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Erstes Kapitel.
Der Pan der Einöden

Ein Land war es, das selbst die Zugvögel, die hoch darüber hinzogen, so rasch als möglich hinter sich ließen. Verbrannt war es und braun, bestreut mit Steinbrocken, großen und kleinen, als habe man, nachdem die Welt geschaffen war, den Abfall hier achtlos beiseite geworfen. Ein rasch vorbeiziehender Regenschauer peitschte die Häupter der granitnen Berge, und die tiefstehende Morgensonne tauchte die nassen Bergwände in flammendes Licht. Aber nach kurzer Zeit hatten die Berge allen Glanz verloren und ihr düsteres Braun wieder angelegt. Die Feuchtigkeit verdunstete rasch. Die Sonne stieg höher und blickte drohend über die Wildnis hin, als suche sie nach dem letzten bißchen Leben, das ihrem Feuerhauch entronnen sein konnte.

Hinter einem dieser Bergrücken tönte ein Pfeifen. War es der Wind? Aber es regte sich kein Lüftchen. Es war ein Ton, der in die Umgebung paßte; er schien weder dem Himmel noch der Erde anzugehören. War vielleicht Pan, der große Gott der Hirten, auf die Erde zurückgekommen, um die starren Felsen, die noch keines Menschen Mund getauft hatte, mit den wilden und süßen Tönen seiner Flöte zu bezaubern? Der Ton wurde zu lose aneinanderhängenden, musikalischen Sätzen; sie hätten die überschäumenden Improvisationen sein können, die ein Meister der Geige seinem Instrument entlockte.

Ein mächtiger Wolf oder ein Hund, der den gewaltigen Wuchs und das rauhe Fell eines Wolfes besaß, trabte um die Bergecke. Er stutzte, hob die Pfote, und die lange rote Zunge schnellte aus dem Rachen. Er spähte in die Ferne und machte dann kehrt, um in der Richtung zurückzublicken, aus der er gekommen war. Die gespenstische Musik hatte ihren Charakter wieder geändert. Jetzt perlte fließend Ton um Ton wie die Läufe einer Flöte. Es kam näher. Ein Reiter ritt auf die Bergnase hinauf und brachte sein Tier zum Halten. Nicht auf den ersten Blick hätte man den Mann unter die eingereiht, die in einem Lande, wo im Kreislauf des Jahres das Thermometer sich über 180 Grade bewegt, wo sengende Sonne und Winde, die wie mit Messern schneiden, die Regel sind, in einem aufreibenden Kampf mit der Natur liegen. Ein schmales, hübsches Gesicht mit großen braunen Augen, schwarzes Haar, hoher Wuchs, aber ein schlanker Körper – er hätte einer adelsstolzen Familie entsprossen sein können, die ihren Ursprung auf edelstes normannisches Blut zurückführt; aber es sprach wenig dafür, daß ein Abkömmling von so stolzem Stamm als einsamer Reiter in der Wüste gefunden werden könnte, einen breitrandigen Sombrero auf dem Kopf, Gamaschen an den Beinen und ein rotseidenes Halstuch lose um den Hals geschlungen. Unmöglich zu sagen, warum man bei alledem dem einsamen Reiter gegenüber ein aus Scheu und Hochachtung gemischtes Gefühl empfand. Doch wenn man ihn länger musterte, so ahnte man, daß ungeheuere Kraft in ihm verborgen lag. Eine Kraft, die der einer stillgelegten Maschine glich – ein überspringender Funke genügt, sie in rasenden Umlauf zu setzen, den niemand hemmen kann. Jung, wie er war, schien der Reiter irgendwie in dieses Land der ungeheuren Entfernungen zu gehören. Er paßte hinein wie die grelle, grausame Sonne am Himmel, wie der Raubvogel, der hoch oben in der Luft mit ausgebreiteten Schwingen stand.

Es bedurfte einiger Beobachtung, um etwas von dem inneren Wert zu erraten, der in dem Reiter verborgen liegen mochte. Ein Kind erfaßt solche Dinge rascher und leichter, kraft des Gefühls, als ein erwachsener Mensch kraft seines Verstandes. Aber es gehörte keine Sachkunde dazu, um das Pferd, auf dessen Rücken er saß, auf den ersten Blick zu bewundern. Es war ein Tier, das dem Schah von Persien keine Schande gemacht hätte, eine Skulptur in schwarzem Marmor. Der Wallach mochte keine fünfzehn Fuß hoch sein, aber ein einziger Blick auf ihn ließ einen vergessen, danach zu fragen. Seine Flanken schimmerten in der Sonne wie Seide, einzig ein arabischer Dichter, dessen Hand einmal über diese prachtvolle Schulter geglitten war, wäre fähig gewesen, für die makellose Schönheit ihrer Rundung das angemessene Wort zu finden. Einzig ein Araber hätte die Beine nach Verdienst würdigen können, die wie aus ausgesuchtem Stahl gezogen schienen, die buschige Schönheit des Schwanzes und die wehende Mähne.

Zwischen den Felsen hörte man ein Rascheln wie von trockenen Blättern. Sofort sträubte sich das Nackenhaar des Hundes, der so sehr einem Wolf glich. Mit vorgestreckter Schnauze näherte er sich den Steinen, schnüffelte, hielt kurz an und wendete seine funkelnden Augen dem Herrn zu, der ihm zunickte und aus dem Sattel stieg. Ein bißchen unheimlich, diese wortlose Zwiesprache der Augen zwischen Tier und Mensch. Jetzt wurde offenbar, was den Hund unruhig gemacht hatte. Eine lange Klapperschlange glitt unter einem Felsblock hervor, ließ noch einmal ihr schrilles Warnungssignal ertönen und rollte sich dann kampfbereit zusammen. Der Hund zog sich langsam zurück, aber statt zu knurren, blickte er fragend nach seinem Herrn.

Die Cowboys pflegen häufig ihre Schießkunst an Schlangen zu erproben, aber eigentümlicherweise trug der Reiter keine Schießwaffe, weder Gewehr noch Revolver. Er zog ein kurzes Messer aus dem Gürtel, das vielleicht nützlich war, um einem Ochsen die Haut abzuziehen oder sich ein Stück Fleisch abzuschneiden. Aber gewiß war es noch nie einem menschlichen Wesen eingefallen, ein solches Werkzeug als Waffe gegen eine Klapperschlange von fünf Fuß Länge zu benutzen. Er beugte sich vor und stemmte die Fäuste auf die Schenkel. Seine Füße waren kaum zwei Schritt von dem lauernden Schlangenkopf. Als wäre sie selbst verblüfft über solche Tollkühnheit, zog die Schlange den Kopf ein wenig zurück und ließ noch einmal ihr warnendes Rasseln ertönen. Zur Antwort blitzte das Messer des Cowboys in der Sonne auf. Im selben Augenblick schoß der Schlangenkopf zum Angriff vor, aber die todbringenden Zähne erreichten ihr Ziel nicht. Sie verfehlten die Reitstiefel des Gegners um ein paar Zoll. Im selben Augenblick kam Bewegung in den Mann. Kein Auge vermochte dem blitzschnellen Griff zu folgen, mit dem seine Hand herabschießend die Schlange dicht hinter dem Kopf ergriff. Mit lautem Rasseln wand sich der lange braune Schlangenleib um sein Handgelenk. Mit einem geschickten Schnitt trennte das Messer das Schlangenhaupt vom Rumpf, der gleich darauf zuckend und sich krümmend zwischen die Felsen fiel.

Als hätte er das allernatürlichste Ding der Welt getan, wischte der Cowboy seine Handschuhe im Sand ab, reinigte das Messer in derselben Art und kehrte zu seinem Pferd zurück. Im Widerspruch zu allen Gesetzen der Pferdepsychologie hatte der Wallach beim Auftauchen der Schlange nicht mit der Wimper gezuckt, ja, er war mit hochgeworfenem Kopf ein oder zwei Schritte vorgerückt, seine kurzen Ohren lagen angriffslustig dicht an den Kopf gedrückt, und mit einem Male hatte sich in seinen Augen eine rote Flamme der Wut entzündet. Es sah aus, als warte das Tier nur auf den Augenblick, wo es seinem Herrn zu Hilfe kommen konnte. Als die Schlange getötet war und der Mann zu seinem Pferd zurückkehrte, stellte es die Ohren wieder auf und berührte ihn mit der Schnauze liebkosend an der Schulter. Als er sich in den Sattel schwang, kam der Wolfshund herangetrabt, richtete sich auf, stemmte die Vorderpfoten in den Steigbügel und starrte aufmerksam dem Reiter ins Gesicht. Der nickte ihm zu, und augenblicklich ließ sich das Tier wieder auf den Boden gleiten und trabte voraus. Der Reiter berührte leicht die Zügel und galoppierte den sanften Hang hinunter.

Die kleine Episode wirkte wie eine intime Unterhaltung zu dreien. Und doch hatte der Mann ebensowenig einen Laut hören lassen wie die Tiere.

Gleich darauf war er in den Bergen verschwunden. Aber immer noch war sein Pfeifen zu hören, schwächer und schwächer, bis es schließlich nur noch ein vibrierendes Flüstern war, das die Luft erfüllte, aber aus keiner bestimmten Richtung mehr zu kommen schien.

Der Mann ritt in der Richtung des Weges, der sich in langen weißen Windungen durch die Berge zog. Dieser Weg schlängelte sich schließlich über einen niedrigen Bergkamm da hin, wo ein Haus sich inmitten eines Gehölzes von Pappeln erhob, die dicht genug waren, um dem ersten Anprall jeden Bergwindes zu trotzen. Aber auf demselben Weg und für den Reiter auf dem Rappen tausend Meter näher lag Morgans Kneipe.


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