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24. Kapitel

Aber er fühlte auch Furcht. Kein Wesen, das in der Wildnis streift, ist dem Fuchs zugetan, aber es ist auch keins darunter, das nicht eine gewisse abergläubische Scheu vor ihm empfindet. Denn es mag verständlich sein, daß der Graubär so klug ist, und die Gedankenwelt des Wolfs ist nicht so weit, daß sich ihre Grenzen nicht ermessen ließen, aber der Fuchs lebt schon beinah' jenseits dieses Umkreises, fern am Horizont, wo zwei Welten sich zu begegnen scheinen, alles im Nebel der Begriffe sich verliert und alles möglich scheint. Und so fühlte Weißwolf Angst, in die sich Abscheu und Haß mischten. Diese Kreatur war nicht allein ein Fuchs, sondern sein Fell war auch noch unrein und die Last von Alter und Krankheit ruhte schwer auf ihm. Seine Augen waren gerötet und der Stolz jedes sich selbst achtenden Fuchses, der buschige Schwanz, war bei ihm eine Art kotigen Fetzens, in dem getrockneter Schmutz und dürre Zweige hängengeblieben waren. Der ironische Blick, mit dem er Weißwolf musterte, war recht unangebracht. Ein Geschöpf, das seinem eigenen elenden Tod so nahe war, hatte allen Grund, sich mit nichts anderem zu beschäftigen, als mit seiner eigenen Erbärmlichkeit.

»So lebst du also doch nicht im Unterland?« fragte Weißwolf.

»Du siehst mich ja hier!« antwortete der Fuchs. »Ich bin nicht mehr der alte, und nachdem einmal die Hunde hinter mir hergewesen waren, sah ich ein, daß so etwas zum zweitenmal mein Tod sein würde. Von mir ist nicht mehr viel übrig. Gerade noch, daß meine Füße schnell genug sind, um mich über die Dummheit fettwanstiger Wölfe ungestraft lustig machen zu können. Bist du ein Wolf, junger Freund?«

»Ich kann dich nicht verstehen«, sagte Weißwolf, den Kopf auf die Seite legend. »Der Wind bläst gerad' in deiner Richtung. Willst du nicht ein wenig näherkommen?«

Der Fuchs ließ wieder grinsend den Stummel seines Eckzahns sehen.

»Wie ich von meiner Mutter noch nicht entwöhnt war,« sprach er, »war ich bereits nicht mehr dumm genug, mich in einer so plumpen Falle zu fangen. Nun, Weißwolf, bleib ruhig wo du bist, und ich werde hier sitzenbleiben. Denn ich weiß ganz genau, wie rasch du ein Stück Wegs von etwa hundert Ellen läufst. Der Zwischenraum zwischen uns beiden ist gerade der richtige. Es sollte nicht mehr, noch weniger sein. Und so frag' ich dich noch einmal. Bist du ein Wolf?«

Der Terrier winselte vor Wut. »Du kahler Schurke, frag deine Nase! Was spürst du?«

»Etwas Ekelhaftes! Wolfsgeruch! Aber wer wüßte nicht, daß eine Witterung sich stehlen läßt, und wenn ich dich im großen und ganzen ins Auge fasse, so muß ich zugeben, daß ich noch niemals einen Wolf gesehen habe, der sich so ausnimmt wie du.«

»Ähnliches hab' ich schon früher gehört«, sagte der Bullterrier und wedelte selbstgefällig mit der Rute. »Indessen scheint es mir, daß selbst ein betagter Fuchs wie du, noch lernen kann, daß ein Wolf verschiedenartig aussehen kann.«

»Ich hab' durchaus nicht beabsichtigt, dir ein Kompliment zu machen«, sprach Rotfuchs trocken. »Überhaupt, niemals hörte ich von einem Wolf mit einem so häßlichen Schädel wie deinen und so bösartigen kleinen Augen, und ganz gewiß hab' ich noch keinen mit einem so lächerlichen Schwanz gesehen, einem Ding, das keinen Augenblick stillhalten kann.«

Weißwolf drehte den Kopf und warf einen Blick nach hinten.

»Jeder Wolf wie es ihm gefällt«, sprach er. »Ich meine, meine Rute nimmt sich ganz gut aus.«

»Daß glaub' ich, daß du dir das einbildest«, sagte der Fuchs. »Jedenfalls aber könntest du soviel Verstand gehabt haben, deinem Schwanz würdigere Manieren beizubringen, wenn schon sein Anblick nicht besonders würdig ist.«

Weißwolf leckte sich nachdenklich die Schnauze und versuchte sich ein wenig näher heranzuschieben, aber der Fuchs zog sich augenblicklich ein Stück weiter zurück.

Er fuhr fort: »Einen Wolf hab' ich gesehn – beiläufig, es ist ein guter Freund von dir –, der besitzt eine Rute, die selbst ein Fuchs halbwegs gelten lassen kann, obwohl Füchse, wie selbst du wissen mußt, die prachtvollsten Ruten der Welt besitzen.«

»Ich habe deine wohl gesehen«, bemerkte Weißwolf etwas spitz.

Aber der Fuchs lächelte bloß. Sein Selbstgefühl war anscheinend zu fest gefügt, um durch irgend etwas erschüttert zu werden.

»Meine besten Tage sind vorbei«, sagte er. »Aber ich habe eine Zeit erlebt, wo fünfzig Hunde und beinah ebensoviel Pferde und Menschen sich fast zuschanden hetzten, bloß um meiner Fährte habhaft zu werden.«

»Das«, entgegnete Weißwolf, »ist geradezu absurd.«

»Natürlich mußt du so denken«, sagte der Fuchs. »Deine Erziehung ist reichlich mangelhaft. Selbst der jüngste Fuchs könnte es merken. Aber ich habe es längst aufgegeben, bei einem Wolf wirkliche Bildung vorauszusetzen. Dich freilich hab' ich irgendwie ins Herz geschlossen, so töricht es auch sein mag.«

»Ich habe nicht die Absicht dir dafür besonders Dank zu sagen«, fletschte Weißwolf.

»Ich hab's auch nicht verlangt.«

»Aber ich möchte doch wissen, was dich veranlaßt hat, zu meinen Gunsten eine Ausnahme zu machen.«

»Vor allen Dingen,« sagte der Veteran und legte seinen Kopf ein bißchen auf die Seite, »vor allen Dingen deshalb, weil du eine so prachtvolle Karikatur eines Wolfes bist.«

»So?« schrie Weißwolf und sprang auf. Sein Fell sträubte sich vor Ärger. »Hab' ich nicht zwei Augen und vier Läufe – und einen Fang voll scharfer Zähne, alter Schurke?«

»Gewiß, gewiß!« sagte der Fuchs mit seinem bösartigen Grinsen. »Und genau dasselbe hat der Fuchs – und just dasselbe hat der Luchs – und schließlich und endlich auch der Hund, mein lieber, junger Freund!«

Er legte so verdächtigen Nachdruck auf die letzten Worte und so deutlich spiegelte sich ein verstohlenes Grinsen innerer Zufriedenheit in seinem Ausdruck, daß Weißwolf knurrte.

»Du sprichst den größten Unsinn, Rotfuchs. Laß dir's mit einem Wort sagen. Ich weiß alles, was es über Hunde zu wissen gibt und sie sind ein widerliches Pack. Ich hab' Augen und Ohren und Zähne fleißig gebraucht, um sie zu studieren. Und es gibt nichts, was man zu ihren Gunsten sagen könnte. Und deshalb sag' ich dir, wenn du fortfährst, mich mit ihnen zu vergleichen, werd' ich nicht länger auf dein Geschwätz hören.«

»Es wird dir nicht viel nützen«, grinste der räudige Fuchs. »Nichts könnte mich hindern, dir nachzulaufen und die schlichten Wahrheiten, die ich dir zu sagen habe, durch den Wald zu brüllen. So wird's denn besser sein, du bleibst ruhig sitzen und hörst mich gelassen an. Just die Sache, die mir am wichtigsten war, habe ich bis jetzt noch gar nicht zur Sprache gebracht.«

»Du kannst es genau so gut für dich behalten«, sagte Weißwolf. »Ich habe nicht die geringste Verwendung für alles, was du vorzubringen hast.«

»Das ist bloß, weil du jetzt gerade ein bißchen trotzig bist. Aber du wirst dir wohl die Sache in der kurzen Zeit, die dir noch bleibt, durch den Kopf gehen lassen.«

»Was soll das heißen?«

»Ich meine, das bißchen Zeit, das dir noch übrigbleibt, bis sich der Einsiedlerwolf mit dir befaßt und eine Mahlzeit aus dir macht – Schwarzwolf – den mein ich' natürlich! Mir scheint, daß du dich doch etwas getroffen fühlst? Wie?«

Es war in der Tat eine Stelle, an der Weißwolf empfindlich war. Obwohl er zu voller Größe herangewachsen und bis auf eine Kleinigkeit auch seine Körperkräfte voll entwickelt waren, obwohl in den Wäldern kaum ein Geschöpf lebte, vor dem er wirklich Furcht empfand, war dennoch Schwarzwolf für ihn ein furchteinflößendes Gespenst geblieben, just, als wäre er immer noch hilflos und klein, während Schwarzwolf größer und gewaltiger als jemals geworden war.

Er sagte ernst: »Mit Schwarzwolf bin ich noch nicht fertig. Lange ist's her, da versprach ich ihm, ich würde ihn eines Tages an der Gurgel packen und ihm das Leben aus dem Pelz schütteln. Wenn du ihn wieder triffst, kannst du ihm erzählen, daß ich ein Wolf bin, der sein Wort hält, und daß ich mein Versprechen erfüllen werde.«

»Ich hab' es ihm bereits gesagt«, grinste der Unheilstifter. »Und er hat versprochen, dich in Fetzen zu reißen, wenn er einmal fern vom Rudel mit dir zusammentrifft. Trotzdem – so sprach er – sei es ihm eigentlich nicht der Mühe wert, sich so viel Umstände zu machen, um einen Schwächling zu töten, der ein ganzes Rudel braucht, um seine Beute zur Strecke zu bringen. Denn Schwarzwolf ist sich selbst genug, er jagt allein und lebt allein. Keinen gibt es unter den Wölfen der San Jacinto-Berge, der ihm an Kraft und Schönheit gleich ist.«

»Ich freu' mich über seinen Ruhm«, sagte der Terrier. »Um so mehr wird es bedeuten, wenn ich ihn besiege. Dreimal habe ich mit Wölfen gekämpft, Rotfuchs, und drei Wölfe sind gestorben. Ich hoffe, Schwarzwolf wird der vierte sein.«

»Das mag sein wie es will,« sagte der Fuchs, »auf alle Fälle werden wir uns auch noch mit dem Rauch beschäftigen müssen, den du dort siehst.«

Weißwolf zuckte zusammen.

»Welcher Teufel hat dich darauf gebracht?«

»Oh, ich habe wohl gemerkt, wie du hinüber starrtest. Da hab' ich mir eine gewisse Frage vorgelegt.«

»Und willst du mir vielleicht sagen, was es war?«

»Ich mußte dran denken, daß du auch mit dem Menschen fertigwerden mußt – selbst wenn du mit Schwarzwolf fertigwerden solltest – was durchaus nicht wahrscheinlich ist –!«

Weißwolf zitterte vor Erregung.

»Auch ich habe daran gedacht«, meinte er. »Und wenn Mensch mir je so nah kommen sollte, daß mein Sprung seine Kehle erreichen kann, so wird er sterben, Rotfuchs.«

»So sagst du jetzt!« höhnte der Alte. »Aber ich sage dir eines, mein lieber, junger Freund: Wenn du überhaupt je den Mut aufbringen solltest, ihm in den Weg zu treten, niemals wirst du Stärke genug in dir fühlen, auch nur die Gewalt seines Blickes zu ertragen. Das schwör' ich dir, ich, der Rotfuchs. Und ich muß sagen, ich weiß nicht, welches Ende schlimmer ist, in Schwarzwolfs Magen sein Grab zu finden oder im Haus des Menschen lebendig begraben, ein elendes Sklavenleben zu führen.«

»Da tust du mir aber gewaltig unrecht!« rief Weißwolf. »Niemals würde ich das Joch der Dienstbarkeit auf mich nehmen. Und bin ich nicht ein freier Wolf und der Häuptling eines ganzen Rudels? Fürwahr, so ist es, bei der Mutter, die mich geboren hat.«

»Ah,« sagte Rotfuchs, »und darf man wissen, wer die Mutter ist, die dich geboren hat?«

»Alter Narr!« rief der Terrier. »Jeder Wolf, jeder Koyote, jeder Fuchs sogar in diesen Bergen weiß, wie es sich verhält. Ich bin der Sohn La Sombras und selbst die Eichhörnchen könnten dir Bescheid sagen, wenn du sie fragst.«

»Eichhörnchen und andere schnatternden Dummköpfe«, sagte der Rotfuchs, »fallen nicht sonderlich ins Gewicht. Und ich kann mir nicht helfen, ich muß dich geradezu fragen, ob es dich nicht manchmal selbst gewundert hat, wie es möglich sein kann, daß La Sombra deine Mutter ist.«

»Unsinn!« sagte Weißwolf. »Ich gehe! Du hast nichts anderes im Kopf, als mich zu ärgern und hast deine Freude dran. Gehab dich wohl!«

»Bleib!« rief Rotfuchs laut hinterher und begann ihn in langsamem Trab zu verfolgen. »Tu mir doch den einen Gefallen! Wenn du zum Wasser hinunterkommst, dann bleib einmal stehen und betrachte dein Spiegelbild im See! Aber genau!«

»Ich habe mein Spiegelbild schon früher manchesmal gesehen«, sagte Weißwolf. »Hältst du mich für blind?«

»Dein Auge mag in Ordnung sein, aber es fehlt am Hirn. Betrachte dich noch einmal im Wasser, o Weißwolf, und erforsche genau, was du da siehst. Und wenn dir's dann noch immer nicht vergangen sein sollte, zu deinem Rudel zurückzukehren, dann vergleiche dein eigenes Selbst einmal mit La Sombra und frage dich, wie sie je deine Mutter gewesen sein kann.«

»Ich werde dir das Rudel auf den Hals hetzen, du Schurke!« schrie Weißwolf. »Wir beide sind miteinander noch nicht fertig. Dessen kannst du gewiß sein!«

Aber der altersschwache Fuchs zeigte nur, still vor sich hinlachend, seinen Zahnstummel, und als Weißwolf nach ein paar Schritten über die Schulter zurückblickte, sah er ihn immer noch am Waldrand sitzen und lachen – allem Anschein nach aufs tiefste zufrieden mit seinem Tagewerk!


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