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33. Kapitel

Nicht lange nach Anthonys Verschwinden erwachte Cilly. Der morsche Fußboden hatte geknackt – sie fuhr auf und sah Stephan Nash vor sich stehen. Den Türrahmen deckte Kilrains breite Gestalt.

»Na, wo ist denn das Täubchen?« fragte jener. Und Nash wiederholte barsch:

»Wo steckt Bard?«

Cilly, die sich aufgesetzt und bereits gesehen hatte, daß die andere Schlafbank leer war, gähnte herzhaft und zog die Decke bis an das Kinn herauf.

»Der Vogel scheint ausgeflogen zu sein!« sagte sie gleichgültig.

Nash trat einen Schritt näher.

»Wo ist er?!«

Seine Stimme klang rauh und drohend. Sie fühlte, daß sie die Macht, die sie bisher als Frau über ihn besaß, unwiederbringlich verloren hatte. Das war natürlich sehr gefährlich für sie – trotzdem aber zuckte sie nur stumm die Achseln.

»Wollen Sie mir nicht antworten?!«

»Das hab' ich ja bereits getan! Ich weiß nicht, wo er ist!«

Er sah wohl ein, daß er so nicht weiter käme und versuchte also auf freundliche, zärtliche Art sein Ziel zu erreichen. Da aber lachte sie ihn aus, so spöttisch und hohnvoll, daß er wütend ihr zartes Handgelenk packte. Sie riß sich los, sprang von der Bank auf. Die Decke, die sie um die Schulter geschlagen hatte, schleifte lang am Boden nach. Sie tat, als ob sie sie aufheben wollte, bückte sich und ergriff schnell ihren Revolver, der neben ihrem Sattel lag.

Nash hatte ihre Bewegung bemerkt. Lachend packte er ihr Handgelenk. Ihr Widerstand reizte ihn – aber anders, als sie erwartet hatte.

»Weiß der Teufel!« sagte er. »So gefällst du mir noch besser! Zahm sein paßt gar nicht zu dir ... Komm her – gib mir 'nen Kuß!«

Er riß sie dicht an sich heran – da fiel ihr ein, daß Anthony nie den Versuch gemacht hatte, sie zu küssen. Ohne zu überlegen sagte sie:

»Ihr Glück, daß er Sie jetzt nicht sieht!«

Er stieß sie zurück. Wie ein tollgewordener Hund starrte er sie an.

»Er wird überhaupt nicht mehr lange sehen können!« knurrte er drohend.

»Machen Sie sich nicht lächerlich, Stephan – Sie wissen genau, daß er's mit zehn von Ihrem Kaliber aufnimmt.«

Ihr Hohn machte ihn ganz rasend.

»Gott sei Dank bin ich ja jetzt nicht mehr allein hinter ihm her! Sechs ›von meinem Kaliber‹ sind ihm auf den Fersen, mit dem ›blutigen‹ Conklin an der Spitze!«

»Mit dem ist er ja schon einmal fertig geworden – er wird's auch mit den übrigen schaffen!«

»Du Satansweib! Du Höllenbraten!«

Der Schaum trat ihm vor den Mund. Jetzt mischte sich Kilrain ein.

»Soll dieses Liebesgeflüster eigentlich noch lange dauern?« fragte er ironisch. »Ich dächte, wir hätten Wichtigeres zu tun!«

Er ging auf Nash zu und zog ihn mit sich fort. Cilly trat an die Tür und sah, wie sie auf ihre Gäule stiegen und langsam davonritten. Sie hörte noch, wie Stephan zu seinem Begleiter sagte:

»Er kommt doch hierher zurück, du kannst dich drauf verlassen! Wen die einmal so angelächelt hat, der kommt nicht so leicht von ihr los.«

Das Lächeln, das diese Worte auf ihre Lippen gezaubert hatte, schwand schnell, als sie sich auf die Bank setzte, um das Ganze ruhig durchzudenken. Denken war eigentlich nicht ihre starke Seite, ihr ganzes bisheriges Leben war mehr auf Tätigsein als auf Grübeln gestellt gewesen.

Sie streckte sich aus – im Liegen dachte es sich besser ... Eine seltsame Angst befiel sie. Eigentlich lag der Fall doch verzweifelt für Anthony! Wohin mochte er sich gewandt haben? Ob er wirklich seine Drohung wahrgemacht und den Löwen Drew in seiner Höhle aufgesucht hatte? ... Dann war er verloren! Vielleicht lag er schon jetzt mit gebrochenen Augen ... Tränen trübten ihren Blick. Der Schlaf erbarmte sich ihres Jammers – schluchzend schlummerte sie ein ...

Als sie erwachte, stieg ihr der Duft gebratenen Specks lieblich in die Nase. Wie das Kavalleriepferd beim Klang der Trompeten fuhr sie bei diesem ihr so vertrauten Geruch hoch. Sie rieb sich die Augen: vor dem lodernden Feuer kniete Anthony Bard, eine Pfanne in der Hand. Auch ein dampfender Kaffeetopf stand bereit.

Jetzt wandte er den Kopf und lächelte ihr zu:

»Schön guten Morgen! Ausgeschlafen?«

Schlief sie denn noch? Träumte sie? ... Oder war das Zusammentreffen mit Nash nur ein böser Traum gewesen? ...

Allmählich fand sie sich zurecht. Sie tauschten die Erlebnisse der vergangenen Nacht aus. Er schien es glücklicherweise gar nicht tragisch zu nehmen, daß sie Nash und Kilrain wieder zurückerwartete ...

Dann schickte sie ihn zur Tür, weil sie sich ankleiden wollte. Gehorsam setzte er die Pfanne ab und trat hinaus. Wie verzaubert starrte er in die Schönheit des aufdämmernden Morgens.

Die Sonne hatte sich noch nicht über dem Horizont erhoben, nur ihre ersten, leuchtenden Strahlen schossen hinter den zackigen, schneebedeckten Gipfeln empor. Allmählich färbte sich rings der Himmel rosig, die glatte, ruhende Fläche des Sees wurde rot und röter, als wolle sein Wasser das funkelnde Tagesgestirn gebären ...

Von Minute zu Minute änderten die wechselnden Farbentöne die ganze Szenerie. Von dem majestätischen Schauspiel erfüllt, hatte Anthony gar nicht bemerkt, daß Cilly längst hinter ihm stand und, über seine Schulter hinwegblickend, das Werden des jungen Tages zum erstenmal bewußt und voll Staunen miterlebte.

»Um Gottes willen, unser Frühstück!« schrie sie plötzlich auf.

Ein brenzliger Schwalch schlug ihnen entgegen – der knusprige Speck war hoffnungslos verbrannt!

Rasch ging sie daran, den Schaden wieder gutzumachen. Die Taschen ihres Sattels enthielten glücklicherweise noch genügend Vorrat. Entzückt folgte er mit den Augen ihren geschmeidigen Bewegungen.

Schweigend aßen sie dann. Erst als er seinen Kaffee ausgetrunken, sagte er plötzlich:

»Ist's nicht merkwürdig, daß ich wieder zu Ihnen zurückgekommen bin, Cilly?«

»Demnach hatten Sie also nicht die Absicht, es zu tun, als Sie fortgingen?«

»Natürlich nicht!«

Sie wurde rot, ihr Herz, dessen Schlagen sie fast schmerzhaft verspürte, krampfte sich zusammen. Am liebsten hätte sie geweint ...

Tapfer kämpfte sie die aufsteigenden Tränen nieder.

»Und warum sind Sie umgekehrt?«

»Weil ... Ich dachte, Sie würden sich einsam fühlen.«

»Das hab' ich getan ... Und was wird jetzt?«

»Jetzt muß ich zu Drew.«

»Ich dacht' mir's, daß ich Sie von dem Gedanken nicht abbringen würde ... Dann tun Sie aber schnell, was Sie tun müssen. Hoffentlich gelingt's mir wenigstens, nachher einen Ausweg für uns beide zu finden.«

Bei ihren Worten wurde ihm mit einemmal klar, daß er nie dazu kommen würde, mit Drew abzurechnen, daß er die letzte Möglichkeit, sein Ziel zu erreichen, aufgegeben hatte, als er zu Cilly Fortune zurückgekehrt war. Er hatte zu wählen gehabt, ob er einen Mann töten oder ein Weib erringen wollte: die Entscheidung war gefallen, ohne daß er sich ihrer bewußt geworden war ...

Ohne Cilly seine Empfindung auch nur anzudeuten, half er ihr schweigend ihre Habseligkeiten zusammenzupacken. Dann sattelten sie ihre Pferde und ritten den Saumpfad entlang, den sie gestern abend gekommen waren.

Als er über die Schulter einen letzten Blick nach dem alten, verfallenen Haus zurückwarf, rief ihn das junge Mädchen leise an:

»Sehen Sie da!«

Er starrte in die Richtung ihres ausgestreckten Fingers – doch er konnte nichts erkennen.

»Was ist denn?«

»Ich sah, wie sich dahinter etwas bewegte ... Dort! ... Zurück, Anthony!«

Sie warf ihr Pferd herum. Jetzt glaubte auch er, im Morgenschein etwas Metallisches schimmern zu sehen. Ein Schuß fiel, der Graue stürzte, um ein Haar hätte er seinen Reiter unter sich begraben. Im letzten Moment jedoch war Bard aus dem Sattel gesprungen. Ein zweiter Schuß pfiff haarscharf an seinem Kopf vorüber.

»Hier – kommen Sie, Anthony!« rief Cilly und hielt ihm einen ihrer Steigbügel hin. Er stellte den Fuß hinein, zog sich am Sattelknauf hoch. Im gestreckten Galopp jagten sie nach dem alten Haus zurück.

Schüsse folgten ihnen – mehrere Male hörten sie klatschend die Einschläge in den Bäumen, an denen sie vorüberflogen ...

Endlich waren sie in Sicherheit – vorläufig wenigstens. Er stand mitten in dem Zimmer, das sie erst kürzlich verlassen hatten, und starrte geistesabwesend, wie vor den Kopf geschlagen, vor sich hin. Nicht Todesangst war es, die ihn lähmte – er konnte es nur nicht fassen, daß ihm diese wilde Jagd, diese Schüsse gelten sollten ...

An ein Entkommen war nicht zu denken. Auf drei Seiten verlegte das Wasser, auf der vierten Nash und seine Leute ihm den Weg.

»Die denken natürlich, sie haben uns schon!« hörte er plötzlich Cilly neben sich sagen. »Wenn die ahnten, was sie noch alles durchmachen müssen, ehe es soweit ist!«

Ihre Stimme klang fast frohlockend, siegesbewußt – jedenfalls verriet sie nicht die mindeste Furcht.

Jetzt kam wieder Leben in ihn. Er riß eine Latte von der Wandverkleidung ab, nahm sein großes, weißes Taschentuch und band es daran.

»Da – nehmen Sie! Damit gehen Sie hinaus, hinter Ihnen sind ja die Kerle nicht her ... Schon als Frau sind Sie vor ihnen sicher!«

»Ist das Ihr Ernst, Anthony? Jetzt wollen Sie mich fortschicken?!«

»Gewiß, denn hier wird's gefährlich!«

Sie riß ihm die »Fahne« aus der Hand und schleuderte sie in eine Ecke. Er vermochte nicht zu sprechen – wortlos starrte er sie an. Schließlich stammelte er:

»Was für ein gutes Weib wären Sie geworden – was für ein herrlicher Kamerad!« ...

Sie lachte auf, laut und fröhlich, um ihre Ergriffenheit nicht zu verraten. Ein Geschoß durchschlug vor ihnen die Wand, ging zwischen ihnen durch und zersplitterte die gegenüberliegende.

»Sie haben Gewehre!« sagte sie hastig. »Revolver würden nicht so weit tragen.«

Immer häufiger wurden die Einschläge, denen sie kaum noch ausweichen konnten. In verschiedener Höhe durchbohrten die Kugeln das Holz.

»Sehen Sie: die oberen sollen uns treffen, wenn wir stehen, die da unten, falls wir uns hingeworfen haben. Das ist Nashs Idee, daran erkenn' ich ihn!«

»Von der anderen Seite können wir ihre Schüsse erwidern!« sagte Bard. »Kommen Sie!«

»Zum mindesten wollen wir ihnen den Spaß ein bißchen versalzen!« antwortete sie strahlend.

Rasch zogen sie sich in den rückwärtigen Raum des verfallenen Hauses zurück.


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