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12. Kapitel

Meilen und Meilen des beschwerlichen Weges hatte das Pferd bereits zurückgelegt und noch immer schaukelte es in leichtem Trab vorwärts, aus dem es sogar öfters in einen beschwingten Galopp verfiel, wenn es bergab ging. Mit absoluter Sicherheit ging es auf den schmalen Pfaden längs der schroffen Abhänge vorwärts.

Jedenfalls hatte Nash die richtige Wahl getroffen. Ein Vollblut aus dem Osten hätte in der Ebene die gleiche Entfernung sicher in der Hälfte der Zeit zurückgelegt, aber auf so schwierigem Terrain wäre es bestimmt schon nach zehn Meilen niedergebrochen.

Der Morgen dämmerte auf, als Nash den Kamm des Gebirges erreichte, den Abstieg beendete er mit der Sonne im Gesicht. Der Tag war schon ziemlich weit vorgeschritten, als er endlich bei Logan eintraf, auf den er, wie alle Cowboys auf Schafhirten, etwas hochmütig herabblickte, was er sich jedoch diesmal nicht merken lassen wollte.

»Du kommst natürlich wegen dieses Herrn Bard?« begann Logan ohne jede Vorrede.

»Bard?! ... Wer ist denn das?«

Logan musterte den anderen mit einem überlegenen, spöttischen Lächeln.

»Du bist also die ganze Nacht nur so zum Spaß durchgeritten?«

»Wenn du deine dreckige Zunge an mir wetzen willst, wirst du dir gleich ein paar Splitter einreißen! ... Ich habe drüben an den neuen Koppeln zu tun.«

»Hör mal zu! Ich bin doch sehr für den alten Drew eingenommen, das weißt du! ... Also kannst du mir ruhig erzählen, was Bard mit ihm vorhat!«

»Ich hab' den Namen noch nie gehört, sag' ich dir noch einmal! Was ist denn mit dem Kerl los? Hat er dir Schafe geklaut?«

»Ich weiß jedenfalls, daß gestern mit Drew was nicht gestimmt hat!« erwiderte Logan bedächtig. »Und, daß das mit Bard zusammenhängt, weiß ich auch!«

»Wieso? Was war denn gestern mit Drew?«

»Wie immer kam er, um nach seiner alten Bude zu sehen – kaum aber hat er von Bard gehört, wird er anderen Sinns, haut ab – direkt nach Hause!«

»Das ist allerdings verdammt merkwürdig! ... Was ist denn das eigentlich für ein Bursche? Wie sieht er aus?«

»Ich nehme natürlich nicht an, daß du das weißt!« antwortete Logan ironisch. »Der Alte wird ihn dir ja kaum beschrieben haben, bevor du losgezottelt bist ...«

»Logan, du bist ein horn- und hirnloses Riesenrindvieh, wenn du dir einbildest, ich sei hinter irgend jemand her ... Selbst du könntest nachgerade wissen, daß ich solche Scherze längst nicht mehr mache!«

»Wenn du aus dem Berg da Spiegeleier machst, werd' ich dir glauben – früher nicht ... Na, 's ist ja schließlich gleich – ich will dir's leicht machen: Also: besagter Bard war gestern mächtig ärgerlich, wie er gehört hat, daß Drew hier war und wieder abgeschwirrt ist. Na, und dann war's denn zum Totlachen, wie er sich gewunden hat, um von mir den Weg nach Eldara zu erfahren ... Ich sollte nämlich nicht merken, daß er dem Alten auf die Bude rücken will ... Ganz nebenbei fragte er: ›Eldara liegt ja wohl auch ganz dicht bei Drews Farm?‹ ... Woll – sag' ich, und dann hab' ich ihn statt nach Osten nach Süden geschickt. Auf dem Weg kommt er ja auch mal nach Eldara – allerdings dauert's drei Tage länger.«

»Und du glaubst wirklich, daß dieser Quatsch mich interessiert?«

Logan sah ihn ganz erstaunt an. Naiv fragte er:

»Bist du wirklich nicht auf der Jagd nach seinem Skalp?«

»Logan, alter Knabe, deine Ideen sind wie die Porzellaneier, die man den Hennen ins Nest legt. Die sehen aus wie richtige Eier, fühlen sich auch genau so an – aber es sind doch keine Eier, und es kommt nichts dabei heraus, wenn man noch so lange darauf brütet ... Auf Wiedersehen!«

Logan kicherte stillvergnügt vor sich hin. Jetzt wußte er ganz genau, daß seine Vermutung richtig gewesen war. Als Nash sein Pferd herumwarf und in östlicher Richtung davontrabte, rief er ihm nach:

»Sieh dich bloß vor, Stephan – dieser Bard sieht aus wie ein richtiges Greenhorn und fühlt sich auch genau so an – aber er ist doch kein Greenhorn!«

Damit hatte er nicht nur das letzte Wort behalten, sondern auch den langen Disput zweifellos in Ehren bestanden. Das machte ihn so froh, daß er laut zu pfeifen begann. Erstaunt hoben die Hunde die Köpfe – sie konnten gar nicht begreifen, was ihr Herr von ihnen wolle ...

Nachdem Nash ungefähr eine Meile nach Osten geritten war, warf er sein Pferd scharf nach Süden herum. Er war reichlich müde – es hatte keinen Zweck, die Sache sinnlos zu übereilen. Er mäßigte das Tempo, zumal sein Gaul nur noch widerwillig vorwärtsstolperte.

Gegen Mittag entdeckte er ein kleines Haus, das zwischen zwei Hügeln eingebettet vor ihm lag. Er ritt darauf zu, und als er aus dem Sattel sprang, kam ein Dreikäsehoch aus der Tür heraus, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben.

»Guten Tag, junger Freund!«

»Tag, Fremder!«

»Sag mal, kann man hier ein paar Stunden ausruhen und Futter für den Gaul bekommen?«

»Freilich ... Gib her – ich werd' dein Pferd in den Stall führen! Korn wird es ja fressen?«

»Das schon – aber ich möcht' es doch lieber selbst in den Stall bringen.«

»Ist wohl ein Verbrecher?«

»Manchmal!«

»Aber es hält was aus – nicht?«

»Gewiß!«

Der Kleine zeigte ihm den Weg zum Stall, wo Nash seinem Pferd Zaum und Sattel abnahm. Es legte sich sofort auf den ziemlich schmutzigen Boden und machte sich dann über das Futter her, das er ihm vorwarf. Erst, nachdem er sich überzeugt hatte, daß alles in Ordnung sei, drehte sich Nash eine Zigarette und folgte dem Kleinen zum Wohnhaus hinüber.

»Wo sind denn deine Leute?« fragte er ihn.

»Mutter ist krank und drum heute nicht aufgestanden, Vater ist auf der Weide – aber ich kann dir was zu essen machen.«

»Das ist nett von dir, mein Sohn! Dafür werd' ich dir auch einen Dollar schenken, damit du dir ein feines Taschenmesser kaufen kannst!«

Der Junge wurde so dunkelrot, daß sein strohgelbes Haar durch den Gegensatz fast weiß wirkte.

»Du willst mich damit doch nicht etwa bezahlen?« fragte er erregt. »Wir sind nämlich Ansiedler, aber halten keinen Gasthof!«

Nash, der belustigt echte Westmannsrasse auch in dieser verkleinerten Ausgabe erkannte, lächelte.

»Als Mann zum Mann gesprochen: daran hab' ich überhaupt nicht gedacht! Mir war's nur ein Herzensbedürfnis, dir eine Freude zu machen!«

»Ein Glück, daß Vater nichts davon gehört hat – der versteht nämlich keinen Spaß in solchen Dingen!«

In der Küche schleppte er dann den besten Stuhl für Nash heran, briet ihm Schinken mit Ei und kochte Kaffee, gab noch Zwiebäcke dazu, so daß eine frugale Mahlzeit zustande kam. Während des Essens beobachtete der Kleine seinen Gast mit feierlichem Schweigen, das er aber plötzlich durch ein unterdrücktes Lachen unterbrach.

»Na, junger Freund, was gibt's denn so Lustiges?«

»Ach, gar nichts! Ich mußte nur gerade an Vati denken.«

»So, so? ... Ist dem wirklich was Komisches passiert?«

»Nein – aber er hat ein Pferd verkauft!«

Nash schlürfte ruhig abwartend seinen Kaffee. Er wußte nur zu genau, daß man in dieser Bergwildnis nicht einmal ein Kind durch Fragen zum Sprechen bringt.

»Heute ganz früh am Morgen«, fing dann der Kleine auch bald ganz von selber zu erzählen an, »ist nämlich ein junger Mensch auf einem lahmen Gaul vorübergekommen. Er war sicher ein Greenhorn!« fügte er altklug hinzu. »Wenigstens dachte man das, wenn man ihn reden hörte – aber er war wohl doch keins.«

Diese Beschreibung ließ Nash stutzen.

»War wohl ein bißchen schwatzhaft?« fragte er möglichst obenhin.

»Vielleicht – das weiß ich nicht ... Vati war vor die Tür getreten und bat ihn, einzutreten. Was meinen Sie, was der Bursche da sagt?«

Nash zuckte die Achseln. Mit lustigem Augenblinzeln den Fremden nachahmend fuhr der Kleine fort:

»›Das ist wirklich zu gütig von Ihnen, mein Herr!‹ – sagt er – ›aber ich habe hier nur haltgemacht, um Ihnen einen Tausch vorzuschlagen. Ich möchte den Gaul hier, natürlich mit einem entsprechenden Aufgeld, gegen ein Reitpferd, das etwas aushält, tauschen – mein Tier lahmt nämlich, wie Sie sehen! ... ‹ Vati überlegt einen Moment und kratzt sich hinterm Ohr, dann sagt er: ›Na schön, und über das Aufgeld werden wir schon einig werden! Kommen Sie mit nach der Koppel, da ist ein Pferd, das beste, das ich besessen hab'!‹

Das war's auch wirklich – ein Indianerpferd, eine Schecke, die Jo hieß – nach meinem Vetter Josiah. Nur einen Fehler hat die Schecke: sie will immer Gesellschaft haben, wenn sie aus der Koppel rauskommt. Sie wissen doch – solche Pferde gibt's! ... Wenn sie einen anderen Gaul neben sich sieht, dann kann jeder sie reiten – sogar ich hab's gekonnt. Aber allein fängt sie an zu bocken und durchzugehen ...

Also, das Greenhorn beguckt sich das Pferd. ›Ein sehr schönes Tier!‹ sagt er. ›Was wollen Sie draufgezahlt haben?‹

›Na – fünfundzwanzig Dollar, denk' ich, werden genügen!‹ sagt Vater.

›Gemacht!‹ sagt das Greenhorn. ›Hier ist das Geld!‹

Ich freu' mich schon diebisch drauf, wie das enden wird – Vater tritt mir auf den Fuß, damit ich nicht so grinse ... Das Greenhorn sattelt die Schecke, sie ist sanft wie ein Lamm. Er führt sie aus der Koppel 'raus und steigt auf.

Meine Schecke sieht sich um, ob einer ihrer Kameraden mitkommt. Is natürlich nicht – und nu geht's los! ... Wie im Zirkus war's. Gar nicht zu sagen, was der Gaul alles anstellt. Wir trauen unsern Augen nicht: das Greenhorn bleibt im Sattel! Jo versucht das Gebiß zwischen die Zähne zu bekommen – nichts zu machen! ... Nach zehn Minuten gibt er's auf, galoppiert los, wo das Greenhorn ihn hinhaben wollte ... Nein – haben wir gelacht über Vatis verdutztes Gesicht!«

Nashs Lächeln ging in ein herzhaftes Gähnen über.

»Sie sind wohl mächtig müde?« fragte der Kleine.

»Das will ich meinen! ... Darf ich mich da auf die Bank legen, Kamerad?«

»Aber gewiß. Wann soll ich Sie wecken?«

»Danke, mein Sohn – ist nicht nötig! Ich wach' schon von selber auf, wenn's Zeit ist!«

Damit streckte er sich aus und war fast augenblicklich eingeschlafen.


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