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26. Kapitel

Cilly hatte es sich gesagt sein lassen, daß man seiner Toilette nicht genügend Aufmerksamkeit widmen kann, wenn man um fünf Uhr morgens aufsteht. Es war also erst kurz nach vier, als der Wecker sie heute rasselnd aus dem Schlaf riß. Sie fuhr erschreckt hoch, zündete gähnend die Lampe an und begann in dem kalten, schlecht-erleuchteten Zimmer einen sehr ernstgemeinten Versuch, sich nach allen Regeln weiblicher Kunst anzukleiden.

Zunächst einmal brachte sie andächtig volle zehn Minuten vor dem breiten Spiegel, den sie sich besorgt hatte, damit zu, ihr Haar mit Kamm und Bürste intensiv zu bearbeiten. Weitere zehn Minuten nahmen ihre Bemühungen in Anspruch, die widerspenstigen Locken möglichst würdig und »damenhaft« über die Stirn fallen zu lassen. Schließlich gab sie dies aussichtslose Beginnen auf, schleuderte mit einem noch rechtzeitig unterdrückten Fluch sämtliche Haarnadeln zu Boden und drehte sich mit einigen Griffen die Haare, wie sie es gewohnt war, auf dem Kopf zusammen.

Interessiert betrachtete sie sich das eigensinnige Jungengesicht, das sie aus dem Spiegel ansah. Es war ja direkt lächerlich, daraus eine Damenphysiognomie machen zu wollen! ... Außerdem hätte das gar nicht zu ihr und ihrer Beschäftigung gepaßt ...

Krachend flog der Spiegel auf die Zimmerdiele, wo er in tausend Scherben zersplitterte.

Wollte sie denn überhaupt weiblich aussehen? Warum? Wozu? Weshalb?! ...

Sie vertagte schließlich diese Fragen, die sie ungebührlich lange beschäftigt hatten. Leise vor sich hinpfeifend zog sie sich an und ging dann in die Küche hinunter.

»Sie sind ja heute so spät, Fräulein Cilly?« empfing sie dort der Koch, der bereits das frischgebackene Frühstücksbrot aus dem Ofen holte.

»Allerdings – mir ist mein Spiegel kaputt gegangen«, antwortete Cilly obenhin.

Der Koch starrte sie mit weit aufgerissenen Augen verwundert an.

»Ja – denken Sie denn, ein junges Mädchen kann sich ohne Spiegel anziehen?!«

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern ging ins Gastzimmer hinein, das sich schon zu füllen begann.

Stunde um Stunde hatte sie dann angestrengt zu tun, denn die Beliebtheit ihres Speisehauses war beispiellos in Eldara. Diese Tatsache füllte ihr zwar die Tasche und rundete ihr Bankkonto in erfreulicher Weise ab, stellte aber an ihre körperlichen Kräfte und ihre Selbstbeherrschung manchmal ganz unerträgliche Anforderungen. Kein Gast wollte warten, jeder wollte zuerst bedient sein, und jeder einzelne verlangte mit rührender Selbstverständlichkeit ein paar nette Worte von ihr, wenn er grinsend seine Rechnung beglich. Gerade das aber wurde ihr heute besonders schwer ...

Am frühen Nachmittag fühlte sie sich denn auch so völlig erschöpft, daß sie einfach nicht weiter konnte. Mit einer energischen Geste schob sie darum einen ganzen Haufen abgegessener Teller vom Küchentisch in den Spülstein, setzte sich, legte den Arm auf die Tischplatte und ihr müdes Haupt auf den Arm.

Bert, der Koch, der noch immer nicht ihre merkwürdige Rede von heute morgen vergessen konnte, betrachtete sie kopfschüttelnd. Er krempelte seinen linken Ärmel, der herabgerutscht war, wieder auf, zog die Bänder der Schürze fester um die stattliche Wölbung seines Leibes und trat an sie heran. Vorsichtig berührte seine Hand ihre Schulter.

»Fräulein Cilly!«

»Ach – lassen Sie mich in Ruhe!«

»Fräulein Cilly – was fehlt Ihnen denn?«

»Nichts, wobei Sie mir helfen könnten, Dicker«, sagte sie im gleichen, wehleidigen Ton.

»Wenn jemand gegen Sie ungezogen geworden ist ...«

Sie fuhr herum.

»Ungezogen zu mir?! ... Wie kommen Sie auf die Idee, jemand könnte zu mir ungezogen sein?!«

Bert zog sich unter dem Funkeln ihrer Augen einen Schritt zurück. Er hielt Vorsicht stets für der Tapferkeit besseren Teil.

»Ja – aber was ist Ihnen denn dann wirklich, Fräulein Cilly?«

»Ich weiß es selber nicht, Bert! ... Ich fühle mich so merkwürdig ...«

»Dagegen gibt's nur ein Mittel: essen!«

»Nein, nein – mit dem Magen hat's nichts zu tun!«

»Sie sehen ganz blaß aus.«

»Ich bin aber nicht krank – ich hab' nur so ein unbestimmtes Angstgefühl ...«

»Dann kommt's also doch aus dem Magen!« erklärte er überzeugt. »Sie sollten zum mindesten mal meinen Strudel da probieren!«

Sie machte eine müde, abwehrende Handbewegung und barg den Kopf wieder auf dem Arm.

»Ach, ich wollt', ich wäre tot!« sagte sie seufzend.

Der dicke Koch war bis ins Innerste erschüttert – da sprang sie schon wieder auf, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und ging, eine muntere Melodie pfeifend, ins Gastzimmer hinein. Bert trat kopfschüttelnd an seinen Backofen zurück. Für ihn stand es jetzt unerschütterlich fest: alle Weiber sind verrückt! ...

Es war für Cillys unausgeglichene Stimmung nicht gerade besonders vorteilhaft, daß der einzige Gast, ein jüngerer, unrasierter Mensch mit breiten Händen und einem Stiernacken, sich ausgerechnet nach Anthony Bard bei ihr erkundigte.

»Was wollen Sie denn von ihm?« fragte sie so ruhig, wie es ihre gespannten Nerven gestatteten.

Der Fremde war offenbar alles andere als diplomatisch begabt. Schnell hatte Cilly also aus ihm heraus, was sie wissen wollte.

»So, so?« sagte sie abschließend. »Um einer Frau willen sind Sie hinter ihm her?! ... Eheweib, Schwester oder Liebste?«

»Keins von allem! Lissie und ich waren schon jahrelang miteinander verlobt, wir warteten nur, bis ich genug hätte, irgendein selbständiges Geschäft anzufangen ... Und da kommt dieses Greenhorn eines schönen Tages und quatscht eine Naht zusammen, wie ich's mein Leben noch nicht gehört habe. Lissie ist natürlich ganz futsch – findet das herrlich. Und zum Abschied will er sie küssen. Das heißt: das hab' ich nicht mit angesehen, das hat mir ihre Schwester erst nachträglich erzählt ... Aber es wird schon stimmen, denn dem Burschen ist alles zuzutrauen. Das hat mir auch einer bestätigt, der ein paar Stunden nach diesem Bard zu uns gekommen ist – ein gewisser Nash ...«

» Wie hieß der?«

»Nash! ... So ein stämmiger, breitschultriger Mensch – wie ein Preisboxer sieht er aus ... Kennen Sie ihn vielleicht auch zufällig?«

»Sehr gut sogar! ... Und der ist, wie Sie sagen, kurz nach Bard zu Ihnen gekommen? Wann war denn das?«

»Vor drei Tagen.«

»So, so?«

»Nanu – was ist Ihnen denn, Fräulein? Sie sind ja ganz blaß geworden?«

Sie lachte – aber ihr Lachen klang schrill und gezwungen.

»Das sieht wohl nur so aus ... Was hat Ihnen denn Nash alles erzählt?«

»Nicht viel – er deutete nur an, daß dieser Bard die Schecke, die er ritt, wohl gestohlen habe ...«

»Das ist eine freche Lüge!«

»Nanu, Fräulein?!« sagte der Mann verwundert. »Sie sagen das in einem Ton, als ob dieser Bard ein Freund von Ihnen wäre!«

»Lächerlich – ein Greenhorn der Freund von Cilly Fortune!«

»Mein Name ist Ralph Boardman. Freue mich, Sie kennenzulernen – habe schon so viel von Ihnen gehört.«

Sie schlug in die Hand ein, die er ihr entgegenstreckte.

Also Nash war offenbar hinter Bard her, beider Zusammentreffen bei ihr hier war nicht zufällig gewesen! ... Wie sie Nash kannte, hatte er dann sicherlich das Versprechen, das er ihr gegeben hatte, nicht gehalten. Wahrscheinlich lag der arme Junge jetzt schon irgendwo zwischen den schweigenden Bergen ausgestreckt mit gebrochenen Augen ...

Der Gast unterbrach jetzt ihre trüben Gedanken mit der vorsichtigen Frage:

»Können Sie mir nicht einen Tip geben, wo ich das verdammte Greenhorn am besten erwische?«

Sie drängte entschlossen die Tränen zurück, die sie beinah verraten hätten.

»Das ist schwer zu sagen«, meinte sie. »Ich nehme aber sicher an, daß er noch in der Stadt sein wird.«

Eilig lief sie in die Küche hinaus.

»Bert, Sie müssen heute das Geschäft allein besorgen – ich gehe weg.«

»Aber, um Gottes willen, wie soll ich denn das schaffen, Fräulein Cilly?! Bei dem Andrang jeden Abend ...«

»Sehen Sie zu, wie Sie fertig werden! Morgen früh bin ich wieder da ... Auf Wiedersehen, Bert!«

Damit eilte sie hinaus. Wenn sie Bard nicht finden würde, dann würde sie wenigstens Nash auf der Farm vom alten Drew vorfinden! ...

Dorthin lenkte sie also im Galopp ihr Pferd.


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