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Siebentes Kapitel.
Der stumme Bote

Beinahe sofort hob Haines die Hand und rief den Umstehenden zu: »Es ist nicht so schlimm, Boys! Er hat 'nen bösen Riß am Kopf und ist betäubt, aber er wird am Leben bleiben.«

Dan hatte eine tiefe Fleischwunde über der Stirn. Die Querleiste des Stuhls war bei dem Anprall gebrochen, aber der Schädel war nicht verletzt. Nur die Wucht des Schlags hatte ihn betäubt. Es konnte ziemlich lange dauern, ehe er die Besinnung wiedererlangte.

Als sich die Menge um Dan drängte, glitt mit einem Sprung ein schwarzer Schatten in die Gruppe. Ein widerwärtiges Knurren ließ die Vordersten mit einem Ruf des Schreckens zurückfahren. Sie blickten in Black Barts grüne, wutschillernde Augen. Aber der Hund machte keinen Versuch, sie anzugreifen. Er hockte geduckt neben seinem auf dem Boden ausgestreckten Herrn, leckte das leichenblasse Gesicht. Unausgesetzt kam ein tiefes, drohendes Knurren aus seiner Kehle. Schließlich stand er auf und starrte die Leute ringsumher an. Diejenigen unter ihnen, die es je miterlebt hatten, wenn ein Einsiedlerwolf sich der verfolgenden Jagdmeute stellt, erkannten seine Haltung wieder. Aber plötzlich machte das Tier einen Sprung und war ebenso geräuschlos und blitzschnell, wie es gekommen war, durch die Tür nach der Straße wieder verschwunden. Draußen schoß es wie ein Pfeil dahin. Satan, der sich zum erstenmal von seinem sonst unzertrennlichen Gefährten im Stich gelassen sah, warf den Kopf hoch und wieherte ihm nach. Aber Black Bart hörte nicht.

Die Männer setzten jetzt ihre Bemühungen um den immer noch bewußtlosen Dan fort. Sie fluchten dabei leise zwischen den Zähnen. Das riesige schwarze Vieh hatte eine gespenstische Art, zu kommen und zu verschwinden, die einem das Haar auf dem Kopf zu Berge stehen lassen konnte.

Jim Silent und seine Gefährten warteten nicht mehr länger, sie schwangen sich in den Sattel und galoppierten die Straße hinunter.

In kurzer Zeit wurde die Schar der Gäste in Morgans Kneipe dünner und dünner. Der Abend rückte heran, und die meisten hatten einen weiten Ritt nach Hause. Bald war nur noch Morgan allein um Dan bemüht.

In Joe Cumberlands Haus saß Kate vor dem einzigen Klavier, das es auf viele Meilen im Umkreis gab, und ließ die Finger über die Tasten gleiten. Die Abenddämmerung draußen wurde tiefer und tiefer. Sie blickte träumerisch in die Luft. In ihren Augen lag nachdenkliche Erinnerung. Die Melodie, die sie spielte, war seltsam verfließend, spukhaft, sie versuchte aus dem Gedächtnis eine jener undefinierbaren und namenlosen Weisen zu spielen, die Dan zu pfeifen pflegte, wenn er durch die Berge ritt.

Vom Vorplatz her kam ein leichtes Geräusch, das Getrappel rascher Pfoten, und dann ein lautes Kratzen an der Tür.

»Kusch, Bart!« rief sie und ging hin, um ihn einzulassen.

Sie hatte kaum die Türklinke niedergedrückt, als die Tür aufsprang und Bart gegen sie prallte. Sie stieß unwillkürlich einen leisen Schrei aus. Seine Augen glühten, seine Zähne funkelten. Aber er schlich wedelnd und abwechselnd winselnd und knurrend um sie herum.

»Was ist, Bart?« fragte sie. Sie zog ihren Rock dichter an sich und trat einen Schritt zurück. Sie konnte nie die Furcht vor dem schwarzen Ungeheuer ganz und gar loswerden. »Was willst du, Bart?«

Und er antwortete: er blieb wie angenagelt stehen, streckte die Schnauze in die Luft und stieß ein langgezogenes, melancholisches Jaulen aus. Einen unmenschlichen Laut, der mit einem herzbrechenden Tremolo plötzlich endete. Kate Cumberland wich noch weiter zurück, bis die Wand ihr Halt gebot. Black Bart machte kehrt und rannte nach der Tür, machte halt, blickte sie an und ließ einen kurzen bellenden Laut hören. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Er winselte begeistert und drückte sich dichter an die Tür. Kate Cumberland blieb stehen. Da fuhr er herum, packte ihren Rock mit den Zähnen und zerrte sie in der Richtung der Tür.

Endlich verstand sie und folgte ihm. Aber als sie nach der Pferdekoppel gehen wollte, um ihren Gaul zu holen, verlegte ihr Black Bart zähnefletschend den Weg und gebärdete sich so wütend, daß sie die Absicht aufgab. Sie empfand immer größere Angst vor dem Tier. Trotzdem folgte sie ihm. In seinem Eifer lag etwas, das sie beunruhigte. Er zerrte sie bis auf die Straße, dann ließ er ihren Rock fahren und trabte ein Stückchen voraus. Von Zeit zu Zeit blickte er zurück und blinzelte, als wolle er sie bitten, rascher zu gehen. Jetzt zum erstenmal dachte sie an Dan! Black Bart führte sie den Weg, auf dem man nach Morgans Kneipe kam. War Dan etwas zugestoßen? Und was dann?

Tief erschreckt tat sie einen raschen, hastigen Atemzug und begann, zu laufen. Bart kläffte begeistert. Ihr Herz drohte zu versagen, als sie die Kneipe vor sich liegen sah. Es war nur noch ein Pferd vor der Tür angehalftert: Dans Rappe. Warum waren die anderen so ungewohnt früh aufgebrochen? Atemlos erreichte sie die Tür des Schankraums. Im Innern war es sehr düster. Zuerst konnte sie nichts unterscheiden als gestaltlose Schatten. Black Bart glitt geräuschlos in die Finsternis hinein. Ihre Augen folgten ihm. Jetzt konnte sie eine Gestalt wahrnehmen, die flach auf dem Boden ausgestreckt lag. Ein anderer Mann kniete daneben. Sie schrie auf und lief hin.

Morgan erhob sich aus seiner knienden Stellung. Er stotterte etwas. Sie schob ihn zur Seite und ließ sich neben Dan auf den Boden nieder. Ein breiter weißer Verband lief um seinen Kopf. Sein Gesicht war beinahe so weiß, wie das Leinen. Ihre Finger glitten über dieses eisigkalte Gesicht, ließen keine Stelle unberührt, und sie stieß stöhnende, kurze, jammernde Laute aus, die sich nicht zu Worten formen wollten. Er lebte, aber ihr war zumute, als stehe er schon dicht an der Schwelle des Todes.

»Miss Kate!« sagte Morgan hilflos und verzweifelt.

»Mörder!«

»Denkt Ihr denn, ich' war's?«

»Unter Euerm Dach ist's geschehen – und Ihr hattet meinem Vater Euer Wort gegeben ...«

Sie hielt den Kopf abgewandt, gönnte ihm keinen Blick.

»Laßt mich doch erklären. Wollt Ihr nicht zuhören? Er ist jetzt in 'ne Art von Dämmerschlaf verfallen. Wenn er aufwacht, wird er sich wieder ganz gut fühlen. Laßt ihn über Nacht hier liegen und versucht nicht, ihn wegzuschleppen. Ich werde hinausgehen und sein Pferd im Schuppen unterstellen. Morgen früh wird er sich wie neugeboren fühlen. Miss Kate, wollt Ihr nicht hören?«

Sie wandte sich widerstrebend ihm zu. Vielleicht aber hatte er recht. Vielleicht war's möglich, daß Dan aus seiner Ohnmacht gestärkt erwachte wie aus einem heilbringenden Schlaf.

»Es war der großmächtige Kerl mit den unverschämten Augen, der's getan hat«, berichtete Morgan.

»Der, der Dan höhnische Fratzen geschnitten hat?«

»Ja.«

»Waren denn von den Boys nicht genug da, um ihn an den nächsten Baum zu hängen?«

»Er hatte drei von seinen Freunden mit. Man hätte gut hundert Mann gebraucht, um Hand an einen von den vier Kerlen zu legen. Alle vier waren ganz üble Nummern. Ich werd' Euch genau erzählen, wie's zugegangen ist. In ein paar Minuten verdrücke ich mich hier und reite nach Süden. Und ich will nichts hinter mir lassen, ehe ich abziehe. So ist's gekommen ...«

Er kehrte dem bißchen matten Licht, das durch die Tür hereinfiel, den Rücken zu. Kate konnte ihn kaum die Lippen bewegen sehen. Der übrige Teil seines Gesichts ertrank im Dunkeln. Und während er sprach, entging ihr mehr als einmal die Bedeutung der Worte, die eifrige Bewegung seiner Lippen wurde für sie zu sinnlosem Geschnatter. Die graue Dämmerung draußen wurde dichter und dichter. Sie ballte sich auch um ihr Herz. Er berichtete, wie es zwischen dem riesigen Fremden und Dan zu Reibungen gekommen war. Wie Dan wieder und wieder beleidigt worden war, aber in einer Art kindlicher Dummheit es einfach hingenommen hatte. Wie schließlich der erste Schlag gefallen war und wie Dan auf dem Boden gehockt hatte, von einem dämonischen Lachen geschüttelt, und wie dann plötzlich das gelbe Licht in seinen Augen aufgeflackert war.

Als sie das hörte, schien sich ein dichter Schleier über alles zu breiten. Als ihr Gehirn wieder funktionierte, war sie allein. In der Ferne verhallte Hufschlag. Morgan war davongeritten. Sie blickte Dan an. Black Bart hatte sich neben seinem Herrn auf den Boden geduckt und bewachte ihn. Sie kniete wieder hin – beugte den Kopf – lauschte auf die schwachen, aber regelmäßigen Atemzüge. Er schien so unbeschreiblich jung! So unbeschreiblich schwach und hilflos! Der weiße Fleck des Verbandes um seinen Kopf starrte sie durch die Finsternis an wie ein Auge. Und alles Mütterliche in ihr quoll mit ihren Tränen heiß empor.


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