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Sechzehntes Kapitel.
Die Drei

Tex Calder war wieder in seine Decken gekrochen, aber in Dan Barrys Augen kam kein Schlaf. Als die tiefen Atemzüge des Konstablers verrieten, daß er schlief, sprang Dan auf und begann auf der anderen Seite der Lichtung auf und ab zu gehen. Zwei Paar glühende Augen folgten ihm bei jedem Schritt. Black Bart, der erst dicht an seinen Fersen getrabt war, ließ sich jetzt auf die Schenkel nieder und betrachtete seinen Herrn mit einem melancholischen Blick. Der Rappe, der, mehr wie ein Hund denn wie ein ausruhendes Pferd, sich auf den Boden gestreckt hatte, hielt die Ohren gespitzt, als erwarte er jeden Augenblick einen Befehl. Ein- oder zweimal wieherte er leise, ganz leise. Schließlich ließ sich Dan neben ihm nieder. Er lehnte die Schultern gegen Satans seidige Weiche. Seine ausgebreiteten Arme ruhten auf dem Rücken des Tieres. Mehr als einmal fühlte er Satans heißen Atem an seiner Wange vorbeistreichen, denn das Tier wendete oft besorgt den Kopf nach ihm. Aber Dan achtete nicht darauf, auch nicht, als Satan ein leises, fragendes Wiehern ertönen ließ. In seiner Brust war ein dumpfer Schmerz, der ihn hilflos machte. Er achtete auch nicht darauf, daß Black Bart schließlich im Schatten der Weiden verschwunden war.

Mit einemmal spürte er etwas Kaltes und Feuchtes am Kinn. Er erwachte aus seinem Brüten und blickte in Black Barts gelbgrüne Augen. Der Hund keuchte, er schien einen langen Lauf hinter sich zu haben. Er hielt einen Gegenstand in der Schnauze, der jetzt in Dans Schoß glitt. Es war Kate Cumberlands Handschuh. Wie klein er war, als er ihn jetzt in den Fingern hielt. Und doch war die zierliche Hand, deren Form das zarte Leder getreulich nachbildete, stark genug, um das Herz eines Mannes mit eisernem Griff festzuhalten. Er ließ den Handschuh fallen und packte Barts zottigen Kopf mit beiden Händen. Der Wolf wußte Bescheid – seltsam, wie es war – der Wolf wußte Bescheid!

Und dieses Mitgefühl war zuviel für Dan. Das aufgestaute Leid, der Schmerz, der ihn schwach machte, brach sich mit einemmal Bahn. Eine dicke Träne fiel dem Wolf auf die im Mondlicht funkelnde Schnauze.

»Bart!« flüsterte er. »Hast du es darauf angelegt, mir das Herz zu zersprengen, alter Kerl?«

Um seinen großen, melancholischen Augen auszuweichen, schob der Hund den Kopf dichter in die Arme seines Herrn.

»Delila!« flüsterte Dan.

Dann tat keiner der drei mehr einen Laut bis zum Morgengrauen.

Als es hell wurde, berührte Dan den Konstabler an der Schulter.

»Zeit aufzubrechen«, sagte er, als Calder sich aufrichtete.

»Was ist jetzt los? Wir wollten doch das Weidengestrüpp durchsuchen?«

»Silent ist nicht mehr da.«

Calder fuhr hoch.

»Woher wißt Ihr das?«

»Sie sind nicht mehr in unserer Nähe, mehr weiß ich auch nicht.«

Tex lächelte ungläubig.

»Soll ich annehmen,« sagte er gutgelaunt, »daß Euer ›Instinkt‹ Euch davon Nachricht gebracht hat?«

»Instinkt?« Dan schien ihn nicht zu verstehen. »Ich weiß nicht.«

Calder wurde ernst.

»Kann sein, Ihr habt recht, wir wollen's darauf ankommen lassen. Auf alle Fälle können wir bis ans Flußufer reiten und sehen, ob wir frische Spuren im Sand finden. Wenn Silent heute morgen aufgebrochen ist, dann weiß ich ziemlich bestimmt, daß er über den Fluß hinüber nach der Eisenbahn zu reitet.«

Zwanzig Minuten später hatten sie ihr Frühstück hinter sich und saßen im Sattel. Die Sonne war noch nicht über dem Horizont empor, als sie unter den Weiden heraus zum Flußufer hinunter ritten. Black Bart, der vorauslief, hatte haltgemacht und winselte. Als sie neben ihm die Zügel anzogen, sahen sie mühelos die frischen Spuren von sieben Reittieren, die den Hang heruntergekommen waren und das seichte Flußbett durchkreuzt hatten. Calder drehte sich mit weitaufgerissenen Augen zu Dan um.

»Ihr habt wieder einmal recht«, sagte er. Die Sache schien ihm nahezugehen. »Aber wieso hat der Hund hier haltgemacht? Woher weiß er, daß wir hinter Silent her sind?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Dan. »Vielleicht ahnt er's.«

»Sie können uns nicht weit voraus sein«, meinte Calder. »Wir wollen uns in Trab setzen. Vor heute abend holen wir sie noch ein.«

»Nein«, sagte Dan. »Da wird nichts draus.«

»Warum wird da nichts draus?«

»Ich habe Silents Pferd gesehen und hab's auch geritten. Wenn die übrige Bande auch solche Pferde hat, dann werdet Ihr ihn niemals mit dem Cowboypony einholen, das Ihr da reitet.«

»Vielleicht nicht heute,« sagte Calder, »aber in zwei Tagen haben wir ihn eingeholt. Sieben Pferde kommen nicht so rasch voraus wie zwei, wenn die Jagd lang ist.«

Sie kreuzten die Furt und folgten den Spuren. Der Konstabler hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß Jim Silent auf die Eisenbahn zu hielt, deshalb kümmerten sie sich nicht viel darum, als die Spur schließlich verschwand, und ritten querfeldein auf die Eisenbahn zu. Den Tag über konnten sie zweimal feststellen, daß sie den richtigen Kurs eingeschlagen hatten. Ein Reiter begegnete ihnen und ein Mann mit einem Wagen. Beide hatten Jim Silents Bande in der Ferne reiten sehen, aber nach allem, was die beiden erzählten, mußten sie weit voraus sein. Die Nachricht veranlaßte den Konstabler, so rasch zu reiten, wie es nur irgend ging. Aber gegen Mittag war Calders Pferd vollständig erschöpft, und obwohl Satan nicht das geringste Zeichen von Müdigkeit verriet, waren sie gezwungen, ihr Tempo zu einem gewöhnlichen Hundetrab zu mäßigen.


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