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6. Kapitel

Er schloß Mollys Tür hinter sich, blieb stehen, die Hand auf der Klinke. Er lauschte auf das Hämmern seines Herzens und dankte dem Herrn dafür, daß er ihm das Mädel geschenkt hatte. Das Kind würden die beiden Weiber niemals einwickeln. Molly war ein Mädel, das einen eigenen Kopf auf den Schultern trug und ihn zu gebrauchen wußte. Ihr Gesicht mochte sein wie es wollte, jedenfalls hatten die Augen die richtige Farbe – und ihr Blut auch.

Er ging in die Küche zurück und blickte in die nervös funkelnden Augen der beiden Frauen.

Er starrte Caroline finster an: »Du hast mein Kind sich hier herumtreiben lassen wie eine Wilde.«

Caroline öffnete die Lippen, um etwas zu erwidern, aber vor Furcht versagte ihre Stimme. Tante Abbey kam ihr zu Hilfe: »Wer hat's denn angefangen, wer ist dran schuld, daß das Kind wie 'ne junge Wilde herumläuft? Wer hat ihr das Boxen beigebracht, statt daß sie nähen lernt? Wer hat's ihr in den Kopf gesetzt, daß sie reiten und schwimmen muß, statt zu kochen und zu fegen?«

»'s tut mir mächtig leid, daß ich's getan habe«, sagte Tucker Crosden. »Kann sein, ich bin dran schuld. Jetzt rennt sie in der ganzen Nachbarschaft herum und verprügelt die Lausbuben, daß sie Schwielen auf der Hand kriegt. 's ist ein richtiges Kreuz für mich, das Mädel! Was denn! 's könnt mir just das Herz brechen, wenn ich dran denke, was für schlechte Manieren sie hat!«

Er legte den Kopf in den Nacken und stieß ein dröhnendes Lachen aus. Der Raum bebte. Selbst als er wieder stillgeworden war, schlugen noch die Tiegel und Pfannen, die in langer Reihe an der Herdmauer hingen, leise vibrierend und läutend gegeneinander.

Caroline, die sah, daß er jetzt besserer Laune schien, wagte an ihn heranzutreten und die Hand nach seinem Hut auszustrecken.

»Gib deinen Hut her und setz dich hin. Ich will dir 'ne Tasse Kaffee einschenken. Ich hab' auch Kuchen da, von dem gelben mit den Rosinen drin, den du so gern hast ... O du gerechter Himmel, Tucker, bist du aber voll Schmutz. Sieh dir das doch mal an, Tante Abbey, sowas hab' ich noch nie gesehen!«

Er ließ sich ein wenig benommen auf den Stuhl hinter dem Tisch fallen und streckte die Hände nach dem Ofen aus. Die Hitze war förmlich zum greifen. Er wunderte sich über sich selbst. Wußte er nicht, daß die Frau ihn nicht liebte? Wie komisch, daß er dann in ihrer Küche saß und sich von ihr bedienen ließ. Es war eine geradezu verblüffende Entdeckung, daß deshalb der Kaffee, der auf dem Ofen brodelte, nicht schlechter roch und daß der Kuchen nicht weniger verlockend aussah als jemals zuvor. Er kostete erst einen Brocken und nahm sich dann ein großes Stück. Es schmeckte gut, und die Blicke, die er Caroline zuwarf, wurden etwas freundlicher. Vielleicht war bloß Tante Abbey an allem schuld. Das Weib war ein Teufel in Unterröcken. Vielleicht hatte die Tante seiner Frau dumme Geschichten in den Kopf gesetzt. »Abbey«, sagte er. Sein Mund war noch voll Kuchen.

»Nun?« sagte Tante Abbey, die bolzengerade auf ihrem Stuhl saß und über die Art, in der er undeutlich durch den Kuchen murmelte, chokiert die Lippen verzog.

»Komischer Name – Abbey.«

»Findest du ihn komisch, Tucker?«

»Hab' niemals von 'ner verheirateten Frau gehört, daß sie so 'nen Namen trägt.«

Hohe Röte überflog jäh ihr dürres Gesicht. Tucker grinste schadenfroh.

»'s gibt Dinge, Tucker, die du nie hast begreifen können. Gute Manieren zum Beispiel. Höchstens, wenn du deine Hunde um dich hast.«

Diese Pointe ihrer Erwiderung ging Tucker stark auf die Nerven. Gereizt und hilflos blickte er um sich. Ein Zufall wollte es, daß sein Auge auf das Bild des King fiel, das an der Küchenwand hing. Er stand auf, ging hin und betrachtete es. Es wirkte auf ihn wie ein Talisman. Das Bild war nichts weiter als die Vergrößerung einer durchschnittlichen Amateuraufnahme. Es war matt, die Konturen waren verschwommen, und trotzdem hatte es noch immer etwas Besonderes an sich. Die Kamera hatte nicht nur das Körperliche, sie hatte auch etwas von dem Geist eingefangen, der das Tier erfüllte.

»Sieben Monate!« sagte Tucker und seufzte. »Wenn man sich bloß einmal vorstellt, was der Hund geworden wäre, wenn ...«

Er brach ab und stapfte zu seinem Stuhl zurück. Er ließ sich hineinfallen und versank in Gedanken. Inzwischen war der Kaffee fertiggeworden. Er kaute seinen Kuchen und trank dazu den Kaffee, traumverloren und in tierischem Behagen geräuschvoll schlürfend. Tante Abbey biß sich vor Widerwillen auf die Lippen.

Es war still. Schließlich fragte Caroline Crosden:

»Hast du vielleicht 'n bißchen Glück gehabt da oben, Tucker?«

»Meinst du?« erkundigte er sich.

»Ich möcht' fast sagen, ich weiß es.« Caroline beugte sich erwartungsvoll vor.« Sonst wärst du doch sicher nicht so rasch zurückgekommen, wenn du nicht was gefunden hättest – ich weiß auch nicht was – vielleicht – ein paar Silberfüchse. Was, Tucker?«

Ihr Gesicht war gespannt und hell. Er grinste sie an.

»Oder bist du vielleicht auf 'ne kleine Goldader gestoßen, die was abwirft, Tucker?«

Er grinste wieder.

»Oder vielleicht« – dies zögernd und weniger freudig, »hat eins von Nellys Jungen dir so besonders gefallen, daß du dir gedacht hast, du willst lieber zurückkommen – wo ihm hier nicht soviel passieren kann – war's vielleicht deshalb, Schatz?«

Tucker Crosden sah ihr Gesicht nicht mehr. Vor seinen Augen wallte ein roter Nebel und mitten in dem Nebel tauchten irgendwie sieben kleine, weiße Hundeleichen auf, über denen, in der Sonne blitzend, ein gieriger Häher flatterte.

»Sie sind alle miteinander tot«, sagte Crosden.

Caroline schloß die Augen. Aber Tante Abbey platzte heraus: »Nellys Junge? Natürlich! Wenn du sie ins Kalte hinaufschleppst! Da kann auch nur ein Narr drauf kommen, sie oben ins Gebirg' zu verschleppen! Wer sonst? Aber Nelly geht's natürlich gut?«

»Du wirst dir doch um Nelly keine Sorgen machen? Was? Oder?« fragte Crosden. Es belustigte ihn immer noch, mit dem furchtbaren Schmerz in der eigenen Brust sein Spiel zu treiben, genau so, wie er auf dem Heimmarsch mit seiner körperlichen Erschöpfung gespielt hatte. Es war ein so merkwürdiges Geheimnis, fühlte er, wie tief man mit unbarmherzigen Nägeln in sein eigenes Innere hinabwühlen konnte, und immer wieder und wieder entdeckte man eine neue Kraft zum Dulden.

»Ich hab' mir niemals aus dem widerwärtigen kleinen schlitzäugigen Scheusal etwas gemacht«, sagte Tante Abbey, »und ich habe, weiß Gott, nicht so getan, als ob ich mir was draus machte. Besonders, wenn ich mit ansehn muß, wie das Leben gewisser Leute durch die Viecher zugrunde gerichtet wird.« Dabei warf sie Caroline Crosden einen bedeutungsschweren Blick hinüber.

Sie hatte den ungeschlachten Mann an seiner empfindlichsten Stelle getroffen. Er wußte ganz genau, daß Caroline ein hübsches, junges Ding gewesen war, als er sie heiratete. Er wußte auch, daß sie jetzt ein abgehetztes Frauenwesen war, ein Geschöpf mit einem gequälten Ausdruck in den Augen, und obwohl er niemals sich recht klar darüber wurde, wieso das so gekommen war, wußte er doch, daß die Leute ihn für diese Verwandlung verantwortlich machten. Ja, in seiner eigenen Brust regte sich manchmal eine Stimme des Vorwurfs, die ihn zu unvermutet überfiel, als daß er sie hätte ersticken können.

Caroline blickte, beunruhigt durch Tante Abbeys Worte, zu ihm hinüber. Sie begegnete seinem Blick und fuhr zusammen.

»Sei still, sag doch nicht solche Sachen, Tante Abbey«, murmelte sie.

Und in ihren Augen lauerte wieder das ach so bekannte Gespenst der Furcht, als habe er schon die Hand gegen sie erhoben. Seine Hand gegen eine Frau! Wie widerwärtig! Und er genoß in tiefen Zügen zugleich die Abscheu und die Wut, die ihn erfüllte – ein raffiniert gemischter Gifttrank!

»Er wird dich doch nicht schlagen, Carrie, kleine Gans«, sagte Tante Abbey. »Immerhin ist er noch ein Crosden. Nur muß ich dir sagen, Tucker, ich frag' mich immer, warum du den Hund nicht verkaufst. Wenn er wirklich dreitausend Dollar wert ist – das ist doch ein Haufen Geld! –, warum verkaufst du Nelly nicht und bereitest deiner Familie ein anständiges Heim?«

»Ist dir's nicht anständig genug?« fragte Tucker.

»Da! Schau dir mal das Kleid an, das deine Frau auf dem Leib hat. Den Flicken! Und die Farbe! Das ist mal blau gewesen. Jetzt ist's so verwaschen, daß es beinah weiß ist. Schau dir doch dein Mädel an, noch nicht mal ein Paar Schuh hat sie anzuziehen. Und da, der Tisch, wo ein Bein mit Draht befestigt ist, weil das Mannsvolk auf dem Hof nicht genug Grütze im Kopf hat oder nicht genug Fleiß in den Knochen, um den Hammer zu nehmen und 'n neues Holzbein anzunageln. Schau dir das mal an, Tucker, und dann frag mich nochmals, ob du deiner Familie ein anständiges Heim bietest. Und dann will ich dir noch ein paar Gründe mehr aufzählen, warum du den elenden Köter endlich verkaufen solltest. Du lieber Himmel! Die ganze Nacht könnt' ich hier sitzen und dir neue Gründe aufzählen!«

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, daß die Lehne ächzte, und nickte und grinste ihr freundlich zu. Dies Lächeln war der helle Wahnsinn. Der fürchterliche Zorn, den er gewaltsam in sich zusammenpreßte, war schuld daran.

»Du mußt entschuldigen, Tante Abbey. Oder besser, du mußt Nelly entschuldigen. Nämlich, mußt du wissen, das Vieh is' hergegangen und is' krepiert, und der Markt für krepierte Hunde ist zur Zeit nicht so gut wie der für lebende.«

»Tot?« würgte Caroline heraus. »Oh Gott, Tucker! Dreitausend Dollar einfach in den Dreck geworfen für nichts! O ...«

Er schnellte von seinem Stuhl auf. Seine fürchterlichen Fäuste fuhren in die Höhe und stießen krachend gegen die Decke.

»Und sonst ist nichts dabei! Was? Bloß das jämmerliche Geld, das flötengegangen ist?« schrie er. Seine Stimme gellte ohrenzerreißend, als schmetterten plötzlich dröhnende Hörner los. »Caroline, 'raus mit der Sprache, merkst du nicht, daß es sich um noch was andres dreht als um das verdammte Geld?«

Sie wich ängstlich vor ihm zurück, als er in seiner ganzen furchtbaren Größe auf sie zutrat und sie anbellte. »Und daß du's endlich weißt, um was es geht – um Blut – bei Gott, um Blut! Um Blut! Um Blut! Um mein's und ihr's. Und darum, daß ich jahrelang geschuftet hab' und gehofft und gebetet – und jetzt find'st du nichts andres zu sagen – dreitausend Dollar! – aber merk dir das, nicht drei Millionen würden's wettmachen, du Hartherziges – schau mich an – sieh mir ins Gesicht!«

Er packte sie am Arm. Er tat sich sogar noch Gewalt an, um sie nicht zu hart anzufassen. Aber wie war er fähig zu berechnen, mit welcher Kraft seine fürchterlichen Tatzen zugriffen? Sie sah ihm ins Gesicht, wie er befohlen hatte, aber dabei malte sich Schmerz und Furcht in ihren Zügen und ihre Stimme gellte ihm schrill in die Ohren:

»Tucker, bring' mich nicht um! Großer Gott im Himmel, laß mir das bißchen Leben, ich hab's ja nicht bös gemeint! Ich wünschte selbst, Nelly wär noch am Leben – ich wünscht' ...«

Er schleuderte ihren Arm zur Seite. Der Ruck war rauh. Sie taumelte und fiel krachend gegen die Wand. Sie brach in die Knie und stieß immer noch ihr furchtbares, herzzerreißendes Kreischen aus.

Tucker Crosden schlug die Hände vor sein Gesicht. Der Teufel schien sein Spiel mit ihm zu treiben, schien es darauf anzulegen, daß er als der Mann dastand, der die Hand gegen seine Frau erhoben hat – eine Frau geschlagen – er – Tucker Crosden!

Mit einem erstickten Aufschrei raste er plötzlich in die Nacht hinaus.

Caroline konnte sich nicht rühren. Der Schreck hatte sie gelähmt. Nur ihre Lippen hatten noch die Kraft zu flüstern: »Schieb den Riegel vor. Er ist in den Schuppen und holt 'n Gewehr. Er kommt zurück und – er bringt uns um – er bringt uns beide um!«

Tante Abbey war nur ein Weib, aber sie war auch eine Crosden. Sie war nicht riesenhaft an Wuchs, aber sie war ein Riese an persönlichem Mut und so sagte sie jetzt: »Da könntest du ein Dutzend prima Schlösser brauchen. Der legt mit einem Tritt die Wand in Trümmer, als wär's nur eine Streichholzschachtel. Wir müssen's anders anfangen. Feuer kann man nur mit Feuer bekämpfen.«

Sie rannte ans Telephon und drehte wie wahnsinnig an der Kurbel.

Dann wartete sie, bis das Amt sich meldete – drei Sekunden, von denen jede ein Jahrhundert zu dauern schien. Endlich meldete sich die Zentrale. Abbeys Stimme blieb ruhig. Sie sagte:

»Hallo, ist da das Amt? Hier ist Miß Abbey Crosden am Apparat. Ich spreche von der Farm meines Neffen, Tucker Crosden. Tucker ist wahnsinnig geworden. Ich war eben Zeuge, wie er seine Frau mißhandelt hat. Er ist hinaus, um sich eine Flinte zu holen und hat die Absicht uns zu ermorden, wenn er zurückkommt.«

Der Schreckensschrei, mit dem das Fräulein vom Amt diese Mitteilung quittierte, schien für Tante Abbey nur eine lästige Unterbrechung zu sein.

Hinter sich hörte sie Caroline halberstickt schnattern: »Sag ihnen doch, daß sie gleich kommen müssen, so schnell als möglich! Ich bin nah am Sterben. Mein Herz hält's nicht mehr aus – ich ersticke!«

»Fräulein, Fräulein! Jetzt hören Sie doch mal! Alles hängt von Ihnen ab! Klingeln Sie so rasch als möglich bei den Morelands, bei Burtons und bei Charlie Heeney an. Ihre Häuser sind uns am nächsten. Klingeln Sie gleich an. Sie sollen um Gottes willen so rasch als möglich alle Leute hierher jagen, die sie auf die Beine bringen können. Nicht erst satteln! Sie müssen sich auf die Gäule schmeißen, wie sie sind. In fünf Minuten können sie hier sein, das ist Ihre Sache, Fräulein! Niemand kann uns helfen als Sie – gute Nacht!«

»Es ist ja alles nicht wahr!« schrillte ein dünnes Stimmchen hinter ihrem Rücken. Sie fuhr herum. Molly stand in der Tür. »Kein Wort ist wahr. Daddy, mein Daddy, der tut keinem Floh etwas zuleide. Ich – ich kann dich nicht ausstehn, Tante Abbey – ich – ich geh Daddy suchen ...«

»Halt das Kind fest, Abbey!«

»Molly, Kind, sei vernünftig. Lauf nicht hinaus. Wenn du ihm in die Hände läufst – ich weiß nicht, was er ...«

»Was! Ihr?! Ihr wollt mir vor Daddy Bange machen? Ich geh' hinaus und hol' ihn zurück. Bei der Hand bring' ich ihn zurück!«

Und damit schoß Molly in die Nacht hinaus.


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