ein Hund – und ein Bullterrier?« rief der Sheriff. »Woher kommt in drei Teufels Namen ...«

»Der weiße Wolf!« brüllte Tom Loftus. »Siehst du, Dan, ich hab' immer gesagt, daß mir die Sache mit dem weißen Wolf verdammt quer vorkam. Leih mir dein Gewehr!«

»Laß erst mal sehen, was die Hunde ausrichten können«, brüllte Dan Loftus zurück. »Laß sie mal versuchen ...«

Ja, sie versuchten, was sie ausrichten konnten und das Vergnügen dauerte nicht eine Sekunde lang. Die drei Verfolger galoppierten so ziemlich in einer Linie, als Weißwolf sie erreichte. Er tauchte unter sie, wie ein Seehund sich ins Wasser stürzt. Seine Zähne verfehlten ihr Ziel nicht. Ein Ruck, und Pete stürzte mit aufgerissener Gurgel zu Boden. Er rutschte auf dem gefrorenen Schnee weiter und rollte in den Talgrund hinunter. Noch ehe er unten ankam, war das Leben aus ihm entflohen.

Inzwischen hatte Grauwolf Mut gefaßt, kehrtgemacht und neben seinem Retter Posto gefaßt. Seine Zähne blitzten bald rechts, bald links, und Grampus und Doc waren bald scheußlich zugerichtet. Sie waren auf einen gefährlichen Gegner gestoßen, und er war nicht allein. Neben ihm raffte sich eben der ihnen nur allzugut bekannte weiße Teufel aus dem Schnee, mit dem sie schon einmal zusammengeraten waren. Wie auf Verabredung machten sie kehrt und waren den Hügel rascher wieder herunter, als sie hinaufgekommen waren. Doch niemand verfolgte sie.

»Gewehre! Hütet euch, leichtsinnige Narren! Gewehre!« bellte La Sombra aufgeregt aus dem Schutz ihrer Büsche. »Hört ihr nicht? Macht, daß ihr in Deckung kommt!«

Weißwolf und Grauwolf gehorchten ihr, so rasch es ging, aber es sah aus, als ob wenigstens einer von ihnen das schützende Versteck niemals mehr rechtzeitig erreichen werde. Dan Loftus hatte das Gewehr an der Backe. Von einer sicheren, geübten Hand geführt, folgte die Mündung Weißwolfs Bewegungen, als Gannaway vorsprang und mit einem Stoß seiner Schulter den Lauf beiseite schlug. Der Schuß fuhr in die Luft. Weißwolf war verschwunden.

Die Brüder Loftus fielen über Gannaway her, wie zähnefletschende Hunde.

»Nur abzudrücken braucht' ich und zweitausendfünfhundert Dollar waren mir sicher!« stöhnte Dan Loftus. Er war bleich vor Zorn. »Jetzt werden wir 's aus Eurer Haut schneiden, Gannaway!«

Aber Adam Gannaway war ein gelassener Mensch – und kein schmächtiger Mensch – mit einem Wort, er brachte es fertig, den beiden Brüdern ins Gesicht zu lachen.

»Das Schußgeld ist für einen Wolf ausgesetzt, teure Freunde«, sagte er. »Für einen kleinen, weißen Wolf – aber nicht für einen Bullterrier!«

Tom Loftus schob sich mit geballten Fäusten näher an ihn heran: »Hund oder Wolf,« brüllte er, »das Schußgeld ist für das Tier ausgesetzt, das im Unterland unter den Herden gewütet hat und die Behörden haben 'nen Abdruck von seiner Fährte öffentlich bekanntgegeben. Und dort war das Biest, Gannaway, und Ihr seid's, der uns um den Skalp betrogen hat. Nimm die Flinte wieder hoch, Dan. Das Vieh steckt noch dort drüben im Busch und wenn es herauskommt, werden wir ihm 'ne Ladung aufbrennen.«

Er machte noch im Sprechen sein eigenes Gewehr schußbereit. Die beiden Brüder schlichen langsam auf das Gebüsch zu, in dem Weißwolf Schutz gesucht hatte.

Weißwolf war verloren. Jetzt fruchtete weder Mut, noch rasche List. Er sah die beiden näherkommen, sah die schußbereiten Gewehre. Er blickte sich um. Ringsum breitete sich eine weite Schneefläche. Das nächste Gehölz war weit entfernt. Und über das offene Land zu laufen, bedeutete sicheren Tod.

»Sheriff«, sagte Tucker Crosden. »Die beiden Loftus können reden, was sie wollen, ich sage dir, dieser Hund da drüben ist aus meiner eigenen Zucht und er gehört meiner Tochter Molly. Wollt Ihr dabeistehen und zusehen, wie sie das arme Vieh abschlachten?«

Der Sheriff war in allerbester Laune. Er hatte seinen Mann erwischt, ohne daß ein Schuß fiel, ohne daß ein Tropfen Blut floß, und dabei war er durchaus darauf gefaßt gewesen, daß die Verhaftung mehr als ein Menschenleben kosten könne. Aber abgesehen davon, war er auch ein anständiger Mensch. Bei ihm gab es Gerechtigkeit für alle und er war auch gerecht gegenüber Menschen, auf deren Kopf ein Preis gesetzt war.

»Halt mal, Loftus! Nicht so hitzig, Tom!« rief er den beiden nach. »Ihr könnt nicht einfach 'nen Hund über den Haufen schießen, der jemand anders gehört. Zum mindesten nicht ohne besondere schriftliche Erlaubnis. Ein Hund ist ein Stück Besitz, genau so gut wie das Geld in Eurer Tasche.«

Dan Loftus behielt das Gewehr an der Backe und wartete, ob das Wild sich zeigen würde. Tom aber machte kehrt, um dem Sheriff zu antworten.

»Er soll's doch beweisen!« meinte er. »Ihr habt doch mit eigenen Augen gesehen, daß das verdammte Biest für die Wölfe gefochten hat, statt gegen sie. Das wär' eine verdammt neue Manier für 'nen Hund, der 'nen Herrn hat! Soll der Crosden doch mit seinen Beweisen herausrücken!«

»Gut!« sagte der Sheriff. »Darüber läßt sich reden. Das ist ganz vernünftig. Heraus mit der Sprache, Crosden! Könnt Ihr den Hund zurückrufen?«

»Molly«, sagte Tucker Crosden. »Geh hin, schaff den Hund bei!«

Sie war schwach infolge der Wunden, infolge der Nachwirkungen der im Freien verbrachten Nacht, infolge der Aufregung, die das plötzliche Erscheinen des Aufgebots und sein brutales Vorgehen verursacht hatte, aber die Erregung verlieh ihr neue Kraft. Adam Gannaway hob sie aus dem Sattel. Mühsam hinkte sie über den Schnee, bis sie den Busch fast erreicht hatte. In der Hand hatte sie Halsband und Leine. Jetzt machte sie halt, kniete sich in den Schnee und streckte lockend die Hände aus. Die Männer oben am Abhang verharrten in atemloser Spannung. Sie konnten das gedämpfte Murmeln vernehmen, mit dem das Kind den Hund an sich zu locken versuchte.

»Die Sache funktioniert nicht!« sagte Tom Loftus, vergnügt grinsend. »Sie kriegt ihn da nicht 'raus. Crosden hat Euch 'nen dicken Bären aufgebunden, Sheriff ...«

Der Sheriff blickte Tom Loftus an und war drauf und dran ihm zuzustimmen. Er blickte in Tucker Crosdens weißes, arbeitendes Gesicht und erriet, daß es sich hier nicht bloß um einen Hund drehte, sondern daß irgendwie die Seele dieses Menschen auf dem Spiel stand.

»Und wenn wir hierbleiben müssen, bis die Pferde festgefroren sind«, sagte der Sheriff. »Das Kind soll seine Chance haben! Und damit basta!«

Ganze Stunden schienen zu vergehen, so qualvoll war das Warten, aber schließlich sah man etwas Weißes in dem Gebüsch schimmern, der Kopf des Terriers spähte heraus und verschwand. Dann erschien er wieder und machte zögernd einen Schritt in Mollys Richtung. Er wußte, daß irgendwo Gefahr lauerte, der er sich schutzlos aussetzte, aber Mollys Stimme klang wie eine Botschaft des Friedens und erfüllte sein Herz mit Sanftmut und Ergebung.

Endlich war es so weit. Er stand vor ihr. Mit froststarren, unbeholfenen Fingern schnallte sie ihm das Halsband um und packte die Leine. Jetzt konnte das ganze Aufgebot unter Eid aussagen, daß Weißwolf sich freiwillig in die Hände des Gesetzes geliefert habe. Und gewiß konnte das Gesetz einem Gegner gegenüber, der freiwillig die Waffen gestreckt hatte, nicht mit voller Härte verfahren.

Niemand war sich eigentlich recht klar darüber, was ein Bullterrier dabei zu schaffen hatte, wenn ein Mann wegen Totschlag vor Gericht stand. Aber genau genommen war es so, daß unter zehn von den Leuten, die sich im Gerichtssaal drängten, nur einer gekommen war, um den Gefangenen auf der Anklagebank zu sehen, während die neun andern sich einzig und allein damit beschäftigten, Weißwolf anzustarren.

Der Stoff war zu prachtvoll, als daß die Zeitungen daran vorbei gehen konnten. Das war klar. Ein Hund, der als Wolf unter Wölfen gelaufen war und es zu Wege gebracht hatte, daß auf seinen Kopf ein Preis von zweitausendfünfhundert Dollar ausgesetzt wurde – ein Hund, der eine Wölfin zur Pflegemutter gehabt hatte, wie es schien – ein Hund, der mit einemmal zu seinem Züchter zurückgekehrt war, das war nicht bloß »Vermischtes«, das war ein Kapitel, das viele fette Überschriften liefern konnte und es wurde davon entsprechender Gebrauch gemacht.

Auf der ersten Bank im Gerichtssaal saß Caroline Crosden. Ihre Augen waren unverwandt auf den Angeklagten gerichtet. Wenn er sich hier und da einmal umwandte, wollte sie ihn lächeln sehen, und sie wartete niemals umsonst. Wenn er sie sah, heiterte sich sein Gesicht auf und er lächelte schwach und langsam. Denn Tucker Crosden, der im Augenblick in einen Prozeß auf Tod und Leben verwickelt war, hatte seinen Frieden mit der Welt gemacht!

Was sie mit ihm anstellten, war ihm gleichgültig, denn das Werk seines Lebens war getan – und es erschien täglich im Gerichtssaal. Die Anwesenheit von Tieren im Zuschauerraum war selbstverständlich durch strenge Vorschriften untersagt, aber der Richter in dieser kleinen Stadt war ein verständnisvoller Mann und als ihm zu Ohren kam, daß der Bullterrier sich wie wahnsinnig gebärdete, wenn man ihn allein zu Hause ließ, gestattete er, daß Weißwolf mit der Familie des Angeklagten zu den Sitzungen erschien. Molly saß neben ihrer Mutter und zwischen Molly und der Wand, am Ende der Bank, saß der Terrier und blickte der Welt keck ins Gesicht.

Für Weißwolf war das Ganze ein äußerst interessantes und aufregendes Erlebnis. Menschliche Gesichter fesselten ihn mehr, als je eine Blutfährte in den San Jacinto-Bergen. Er spürte die Neugier und die allgemeine Zuneigung in den Augen, die ihn anstarrten, und die Stimmen, die mit ihm sprachen, waren so liebevoll, daß sein Schwanz beinah von selbst zu wedeln anfing. Aber all das war nur ein verschwommener, unbestimmter Hintergrund für zwei vertraute Gesichter – das seines Herrn und das von Molly Crosden. Selbst Tucker Crosden war, genau genommen, keineswegs so wichtig, denn Weißwolfs Herz bot nur Raum für eine einzige große Liebe und die galt dem Mädchen, für das er gekämpft und das für ihn gekämpft hatte im Schnee des Sieben-Schwestern-Tales. Doch wenn Tucker Crosden zu ihm hinüberblickte, hatte der Terrier für ihn immerhin wenigstens ein Aufblitzen des Auges übrig, und hier und da sogar ein Winseln.

Nach dem Prozeß pflegte der Distriktsstaatsanwalt allen Leuten zu erklären, der Hund sei schuld gewesen, daß sein ganzes Plädoyer zum Teufel ging. Wie sollte es dem Vertreter der Anklage möglich sein, sich hinzustellen und Tucker Crosden als einen unverbesserlichen Rohling, als einen typischen Mörder vor Gott und den Menschen anzuklagen, wenn der verflixte Hund auf der vordersten Bank saß und alle Geschworenen sehen konnten, wie das Tier mit allen Fasern an dem angeblichen Wüterich hing. Und der junge Rechtsanwalt, der Crosdens Verteidigung übernommen hatte, war keineswegs so dumm, diese prachtvolle Pointe zu übersehen. Das Plädoyer, in dem er seine Darlegungen zusammenfaßte, verbreitete sich weitläufig über den Mann, den Hund und das Kind, und als er geendet hatte, zogen sich die Geschworenen zu der kürzesten Beratung zurück, die das Geschworenenzimmer jemals erlebt hatte. Sie kamen zurück und ihr Verdikt hieß: Nicht schuldig. Das Publikum brüllte Hurra. Das galt nicht Tucker Crosden, sondern dem weißen Wolf. Und Weißwolf schien vollständig im Bilde. Er stand auf und wedelte mit dem Schwanz.

Der Richter bemerkte noch: »Wenn ein Mann es erleben muß, daß ihm der Zutritt zu seinem eigenen Haus von Fremden verwehrt wird – wenn Gott ihm schwerere Fäuste gegeben hat, als anderen Menschen –, ist's seine Schuld, wenn sein Hieb schwerer trifft als es beabsichtigt war – oder ist es die Schuld des Unglücklichen, der ihm unbedachter Weise in den Weg getreten ist? Ich glaube nicht, daß Tucker Crosden, seiner Veranlagung nach, ein Mörder ist. Ich betrachte ihn als einen Mann der Arbeit und einen, der eine große Aufgabe glücklich vollbracht hat!«

Und dabei ruhte der Blick des Richters auf dem Hund, so daß sich niemand im Zweifel darüber sein konnte, was er damit meinte.


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