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3. Kapitel

La Sombra überließ sich einer träumerischen Stimmung. Sie war nicht wacher und gespannter – sagen wir: wie ein hungriger Hund oder eine Katze auf der Jagd. Zwar lag der Schnee in schweren Lagen noch überall zwischen den Bäumen, und draußen am Bergabhang waren die kleinen Furchen, die der Bergwind in der weißen Schneedecke hinterlassen hatte, noch steif gefroren. Aber die Sonne des Apriltags war hell und warm. Sie sickerte durch La Sombras rauhes äußeres Fell, durch das dichte Winterhaar darunter und bis zur Haut. Fast war sie geneigt die Augen zufallen zu lassen und in dieser ungewohnten und begeisternden Wärme sich dem Schlummer zu überlassen. Aber von der Natur ist der Nervenapparat einer Wölfin, die Junge zu bemuttern hat, so empfindlich eingerichtet, daß La Sombra, sie mochte es anstellen wie sie wollte, es niemals fertigbrachte, mehr als ein Auge zur selben Zeit zu schließen. Und mit diesem einen Auge, das sich manchmal träumerisch zur Hälfte schloß, sah sie, wie ihr Gemahl auf dem Bergvorsprung ihr zu Füßen auftauchte, wie er zweimal mit gespitzten Ohren wie angegossen stehenblieb und die Nase schnüffelnd in den Westwind hinaus streckte. Zweimal kauerte er sich dann geduckt auf alle viere nieder und das langhaarige Fell seines Rückens sträubte sich im Nacken, wie die Mähne eines Löwen.

Augenblicklich öffnete La Sombra beide Augen. Sie schauerte ein wenig zusammen. Nicht daß sie Furcht empfunden hätte. Aber sie hatte das Gefühl, daß es mit ihrem behaglichen Sonnenbad zu Ende war. Nicht aus Furcht! Denn sie war mit dem Herrn und König des ganzen Packs vermählt, mit keinem andern, als dem großen Schwarzwolf selbst, einem Wesen, daß aus hundertundvierzig Pfund gewaltiger Muskeln und Sehnen geschaffen war. Nicht einmal der Berglöwe hätte es gewagt, die beiden zu stören, und von den eigentlichen Herren der Wildnis, den Grislybären, war um diese Zeit des Jahres noch keiner aus der Muße seines Winterschlafs erwacht. So riß La Sombra beide Augen auf und zerbrach sich, nervös zitternd, den Kopf, welche Gefahr wohl aufgetaucht sein mochte. Denn Schwarzwolf litt nicht an einer überhitzten Phantasie.

Da sprach er, aus tiefer Kehle brummend, nur ein Wort, das böse Wort: »Der Mensch!«

Mit einem Satz, blitzschnell, wie der Lasso aus der Hand des Cowboys schwirrt, war La Sombra an seiner Seite. Neben ihm, die Nase hoch im Wind, die Augen geschlossen, sog sie die Witterung ein. Da war's! Auch sie packten mit einem Male der Schreck und der Abscheu. Noch war der Geruch schwach, schien von weither zu kommen, aber sie duckte sich zusammen wie ein Eichhörnchen, das unter dem Auge eines drohend kreisenden Raubvogels über eine Lichtung schießt, und jagte den Hang hinauf. Sie quetschte sich durch den engen Eingang ihrer Höhle und war mit einem Sprung bei ihrem Wurf. Ihre Schnauze glitt schnuppernd über eines der weichen, warmen kleinen Wesen nach dem andern, so sachte, daß nicht ein einziges sich rührte. Dann eilte die Wölfin wieder an den Mund der Höhle und ließ sich dort, wachsam umherspähend, auf allen vieren nieder.

Zwischen den senkrechten Wänden des tiefeingeschnittenen Cañons ihr zu Füßen, schweifte ihr Blick weit hinaus, hinunter, schwindelerregend tief hinunter zu den vorgelagerten Bergen, über das dunstverhüllte Grün der bestellten Äcker unten im Tal, bis hinüber zu dem Grau der Wüste. Der grüne Streifen bebauten Landes dort unten, das war: »Mensch!« Das hatte sie immer für sein Reich gehalten. Aber hier oben, in einer anderen Welt, was hatte er da zu suchen, der merkwürdige Teufel, der auf den Hinterfüßen aufgerichtet ging, der stählerne Zähne in die Erde grub, in denen sich der Fuß des Unvorsichtigen ohne Erbarmen fing, der von fernher tötete, aber immer nur mit einem gewaltigen Lärm und unter einem scharfen, beißenden Gestank.

Bei alledem blieb Schwarzwolf wie ein unternehmungslustiger Verrückter auf seinem Posten auf dem Bergvorsprung.

»Komm zurück!« winselte La Sombra.

Er kam, aber er blickte fortwährend über die Schulter zurück, sträubte die Haare und sprach knurrend mit sich selbst.

»Du läßt mich doch nicht allein?« wimmerte die Wolfsmutter. »Mach dich kleiner, man wird dich sehen!«

»Laß mich zufrieden, Närrin«, sagte Schwarzwolf. »Es ist noch eine andere Witterung im Wind. Riechst du's nicht? Böse Zeiten bedeutet es. Den blinden Teufel begleiten Augen, die sehen können. Hunde, La Sombra!«

Da vergaß sie alle Besorgtheit um sich selbst und reckte sich furchtlos auf, in den Wind hinein. Ihre Schnauze schnupperte hoch in der Luft, tief am Boden, glitt rechts, glitt links. Die Augen fest geschlossen, bemühte sich die Wölfin, die Botschaft zu entziffern, die die bewegte Luft mit sich trug. Dann sank sie wieder zu Boden. Das gesträubte Nackenhaar glättete sich.

»Du bist immer halbblind gewesen, wenn's eine Witterung zu lesen gab, die aus der Ferne kam«, sagte sie gelassen. »Nun ist's doch nur ein einziger Hund.«

Schwarzwolfs Zunge schlappte ihm lang aus dem Maul. »Nur einer?« grinste er. »Dann, denk' ich, werd' ich mit dem Narren ein Wörtchen reden, eh' er uns zu dicht auf den Leib rückt. Vielleicht spart es mir heute die Mühe einer langen Jagd.«

»Geh nicht!« bat La Sombra. »Wo Mensch ist, ist Gefahr! Bin ich nicht selbst dabei gewesen, wie meine Mutter starb?«

Aber Schwarzwolf war bereits den Pfad hinuntergeglitten. Wahrscheinlich schlug er nach kurzer Zeit, am Fuße des Mount Spencer entlangstreifend, einen Haken und beschlich, im Walde gedeckt, von der Seite her den Pfad, der von Westen in der Windrichtung heraufkam. La Sombra stahl sich, leise zusammenschauernd, wieder in ihre Höhle zurück. Diesmal wachten die Kleinen bei ihrem Kommen auf, und sie legte sich nieder, weil sie gefüttert sein wollten. Da blieb sie liegen, in der samtenen Dunkelheit der Höhle, und beschnupperte liebkosend und sorgend ihre Brut – doppelt zärtlich jetzt, wo der Wind die heranrückende Gefahr verraten hatte. Wer konnte wissen, was der Tag noch brachte?

Aber als die junge Brut gesättigt war und sich Wärme suchend zu neuem Schlaf zwischen La Sombras Pfoten zusammenrollte, entzog sie sich ihnen mit einer raschen, geschickten und vorsichtigen Bewegung und eilte wieder zur Schwelle ihres Baus zurück. Es war schlimmer als sie gedacht hatte. Aus der Talmulde zur Seite stieg wirbelnd scharf riechender Holzrauch, und selbst durch den Rauch durch spürte man aufdringlich den Geruch des Menschen und der Dinge, die der Mensch mit sich herumschleppt. Zweimal setzte sie an, um an den Rand des Abhangs vorzukriechen, von wo man nach dem Lagerplatz hinunterspähen konnte, zweimal verlor sie im letzten Augenblick den Mut und schlich zu ihrer Höhle zurück.

Mit Einbruch der Dämmerung kam Schwarzwolf zum Höhlenmund getrabt und sprach zu ihr. Sie kam ihm eilig entgegen. Sie beschnüffelte das Kaninchen, das er ihr hingeworfen hatte – und dann die Pfoten ihres Gatten.

»Pfui!« schnaubte sie. »Deine Läufe stinken danach – von Kopf bis zu Pfoten stinkst du danach – nach Mensch!«

»Er macht einen Rauch und ein Feuer unten im Grund«, sagte Schwarzwolf. »Du kannst's von hier riechen, wie wenn du's vor Augen hättest. Ich lag so dicht an seinem Lager, wie es von hier zu den drei Fichten da am Berghang ist. Ich lag und lauerte, bis die roten Zungen der Flammen so groß wurden, daß ich in meinem Innern Furcht empfand. So jagte ich und tötete und fraß mich satt, und tötete ein zweites Mal und brachte dir Fraß.«

Sie ließ das Wildbret unberührt.

»Der Hund?« erkundigte sie sich.

»Ein Weißfell«, sagte Schwarzwolf, »und so unsäglich eingehüllt in Menschenstank, daß es kaum noch eine eigene Witterung hat. Kein Herz drin. Den Kopf läßt es hängen, den Schwanz läßt es hängen, ein Schleicher, der immer an den Fersen seines Herrn klebt. Es hat keine Stimme. Zweimal roch es meine Fährte. Das sah ich wohl, denn sein Nackenhaar sträubte sich, aber es gab keinen Laut und klebte weiter an den Absätzen seines Herrn. Ein verächtliches, mutloses Geschöpf, selbst für einen Hund. Es wird uns keine Sorge machen. Ah, die Kleinen sind wach und melden sich.«

»Kümmer' du dich nicht um die Kleinen«, fletschte La Sombra. »Wenn ich dich und deine gierigen Zähne näher an sie heranlasse, als bis zum Eingang der Höhle, dann bin ich nicht mehr La Sombra, sondern ein Koyote, der sich von Aas nährt. Troll dich! Der Menschenstank, den du im Fell trägst, erstickt mich. Troll dich und halt Wache!«

So las sie das Kaninchen auf und kehrte zu ihren Jungen zurück. Aber es war eine böse Nacht für La Sombra. Sie fand keine Ruhe. Immer wieder hörte sie, undeutlich sich in ihren Schlaf drängend, die Stimme des Menschen, der drunten im Grunde sprach und jedesmal, wenn der Laut an ihr Ohr drang, schmiegte sie sich dichter an den eisigen Boden. Sorge und Furcht lasteten schwer auf ihrem Herzen.

Im Morgendämmern erschien Schwarzwolf, ein feistes Kaninchen in den Zähnen. Aber trotz des Hungers, der in ihr wirtschaftete, wollte La Sombra keinen Bissen genießen, ehe sie nicht wußte, was es Neues gab.

»Der Hund hat gejungt! Rings um ihn liegen nackte kleine Wesen, weiß wie er selbst. Der Teufel, dem sie gehören, hockt über ihr und füttert sie und sie leckt ihm die Hand, – die nackte Hand! Ach, wie mir's in die Kehle stieg, wenn ich's nur mit ansah!«

»Sie werden groß werden – diese Kleinen«, ächzte La Sombra. »Was wird dann aus mir und meiner Brut?«

»Hast du davor Angst?« sagte Schwarzwolf. »Ich sage dir, gedulde dich nur, bis der Teufel auf zwei Beinen den Rücken wendet, und sie sollen alle tot daliegen.«

Aber zehn Tage voller Qual und Furcht für La Sombra folgten noch. Jeden Tag enthielt die Luft, die vom Höhlenmund hereintrieb, nachdrücklichere Botschaft, die »Hund« hieß. Und dazwischen die alte, furchteinflößende Witterung »Mensch«. Jeden Tag erschien Schwarzwolf, um La Sombra Futter zu bringen und das Neueste zu berichten. Er erzählte, daß der zweibeinige Teufel immer dicht bei seinem Feuer blieb, höchstens, daß er mal einen kurzen Gang in den Wald tat und Fallen für Kaninchen und Vögel stellte. So dauerte es bis zum zehnten Tag. Da fand Schwarzwolf die Gelegenheit, nach der er Ausschau hielt. Der Trapper nahm auf seine Schulter das Ding aus Eisen, das spricht und tötet, verließ sein Feuer und wanderte weit hinweg. Der Räuber wartete, bis auch das letzte Geräusch der Menschentritte im Wald verhallt war, ehe er aus seinem Versteck aufstand und sich lauernd bis an den Rand des Lagers schob. An einer Stelle, wo die Sonne warm durch die Zweige brach und gleichzeitig auch das Feuer milde Wärme spendete, lag der Bullterrier in einem Nest aus allerweichster Baumrinde. Um die Hündin her spielte und rollte und sprang auf unsicheren Beinen ihre Brut. Und so abgestumpft waren ihre Sinne, in der Wärme und dem Behagen ihres Lagers, daß die Gefahr schon über ihr war, ehe sie hochschnellte und sich dem schwarzen Ungetüm entgegenwarf. Schwarzwolf war dreimal so groß wie sie, in zottiges Fell gekleidet. Ein Furcht einflößender Riese war ihr Gegner. Mit einem Blick erhaschte sie das noch, dann war er über ihr. Ein Stoß seiner Schulter wirbelte sie auf den Rücken, aber die schnappenden Zähne faßten ihre Gurgel nicht, sie glitten ab und öffneten das weiße Fell ihrer Flanke wie ein Messer, das durchs nackte Fleisch schneidet. Blutend raffte die Hündin sich wieder auf. Vielleicht war es noch nicht zu spät, vielleicht hätte ein Aufheulen der Furcht genügt, den Teufel, ihren Herrn, zurückzurufen, aber es war ihrer Natur nicht gegeben, um Hilfe zu rufen. Schweigend fletschte sie die Zähne und stellte sich seinem zweiten Angriff, und als Schwarzwolf gegen sie prallte, hatten ihre Kiefer seinen Vorderlauf gepackt.

Fünfmal in seinem ruhmbedeckten jungen Leben war Schwarzwolf von der Meute gejagt worden. Fünfmal hatte er die Leithunde getötet und war entwischt, aber die Meute kämpfte, wie er selbst zu kämpfen gewohnt war. Sie bissen, sie suchten ihr Opfer erneut an einer anderen Stelle zu packen und bissen wieder, und arbeiteten sich so langsam bis zur Kehle vor. Das war ein Kampf, in dem seine eisernen Kinnladen immer die Oberhand behalten hatten. Dies aber war ein Kampf, der fremd und neu war. Ein folternder Schraubstock hatte sich um seinen Vorderlauf geschlossen, und die Zähne dieses Schraubstocks bohrten sich tiefer und tiefer durch Pelz und Haut und Fleisch, bis auf den Knochen. Ein ausgesucht scheußlicher Schmerz folterte ihn und bohrte sich immer tiefer. Der Bullterrier riß und zerrte, bemüht, ihm die Knochen zu zerbrechen. Die Hündin glich einem weißen zähnefletschenden Dämon – einem weißen Dämon? – nein, einem roten! – denn Schwarzwolfs stählerne Fangzähne hatten sie erbarmungslos zerfetzt. Trotz allem aber hielt sie mit immer größerer Energie da fest, wo sie zugepackt hatte. Es brummte und dröhnte tief in ihrer breiten Brust; in Schwarzwolfs Ohren klang es wie ein immer wiederkehrender Refrain: »Tod! Tod! Tod!« Schwarzwolf krümmte und bog sich in verzweifelter Anstrengung und schleifte die Hündin über die Lichtung kreuz und quer. Sie prallten miteinander gegen das Zelt, das krachend in sich zusammensank. Die Hündin wurde gegen einen Baum geschleudert. Es krachte dumpf, und zur Hälfte schien ihr Leben schon entflohen. Nur aus ihren verkrampften Kiefern nicht! Schwarzwolf, von Sinnen vor Schmerz und Furcht, schnappte blindlings nach einem der Jungen, das unbeholfen aus der Nähe der beiden zu flüchten versuchte, und das zarte junge Leben verging zwischen seinen grausamen Zähnen.

Augenblicklich ließ die Mutter ihren Gegner fahren. Er machte einen Satz zur Seite. Er hinkte, aber er war frei und er sah, wie die Hündin zu dem toten kleinen Wesen hinüberwankte und es zu lecken begann. Da setzte Schwarzwolf zum dritten Angriff an und diesmal fand er die Kehle seiner Feindin.


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