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Vierundzwanzigstes Kapitel

Als er eine Stelle entdeckt hatte, wo er den Little Smoky – so hieß der Bach – überspringen konnte, fand er seine Stuten wieder und führte sie gerade nach Norden weiter. Ihr glückwünschendes Wiehern nahm er mit einem sorglosen Schleudern des Kopfes auf. Er hatte jetzt einen bestimmten Plan. Er war des Tales mit seinen Wölfen und tückischen Menschenjägern überdrüssig; als Weg, der sie hinausführen sollte, hatte er den Cañon des Little Smoky selbst gewählt, der sie geradeswegs zu den Gipfeln bringen mußte. Das Rauschen des vom Regenwasser angeschwollenen Stromes erfüllte die Schlucht. Als er ihren Eingang erreicht hatte, blickte er zurück. Da war wieder Perris, der gerade auf die Pferde zuritt. Alcatraz schüttelte den Kopf und fiel in Galopp.

Es war eine Vorsicht, die er niemals außer acht ließ, denn wenn er auch den »großen Feind« am meisten fürchtete, so gab es andere menschliche Feinde, und eine enge Schlucht wie diese könnte ihnen als ausgezeichnete Falle dienen. Er verkürzte seinen Sprung, um jederzeit kehrtmachen zu können. Nun erreichte er die erste Windung der Schlucht zwischen Felswänden. Der Grund vor ihm zeigte nichts Gefährliches. So rief er die wartende Herde heran und ging dem mächtigen Rauschen stürzenden Wassers nach, das Alcatraz an dieser Stelle allerdings noch nie gehört hatte. Er entsann sich nicht, daß ein Katarakt in der Schlucht sei. Aber seit die Regenzeit eingesetzt hatte, waren alle Flußläufe gewaltig verändert. Man konnte nicht wissen, was für Veränderungen hier eingetreten waren.

Und allerdings, das hätte niemand ahnen können! Als Alcatraz um die nächste Ecke bog, stand er vor einer kahlen Felswand, über die der stürzende Strom des Little Smoky weiß schäumend hinunterstürzte. Darüber konnte man gerade noch die Stelle sehen, an der die Erde abgebrochen war. Ein Bergsturz hatte den Boden der Schlucht mit einer undurchdringlichen Masse von Sand, Bäumen und Steinen bedeckt, die den Little Smoky zunächst verschüttet hatten. Aber der Fluß hatte das Hindernis bald überwunden und füllte nun das Tal mit seinem Rauschen und Toben, das durch vielfaches Echo noch verstärkt wurde. Es kam Alcatraz vor, als stände er in einem Kreis von unsichtbaren Wasserfällen.

Nur einen Moment stand er verwundert vor diesem Anblick. Als er seine Bedeutung begriff, machte er kurz kehrt und galoppierte das Tal wieder hinunter. Hier also lag die Erklärung dafür, daß der Feind durch die Schlucht reiten wollte. Als er um die nächste Ecke war, sah er, daß ihm seine Schnelligkeit nichts genützt hatte. Der »große Feind« spornte sein widerstrebendes Pony gerade in die Schlucht des Little Smoky hinunter.

Der Fuchs mäßigte seinen Lauf nicht, während die Gedanken sich in seinem Kopfe überstürzten. Der Mann war in der Schlucht, hatte aber noch nicht die enge Stelle erreicht, wo er mit seinem Lasso den Raum zwischen Felswand und Strom beherrschte. Immerhin war er in ausgezeichneter Stellung, um seinen Lasso zu benutzen, wenn Alcatraz versuchen sollte, an ihm vorbeizukommen. Deshalb lenkte Perris sein Pony auch jetzt zu einem mäßigen Abhang, löste das Seil und ließ die Schlinge in weitem Bogen kreisen. So konnte er seinen Lasso nach beiden Seiten hin werfen. Da der Fuchs näher am Fluß als an der Cañonwand lief, mußte er an dieser entlang mehr Platz zum Durchbrechen finden und richtete seine Flucht danach ein, während er so schnell lief wie am Morgen dieses Tages, als der Wolf auf seiner Fährte war. Doch es war nur eine Finte: sein Auge war in der Berechnung von Entfernungen zu geübt, auch kannte er seine Geschwindigkeit zu genau, um sich nicht darüber klar zu sein, daß das Pony ihm dort zuvorkommen würde. Trotzdem behielt er sein Tempo bei, auch als Perris sein Pferd jetzt in Trab setzte. Immer weiter lief Alcatraz, bis er schon die Augen des Jägers unter dem breiten Rand seines Sombreros funkeln sah. Dann stemmte er die Vorderbeine auf, sandte einen Regen von Sand und Steinen in die Luft, brach nach links weg und sauste auf das Flußufer zu.

Noch während er das Manöver ausführte, wußte er, obgleich er vor Anstrengung fast nichts sehen konnte, daß es nur ein verdammt knappes Entkommen geben würde. Hätte Jims Pony die Hälfte seiner gewöhnlichen Schnelligkeit entwickeln können, so würde es dem Flüchtling leicht zuvorgekommen sein oder wenigstens dem Reiter Gelegenheit gegeben haben, den Lasso zu werfen, aber jetzt war das Tier durch den langen Ritt ermüdet, stolperte und wäre beinahe gefallen, als Perris es mit fester Hand herumzwang.

Alcatraz' wilder Vorstoß zum Fluß und zur Freiheit war ein großartiger Ausbruch an Kraft. Aus dem Winkel seiner rot unterlaufenen Augen sah er, während des rasenden Laufes, wie das Pferd des Cowboys sich zusammenraffte und sich dann zur Verfolgung aufmachte, um ihm den Weg abzuschneiden. So schwenkte er wieder nach links um und fand geheimnisvolle Kräfte in sich, seinen Galopp sogar noch zu beschleunigen; bis er, auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit angelangt, das Ufer des Flusses erreichte.

Endlich war ihm das Glück günstig. Die angeschwollenen Gewässer des Little Smoky hatten den Uferrand weggewaschen, so daß das Ufer steil abstürzte, während neben ihm fester und guter Kiesgrund war. Eine bessere Rennbahn konnte er sich nicht wünschen. Alcatraz schöpfte neue Hoffnung, als er sah, wie der Boden unter ihm zurückblieb. Perris, der wilde Rufe ausstieß, ritt wie vom Teufel besessen hinter ihm her, da er wußte, die letzte Möglichkeit, Alcatraz zu fangen, wäre vorüber, wenn der Hengst die engste Stelle der Schlucht passiert hätte. So schwang er jetzt, obgleich er noch verhältnismäßig weit entfernt war, den Lasso kreisend über seinem Kopf. Die Zeit drängte. Vor ihm schoß der Fuchs wie ein roter Strich dahin. Er lehnte sich im Sattel vor, um dem Seil größere Länge zu geben, und ließ die Schlinge sausen.

Sie verfehlte ihr Ziel. Alcatraz wußte, als sie über ihm schwebte, daß der Wurf zu kurz gewesen war. Einen Augenblick später fiel die Schlinge gegen seine Schulter, und im nächsten Moment ließ er den Engpaß hinter sich. Aber die Berührung des verhaßten Lassos ließ ihn etwas tun, das ihm sein Instinkt sonst verboten hätte: er wich ein paar Zentimeter zur Kante des Ufers hin aus.

Und das sollte ihn seinen Triumph kosten! Der Kies, der eine so gute Bahn gebildet hatte, lag nur auf einer dünnen Schicht noch, jetzt geriet unter dem Schlag seiner Hufe die ganze Seite der Uferbank ins Rutschen. Ein Schreckenslaut entfuhr Alcatraz – er warf sich noch scharf nach innen, aber es war zu spät. Die wuchtige Wendung legte ein größeres Gewicht auf seine Hinterhand, die jetzt durch zerstiebenden Kies und Sand ins Leere brach. Er drängte sich so dicht wie möglich mit dem Oberkörper an den Felsen und suchte sich mit den Vorderhufen über dem rauschenden und brüllenden Wasser am Ufer festzuhalten. Doch es war, als ob er versucht hätte, einen Hügel von Flugsand hinaufzusteigen. Je mehr er sich bemühte, desto schneller glitt der trügerische Boden unter seinen schlagenden Hufen fort.

Zuletzt hörte er einen Schreckensruf, den der »große Feind« ausstieß, bemerkte noch, daß der Mann die Hand vor die Augen schlug, um nichts mehr zu sehen. Dann flog Alcatraz nach rückwärts durch die Luft. Für einen Augenblick erblickte er die Wolken, Sturmwolken, die in wilder Fahrt über den Himmel fegten, ehe er klatschend mit ungeheurer Wucht ins Wasser fiel.


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