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Dreizehntes Kapitel

Trotzdem es Essenszeit war, machte sich Hervey auf den Weg nach der Koppel. Er fing und sattelte das schnellste Pony, das er finden konnte, ritt nach Osten und verschwand bald im Abenddämmern. Nach einiger Zeit mäßigte er den Lauf seines Pferdes, aber die niedrigen Zweige der Fichten flogen während der nächsten halben Stunde immer noch schnell genug über ihn hin, bis das Zwielicht in völlige Dunkelheit übergegangen war und die Gipfel der Bäume sich gegen einen mit Sternen besäten, grünen Himmel abzeichneten. Dann erreichte er die Hügel. Ein Zickzackpfad führte hinauf und hinunter. An einer seiner Windungen tauchte ein Gespann groß und schwarz vor ihm auf. Gegen die Sterne hinter dem Hügel schien es von der Erde weg sich in die freie Luft zu erheben. Lew Hervey erkannte hinter ihnen den Wagen und auf dessen Sitz eine gebückte Gestalt, deren Kopf so tief niedergesunken war, daß der breitrandige Sombrero auf ihren Schultern zu ruhen schien. Hervey hob die Hand und rief erleichtert: »Hallo, Jordan!«

Die Bremsen kreischten, aber der Schwung der Fahrt ließ den Wagen bis auf die kleine Talsohle gleiten, ehe er zum Halten kam, so daß Hervey in einer Staubwolke beinahe erstickte. Er versuchte, den Staub zur Seite zu schlagen, um mit seiner Stimme durchzudringen.

»Ich bin es, Hervey.« Er trat nahe an den Wagen heran.

»Nun, Lew?« fragte Jordan ohne jedes Interesse.

Hervey beugte sich ein wenig im Sattel vor und sah seinen Herrn unruhig an. Er rechnete darauf, ihn mit seiner Nachricht zu erschrecken. Aber ein Mann, der keine Hoffnung mehr hat, kennt gewöhnlich auch keine Furcht, und Oliver Jordan war wahrlich seit seinem Unfall ohne Hoffnung und Interesse wie blind gewesen. Diese Blindheit hatte es Hervey ermöglicht, kleinere Summen beiseitezubringen, während er die Ranch allein verwaltete. Nun hatte die Rückkehr des scharfäugigen Mädchens diese Geldquelle verstopft. Er war also bereit, einen harten Kampf zu kämpfen, um sich wieder zum unbeschränkten Herrn der Ranch zu machen. Auf Jordan konnte er nur Einfluß gewinnen, wenn er ihn in Angst versetzte, soweit dies bei dem empfindungslos gewordenen Mann noch möglich war. Er begann sogleich den Angriff.

»Jordan, haben Sie einen Revolver bei sich?«

»Revolver? Keine Spur. Wozu sollte ich einen brauchen?«

»Dann nehmen Sie diesen. Es ist mein altes Schießeisen, das Sie beinahe ebensogut kennen wie ich selbst.« Eine tote Hand empfing die Waffe und ließ sie müßig auf die Knie sinken.

»Was ist denn los?« murmelte Jordan, und Lew Herveys Herz wurde schwer. So sprach kein Mann, den man in Angst versetzen konnte.

»Wir haben eine schlimme Zeit vor uns, Jordan. Er ist da, und er ist der richtige Kampfteufel.«

»Wer?«

»Er. Entsinnen Sie sich nicht mehr an die Schießerei in der Bar oben in Wyoming? An den Abend, an dem wir beide in der Kneipe an der Straßenecke waren und Sie gerade noch mit einem blauen Auge davongekommen sind?«

Die Gestalt auf dem Wagensitz schien sich ein wenig aufzurichten.

»Ob ich mich erinnere? O ja, ich werde das nie vergessen. Es war das einzig wirklich Böse, das ich je getan habe, Hervey. Es war das rote Haar, das mich so verrückt gemacht hat. Wir hätten umkehren sollen und nachsehen, ob er schwer verletzt war, Lew.«

»Keine Spur. Ich hatte schon recht. Das beste, was man tun kann, wenn man jemand über den Haufen geschossen hat, ist, auf ein Pferd zu klettern und so schnell als möglich fortzureiten.«

»Er hatte keinen Revolver«, seufzte Jordan schwer, »aber ich dachte im Augenblick nicht daran. Ich war im Verlust. – Es war das einzige Üble, das ich jemals im Leben getan habe!«

»Ich weiß. Und jetzt ist er hier. Es ist der rote Perris.«

»Der rote Perris!« stieß Oliver Jordan hervor. »Der Mann, den Marianne hat kommen lassen? Es ist das Schicksal, das ihn hierher auf die Ranch bringt.«

Hervey schwieg zurückhaltend.

»Aber«, rief Jordan plötzlich, während seine Stimme etwas von ihrem alten Klang zurückgewonnen hatte. »Einmal habe ich ihn auf üble Weise umgelegt, aber jetzt werde ich ihn ganz korrekt über den Haufen schießen, wenn er hierhergekommen ist, um Schwierigkeiten zu machen. Ich brauche Ihre Hilfe nicht, Lew. Es ist sehr nett von Ihnen, daß Sie sie mir anbieten, aber ich habe das Schießen noch nicht ganz verlernt. Ich brauche keine Hilfe.«

Hervey wartete einen Augenblick, bis Jordans Zorn sich gelegt hatte, dann sagte er ruhig und sicher: »Hat alles keinen Sinn, Jordan. Shorty hat den Kerl auf dem Wege hierher schießen sehen, nämlich auf ein Eichhörnchen, das über die Straße sauste. Der erste Schuß saß unter dem Bauch des Eichhörnchens, und der zweite schlug ihm den Schweif durch. Beide Schüsse hätten auf den Zentimeter genau in einem so großen Ziel gesessen, wie es ein Mann ist.«

Wieder schwieg er. Er konnte das schwere Atmen Oliver Jordans hören und sah, wie sein Körper auf dem Sitz ein wenig hin und her schwankte, als wenn seine Gedanken nach dieser und jener Richtung ihn hin und her zögen.

»Er hat von der Hüfte aus geschossen«, fügte Hervey hinzu, als wenn es ihm gerade erst einfiele.

Jordan zog heftig den Atem ein.

»Großer Gott, Lew! Ist das wirklich wahr?«

»Es ist wirklich wahr. Er hat es getan, um Shorty zu zeigen, wie man am besten schnell schießt. Shorty sagte, daß er sein Schießeisen herausnahm und so schnell feuerte, wie ein gewöhnlicher Schütze noch nicht einmal gezielt hätte. Das ist auch der Grund, warum wir ihm zusammen entgegentreten müssen. Sie wissen, daß ich nicht besonders bösartig bin, aber wenn ich ein Maschinengewehr hätte, dann würde ich diesen Kerl mit Vergnügen damit durchlöchern. Der Kerl ist wirklich 'ne gefährliche Nummer.«

»Zwei gegen einen – das ist schlimmer als Mord. Wir beide könnten uns in dieser Gegend nie wieder sehen lassen, wenn wir gemeinsam über ihn herfielen.«

»Das weiß ich«, sagte Hervey ernst, »aber es ist immer noch besser, über die Achsel angesehen zu werden, als tot zu sein, wenigstens betrachte ich die Sache so. Außerdem bin ich gar nicht sicher, daß selbst wir beide zusammen ihn unterkriegen können.«

Ein neues Schweigen folgte, das aber beredsamer war als Worte. Hervey versuchte die Gedanken des Ranchers zu erraten, während sein Herz heftig klopfte.

»Ich werde zurückfahren und ihn mir selbst ansehen«, sagte Jordan heiser, »und die alte Rechnung mit ihm begleichen. Wenn er mich erledigt – nun, wozu bin ich noch nütze in der Welt? Zu nichts. Ich bin gerade so kaputt, als ob mir jemand eine Kugel in den Leib geschossen hätte. So mag Perris die Sache zu Ende führen.« Dann fügte er hastig hinzu: »Aber die letzten fünf Jahre haben mich sehr verändert, vielleicht erkennt er mich gar nicht.«

»Sie sind nicht so sehr verändert, Jordan. Howlands, der Sie sogar acht Jahre nicht gesehen hatte, hat Sie sofort erkannt.«

»Das ist richtig«, sagte Jordan leise, »wahr genug. Aber warum sind Sie eigentlich so sicher, daß Perris mir nachstellt? Ist nicht genügend Zeit verflossen, in der er sich hätte beruhigen können?«

Wie ein gewiegter Kenner hatte sich Hervey das Beste für den Schluß aufgespart und nur den geeignetsten Moment abgewartet, um seinen überzeugendsten Grund anzuführen.

»Sie wissen doch noch, daß Sie ihn ins Bein geschossen haben?«

»Ich erinnere mich an alles. Jeden Tag meines Lebens muß ich an die verdammte Geschichte denken, und habe mir jede ihrer Einzelheiten tausendmal überlegt.«

»Das hat Perris auch getan«, antwortete Lew Hervey feierlich. »Als ihm der Doktor Ihre Kugel aus dem Bein geschnitten hatte, ließ er sie sich zurechtmachen und trägt sie nun an der Uhr, damit er den Mann nicht vergißt, der ihn in jener Nacht niederschoß, als er keine Waffe bei sich trug.«

»Wahrscheinlich hat er sich deswegen auch so gut eingeschossen«, murmelte Jordan. »Er ist gerade in der richtigen Verfassung für mich.«

»Höchst wahrscheinlich«, sagte Hervey trübe, aber seine Stimme zitterte beinahe vor Zufriedenheit.

Jordans Kopf sank wieder nach vorne, aber dieses Mal, wie Hervey erriet, in Gedanken, nicht in Verzweiflung.

»Herrgott«, kicherte Jordan endlich, »wozu verlieren wir soviel unnütze Zeit? Reiten Sie doch einfach nach der Farm zurück und schmeißen Sie Perris 'raus.«

Im Schutze der Dunkelheit warf Hervey den Kopf zurück und schnitt vor Freude eine Grimasse. Die Unterhaltung verlief genau so, wie er vorausgesehen hatte. Jede Karte wurde ihm in die Hand gespielt, als ob seine Wünsche in das Unterbewußtsein des anderen gedrungen seien und die Meinung seines Vorgesetzten bestimmten.

»Das kann ich nicht tun«, antwortete er fest.

»Sie können nicht? Sind Sie nicht Inspektor?«

»Nein«, sagte Hervey mit Bitterkeit in der Stimme, »ich war es einmal. Aber Sie wissen so gut wie ich, daß ich jetzt nur ein Strohmann bin. Fräulein Marianne bestimmt alles. Außerdem ist sie es, die Perris aufgelesen hat, und sie wird ihn nicht so leicht hergeben, kann ich Ihnen sagen.«

»Was meinen Sie damit, Hervey?«

»Ich habe ihr Gesicht beobachtet, als er ankam. Ich stand vor dem Haus. Sie freute sich augenscheinlich sehr, ihn zu sehen.«

Jordan stieß einen greulichen Fluch aus.

»Sie meinen, daß sie in diesen Perris verliebt ist?« Dann fügte er hinzu: »Aber warum soll ich mich darüber aufregen? Mag sein, daß er der rechte Mann für sie ist.«

»Er ist so einer von den Gecken, die sich fein anziehen, sagte Lew Hervey, »seidene Hemden und feine Gürtel und Maßschuhe. Alles überhaupt sehr fein. Außerdem hat er viel Talent, mit Frauen umzugehen. Er ist einer von den Kerls, die mit ihnen weit kommen.«

Der heimliche Sinn, der in Lew Herveys Worten lag, rief bei Oliver Jordan einen Wutausbruch hervor.

»Bei Gott, Lew, glauben Sie das wirklich? Ich dachte, sie hätte sich ziemlich abfällig über diesen Perris geäußert.«

»Vielleicht habe ich zuviel gesagt«, meinte Hervey.

»Kein Wort zuviel«, antwortete Jordan herzlich und streckte in der Dunkelheit die Hand aus, um Herveys Rechte zu schütteln. »Ich weiß, wie ehrlich Sie sind, Lew, und daß Sie mir immer zur Seite gestanden haben. Ich würde meinen letzten Dollar auf Sie setzen.«

Hervey segnete wiederum die Dunkelheit, daß sie das dunkle Rot verbarg, das ihm heiß ins Gesicht stieg. Vor Jordans Unfall war Hervey ein so ausgezeichneter Inspektor gewesen, wie man ihn sich nur wünschen kann, aber als er zu selbständig wurde, da sein Chef zum Krüppel geworden war, konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Die Gelegenheit war zu günstig. Aber als sich jetzt Jordans Hand über der seinen schloß, war er beinahe drauf und dran, ein offenes Geständnis abzulegen. Nur der Gedanke an sein hübsches und immer wachsendes Bankguthaben, das er sich zusammengeschwindelt hatte, ließ ihn schweigen.

»Wenn die Sache so steht«, sagte Jordan, »dann müssen wir diesen Perris loswerden. Soweit ich ihn im Gedächtnis habe, ist er ein hübscher Kerl, und Marianne ist auf der Ranch so einsam, daß sie wohl dazu kommen könnte, ihn ernst zu nehmen und – . Hervey, ich werde Ihnen einen Brief mitgeben, der Ihre frühere Autorität wiederherstellt, ein paar Zeilen für Marianne, daß ich über das Gebirge fahren mußte und wünsche, daß Sie die Leitung der Farm übernehmen, bis ich wieder zurückkomme. Das wird Ihnen genug Selbständigkeit geben, Lew. Dann schmeißen Sie den Perris 'raus und schreiben mir, wenn er fort ist, nach dem Hotel in Lawrence. Dahin werde ich fahren.«

Hervey tat so, als ob er an der Wirksamkeit der Anordnung zweifelte.

»Ich werde den Brief mitnehmen, Jordan«, sagte er und legte alle Verzweiflung, die er aufbringen konnte, in seine Stimme, »aber es ist wirklich hart für mich. Der Gedanke, daß ich meine Stellung hier aufgeben soll. Ich bin so lange hier im Tal gewesen, daß es mir eine zweite Heimat geworden ist.«

»Wer zum Teufel sagt etwas davon, daß Sie gehen sollen. Ich will Ihnen doch gerade einen Brief mitgeben, daß Sie während meiner Abwesenheit die Ranch leiten sollen.«

»Natürlich. Ich werde ihn auch mitnehmen und Perris hinauswerfen. Aber wenn Sie dann zurückkommen, ist es aus mit mir.«

»Was?«

»Sie kennen doch Ihre Tochter. Sie wird mich bitter hassen, wenn ich mit der Anweisung zurückkomme, daß ich die Leitung übernehmen soll. Sie wird nämlich denken, daß ich Sie darum gebeten hätte.«

»Dann werde ich ihr sagen, daß dies nicht der Fall war.«

»Haben Sie es jemals fertiggebracht, sie von etwas zu überzeugen, wenn sie sich das Gegenteil in den Kopf gesetzt hatte?«

»Hm–m«, brummte Jordan.

»Sie wird nicht eher ruhen, bis ich nicht anders kann und gehen muß. Ich mache ihr das nicht etwa zum Vorwurf, Jordan. Ihretwegen würde ich mehr als meine Stellung aufgeben. Nur ist mir natürlich der Gedanke sehr unangenehm, in meinem Alter von neuem anfangen und Dienste als Cowboy bei fremden Leuten annehmen zu müssen.«

»Dienste bei fremden Leuten?« sagte Jordan. »Nachdem Sie diese Sache mit Perris für mich erledigt haben? Ich werde Ihnen was sagen, Lew. Wenn Sie den Perris von der Ranch herunterbringen, ohne daß etwas passiert, dann brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen, dann sollen Sie lebenslänglich Inspektor sein, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«

»Wenn aber –«, wandte Hervey schwach ein.

»Gar nichts ›wenn aber‹. Ich habe Ihnen mein Wort gegeben. Übrigens mag ich jetzt nicht mehr davon sprechen.«

Mit gut gespielter Gleichgültigkeit hielt Lew das Papier fest, das Oliver Jordan herausgenommen und auf sein Knie gelegt hatte. Dann zündete er ein Streichholz an und hielt es so, daß der Rancher genügend Licht zum Schreiben hatte.

›Liebe Marianne‹, kritzelte der Bleistift, ›hiermit teile ich Dir mit, daß ich geschäftlich nach – ‹

»Es ist besser, wenn Sie ihr nicht schreiben, wohin«, warf Hervey ein, »sonst schickt sie Ihnen vielleicht jemand und fragt eine Menge dummes Zeug. Sie wissen doch, wie Frauen sind.«

»Sie sind wirklich ein guter Geschäftsmann, Lew«, nickte Jordan, und schrieb weiter: ›– in eine Stadt jenseits der Berge gehen muß. Es kann ein paar Tage dauern, bis ich zurückkomme. Ich habe unterwegs Lew getroffen und gebe ihm den Brief an Dich mit. Noch etwas: ich habe Lew verschiedene Aufträge gegeben, die in meiner Abwesenheit ausgeführt werden sollen. Es ist einfacher, daß er erst alles erledigt und dann darüber mit Dir spricht, als daß er Dir jetzt alles erklärt.

In Liebe.‹

 

Als er seinen Namen unterschrieb, schlug Hervey unterwürfig vor: »Es wäre vielleicht gut, wenn Sie noch darunter schrieben: ›Dies gilt als Ausweis für Lew Hervey, der vollkommen in meinem Namen zu handeln befugt ist, während ich fort bin.‹«

»Gewiß«, nickte Jordan und schrieb die vorgeschlagenen Worte hin. »Marianne hält sich gerne an die Form und braucht so etwas, damit sie von der Wahrheit meiner Worte überzeugt ist.«

Er schob das Papier in Lew Herveys zitternde Hand und seufzte traurig. »Jordan«, sagte Hervey leise und merkte, daß er es nicht einmal in der Dunkelheit fertigbrachte, seine Augen auf das müde und kummervolle Gesicht des anderen zu richten, »ich hoffe sicher, daß Sie niemals bedauern werden, was Sie getan haben.«

»Bedauern? Darum kümmere ich mich nicht. Auf Wiedersehen, Lew.«

Aber Lew Hervey hatte plötzlich seine Stimme verloren und konnte zum Abschied nur mit der Hand winken.


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