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17. Kapitel

Bard erinnerte Nash an einen jungen, starken Puma, der sich am Herd wärmt wie eine zahme Hauskatze – plötzlich aber die Krallen zeigt und sich mit wildfunkelnden Augen gegen seinen Herrn wendet – scheinbar gezähmt, aber eine stete Gefahr. Doch dieser Eindruck schwand sofort, wieder, als jener zu sprechen begann. Mit entwaffnender Offenheit sagte er:

»Sie müssen mein provozierendes Benehmen von vorhin entschuldigen, Herr Nash! ... Ich bin noch nicht lange im Westen, aber ich glaube, die Erfahrung gemacht zu haben, daß die Menschen hier immer zunächst einmal ihre Bereitschaft, sich zu prügeln, betonen und erst nachträglich Fragen an einen stellen. Nach dieser Methode wollte ich handeln!«

»Diese Art ist allerdings ziemlich verbreitet!« meinte Nash.

Glücklicherweise kam, ehe er fortfahren konnte, Cilly mit seinem Essen herein. Nachdem sie es aufgetragen hatte, setzte sie sich an die Ecke von Bards Tisch. Ihr Blick ging von einem der Männer zum anderen, wie ein Vogel, der auf einem belaubten Ast sitzt; zwischen Sonnenschein hin und her wechselt und zu keinem Entschluß kommen kann.

»Bard wird mit mir heute nacht nach der Farm kommen!« erklärte ihr Nash schließlich.

»Ein bißchen weit für eine Nacht!« meinte sie.

»Natürlich! ... Wir werden unterwegs etwas ausruhen und dann die Reise morgen in aller Frühe fortsetzen.«

»Sie können ja dann die Gelegenheit benutzen, ihm ein bißchen westliche Manieren beizubringen!« sagte Cilly lachend.

»Nanu – sind meine Manieren denn so schlecht?« fragte Bard leicht gekränkt.

»Das nicht – aber noch zu sehr östlich!«

Sie trat auf ihn zu, hob mit der einen Hand sein Kinn, während sie mit dem ausgestreckten Zeigefinger der anderen ihre Worte skandierte, die sie lächelnd im Ton einer Lehrerin sprach, die einem widerspenstigen Schüler ins Gewissen redet:

»Westliche Art ist: keinem Menschen zu mißtrauen, bis er Sie nicht getäuscht hat – aber auch keinem Mann zu trauen, ehe er Ihnen nicht wenigstens einmal das Leben gerettet hat. Westlich ist: seine Waffe im Halfter zu lassen, bis man eine Wand als Rückendeckung hat, dann aber zu schießen, sobald die Mündung aus dem Halfter heraus ist. Dabei muß man allerdings auch bedenken, daß schnell schießen gut ist, sicher schießen jedoch besser! ... Haben Sie mich verstanden?«

»Das war jedenfalls eine großartige Predigt!« meinte Bard lächelnd. »Aber eigentlich sind Sie zu jung für eine Lehrerin der Welt Weisheit.«

»Hoffentlich sind Sie nicht zu jung, meine Weisheit zu beherzigen! ... Wann gedenken Sie denn zurückzukommen?«

»Ich weiß nicht – je nachdem ... Vielleicht schon morgen abend.«

»Später darf es auf keinen Fall werden!« sagte sie erregt und sah dabei zu Nash hinüber, der seinen Stuhl etwas zurückgeschoben hatte und, den Kopf nach hinten gelehnt, die Rechte leicht auf den Schenkel gestützt, dasaß.

Da das Zimmer von den zwei Tischlampen nur mäßig erleuchtet wurde, lag die Tür, die zur Straße hinausführte, fast völlig im Schatten. Cilly und Bard hatten sie im Rücken, während Nash ihr das Gesicht halb zugewandt hielt.

Cilly beobachtete ihn. Seine Haltung beunruhigte sie offenbar.

»Stephan!« sagte sie mit einer weichen Besorgtheit in der Stimme, bei der es Bard ungemütlich über den Rücken lief, »ist irgend was nicht in Ordnung?«

»Allerdings!« antwortete der Cowboy ruhig, und fuhr auf dem Stuhl herum. Im selben Moment krachte auch schon ein Schuß.

Alle drei sprangen auf. Aus dem Schatten an der Tür löste sich mit vorgestreckten Armen die massige Gestalt Conklins und fiel der Länge nach vornüber. Sein Revolver polterte klirrend zu Boden.

Bard, der vollkommen vergessen hatte, nach seiner Waffe zu greifen, blieb ruhig aufgerichtet stehen. Cilly hatte jedoch mit märchenhafter Schnelligkeit einen Großkalibrigen gezogen und kniete, den Revolver im Anschlag, den Tisch als Deckung benutzend. Nash lief geduckt auf den Gefallenen zu.

»Nur gestreift – nicht tödlich getroffen!«

»Gott sei Dank!« rief Cilly.

Sie und Bard näherten sich jetzt auch dem ausgestreckten Körper.

Nashs Kugel, die glänzend gezielt gewesen war, mußte durch einen glücklichen Zufall abgelenkt worden sein, denn sie hatte nur ein Stück Kopfhaut aus dem dichten Haarwald herausgerissen. Conklin war betäubt, aber nicht schwer verletzt, als wenn er mit einem Knüttel niedergeschlagen worden wäre.

»Es sieht aus«, sagte Bard, »als ob ich Ihnen mein Leben verdanke, Herr Nash!«

»Reden wir nicht darüber«, antwortete Stephan ruhig.

»Einen Viertelzentimeter tiefer«, meinte Cilly, die die Wunde genau prüfte, »und Conklin hätte der Welt adieu gesagt!«

Erst jetzt kam Bard das Grausige der Sache voll zum Bewußtsein. Das junge Mädchen hatte nicht erregter gesprochen, als ihre Geschlechtsgenossinnen im Osten über eine Bridgepartie diskutiert haben würden, während der Mann mit kühler Selbstverständlichkeit eine neue Patrone in die Trommel seines Revolvers und diesen dann in den Halfter zurückschob.

Anthony vermochte es gar nicht zu fassen, daß ein Mensch in so unglaublich kurzer Zeit die Waffe ziehen und feuern konnte. Als er sich jetzt seine Abenteuer mit ebendiesem Conklin und vorher mit Sandy Ferguson ins Gedächtnis zurückrief, hatte er ein Gefühl, das stark an die Empfindungen des Reiters über den Bodensee erinnerte.

Cilly hatte inzwischen alles getan, was die Situation erforderte. Auf ihre Veranlassung war Nash ins Gerichtsgebäude hinübergelaufen, um den Richter Glendin herbeizurufen. Jetzt war sie dabei, ein nasses Tuch als Verband um den Kopf des Verwundeten zu legen, der aussah, als ob er friedlich schlafe.

»Gibt's denn keinen Arzt hier?« fragte Bard besorgt.

»Um so einen Kratzer braucht man doch den Arzt nicht zu bemühen! ... Nanu – was ist Ihnen denn? Sie sehen ja ganz käsebleich aus?«

»Ich weiß nicht. Ich mußte nur an den Viertelzentimeter und den Unterschied denken, den der für den armen Conklin bedeutet hätte.«

»Der › arme‹ Conklin?! ... Menschenskind, er hatte doch schon auf Sie angelegt! ... Er hätte noch ganz etwas anderes verdient als die zehn Jahre, die ihm der Überfall einbringt!«

»Ja, ja! ... Und wenn sich Nash nicht so beeilt hätte – wer weiß, wo ich dann jetzt wäre ... Ich werd' ihm das niemals vergessen!«

Cilly sah sich scheu um.

»Und trotzdem – hüten Sie sich vor ihm!« sagte sie rasch.

»Sie widersprechen ja Ihrer eigenen Weltweisheit, Fräulein Fortune! Er hat mir das Leben gerettet – nach Ihrer Theorie muß ich ihm also vertrauen.«

»Tun Sie's nicht! Sei'n Sie vorsichtig!«

»Wieso? Was ist denn los mit Nash?«

»Das müssen Sie selbst 'rausfinden!«

»Sind denn all diese Menschen hier anders, als sie sich geben?«

»Na, und Sie?! ... Wie steht's denn mit Ihnen?«

»Wie meinen Sie das?«

»Tun Sie nur nicht so unschuldig! Sie sind doch auch nicht der, als der Sie scheinen wollen! Sie verfolgen doch ein ganz bestimmtes Ziel!«

»Zwei sogar!«

»Und die wären?«

»Zunächst einmal: der Ritt zu Drew und, wenn ich zurückkomme, Ihre Liebe, die ich mir erringen will!«

Sie sah ihn mit einem spöttischen Lächeln an.

»Ein Greenhorn wie Sie – mich erringen?!«

»Ja gewiß!« nickte er ganz ernsthaft. »Und zwar gerade, weil ich es anders anfangen werde, als Ihre bisherigen Verehrer.«

»Und wie wäre das?«

»Sie kennen nur die hier augenscheinlich ortsübliche Art: so ein rauhbeiniger Bursche kommt herein, legt den Arm um Ihre Taille und fragt Sie, ob Sie ihn heiraten wollen. Nicht wahr? ... Aber die richtige Art, Sie zu gewinnen, ist ganz, ganz anders!«

Obwohl ihre Augen strahlten, tat sie, als ob sie gähnen müsse.

»Ich finde das furchtbar uninteressant, Herr Bard!«

»Sie irren – es interessiert Sie sogar im höchsten Maße!«

»Wollen Sie sich mit mir streiten?«

»Das können wir auch mal – aber erst später, wenn ich nach Eldara zurückkomme! Jetzt handelt es sich darum, daß ich Ihnen meine Methode auseinandersetze.«

»Na schön – dann legen Sie mal Ihre Karten auf den Tisch!«

»Was Sie nötig haben«, sagte er sehr ruhig, »ist ein Mensch, der offen und ehrlich mit Ihnen spricht.«

»Worüber denn?«

»Na – zunächst einmal über die Art, wie Sie sich kleiden.«

»Ist denn an meiner Kleidung etwas nicht in Ordnung?«

»Sehen Sie, wie die Sache schon anfängt, Sie zu interessieren!«

»Gewiß interessiert sie mich – schon weil Ihre Art den Reiz der Neuheit für mich hat.«

Sie hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, die Beine übereinandergeschlagen, den Ellbogen aufs Knie und ihr Kinn in die Hand gestützt.

»Und wie würde es weitergehen?«

»Dann würde ich Ihnen sagen, daß Sie aussehen, als ob Sie sich in fünf Minuten und im Dunkeln angezogen hätten.«

»Das stimmt – gewöhnlich ist es um fünf Uhr morgens noch dunkel.«

Der Verwundete am Boden bewegte sich und stöhnte leise.

»Bleiben Sie ruhig liegen, Conklin!« rief Cilly ihm zu. »Ich hab' jetzt keine Zeit für Sie! ... Und weiter?«

»Dann würde ich Ihnen sagen, daß Sie offenbar einen Spiegel für eine Wanddekoration halten, nicht für ein Möbel, das man gelegentlich benutzt.«

»Ihre Methode ist für hiesige Verhältnisse sehr gefährlich – dabei kann man leicht mal einen Schuß abkriegen!«

»Sind Sie mir böse?«

»Ich? ... Ach – keine Spur!«

»Das war ja auch nur die Einleitung! ... Dann würde ich mich nämlich ganz dicht neben Sie setzen und die Lampe so schieben, daß ihr Licht Ihnen voll ins Gesicht fällt, und dann würde ich Ihre Hand ergreifen ...«

Er ließ seinen Worten jedesmal die entsprechende Tat folgen.

»Loslassen! ... Meine Hände sind auch nur Dekorationsstücke!«

»Also sind Sie mir doch böse!«

»Keine Spur – wiederhole ich Ihnen.«

»Dann also meiner Methode?«

»Erst recht nicht – sie ist doch nur Spaß!«

»Das weniger! ... Nur, weil ich gemerkt habe, daß Sie so gar nicht auf Ihren Vorteil bedacht sind, hab' ich über Ihre Art, sich zu kleiden, gesprochen. Die kann nämlich selbst eine so prachtvolle Erscheinung wie Ihre verderben ... Daß Sie eine prachtvolle Figur haben, wird Ihnen ja wohl schon einmal gesagt worden sein, Fräulein Cilly?«

»Schon oft genug!«

»Aber von mir wollen Sie es augenscheinlich nicht hören? ... Na schön, dann werde ich mich ruhig hinsetzen und Sie ansehen, und Sie sollen aus meinem Blick entnehmen, was ich denke ... Ich möchte wetten, Sie wüßten dann sehr bald, daß die Art, wie Sie Ihr Haar in aller Hast aufzustecken pflegen, weder seine schöne Farbe noch seine Weichheit beeinträchtigt!«

Er hob die Hand und strich ihr darüber.

»Wie Seide, Cilly!«

Eine dunkelrote Welle ging über ihr Gesicht.

»Dazu ist natürlich nötig, daß Sie mich ansehen!« sagte er eindringlich.

Scheu hob sie den Blick.

»Wie oft haben Sie diese Methode denn schon angewandt, Herr Bard?«

»Höchstens hunderttausendmal – aber immer mit Erfolg!«

Sie stimmte in sein fröhliches Lachen ein – dann sahen sie sich wieder schweigend an.

»Wie lange geht es denn so still weiter?« fragte sie nach einer Weile.

»Ach, gar nicht mehr lange – denn dann würde ich sagen: wie schön Sie sind, Cilly!«

»Das ist nun allerdings eine sehr altmodische Methode, mein Herr!«

»Aber darum ist es doch wahr: Sie sind schön!«

»Mit der Stupsnase und den Sommersprossen und ...«

»Ihr Näschen ist vielleicht ein wenig keck, aber gerade darum entzückend! ... Außerdem haben Sie noch allerlei andere Vorzüge: Sie sind jung, stark, gesund, graziös, frisch, haben eine Haut wie Milch und Blut ...«

»Um Gottes willen, hören Sie auf!«

»Im Gegenteil – bisher hab' ich Ihnen ja meine Methode rein theoretisch erklärt, jetzt kommt die Praxis!«

Sie sprang auf und wich einen Schritt zurück. Er folgte ihr. Ruhig ließ sie es zu, daß er ihre Hände ergriff, sie dicht an sich zog. Er fühlte die Wärme ihres Körpers, das Klopfen ihres Herzens. Doch als seine Lippen sich den ihren näherten, bog sie plötzlich den Kopf zurück und sagte:

»Wollen Sie sich nehmen, was man Ihnen nicht freiwillig gibt, Herr Bard?«

Sofort ließ er sie frei und trat, verlegen lächelnd, einen Schritt zurück. Die eine Hand, die er noch hielt, führte er an seine Lippen.

»Verzeihen Sie mir, Fräulein Fortune?« fragte er ehrerbietig.

Sie sah ihm offen ins Gesicht und antwortete ernst:

»Ich will's versuchen!«


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