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25. Kapitel

»Bitte – nach Ihnen!« sagte Lawlor höflich an der Tür des Eßzimmers.

»Aber, ich bitte Sie! Ich weiß doch, daß man dem Älteren den Vortritt läßt!« antwortete Anthony mit liebenswürdigem Lächeln. »Nach Ihnen!«

Es blieb Lawlor nichts übrig, als voranzugehen. Er hätte zu gern den Cowboys, die sich bereits um den langen Tisch versammelt hatten, eine Warnung zukommen lassen. Schließlich machte es sich doch. Er blieb bei einem, dem kleinen Duffy, stehen und flüsterte ihm hastig zu:

»Er hat Verdacht geschöpft!«

»Verflucht – dann ist die Sache also zu Ende?«

»Nein, wir müssen ihn natürlich zu bluffen suchen ... Sag's den anderen weiter, daß sie vorsichtig sind!«

Da er merkte, daß Bard die Ohren spitzte, schloß er laut:

»Na – wir werden morgen noch mal drüber sprechen. Jedenfalls kann ich Ihnen vorläufig keinen anderen Posten geben!«

An seinen Gast gewandt, fuhr er dann erklärend fort:

»Immerzu haben die Kerle was zu klagen – nicht mal beim Essen lassen sie einem Ruhe ... Hier, bitte, ist Ihr Platz!«

Man setzte sich. Anthony warf einen prüfenden Blick über das Zimmer, wie ein Schauspieler, der in den Kulissen steht, die Bühne betrachtet, die er gleich betreten soll, um eine schwierige Rolle zu spielen. Es war ein langer, niedriger Raum, den er da sah. Die Decke war vom Qualm der Küche nachgedunkelt, der ungehindert durch die weit offne Tür am unteren Ende eindrang. Nicht eine Spur von Wandschmuck gab es – die Dielen waren nicht einmal gestrichen. Die Einrichtung wies nur das Allernotwendigste auf.

Auch die Mahlzeit, die Kilrain und Ben, »die Trauerweide«, jetzt auftrugen, war nüchtern und lieblos angerichtet. Den Hauptgang bildete eine riesige Platte, auf der Beefsteaks aufgetürmt waren – nicht etwa nett garniert, wie in einem zivilisierten Restaurant, sondern man hatte die braunen, durchgebratenen Fleischfetzen einfach wahllos übereinandergeschichtet. In einer Schüssel von nicht minder erstaunlichem Umfang gab es Kartoffeln in der Schale dazu. Das Getränk war bitterer, schwarzer Kaffee, der in unförmigen Kannen serviert wurde.

Die Cowboys brachten zum Essen das Wichtigste mit: einen gesegneten Appetit. Die typischen Mienen, die allen Gesichtern gemeinsam waren, glätteten sich allmählich: die finster zusammengezogenen Brauen, die sich der Steppenreiter angewöhnt, um die Augen gegen das flimmernde Sonnenlicht zu schützen, und der fest zusammengepreßte Mund, der die staubüberladene Luft nur durch die Nase einläßt.

Anthony, der sie anfangs für eine Bande verbitterter, alter Kerle gehalten hatte, sah mit einemmal, daß er mit ganz gutgelaunten Männern zusammensaß. Die tiefen Furchen schwanden immer mehr – jeder einzelne wirkte um zehn Jahre jünger.

Sie kümmerten sich nicht im mindesten um den Gast – aber Anthony hatte das bestimmte Gefühl, daß alle ihn beobachteten und ihre Gleichgültigkeit ihm gegenüber nur gespielt sei.

Der kleine Duffy hatte inzwischen seinem Nachbarn zur Rechten geschickt zugeflüstert:

»Er hat Verdacht! ... Weitersagen!«

Wie die Losung eine Postenkette entlang, hatten diese Worte die Runde um den Tisch gemacht, ohne daß das Gespräch und das vergnügte Lachen auch nur einen Moment auffällig gestockt hätten. Die Cowboys nahmen trotzdem den Befehl, den Drew ihnen gegeben hatte, nicht allzu schwer. Was war schon dabei, ein Greenhorn sicher und fest zu binden, ehe es mit seinem Revolver Unfug anrichten konnte! ... Allerdings – wie sie es anfangen sollten, hatte der Herr ihrem eignen Witz überlassen – es kam nur darauf an, dem Jungen keinen ernstlichen Schaden zu tun und sich selbst nicht unnütz in Gefahr zu bringen. Dabei sah das Bürschchen, das da neben dem dicken Lawlor bescheiden seinen Teller füllte, so harmlos aus! ... Doch Nash hatte ja allerlei von seinen Fähigkeiten zu erzählen gewußt ...

Vorläufig warteten sie also einmal ab, aßen und schwatzten möglichst unbefangen, äugten aber immer von Zeit zu Zeit nach dem Opfer hinüber, um eine günstige Gelegenheit, ihren Auftrag auszuführen, ja nicht zu verpassen.

Die schien jetzt gekommen. Ben, »die Trauerweide«, hatte soeben eine mächtige Schüssel mit Brotpudding vor dem Fremden auf den Tisch gestellt und stand gerade hinter dessen Stuhl. Er brauchte nur die langen Affenarme um ihn zu schlingen, dann war er wehrlos und konnte in aller Gemütsruhe gefesselt werden. Ehe aber Ben die Aufforderung zur Tat, die er in aller Augen las, ausführen konnte, hatte Bard sich nach ihm umgedreht und fragte freundlich:

»Könnte ich wohl ein wenig warmes Wasser haben? Der Kaffee ist mir zu stark.«

»Aber natürlich!« sagte Ben grinsend und die bereits angefangene Bewegung nicht allzu geschickt verbergend ...

Der Moment war verpaßt! ... Als Ben hinausschob, das Verlangte zu holen, wußten alle am Tisch, daß sie das Greenhorn entschieden unterschätzt hatten.

Das gegenseitige Sichbeobachten gab der Atmosphäre, die über dem Zimmer lagerte, etwas Gespanntes. Es war, als sei die Luft mit Elektrizität geschwängert, als müsse jeden Augenblick eine Entladung erfolgen. Manchmal stockte das Gespräch, dann bekam es wieder etwas Gequältes. Das Lachen der Cowboys klang gezwungen und unnatürlich.

Nur Bard bewahrte anscheinend völligen Gleichmut, obwohl ihm bei der Komödie, die der wirkliche Drew ihm da vormachen ließ, gar nicht besonders zumute war. Er glaubte sich jedoch dadurch im Vorteil, daß er das Spiel durchschaute, ohne zu ahnen, daß die anderen dies bemerkt hatten.

Er wandte sich jetzt an Lawlor mit der Frage:

»Arbeitet nicht ein Mann namens Nash hier bei Ihnen auf der Farm?«

»Nash?« antwortete Lawlor. »Der war mal mein Vormann – aber ich hab' ihn entlassen müssen. Er wollte immer alles besser wissen ... Wieso kennen Sie ihn?«

»Er hat mir mein Pferd erschossen.«

Alle schwiegen einen Moment betroffen. In ihren Augen war das nutzlose Töten eines Pferdes mindestens so schlimm wie der Mord an einem Menschen.

»Und wieso hat er sich da ungestraft aus der Affäre ziehen können?« fragte schließlich einer.

»Der angeschwollene Saverack lag zwischen uns ... Ich dachte sicher, ich würde den Halunken hier treffen ... Außerdem hatte ich kein Gewehr, und mein Revolver trägt kaum so weit.«

»Nanu?« sagte der kleine Duffy, der plötzlich einen genialen Einfall hatte. »Was haben Sie denn für ein Modell? ... Lassen Sie doch mal sehen!«

Alle warteten gespannt, ob das Greenhorn in die Falle gehen werde – verbargen aber ihre Aufmerksamkeit unter lebhaftem Gespräch.

»Das gewöhnliche Neun-Komma-Fünf-Kaliber!« antwortete Bard, die Waffe aus dem Halfter ziehend.

»Darf ich mal sehen?« fragte Duffy harmlos, die Hand ausstreckend.

»Bedaure – ich gebe meinen Revolver nie aus der Hand!« sagte Bard, ihn wieder einsteckend. »Das soll durchaus nicht unhöflich sein – aber ... Sie als Fachmann werden das verstehen.«

Duffy machte gute Miene zum bösen Spiel.

»Gewiß!« meinte er. »Übrigens hab' ich das, was ich sehen wollte, auch so gesehen.«

Das war der zweite Mißerfolg: »die Trauerweide« hatte versagt und Duffy nicht minder. Offenbar war dem Jungen mit List nicht beizukommen. Man würde schließlich doch gezwungen sein, geschlossen gegen ihn vorzugehen, um durch die Macht der Überzahl die Sache ins reine zu bringen ...


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