Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel

Als an jenem Abend Perris von der Ranch weggeritten war, wo er Hervey und seine Leute herausgefordert hatte, zogen die Cowboys sofort nach Verklingen des letzten Hufschlags in dichtem Schwarm aus dem Hofe ins Freie. Es war, als wollten sie die Köpfe zusammenstecken und den Plan des Kampfes entwerfen, den Herveys Befehl nur hinausgeschoben hatte. All das war Marianne vollkommen klar. Sie rief Hervey zurück und führte ihn sogleich von der Veranda in ihr Wohnzimmer, wo sie mit ihm sprechen konnte, ohne fürchten zu müssen, unterbrochen oder gehört zu werden.

»Mr. Hervey«, sagte sie, »was soll nun geschehen?«

Ihr Herz sank. Er mied ihren Blick.

»Ich weiß nicht«, sagte Hervey, »Sie haben ja gesehen, wie anständig ich heut abend zu ihm war. Ich habe meine Karten auf den Tisch gelegt und ihn auf vornehmste Art gewarnt, und das, nachdem ich ihn sogar noch eine Woche hierbehalten wollte. Ich glaube nicht, daß irgend jemand mehr hätte tun können.«

In gewisser Weise hatte er recht, wenigstens würden alle Leute im Gebirge der Ansicht sein, daß er dem roten Jim jede Gelegenheit gegeben habe, die Ranch in Frieden zu verlassen. Wenn er aber nicht in Frieden gehen wollte, so konnte niemand Hervey einen Vorwurf daraus machen, daß er ihn mit Gewalt zu vertreiben suchte.

»Aber irgend etwas muß geschehen«, sagte Marianne eifrig, »es muß einfach!«

Hervey sah sie mit gerunzelter Stirne an.

»Hören Sie mal«, sagte er hochfahrender, als er jemals zu ihr gesprochen hatte, »warum interessieren Sie sich so für diesen Perris?«

Sie zögerte nur einen Augenblick mit der Antwort. Was kam es darauf an, ob sie sich schämte, wenn Jims Leben durch ein Geständnis gerettet werden konnte! Jedenfalls würde Hervey nicht wagen, gegen Perris vorzugehen, wenn sie ihm eine solche Erklärung abgab.

»Ich interessiere mich für ihn«, sagte sie mit fester Stimme, »weil er mir mehr bedeutet als jeder andere Mann in der Welt.«

Der Inspektor warf den Kopf zurück, als hätte er einen Schlag ins Gesicht erhalten.

»Mehr als Ihr Vater?«

»In gewisser Weise ja, mehr als mein Vater!«

Hervey stand auf und streckte wie anklagend einen Arm gegen sie aus.

»Sie lieben den roten Perris!«

Sie antwortete stolz: »Ja, ja, ja! Ich liebe den roten Perris! Gehen Sie und erzählen Sie es all Ihren Leuten. Beschämen Sie mich, soviel Sie wollen! Aber – Mr. Hervey, jetzt sollten Sie es nicht mehr wagen, Ihre Leute auf ihn zu hetzen!«

Er wich ein paar Schritte zurück, als habe ihn ihre halb hysterische Erregung erschreckt.

»Nein?« grollte Hervey und sah sie unter seinen gerunzelten Brauen an. »Ich habe gestern abend etwas gemerkt. Ich hab' es gleich erraten. Soll ich meine Hand nicht an einen herumstreifenden Hund legen, der hierherkommt, schöne Reden führt und lauter Dinge sagt, mit denen es ihm nicht halb ernst ist? Einen besseren Grund, ihn von der Ranch zu jagen, habe ich nie gehabt!«

»Das können Sie doch nicht wollen?« sagte sie fassungslos. »Sagen Sie, daß Sie es nicht tun!«

»Ihr Vater ist nicht hier. Sonst würde er Ihnen dasselbe sagen. So muß ich an seiner Stelle handeln. Sie glauben, Perris zu lieben, aber Sie werfen sich nur selbst weg und würden Oliver Jordans Herz brechen!«

Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen und griff nach dem erstbesten, der vor ihr auftauchte.

»Dann warten Sie, bis er zurückkommt, ehe Sie Perris angreifen.«

»Soll ich etwa Perris inzwischen überall Unheil stiften lassen?« Er lachte ihr ins Gesicht.

»Wenigstens«, rief sie mit einer Stimme, die schrill vor Wut und Furcht war, »lassen Sie mich wissen, wo er ist. Lassen Sie mich selbst nach ihm schicken.«

»Ich weiß auch nicht genau, wo er jetzt ist«, antwortete Lew Hervey.

»Warum hassen Sie mich so«, stöhnte das Mädchen, das beinahe zusammenbrach. »Was habe ich Ihnen getan?«

»Sie haben mich nur dem Gespött der ganzen Gegend preisgegeben«, sagte Hervey grimmig, »und eine komische Figur aus mir gemacht, das ist alles. Lew Hervey und sein Vorgesetzter – das Mädel. So reden sie über mich. Aber das nehme ich mir noch nicht einmal so zu Herzen. Was ich jetzt tue, tue ich zu Ihrem Besten, nur wissen Sie es nicht. Später werden Sie's einsehen.«

»Mr. Hervey«, bat sie, »wenn es Ihnen lieber ist, so gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich Sie in der Leitung der Ranch nicht mehr stören werde. Sie können alles so machen, wie Sie wollen. Ich will fortgehen, wenn Sie nur ein Wort sagen, aber –«

»Ich weiß«, sagte Hervey, »ich weiß, was Sie sagen wollen. Aber bei Gott, Miss Jordan, ich tue das nicht um meinetwillen, sondern um Ihretwillen und für Ihren Vater. Er wird es mir danken, wenn Sie es nicht tun. Was Perris betrifft, so werde ich –«

Er brach ab. Marianne war in einem Stuhl zusammengesunken und lag halb ohnmächtig da, während sie einen Arm vor ihr Gesicht hielt. Hervey sah einen Augenblick auf sie herab, dann machte er kurz kehrt und verließ das Zimmer.

Er ging zum Cowboyhaus hinüber, versammelte die Leute um sich und erzählte ihnen die Neuigkeit.

»Jungens«, sagte er, »die Katze ist aus dem Sack. Ich habe alles herausbekommen, und es ist so, wie ich befürchtet hatte. Sie bat mich zuerst, den roten Jim in Ruhe zu lassen, und wollte auf nichts hören. Ich sagte ihr, daß ich keine Vorteile davon hätte, ihn von der Ranch zu vertreiben, daß ich ihm aber gekündigt hätte und er gehen müsse. Es würde mich und euch alle lächerlich machen, wenn es herauskäme, daß ein einzelner Mann uns ausgelacht hat und ruhig hiergeblieben ist, als wir ihm sagten, daß er losziehn soll.«

Eine ganze Salve von Flüchen antwortete ihm.

»Dann rückte sie mit der Wahrheit heraus«, fuhr Hervey fort. »Sie liebt Perris. Sie hat es mir selbst erzählt. Sie machte gar kein Geheimnis daraus, sondern bat ganz einfach für ihn und um ihn. Nun, Jungens, sie soll ihn nicht haben. Ich halte zu viel vom alten Jordan, als daß ich es mit ansehen könnte, wenn seine Tochter mit einem mörderischen Vagabunden wie Perris wegläuft. Er sieht gut aus und kann gut reden. Damit macht er alles. Ich denke, daß ihr alle hinter mir steht?«

Die Antwort war ein beifälliges Brummen.

»Zunächst muß verhindert werden, daß sie mit ihm zusammenkommt. Wenn es ihr gelingt, würde sie bestimmt mit ihm ausreißen. Aber es ist nicht schwer, sie davor zu bewahren. Ihr, Joe und Shorty, bewacht heute nacht die Koppelpferde und laßt Miss Jordan nicht an die Tiere heran, auch wenn sie noch so nett mit euch spricht.«

Joe und Shorty machten sich sofort zur Koppel auf, während die andern sich um den Inspektor sammelten, um mehr zu erfahren. Aber Hervey schickte sie fort und zog sich zu seinem Lager zurück, wo er Schreibmaterial hervorholte und eilig zu kritzeln begann:

 

»Lieber Jordan, hier ist die Hölle los. Ich habe Geduld mit Perris gehabt und ihm noch eine Woche gegeben, weil Miss Jordan mich darum bat. Aber dann blieb er immer noch. Er scheint ganz wild zu sein, Alcatraz zu fangen, und spricht von dem Pferd wie ein Säufer vom Schnaps. Als ich ihm aber gestern abend wieder zu gehen befahl, meinte er, soviel Leute gäbe es hier nicht, daß sie ihn von der Ranch jagen könnten. Ich würde ihn darauf zu Boden geschlagen haben, wenn Miss Jordan mich nicht daran gehindert hätte. Später hatte ich eine Unterhaltung mit ihr. Sie bat mich, Perris nicht zu verfolgen, weil er sich zum Kampf stellen würde, und das bedeutet, daß einer getötet wird. Ich sagte ihr, daß ich meine Pflicht tun müsse. Dann schrie sie mir ins Gesicht, daß sie Perris liebe. Sie glaubte wohl, daß mich das daran hindern würde, Perris zu verfolgen. Sie hätte wissen können, daß gerade dies mich bestimmen würde, von seiner Spur nicht abzulassen. Ich denke nicht daran, ruhig dabeizustehen und mit anzusehen, daß ein Schuft wie dieser Perris mit Ihrem Mädel davonläuft, während Sie nicht auf der Ranch sind. Ich habe gerade ein paar von unseren Jungens den Befehl gegeben, darauf zu achten, daß sie Perris nicht zu Pferde folgen kann. Morgen oder übermorgen werde ich mit ihm abrechnen. – Vielleicht glauben Sie, es sei besser, nach der Ranch zurückzukehren, aber folgen Sie meinem Rat und bleiben Sie fort. Ich kann alles besser erledigen, wenn Sie nicht da sind. Hier müßten Sie nur eine Menge Bitten und Weinen über sich ergehen lassen. Kommen Sie nach einer Woche zurück, wenn alles vorbei ist. – Nehmen Sie es leicht und seien Sie nicht traurig. Ich tue mein Bestes für Sie und Ihre Tochter, wenn sie es auch nicht wahrhaben will.

Ihr aufrichtig ergebener Lew Hervey.«

 

Als der Schreiber den Brief vollendet hatte, betrachtete er ihn mit großem Wohlgefallen. Wenn je ein Mann mit unzerreißbaren Ketten der Dankbarkeit an einen anderen gefesselt schien, so war es Oliver Jordan! In der Tat entwickelte sich alles so günstig, daß Hervey das Entzücken eines Künstlers fühlte, der sich an einer großen, harmonischen Komposition erhebt. Zunächst würde Jim Perris, den er so unaussprechlich haßte, weil er vor dem jüngeren Mann Angst hatte, in »Fraß für die Bussarde« verwandelt werden, wie Hervey es ausdrückte; und Hervey würde dafür noch obendrein Lob erhalten! Oliver Jordan, der es dem Inspektor verdankte, wenn seine Tochter vor einer unglücklichen Heirat bewahrt blieb, konnte niemals bedauern, den lebenslänglichen Kontrakt unterzeichnet zu haben. Ohne Zweifel hatte dieser Kontrakt keine juristische Gültigkeit, aber Jordans Dankbarkeit machte ihn dafür um so sicherer.

Kein Wunder, daß der Inspektor vergnügt war, als er den Brief siegelte. Er übergab ihn Slim und fügte einige Anweisungen hinzu.

»Du wirst nicht mit von der Partie sein«, sagte er, »aber schließlich ist die Jagd auf Perris nicht viel anders als eine Jagd auf eine wilde Katze. Du kannst deinem Schöpfer danken, daß du nicht dabei bist, wenn's losgeht!«

Slim war vernünftig genug, nickend zuzustimmen.


 << zurück weiter >>