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31. Kapitel

Als Weißwolf La Sombra und die Höhle verlassen hatte, um zum zweitenmal den Weg nach dem Tal der Sieben Schwestern zurückzulegen, trugen ihn die Läufe rasch und mühelos dahin. Er hatte genug gefressen, um wieder zu Kräften zu kommen, und er hatte ein Erlebnis gehabt, das ihn mit einem merkwürdigen, aufpeitschenden Glücksgefühl erfüllte. Besonders froh war er darüber, daß der tote Fuchs, den er zurückgelassen hatte, in nächster Nähe von der Höhle des Menschen lag. Nichts sollte ihn daran hindern, noch einmal einen Blick hineinzuwerfen, nichts ihn hindern, wenn das Ungeheuer zu Hause war und sich eine Gelegenheit bot, noch einmal diese Stimme zu hören, die einen so seltsamen Zauber auf Weißwolf ausübte.

Als er den Rand der Lichtung wieder erreicht hatte, machte er halt, um zu verschnaufen und die Umgebung genau zu mustern. Noch immer stand die Türe der Hütte offen. Noch immer fiel das Licht der Lampe durch die Türöffnung, aber die helle Bahn, die es auf den Schnee gezeichnet hatte, ertrank jetzt schon wenige Schritte von der Schwelle im hellen Glanz des Mondes.

Weißwolf fühlte sich versucht, schon jetzt noch einmal zum Eingang hinzuschleichen, aber er widerstand. Die Pflicht befahl ihm, sich zunächst nach dem toten Fuchs umzusehen. Eilig lief er über die Lichtung, aber als er sich der Stelle näherte, wo er seine Beute hingeworfen hatte, erhob sich dort plötzlich ein lautloser Schatten. Ein riesiger Uhu glitt auf geräuschlosen Schwingen über die Spitzen der Bäume und verschwand. An der Stelle, wo er den Fuchs zurückgelassen hatte, fand Weißwolf nur noch ein paar blutbesudelte Pelzflocken. Er dachte an den räuberischen Uhu und quittierte mit einem grimmigen Zähnefletschen. Aber es war nichts mehr zu ändern. Wütend umkreiste er die Stelle, wo die entschwundene Beute gelegen hatte und beschnüffelte den Schnee.

Es dauerte nicht lange, da hatte er etwas entdeckt, was ihn mit noch größerer Gewalt anzog, als die offene Tür zur Höhle des Menschen – die Fährte des schwarzen Wolfs, deren Witterung der hartgefrorene Schnee nur schwach bewahrt hatte. Hatte nicht Rotfuchs einen Schwur geleistet, er werde nicht ruhen und rasten, bis er den grimmigen Feind auf die Spur des Terriers gebracht habe? Jetzt erinnerte sich Weißwolf daran. Der räudige Ränkeschmied hatte sein Versprechen also nicht vergessen. Die alte Wunde an Weißwolfs Schulter begann bei dem Gedanken wie Feuer zu brennen. Er hatte nicht die geringste Lust, seinem Gegner aus dem Wege zu gehen. Süß war es, zu Mutter Wolf zurückzukehren mit der Botschaft, daß Schwarzwolf nicht mehr am Leben sei – zurückzukehren, triefend vom Blut des Besiegten als Beweis des Sieges. Süß war der Gedanke, unter die Wölfe vom Dunkeld-Pack zu treten mit dem Beweis dafür, daß er die frühere Niederlage gerächt hatte.

Wie ein Pfeil schoß er auf der neu gefundenen Spur dahin. Sie wurde jeden Augenblick frischer und stärker. Sie lief am Ufer eines Baches entlang und es kostete ihn wenig Mühe, die Stelle zu finden, wo Schwarzwolf mit einem Sprung über das Bachbett hinweggesetzt war. Kurz darauf vernahm der Terrier plötzlich ein Knurren und gleich danach einen scharfen Schrei – eine Menschenstimme. Er brauchte sich nicht erst zu besinnen, um zu wissen, daß es ein Schrei äußerster Verzweiflung war.

Dichtes Unterholz verwehrte ihm den Ausblick. Mit einem Sprung brach er durch die knackenden Zweige – und sah den räudigen Fuchs sich mit einem erschrockenen Satz zur Seite retten.

Aber der Terrier schenkte dem Ränkeschmied nicht einen Blick, denn auf der Lichtung, die vom Mond voll beleuchtet wurde, sah er ein Schauspiel, das sein Blut zu Eis gerinnen ließ – Schwarzwolf, riesiger als je, und kaum eine Armeslänge von seinen geifernden Kiefern Mollys ängstlich zusammengeduckte Gestalt.

Hatte sie denn nicht die Witterung des Menschen an sich? Gewiß, seine Nase spürte sie ja sogar von weitem. Und doch schien dieses Menschenwesen so wenig gefährlich, daß es vor einem einzelnen Wolf bereits angstvoll in sich zusammenkroch! Wenn doch La Sombra mit all ihrer Weisheit diesen Auftritt mit angesehen hätte! Und ihm erklärt hätte – wenn sie es vermochte!

Oh! Welchen Schrecken und welche Verwunderung verriet die Stimme dieses Geschöpfes, als es jetzt dieselben Worte rief, deren sich just in dieser Nacht das große Menschenungeheuer bedient hatte: »Der King!«

Schwarzwolf machte einen Satz nach rückwärts und fuhr herum, um seinen alten Feind anzugreifen.

»Läuft mir La Sombras Bastard wieder in den Weg?« knurrte er. »Halt die Augen offen, Fuchs, denn noch heute nacht werden wir beide frisches Fleisch zu fressen haben!«

Und Rotfuchs antwortete: »Ist's nicht, wie ich dir's zuschwor, o Herr? Ich habe ihn in deine Nähe gelockt. Er ist weit von seinem Pack. Seine Pfoten sind zu lahm, um dir zu entwischen. Und – Narr, der er ist – er hat noch nicht einmal die Absicht auszureißen.«

»Was seh' ich, Schwarzwolf?« sprach der Terrier. »Ist dein Wahnsinn bereits so groß, daß du es wagst, dem Menschenungeheuer die Zähne zu zeigen? Ist die letzte Spur von Vernunft aus deinem dicken Schädel entwichen? Doch immerhin bin ich noch zur Zeit gekommen!«

Mit einem Sprung stand er zwischen dem Kind und dem Wolf.

»Da, sieh!« höhnte Rotfuchs. »Alles ist so, wie ich es gesagt habe. Welches Tier würde sein Leben für den Menschen auf's Spiel setzen, außer seinem Sklaven, dem Hund? Dies ist ein Hund und der Sohn eines Hundes, und wann hat je ein Hund es wagen dürfen, sich einem Wolf in den Weg zu stellen, und einem König der Wölfe, wie du, o Herr und Meister?«

»Er wird mir nicht lange im Wege stehen«, sagte Schwarzwolf, »wenn er es überhaupt wagt, mir die Zähne zu zeigen. Oder willst du zu Füßen des Menschenjungen Schutz suchen, du Bastard?«

»Die Stunde hat geschlagen, die ich dir prophezeit habe«, keifte Weißwolf, »– vor langer Zeit, als du am Ufer des Sees meinem Leben nachgestellt hast. Damals hab' ich dir geschworen, die Zeit werde kommen, wo ich auf dich Jagd mache, Aasfresser! Und sie ist gekommen! Die Zeit ist da, wo ich dich an der Gurgel fassen werde!«

Er stürzte auf seinen Feind los, aber mitten im Ansturm bremste er, duckte sich und haschte nach den Läufen des Wolfes. Die Zähne seines Gegners brachten ihm eine bösartige Wunde auf dem Rücken bei, dafür aber faßten seine Fänge den Wolf beim Vorderlauf und ein Zufall wollte es, daß sie dieselbe Stelle trafen, wo vor langer Zeit die Zähne seiner Mutter, des Bullterriers Nelly, sich dem Ungeheuer ins Fleisch geschlagen und beinahe sein Ende besiegelt hatten.

Selbst Nellys Kräfte hatten hingereicht, um dem Wolf zu schaffen zu machen und ihn vor Schmerzen an den Rand des Wahnsinns zu bringen, wieviel schlimmer aber ging es ihm jetzt, als sich Weißwolfs erprobte Kinnladen wie ein Schraubstock schlossen und seine furchtbaren Zähne knirschend die Knochen trafen.

Schwarzwolf heulte laut und verzweifelt auf. Das Echo rollte weit in die Nacht. Der riesige Uhu, der lautlos hoch über den Bäumen dahingestrichen war, stieß herab und verharrte mit flatternden Schwingen einen Augenblick über dem erstaunlichen Schauspiel. Rotfuchs duckte sich in ängstlicher Verwunderung in den Schnee. Molly Crosden aber preßte die Hände an die Brust. Sie war nicht einmal fähig zu flüstern. Geschah nicht ein Wunder vor ihren Augen?

Oft und oft hatte ihr Vater ihr auseinandergesetzt, was jeder Waldläufer weiß: daß kein Hund es fertigbringt, allein dem mörderischen Gebiß des Wolfes zu trotzen. Und doch erlebte sie es jetzt, wie ein Wolf – und ein wahres Ungeheuer obendrein – brüllend vor Wut und Schmerz über die Lichtung wirbelte und mit Leibeskräften darum kämpfte, sich aus den Zähnen seines Feindes zu befreien. Der Terrier wurde in die Luft gezerrt, gegen die Fichte hier, gegen den Stamm der nackten Birke dort, geschleudert, daß es dröhnte, aber auch der härteste Puff konnte ihn nicht dazu bewegen, seinen Halt fahren zu lassen. Und obwohl Schwarzwolfs Fangzähne zu wiederholten Malen ihm blutige Furchen in den Rücken pflügten und sein Fell sich purpurn zu färben begann, harrte er aus.

»Rotfuchs!« knirschte der Wolf, halb von Sinnen. »Willst du es mir allein überlassen, mit diesem Teufel zu kämpfen? Wenn's dich nach Rache gelüstet, wenn du hungerst danach, dich zu sättigen, dann komm mir zu Hilfe!«

Rotfuchs grinste, daß man seinen abgebrochenen Zahn sah und schlich sich von hinten heran. Er hatte nicht den Mut, an einer entscheidenden Stelle zuzupacken, aber immerhin bohrten sich seine abgenutzten Zähne in Weißwolfs Schenkel.

Die Überraschung bewirkte, was der Schmerz nicht zuwege gebracht hatte. Weißwolf ließ den Lauf seines Gegners fahren und schnellte herum, um Rotfuchs beim Kragen zu packen. Er schnappte nur nach einem Schatten, denn Rotfuchs hatte nur einmal zugebissen und sich dann schleunigst mit einem Sprung in Sicherheit gebracht. Schwarzwolf, auf drei Beinen taumelnd, aber von der Wut vorwärtsgetrieben, benutzte den Augenblick, um wie ein Berserker über den Terrier herzufallen. Seine gewaltige Schulter traf Weißwolf und warf ihn kopfüber in den Schnee. Im Nu war der Wolf über ihm, schnappte nach seiner Kehle und riß sie auf, aber der Biß war nicht tief genug gegangen, der Terrier kämpfte sich wieder hoch, und als Schwarzwolf umkehrte, um ihm vollends den Garaus zu machen, hemmte ein unvorhergesehenes Ereignis seinen Sprung.

Molly Crosden hatte längst die Falle vergessen, deren Zähne sich wütend in ihr Fleisch gruben. Mit dem Eifer eines Schuljungen, der in der Pause Zeuge einer grandiosen Prügelei ist, hatte sie sich auf den Knien aufgerichtet und feuerte Weißwolf mit begeisterten Zurufen an. Ihre triumphierende Stimme übertönte das Knurren der beiden Gegner und das gierige Winseln des Fuchses, der in großem Bogen um die Kämpfenden tanzte. Er hatte große Sehnsucht, seine Zähne in Tätigkeit treten zu lassen, aber er fürchtete Weißwolfs mächtige Kinnladen wie den Tod. Molly war Zeuge, wie er sich endlich entschloß, zum Sieg der guten Sache beitragen zu helfen und die Wut über die feige Tat raubte ihr beinahe die Besinnung. Sie fand keine Waffe außer dem schweren Wurzelknollen eines abgestorbenen Busches und schleuderte ihn unter Aufgebot aller Kräfte Schwarzwolf an den Kopf, als er gerade kehrtmachte, um noch einmal, und diesmal gewiß zum letztenmal, über den Terrier herzufallen, der sich gerade mühsam aufzurichten versuchte.

Das knorrige Holz traf Schwarzwolf mitten auf die Stirn, erschreckte ihn und füllte seine Augen mit Sand und Erde. Es war ein Nichts – so viel, wie für einen Preisboxer eine Ohrfeige von einer Mädchenhand – aber er zögerte – vielleicht nicht länger als man braucht, um zu blinzeln – und das genügte für Weißwolf, um sich wieder auf die Füße zu raffen und dem Angriff zu begegnen.

Und jetzt tat er das, was der Instinkt ihn gelehrt, was er seit langem im Kampf mit Hund und Stier und Elch erprobt hatte, er sprang seinem Gegner an den Kopf. Der Eindruck, der von der gewaltigen Gestalt des schwarzen Wolfes ausging, hatte ihn bis jetzt davon abgehalten. Er hatte das Gefühl gehabt, als müsse es mißlingen, diesem Riesen von oben beizukommen, als sei der einzige Ausweg, ihn vom Boden aus anzugreifen. Jetzt aber, in der Hitze des Kampfes, warf er alle Strategie beiseite, und als Schwarzwolf auf ihn losstürzte, prallten ihre Zähne gegeneinander. Es war eine unangenehme Überraschung für den Wolf.

Er wich zurück, um zum zweiten Sprung auszuholen, aber Weißwolf ließ ihm keine Zeit zum Manöverieren. Er hörte das Kind hinter sich rufen, er wußte, daß der Zuruf ihm galt; er sah, wie ein knorriger Ast, von ihrer Hand geschleudert, Rotfuchs heulend in die Flucht jagte. Der Kampfplatz war gesäubert. Der Wolf holte zu einem neuen Anlauf aus – und ehe er sich noch recht besinnen konnte, hatten sich die Zähne des Hundes in seiner Schnauze verankert.

Habt ihr je einen Ringer gesehen, der sich plötzlich aufrichtet und seinen Gegner durch die Luft wirbelt? So straffte sich Schwarzwolf, drehte sich um sich selbst und versuchte den Terrier abzuschütteln. Doch der saß fest und gab nicht nach. Wie ein Besinnungsloser stürzte sich der Wolf ins Dickicht, ja, es sah manchmal aus, als ob er mit einem geraubten weißen Lamm zwischen den Zähnen das Weite suchen wolle, aber bald kam er wieder auf die mondbeleuchtete Fläche herausgewankt, erschöpft, von Schmerzen geschwächt, geschwächt auch von einer ganz neuen und unbekannten Furcht, vor dem, was ihm noch drohen konnte.

Keinen Wolf gab es weit und breit, über den er sich nicht getraut hätte Meister zu werden, wenn gekämpft wurde, wie wackere Wölfe kämpfen, aber das weiße Scheusal hing ja an ihm wie ein riesiger Blutegel. Vor langer, langer Zeit, im Lager des Trappers, war ihm Ähnliches begegnet. Aber diesmal hatte er es mit einem Egel zu tun, der dreimal so stark war wie der damals.

»Hilf mir, Rotfuchs!« schrie er.

»Ich komme, großer Bruder!« sprach der Fuchs. »Mein Leben setz' ich auf's Spiel um deinetwillen; und laß' es für immer in dein Gedächtnis gegraben sein, was ich für dich wagte!«

Und wirklich schnellte er vor und grub seine stumpfen Zähne noch einmal in Weißwolfs Schenkel.

Es gab eine böse Wunde, aber diesmal ließ sich der Terrier nicht verleiten, den Gegner, den er gepackt hielt, fahren zu lassen. Je mehr ihn der Schenkel schmerzte, desto nachdrücklicher preßten seine Kiefer sich zusammen, desto wütender wühlten sich seine Zähne in Schwarzwolfs Fleisch, bis sie knirschend den Knochen trafen. So greulich war die Marter, die Schwarzwolf zu erdulden hatte, daß er den letzten Rest von Besinnung verlor. Er sammelte alle Kraft zu einem letzten furchtbaren Ruck. Es kümmerte ihn nicht, daß infolge seiner eigenen Bewegung die Zähne des Terriers wie ebensoviel Messer lange Striemen in sein Fleisch schnitten. Und dann war er frei. Er war halb geblendet. Sein Kopf glich nur noch einer Maske aus Fleischfetzen, das Blut troff an ihm herunter, er wankte rückwärts, fiel kopfüber in den Schnee, raffte sich wieder auf und raste in panischem Schrecken blindlings in die rettende Wildnis hinaus.

Das Schicksal gewährte ihm eine Gnadenfrist, denn noch zerrte Rotfuchs an Weißwolfs Schenkel und hielt ihn auf. Der Terrier schnappte nach ihm und das boshafte Vieh ergriff quietschend die Flucht. Aber inzwischen war Schwarzwolf schon über alle Berge. Weißwolf versuchte ihm nachzusetzen, doch der mißhandelte Hinterlauf knickte ein und verweigerte den Dienst. Er mußte die Verfolgung aufgeben. Gewiß kann ein Hund auch auf drei Beinen rasch vorankommen, aber nur dann, wenn einer der Vorderläufe verletzt ist.

Er humpelte ein paar Schritte, dann aber machte er kehrt, setzte sich friedlich in den Schnee und begann seine Wunden zu lecken.

Und welches Wunder, das Menschenjunge streckte die Hände nach ihm aus und sprach zu ihm mit einer Stimme, die süß und lockend klang, süß und lockend wie das Murmeln einer Quelle an einem heißen Sommertag nach langer und staubiger Jagd. Er vergaß seine Wunden und spitzte die Ohren, um auf die Stimme zu hören.


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