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Dreiunddreißigstes Kapitel.
Der Sang der Wildnis

Täglich hörten Buck Daniels und sein Vater von tausend Verbrechen, die Dan zugeschrieben wurden. Jede Untat, die auf viele Meilen im Umkreis geschah, wurde ihm zugeschrieben. Eines Tages fand man zwei Cowboys tot auf. Ihre Revolver lagen mit zur Hälfte geleertem Magazin dicht daneben, und ihre Pferde grasten in der Nähe. Zu anderer Zeit hätte man ohne weiteres angenommen, daß sie sich gegenseitig ums Leben gebracht hatten, denn es war weit und breit bekannt, daß sie geschworene Feinde waren. Aber jetzt gab es für jedes Hirn bloß die eine Erklärung: Dan war's gewesen.

Für Kate waren das Tage, wo sich Freude und Schmerz seltsam mischten. Was sie wehmütig stimmte, war – seltsam genug –, daß täglich Dan mehr zu Kräften kam. Solange er hilflos und krank war, gehörte er ihr. Wenn er gesund und stark war, gehörte er nur der Rache, die er Jim Silent geschworen hatte. Wenn sie mit anhören mußte, wie Dan seine seltsamen, gespenstischen Melodien leise vor sich hinpfiff, wußte sie, was es zu bedeuten hatte. Sie wußte es so genau, wie sie wußte, was es zu bedeuten hatte, wenn ein hungriger Wolf durch die Winternacht heulte. Es war der Sang der Wildnis, der unbezähmbaren Wildnis. Über das geheime Wissen aber, das sie erfüllte, verlor sie nie ein Wort. Sie preßte das Glück, das ihr der Augenblick schenkte, ans Herz und schloß die Augen vor dem Morgen.

Eines Abends kam der gefürchtete Augenblick. Dan hatte mit Black Bart gespielt, und sie hatte den beiden zugesehen. Es war ein wildes Hin und Her. Die beiden flogen im Zimmer herum, daß jeden Augenblick die Möbel in Stücke zu gehen drohten, und trotzdem hörte man kaum einen Laut. Dan wie der Wolf hatten den weichen, unhörbaren Tritt der Raubtiere. Man hörte nichts als das stürmische Atmen, und hier und da rasselten Black Barts Klauen auf den Fußbodenbrettern. Plötzlich war alles zu Ende. Dan fiel in einen Stuhl. Black Bart ließ sich vor ihm auf die Schenkel nieder und schnappte im Spiel nach seiner Hand, die, wie der Blitz vorschießend, ihm Klapse auf die Schnauze gab. Schließlich rührte sich Dan nicht mehr. Er schwieg vor sich hin. Seine Augen schienen das Tier nicht mehr zu sehen. Einen Augenblick lang hafteten sie an Kates Gesicht, dann glitt sein Blick auch an ihr vorbei.

Sie ahnte, was kam, und harrte geduldig.

Endlich öffnete er den Mund: »Kate,« sagte er, »ich muß aufbrechen!«

Ihr Lächeln erlosch. In der Ferne heulte ein Koyote. Der Wind pfiff zwischen den Bergen. Ihren Ohren klang es wie die Begleitung zu Dans Pfeifen – der Sang und Ruf der Wildnis – der unbezähmbaren Wildnis.

»Nanu, Kleines, du weinst ja?«

Er hob ihren Kopf und blickte ihr in die tränenumflorten Augen. Aber mit einemmal war sein Blick wieder entglitten, zum Fenster hinaus, in die Ferne nach den Bergen, die in den Schatten der Nacht versanken.

»Du wirst mich doch nicht jetzt verlassen?« flehte sie.

»Ich muß!«

»Nur eine Stunde noch!«

»Sieh!« sagte er.

Er deutete auf Black Bart, der sich am Fenster hochgestellt und die Pfoten auf das Fensterbrett gelegt hatte. Das Tier spähte mit Jägeraugen in die Nacht hinaus, mit jenen Augen, die im tiefsten Dunkel sehen können.

»Der Wolf weiß Bescheid, Kate,« sagte er, »ich kann's nicht erklären.«

Er küßte sie auf die Stirn. Sie aber preßte sich an ihn und hob durstig den Mund.

»Das nicht!« sagte er mit rauher Stimme. »An meinen Lippen klebt immer noch Blut. Der Fleck muß erst getilgt sein.«

Und schon schloß sich die Tür hinter ihm. Der Wolf war vorausgelaufen.

Geblendet von ihren Tränen stolperte sie ihnen mit ausgebreiteten Armen nach. Als sie sah, daß sie allein war, brach sie in einem Stuhl zusammen, begrub ihr Gesicht an der Stelle, wo noch eben Dans Haupt geruht hatte, und weinte laut. In der Ferne hörte man wieder den Koyoten heulen, diesmal näher.


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