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Neunzehntes Kapitel.
Männer aus echtem Schrot und Korn

Sheriff Gus Morris hatte sein Amt nunmehr zehn Jahre inne, und es gab Leute, die darauf hinwiesen, daß er in diesen zehn Jahren nicht eine einzige wichtige Verhaftung vorgenommen habe, ja es gab einige wenige Krittler, die sich versteckte Andeutungen darüber leisteten, daß in Morris' Amtsbezirk das Gewerbe der Straßenräuber blühte und gedieh. Aber diese Mißvergnügten waren noch jedesmal, wenn es zur Wahl kam, von einer überwältigenden Majorität geschlagen worden, die darauf schwor, daß Sheriff Gus Morris der tüchtigste Kerl sei, der je einen Fuß in den Steigbügel gesetzt habe. Sie mochten ihn dank seiner unerschöpflichen Liebenswürdigkeit und der schmelzenden Baritonstimme wegen, mit der er, ohne sich lang bitten zu lassen, die beliebtesten Cowboylieder zum Vortrag brachte. Vielleicht aber war der gewichtigste Grund von allen gerade die Laxheit, mit der er seinen Amtspflichten nachkam. Anscheinend hatten die Wähler die Sheriffs der alten Schule satt, die mit dem Revolver in der Hand ihr Leben verbrachten und nach einigen kurzen Monaten kämpfend im Sattel ihr Ende fanden. Ehe er noch zu Amt und Würden gelangt war, betrieb Gus Morris ein Unternehmen, in dem ein Gemischtwarenladen – der Store –, eine Kneipe und ein Gasthaus miteinander kombiniert waren. Richtiger gesagt, er gab den Namen her. Der wirkliche Leiter des Betriebs, Generaldirektor, Buchhalter, Korrespondent, Koch und gelegentlich auch Schankkellner, war seine Tochter Jacqueline. Sie hatte nur eine gewöhnliche Kneipe vorgefunden, und eine schlechtbesuchte obendrein. Ihrer Energie allein war es zu verdanken, daß das Anwesen zu dem wurde, was es war. Ihr Vater verbrachte, auch nachdem er Sheriff geworden war, den größten Teil des Tages in seiner Kneipe, aber ungeachtet der Würde, die ihm sein Amt in den Augen anderer geben mochte, zu Hause hatte er weder Sitz noch Stimme. Da war das einzige Gesetz, das existierte, der Wille Jacquelines.

Aus dem Stall des Gasthofs traten Dan und Tex Calder. Es war der Abend nach dem Zugüberfall. Zwei volle Stunden nach Silents geglückter Flucht waren die beiden am Schauplatz des Verbrechens eingetroffen. Der Lokomotivführer und der Heizer arbeiteten wie wahnsinnig, um die ertränkte Feuerbuchse zu reinigen und neuen Dampf aufzumachen. Tex hatte einen Blick auf die Leichen der beiden erschossenen Angestellten der Expreß Company geworfen, hatte ein paar Worte mit dem Zugführer gewechselt und hatte den stürmischen und wortreichen Erklärungen der Passagiere dadurch ein Ende gemacht, daß er stumm sein Pferd wandte und davonritt. Den Rest des Tages über war er wortlos und düster dahingetrabt. Sein Ruf hatte einen schweren Schlag erlitten, denn die Banditen hatten ihr Wagestück vollbracht, während er auf ihrer Fährte war. Und jetzt erst, als er mit Dan aus dem Stall trat, wo sie ihre Pferde versorgt hatten, öffnete er den Mund.

»Dan,« sagte er, »wißt Ihr über Sheriff Gus Morris Bescheid?«

»Nein.«

»Dann hört zu und bewahrt jedes Wort wie 'n Goldkorn! Ich bin ein Diener des Gesetzes, und Morris sollte es sein, aber ich werde Morris von unserer Sache kein Wort erzählen. Ich hoffe, er kennt mich nicht. Wenn er mich kennt, ist unsere Partie von vornherein verdorben. Ich weiß so gut wie sicher, daß er mit den Buschkleppern unter einer Decke steckt. Denkt daran: Wir sind weder hinter Jim Silent her noch hinter irgendeinem anderen; solang wir unter Gus Morris' Dach sind! Wir sind nichts weiter als Cowboys auf der Wanderung! Und stellt keine Fragen. Ich hoffe, ich werde hier etwas darüber erfahren, wo wir Silents Bande zu suchen haben. Aber wenn wir etwas erfahren, so nur durch Anspielungen und zufällig gemachte Bemerkungen. Wir müssen diesen Morris mit Falkenaugen beobachten. Wenn wir ihm einen verdächtigen Eindruck machen, hat er sicher Mittel und Wege, Silent Nachricht darüber zukommen zu lassen, daß wir hier sind. Dann sind wir nicht mehr die Jäger, sondern das Wild.«

Als sie ins Haus traten, setzten sich gerade etwa ein Dutzend Leute zu Tisch. Der Sheriff, der an der Tafel den Vorsitz führte, winkte den beiden, als sie eintraten, grüßend zu.

»Wie geht's, Boys?« rief er. »Braucht euch nur in den Nebenraum zu bemühen, um ein paar Stühle zu finden. Kannst zwei Teller mehr auf den Tisch stellen, Jacqueline.«

Als Tex Calder die Stühle holen ging und Dan sich anschickte, ihm nachzugehen, um zu helfen, bemerkte er, daß der Sheriff einem der Männer, der in seiner Nähe saß, ein Zeichen gab. Sie kamen mit den Stühlen aus dem Nebenraum zurück, als gerade jemand das Zimmer durch eine andere Tür verließ.

Dan und Calder nahmen nebeneinander am Tische Platz.

»Tex,« sagte Dan leise, »als wir im Nebenzimmer waren, hat der Sheriff mit einem der Leute am Tisch gesprochen, und als wir zurückkamen, hat der das Zimmer verlassen. Meint Ihr nicht, daß Morris Euch erkannt hat?«

Calder runzelte nachdenklich die Stirn und schüttelte den Kopf.

»Nein,« sagte er mit gesenkter Stimme, »ich habe ihn scharf beobachtet, als wir eintraten. Er hat nicht mit der Wimper gezuckt. Wenn er mich doch erkannt hat, dann muß er der größte Schauspieler auf Gottes weiter Welt sein.«

»Allright, aber irgend was an der Bude hier gefällt mir nicht – vielleicht ist's die Luft. Tex, laßt Euch einen Rat geben – haltet Euren Revolver bereit, 's kann sein, Ihr braucht ihn so rasch wie noch nie in Eurem Leben.«

»Macht Euch um mich keine Sorgen«, lächelte Calder. »Wie steht's mit Euch?«

»Hallo!« fuhr Jacquelines Stimme dazwischen. Sie saß am anderen Tischende. »Seht mal, wen wir da aufgefischt haben.«

Sie hatte eine hübsche, musikalische Stimme, aber ihre Art zu sprechen und ihr ganzes Benehmen waren das eines Mädchens, das allzuviel unter Männern des Westens gelebt und ihre Gewohnheiten angenommen hat. Ihre blauen Augen waren auf Dan konzentriert.

»Seid Ihr nicht ein bißchen weit von daheim?« fuhr sie fort.

Die Tafelrunde hatte sofort heraus, daß jemand zum Narren gehalten werden sollte. Sie feixten.

»Ach, 'n ganz anständiges Stück«, sagte Dan. Seine weitgeöffneten braunen Augen blickten Jacqueline ruhig und ernsthaft an.

Die naive Antwort entlockte den übrigen ein Geheul des Entzückens. Dan blickte sich verwundert um. Seine Naivität wirkte kindlich. Calder war besorgt, er flüsterte ihm ins Ohr: »Laßt Euch nicht in Wut bringen, Dan!« Aber Jacqueline war mit dem ersten, gelungenen Schuß allzu zufrieden, um ihr Opfer in Ruhe lassen zu können.

»Die großen Augen sind nicht übel für den Anfang,« sagte sie, »brauchtet bloß noch langes Haar, um 'ne vollendete Schönheit zu sein. Lassen sie Euch daheim immer so rumlaufen?«

Alles spitzte die Ohren. Ein erwartungsvolles Grinsen lag auf sämtlichen Gesichtern.

»Ich geh' nicht viel aus,« antwortete Dans sanfte Stimme, »und wenn's mal der Fall ist, geh' ich meistens mit meinem Freund hier. Der paßt auf mich auf.«

Eine donnernde Lachsalve antwortete. Es war klar, Jacqueline hatte ein Greenhorn entdeckt und dazu noch ein besonders seltenes Exemplar dieser komischen Menschengattung. Dicht neben Jacqueline saß ein Cowboy mit sandfarbenem Haar. Die Herrin des Hauses schien ihm das Stichwort für seine eigene Rolle gegeben zu haben.

»Habt Ihr nicht manchmal ein bißchen Angst, wenn Ihr unter Männer von echtem Schrot und Korn geratet?« fragte er und schielte über den Tisch weg Dan an.

Dan lächelte ihn freundlich an.

»Kalkuliere, kann sein, ich bin's«, sagte er liebenswürdig.

Neues Lachen. Der Cowboy meinte:

»Na, ich denke, dann ist just eben ein Augenblick, wo Ihr das Herz in den Hosen habt.«

»Nein,« sagte Dan, »ich fühl' mich ganz behaglich.«

Sein neuer Bekannter antwortete mit einem Stirnrunzeln, das genügt hätte, um ein störrisches Pferd einzuschüchtern.

»Was meint Ihr? Habt Ihr nicht eben selbst gesagt, Männer machen Euch gewissermaßen – nervös?«

Er machte Dans sanfte, gedehnte Sprechweise nach und löste damit ein neues Geheul des Entzückens aus. Der Pfeifende Dan wandte seine sanften, gelassenen Augen Jacqueline zu.

»Entschuldigt mich, Madam«, begann er.

Augenblicklich war alles mäuschenstill. Die Tafelrunde wollte nicht eine einzige Silbe von den erheiternden Bemerkungen des Greenhorns verlieren. Diese Einleitung versprach etwas, was alles Vorhergehende in den Schatten stellen mußte.

»Immer frisch 'raus mit der Sprache, Bubi«, sagte Jacqueline und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht. »Red' frisch von der Leber weg, wie wenn du ein richtiggehender Mann wärst. Du hast so hübsche braune Augen, ich tu dir nichts zuleide.«

»Ich wollte bloß fragen,« sagte Dan, »ob das hier Männer von echtem Schrot und Korn sind?«

Sie hatten fieberhaft auf den Augenblick gewartet, wo sie herausplatzen konnten. So prusteten sie los, aber plötzlich hielten sie inne. Das Lachen erstarb. Sie blickten sich gegenseitig verblüfft und ratlos an.

»Findest du, sie seh'n nicht so aus, Bubi?« erkundigte sich Jacqueline.

Dan ließ seine Augen gemächlich über die Gesichter rund um den Tisch streifen.

»Ich weiß nicht«, sagte er schließlich. »Sehn mir einigermaßen merkwürdig aus.«

»Um's Himmels willen, Dan, mach' Schluß!« raunte Tex Calder ihm halblaut zu. »Laß sie sich amüsieren, wie sie wollen. Bring' unser Unternehmen nicht zum Scheitern, eh' wir noch richtig angefangen haben.«

»Merkwürdig?« wiederholte Jacqueline. Ein dumpfes Raunen lief um den Tisch.

»Und ob!« sagte Dan und lächelte Jacqueline an. »Sie haben alle ihre Revolver so mächtig hochgeschnallt.«

Grabesstille. Dann donnerte der Mann mit dem sandfarbenen Haar los: »Was in Dreiteufelsnamen soll das heißen?«

Dan beugte sich ein wenig über den Tisch. Sein Ellbogen lag auf der Platte, seine rechte Hand war frei und ruhte scheinbar harmlos auf dem Tischrand. Immer noch war sein Lächeln so liebenswürdig, daß es beinahe einer Liebkosung glich.

»Na,« sagte er, »vielleicht könnt Ihr mir's erklären, Nachbar. Scheint mir jedenfalls, daß Revolver, die so hoch hinaufgeschnallt sind, eher zur Verzierung gut sind als zum Gebrauch.«

»Du verdammte Kröte ...« begann Sandy.

Er brach ab und starrte Dan mit auffallender Hartnäckigkeit in die Augen. Dan öffnete wieder den Mund. Seine Stimme hatte einen neuen Ton angenommen – die Veränderung war nicht groß, er sprach nicht lauter und immer noch in seiner alten, schleppenden Art – aber es war etwas katzenhaft Schnurrendes in seiner Stimme, das jedermann am Tisch veranlaßte, sich in seinem Stuhl zurechtzurücken und sich zu vergewissern, daß die rechte Hand genügend Bewegungsfreiheit hatte. Noch immer spielte das liebenswürdige Lächeln um Dans Lippen, aber seine Augen schienen auf Sandy eine hypnotische Anziehungskraft auszuüben.

»Vielleicht irr' ich mich, Kamerad,« sagte der Cowboy, »kann sein, Ihr seid fähig, uns zu beweisen, daß Euer Revolver was mehr ist als 'ne hübsche Verzierung.«

Was jetzt geschah, war seltsam. Sandy war tapfer. Jedermann am Tisch wußte das. Jedermann wartete auf das, was unabwendbar kommen mußte. Jedermann wartete auf den Augenblick, wo Sandys Hand blitzschnell nach dem Revolver fuhr, wo ein Feuerstrahl aus dem Lauf schoß und der Schuß krachte. Der Augenblick blieb aus. Und die Überraschung war noch nicht zu Ende.

»Ihr seht ja,« fuhr Dans liebkosende Stimme fort, »jedermann wartet nur darauf, daß Ihr Euch produziert – und was die Lady ist, die ist ganz speziell daran interessiert.«

Und immer noch rührte sich Sandys Rechte nicht. Sie schwebte wie gelähmt mit steif gekrümmten Fingern in der Luft über dem Tisch. Der Mann fuhr sich mit der Zunge über seine blutleer gewordenen Lippen, und dann – das war das Seltsamste, wichen seine Augen zur Seite und vermieden es, Dan ins Gesicht zu blicken. Die übrigen starrten sich ungläubig an. Das Unglaubliche war geschehen – Sandy hatte das Hasenpanier ergriffen. Am ehesten von allen erholte sich der Sheriff. Aber auch auf seiner Stirn perlten dicke Schweißtropfen.

»Was ist das für ein Rummel?« rief er. »Heda, Sandy, laß das bleiben. Mußt du mit dem Fremden Streit anfangen?!«

Sandy sah ein Hinterpförtchen geöffnet, durch das er noch einen halbwegs ehrenhaften Rückzug antreten konnte. Er lehnte sich wieder in seinen Stuhl zurück.

»Allright, alter Knabe,« sagte er, »ich sehe, du hast Angst um deine Möbel. Laß gut sein, ich werde dem Fremden nichts zuleide tun.«


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