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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Die Hölle bricht los

Zwischen Nacht und Dämmerung ritt der Pfeifende Dan in Elkhead ein. Er hob sich in den Steigbügeln und streckte die Beinmuskeln. Er prüfte seine Kraft, in Erwartung des Kommenden.

Zwei konkurrierende Saloons lagen sich am Ende der einzigen Straße des Ortes gegenüber. Am anderen Ende stand das Haus des Untersheriffs Rogers. Ein paar Schritte davon lag das Gefängnis. Vor den beiden Saloons stand eine Unmasse Pferde angehalftert; beide Kneipen mußten vollgepfropft sein. Trotzdem hörte man kaum einen Laut. Dieses drohende Schweigen war ein Vorbote kommender Ereignisse, die Ruhe vor dem Sturm. Dan mäßigte die Gangart seines Pferdes und ritt die Straße weiter hinunter.

In der Nähe des Gefängnisses tauchte ein Schatten zu Pferde auf. Dan zog die Lider zusammen und hielt Umschau. Ein zweiter Reiter kam in unbestimmten Umrissen in Sicht. Noch einer und noch einer. Vier Wachtposten auf dieser Seite des Gefängnisses! – und sicher waren ebenso viele auf der anderen Seite, die er jetzt nicht sehen konnte! Acht Mann bewachten das Gebäude, aus dem Lee Haines befreit werden sollte, und sicher war jeder von ihnen besonders ausgesucht. Dan zog die Zügel an, Satan fiel in Schritt. Dan pfiff sanft vor sich hin. Es war nicht lauter als der leiseste Windhauch, unfaßbar fast dem Ohr, aber es übte auf Satan und Black Bart eine überraschende Wirkung aus.

Der Rappe legte die Ohren flach an den Kopf, er schlich auf einmal mit gleitenden Schritten dahin wie Black Bart, der in ähnlicher Weise vorauspirschte. Sein Hufschlag war so unhörbar, als habe er Filz unter den Hufen statt Eisen. Dan Barry brütete indessen über seinen Schlachtplan.

Hinter ihm prasselte Hufschlag. Er wandte nicht den Kopf, nur seine Hand schloß sich um den Kolben des Revolvers. Der eilige Reiter schoß an ihm vorbei und die Straße hinunter. Hinter ihm blieb der scharfe Geruch der unsichtbaren Staubwolke, die er aufwirbelte. Vor dem Haus des Untersheriffs hielt der Unbekannte an und stürzte in langen Sätzen die Stufen empor und durch die Tür. Eine Art Vorgefühl veranlaßte Dan, kurz vor dem Haus sein Tier anzuhalten und abzusteigen. Er lief nach der Tür, drückte sie geräuschlos auf und fand sich in einem engen Vorplatz, der von einer räucherigen Lampe nur düster erhellt war. Aus dem Zimmer zur Rechten kamen Stimmen.

»Was wollt Ihr damit sagen, Hardy?« fragte die Stimme des Untersheriffs.

»Gleich bricht die Hölle los!«

»Hm, Hölle? Es gibt mancherlei Höllen. Heraus mit der Sprache, Hardy. Ich bin kein Gedankenleser. Sagt, was los ist.«

»Die Boys woll'n heut nacht das Gefängnis stürmen. Sie wollen Haines aufbaumeln.«

»Es war ihm vorbestimmt. Er hat 'ne verdammt lange Zeit ein mächtig gewagtes Spiel getrieben.«

»Wie Ihr, Rogers! Ganz wie Ihr!«

Rogers schien die Beleidigung stumm zu verschlucken.

»Was soll ich tun?« fragte er schließlich klagend. »Ich bin nach wie vor bereit, Silent und seiner Bande mein Wort zu halten.«

»Ihr hättet was tun sollen, solang' nicht mehr als ein Dutzend von den Viehtreibern sich hier im Ort herumgedrückt haben. Jetzt wimmelt's in der Stadt von Reitern, und sie wollen alle Blut sehen.«

»Und wenn sie Haines nicht erwischen, geht's mir an den Kragen«, antwortete der Sheriff.

Hardy knurrte.

Jetzt hörte man nur Schritte, auf und ab im Zimmer.

»Wenn sie irgendwelchen Unfug anfangen,« sagte Rogers' Stimme wieder, »werd' ich mir merken, wer die Anführer sind und werd' dafür sorgen, daß sie später der Teufel holt. Ich denk', dabei wird sich Jim einigermaßen beruhigen.«

»Ihr werdet sie gar nicht kennen. Sie werden alle Masken tragen.«

Dan öffnete die Tür und trat ins Zimmer. Rogers fuhr mit einem Fluch in die Höhe und packte seinen Revolver.

»Habe nie gewußt, daß Ihr Euch so gern mit dem Schießeisen zu schaffen macht«, sagte Dan. »Könnte sein, Euer Revolver erwischt 'nen Schnupfen, wenn Ihr ihn so lange aus dem Halfter laßt.«

Der Sheriff warf ihm einen wütenden Blick zu und schob langsam die Waffe wieder in den Halfter.

Dan wandte sich zu Hardy: »Denke, Rogers wird sich ein oder zwei Minuten ohne Eure Gesellschaft behelfen.«

Seine Stimme schien zu genügen, um die beiden in Schach zu halten.

Der Agent der Express Company verschwand durch die Tür. Man hörte ihn draußen die Stufen hinunterpoltern.

Rogers biß sich auf die Lippen: »Wie lang habt Ihr dort an der Tür gestanden?«

»Just so lang, um mich ein bißchen zu verschnaufen«, sagte Dan.

Die Lampe gab nur ein mattes Licht. Rogers schielte, so sehr gab er sich Mühe, seinen ungebetenen Gast zu erkennen. Plötzlich schrie er auf: »Großer Gott! Ihr seid der Pfeifende Dan?«

Er ließ sich in einen Stuhl fallen und fuhr sich mit zitternder Hand über die Stirn.

»Scheint mir, Ihr habt Euch besonnen«, stotterte er, »und seid zurückgekommen, um die fünftausend Dollar Belohnung abzuholen.«

»Nein, ich bin nicht wegen des Geldes gekommen, sondern wegen eines Mannes.«

»Was für ein Mann?«

»Ich muß Lee Haines haben, bevor die anderen die Hand an ihn legen.«

»Was? Ihr wollt wirklich versuchen, Haines aus dem Gefängnis zu holen?« sagte Rogers verblüfft.

»Sind Wächter im Gefängnis?«

»Zwei. Lewys und Patterson.«

»Gib mir einen schriftlichen Auslieferungsbefehl für Haines.«

Der Sheriff zögerte. Er bebte vor Angst. »Wenn ich das tue, bin ich erledigt.«

»Kann schon sein. Außerdem brauche ich den Schlüssel zu Haines Handschellen.«

Rogers versuchte Zeit zu gewinnen. »Geht hinüber und stellt Euer Pferd in den Schuppen. Und wenn Ihr zurückkommt, werde ich inzwischen den Auslieferungsbefehl geschrieben haben. Dann kriegt Ihr auch den Schlüssel.«

»Warum kommt Ihr nicht gleich mit?«

»Ich hab' was anderes zu tun.«

»In fünf Minuten bin ich zurück«, sagte Dan und verließ das Haus. Draußen pfiff er leise. Satan trabte heran. Er schwang sich in den Sattel und ritt zum Gefängnis herüber. Im Augenblick war keiner der Wachtposten in Sicht. Er ritt um das Gebäude herum nach dem Stall. Immer noch war keiner der berittenen Schatten zu erblicken, die vor wenigen Minuten noch das Gefängnis umgeben hatten. Anscheinend waren die Posten zurückgerufen worden, um die Angreifer beim Sturm auf das Gefängnis zu verstärken. Dan führte Satan in den Stall und hatte ihn gerade festgemacht, als er in der Ferne vielstimmiges Gebrüll vernahm. Ein halbes Dutzend Revolverschüsse folgte. Dan biß die Zähne zusammen. Dann musterte er mit einem raschen Blick das halbe Dutzend Pferde, die in dem kleinen Stall standen. Er erkannte sofort den langbeinigen Braunen, den Lee Haines zu reiten pflegte. Daneben hing der Sattel an einem Pflock. Er riß ihn herunter und warf ihn dem Tier auf den Rücken. Als er den Sattelgurt zuschnallte, drangen wieder Rufe von der Straße herein, aber diesmal waren sie schon sehr nahe.

Er stürzte hinaus. Als er um die Gefängnisecke bog, sah er, wie die Menge in das Haus des Sheriffs strömte. Er lief hin und mischte sich unter die Nachzügler. Alle waren maskiert, aber in der allgemeinen Aufregung fiel es niemand auf, daß Dans Gesicht nicht verhüllt war. Dan zwängte sich durch das Gedränge bis in das Amtszimmer des Untersheriffs. Hier konnte keine Stecknadel mehr zu Boden fallen. Rogers stand auf einem Stuhl und versuchte, der zornigen Menge Vernunft zu predigen.

»Jetzt Schluß mit dem Geschwätz, Sheriff«, donnerte eine Stimme aus der Versammlung. »Von der Sorte haben wir jetzt genug! Wir wollen jetzt Betrieb sehen, und zwar von unserer eigenen Machart. Ich frag' jetzt zum letztenmal, werdet Ihr Lewis und Patterson Befehl geben, uns Haines auszuliefern, oder habt Ihr die Absicht, zuzulassen, daß zwei brave Kerle ihr Leben opfern, um einen Buschklepper zu verteidigen?«

»Wo ist der Kerl, der Lee Haines von Elkhead wegschaffen will?« rief ein anderer.

Die Menge heulte vor Vergnügen.

»Ja, wo ist er? Wo steckt er denn?«

Rogers, der, auf seinem Stuhl stehend, überall herumsah, blickte gerade in Dans braune Augen. Er streckte den Arm aus und wies mit einer Hand, die vor Erregung bebte, auf Dan.

»Der Kerl da!« schrie er. »Der ohne Maske! Der Pfeifende Dan ist's, nach dem Ihr fragt.«


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