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Cincinnati

Der Krieg war beendet. In den zur Union gehörenden Staaten besaß England nur noch Stadt und Hafen von New Jork im Norden, welche Clinton, und Charlestown im südlichen Virginien, welches General Randon besetzt hielt. Den Wutausbrüchen des in seinem Nationalstolz wie in seinen alten Kolonialbesitzungen aufs empfindlichste gekränkten England mußte das Ministerium North endlich weichen, Pitt ergriff das Staatsruder, Britannien wollte mit Amerika nunmehr einen Separatfrieden schließen. Die Union erklärte aber, sie lasse sich ohne Frankreich und Spanien, ihre Verbündeten, in gar keine Unterhandlungen ein und werde die Feindseligkeiten fortsetzen. Der Krieg ging mithin weiter, obwohl er nicht mehr der Unabhängigkeit wegen, sondern in Rücksicht auf die Allianzverträge mit Frankreich und Spanien geführt wurde. General Greene blieb im Süden, die Hauptarmee Washingtons samt dem Korps Rochambeau kehrte nach dem Norden zurück, um Clinton in New York zu bedrängen.

Es ist wohl natürlich, daß eine siegreiche Armee, wie die der amerikanischen Union, am Ende des Krieges dem Frieden, der Heimat, dem endlichen Besitze des schwer Errungenen zujubelt. Ehre, Rangerhöhung, soziale Vorteile erwarten dann den Offizier, mindestens aber doch eine Sicherstellung seiner Zukunft. Aber statt Ruhe wurde Unruhe, statt Ehre – Kränkung, statt Befriedigung – Täuschung, statt Belohnung kriegerischer Verdienste – wurden Drangsale das Los Steubens wie seiner Kameraden. Neid und Scheelsucht, der Hang, das Bedeutende zu verkleinern, dem Besten einen Flecken anzuheften, machte sich indes bald genug geltend. Die Affäre von Point of Fork, sein Rückzug nach dem Süden und der absichtlich übertriebene Verlust von Staatsmagazinen hatten eine höchst lieblose Diskussion im Virginia-Staatenhause erregt und es war von einer Steubens Ehre schwer antastenden Untersuchung die Rede. Heißblütig und vom Bewußtsein seines guten Rechtes getragen, brauste Steuben bei dieser Nachricht auf. Er forderte von Lafayette ein Ehrenzeugnis und von Nelson, dem nunmehrigen Präsidenten Virginiens, eine Erklärung, daß, bevor er dienstlich in den Norden gehe, festzustellen sei, ob der Staat Virginien gegen ihn den leisesten Grund zur Beschwerde habe. Lafayette, so sehr er dem Baron auch wegen der Affäre in den Laufgräben von Yorktown grollte, konnte dennoch nicht umhin, ihm ein glänzendes Zeugnis betreffs seiner Haltung in Virginien zu geben. Dies Zeugnis sendete Steuben an den Präsidenten Nelson ein. Er erhielt keine Antwort. Am 13. Dezember richtete er nun einen geharnischten Brief an General Harrison, den Sprecher des Virginia-Staatenhauses, und verlangte Antwort. Dieselbe erfolgte am 28. Dezember. Man suchte die Sache zu kalmieren und versicherte, »es könne von einer Untersuchung ja gar nicht die Rede sein, und die für Virginien im Kriege sehr begreiflichen Verluste ständen in gar keinem Vergleiche zu den Vorteilen und Leistungen, welche dieser Staat dem General Steuben verdanke«.

Der Baron reiste der längst aufgebrochenen Hauptarmee zum Hudson nach. Seine Begleitung war für seinen schmalen Säckel leider zu groß. Außer Duponceau, Vogel und Sigh hatte er auch den langen Leander mit seiner Patra und Bängo bei sich. Die herrenlosen Neger wollten sich von Steuben nicht mehr trennen und niemands als seine Sklaven sein. Dame Semiramis allein fand für gut, in Williamsburg zu bleiben, da ihre dunklen Reize und ihre Kochkunst in dem Besitzer des dortigen Boardinghouses einen tiefen Verehrer gefunden hatten. Die Reise zu Washingtons Hauptquartier, Newburg am Hudson, wurde von den frohesten Hoffnungen erheitert. Hatte man auch mehr Schulden als Haare auf dem Kopf – jedermann hatte ja welche, die Union aber die allerungeheuersten. In Newburg angekommen, entwarf Steuben einen vereinfachteren Plan für das Inspektionswesen, Washington billigte ihn, verschob ihn aber, weil man Clinton in New York anzugreifen gedachte. Diese Operation unterblieb indessen, weil England bereits mit den Alliierten der Union Verhandlungen eingeleitet hatte. Am 10. Januar wurde Steubens Inspektionsplan vom Kongreß genehmigt, er selbst wiederum zum Generalinspekteur der ganzen Armee ernannt.

Der Friedensschluß war im Oktober 1782 gewiß, noch gewisser, daß die Republik Amerika nicht daran dachte, ihren Befreiern gegenüber ihre Versprechungen zu erfüllen. Der Friede machte sie mutmaßlich zur zweitreichsten Nation der Welt, aber ihre Schuldenlast war durch den Bürgerkrieg geradezu unübersehbar geworden. Im Augenblick der Krisis waren zehn Quadratmeilen Urwald mit den noch ungehobenen Schätzen seines Innern nicht imstande, einen lumpigen Wechsel von 100 Dollars zu decken. Nach Geld schrie alles, nach Grund und Boden niemand. Man kannte entweder seinen reichen Besitz nicht, oder das flüssige Kapital wie die Menschenkräfte fehlten, denselben auszunützen. Die politische Situation war aber aller Übel verderblichstes. Der Kampf der beiden großen Parteien, der Demokraten mit den Republikanern oder Föderalisten, war durch die Leidenschaften und die Schrecken des Krieges gewachsen. Zwar befanden die Anhänger des Unionsgedankens sich noch in der Mehrheit, aber die Partei der Demokraten erstarkte in dem Grade, in welchem der Frieden Gestalt gewann. Er brachte den Staaten der Union nicht bloß die Unabhängigkeit, das Selbstbestimmungsrecht, sondern auch enormen Länderzuwachs, mithin größere Macht und materielle Vorteile. Die einzelnen Staaten fanden nach dem Friedensschlusse, daß sie für sich groß und eins genug seien, wozu sollten sie sich der Union denn unterordnen, einer Zentralregierung, nachdem sie die des Mutterlandes aus dem Lande geworfen hatten? Derartig räsonnierte die demokratische Partei. Wäre sie damals mit ihren Theorien durchgedrungen, so hätte die Beendigung des Bürgerkrieges gegen Britannien den Anfang eines noch viel wilderen Bürgerkrieges der einzelnen Staaten untereinander zur Folge gehabt. Die Söhne hätten sich um das Erbe der Mutter gerauft, welche sie mit vereinter Kraft vorher aus dem Hause gewissen hatten.

Das Konfiszieren allen Toriesbesitztums war schon lange vor dem Frieden allgemeine Parole gewesen. Drei Viertel der königlich gesinnten Familien, die ihr Eigentum nicht versilbern konnten und dem Bettelstabe entgegensahen, krochen beizeiten unter das Schutzdach der Demokratie, spielten die unbändigen Freiheitsfreunde, unterstützten ihre betreffenden Staaten in deren letztem Kampfe gegen England, ja, kauften geradezu den Regierungen ihres Staates ihren Besitz durch gewisse pekuniäre Leistungen ab. Sie bildeten in den Südstaaten besonders jenes Gremium mächtiger Sklavenbarone, die ihre aristokratische Vergangenheit in eine sich rasch erstarkende Oligarchenherrschaft verwandelten. Die so rekrutierte demokratische Partei brachte nach dem Friedensschluß die Union an den Rand des Verderbens.

Nirgends wird das Verdienst bedeutender Männer leichter vergessen als in einem Lande, das seine Gesetzgeber und Beamten nach der einer Parteimajorität wechselt, deren ganzes Sinnen nur ist, in Besitz der öffentlichen Gewalt zu gelangen. Steubens Lage wurde immer düsterer. Er hatte dem Kongreß schon im Spätsommer seine Forderungen eingereicht, derselbe hatte zugesichert, sie in Beratung zu ziehen, aber er hatte nichts getan. Tiefe Bitterkeit bemächtigte sich seiner wie aller Oberoffiziere der Armee.

Die Connecticut-Linienregimenter hielten eine drohende Versammlung, die Massachusetts-Regimenter sandten dem Kongreß eine Denkschrift; sämtliche Stabsoffiziere drohten ihre Demission zu nehmen. Nur Washingtons, Steubens und deren Freunde Einfluß gelang es, die Leute den Sommer über wenigstens zu beschwichtigen. Am 30. Dezember endlich reichten sämtliche Korps-, Divisions- und Brigadegenerale dem Kongreß eine Vorstellung ein, in welcher sie auf Erfüllung der ihnen im Oktober 1780 zugesicherten Pensionen drangen.

Ob aus Schreck, Scham, oder um wenigstens einen hervorragenden Mann für den Augenblick stumm zu machen, bewilligte die Versammlung der Unionsabgeordneten Steuben »zu dringender Befriedigung seiner Bedürfnisse auf Abschlag seiner beträchtlichen Forderungen« 2400 Dollars und 300 Dollars pro Monat nebst Proviant und Fourage, damit er seinen Dienst tun könne. Der Denkschrift der Offiziere gegenüber aber blieb man still. Man hoffte, sobald der Friede publiziert sei, die Armee aufzulösen, dann aber mit den einzelnen leicht fertig zu werden. Die Offiziere ahnten dies, sie setzten ein Komitee in Philadelphia nieder, um die Forderungen der Armee zu betreiben und den Kongreß zu überwachen. Die Offiziere gerieten im Herbst und Winter am Hudson endlich in Verzweiflung, sahen sie doch, daß alle ihre Hoffnungen nichtig waren. Vergebens stellte Washington dem Kongreß das Recht der Soldaten vor, versorgt zu werden, stellte ihm die naheliegende Gefahr dar, eine Armee, welche noch in Waffen stand, zum äußersten zu treiben.

Der Kongreß von 1780, welcher den Halbsold auf Lebenszeit garantiert hatte, war eben der Kongreß der Revolution gewesen, die jetzige Versammlung aber war der Kongreß des neuen Bundes der befreiten Union. Er hielt sich an die von dem früheren Kongreß eingegangenen Verpflichtungen nicht gebunden.

Ein furchtbarer Geist erwachte in den geschändeten, vom Vaterland verlassenen Truppen und schlich heimlich von Mund zu Mund durch Zelte und Baracken. »Wenn unsere Waffen die Union befreiten, werden dieselben Waffen den Undank der Union auch züchtigen und uns unser Recht erstreiten!« Die größte aller Militärrevolutionen gewann Boden. Der öffentliche Treuebruch der Regierung sollte mit einem öffentlichen Treuebruch der Armee erwiedert werden.

Am 10. März lief eine Adresse im Lager von Newburg welche auf Sonnabend, dem 15., alle Oberoffiziere bis zum Regimentschef und je einen Offizier aus jeder Kompanie zu einer Beratung rief: »um die letzten Mitteilungen unserer militärischen Abgeordneten in Philadelphia in Erwägung zu ziehen und zu beraten, welche Mängeln zur Erlangung der vergeblich nachgesuchten Abstellung der Beschwerden der Armee unverzüglich zu ergreifen seien.« Diese Schrift hatte den Obersten John Armstrong zum anonymen Verfasser. Sie wendete sich an die verletzten Gefühle der Kameraden und wies ziemlich unverblümt auf das Schwert als Heilsmittel hin.

Washington erlebte die schwerste Stunde seines Lebens. Wenn noch heute die Amerikaner seiner in Ehrfurcht und Liebe gedenken, so sollte ihnen diese Stunde besonders klar vor Augen stehen, die ihren verblendeten, eigensüchtigen Vätern die Röte der Scham in die Wangen trieb. Noch an demselben Tage nach Bekanntwerden der Aufforderung Armstrongs erließ Washington einen Tagesbefehl, welcher eine Versammlung auf Grund einer anonymen Schrift untersagte und die Offiziere anwies, sich Sonnabend öffentlich zu versammeln, um einen Bericht ihres Komitees zu vernehmen und zu beratschlagen, welche weiteren Maßregeln am besten genommen werden sollten, um für ihre wichtigen und billigen Forderungen Gerechtigkeit zu erlangen. Der im Rang älteste Offizier war angewiesen, den Vorsitz zu übernehmen und das Resultat dem Oberfeldherrn zu berichten. Scheinbar ging der Obergeneral also auf das Vorhaben seiner Offiziere ein und stellte sich auf deren Seite. Dies hob eine zweite anonyme Schrift Armstrongs scharf genug hervor, welche tags darauf im Lager zirkulierte. – Die Waffe, welche Washington brauchte, um den Bestand der Union zu retten, war zweischneidig.

Das Lager war in Gärung, ein zitternder Vulkan, der jedem Augenblick die dünne Hülle der Disziplin zu durchbrechen und alles mit seiner Feuerflut zu verderben drohte. Die Offiziere versammelten sich, der Bericht des Komitees begann. In diesem Augenblick – völlig unerwartet – erschien Washington in Person, von den Generalen Putman, Knox, Brooks, Howard und Steuben begleitet, und nahm unter der Versammlung Platz. Nach Beendigung des Berichts nahmen mehrere Offiziere, zumal Armstrong, das Wort. Wilde Reden fielen gegen den Kongreß, und nochmals wurden des Heeres Beschwerden dargelegt und ihre Forderungen schriftlich formuliert.

»Wie aber,« rief Armstrong, »wenn auch dieser öffentlichen, loyalen, von Sr. Exzellenz dem Diktator und Oberbefehlshaber selber berufenen, ja sogar von ihm besuchten Versammlung der ersten Offiziere der Armee keine Gerechtigkeit wird? Was wird dann?«

Washington erhob sich. »Kameraden, Sie wissen, daß ich diese Versammlung nicht freiwillig berief. Ich erachtete das darum nicht für nötig, weil ich in meinem eigenen Gewissen darüber mich völlig beruhigt fühlte, daß das Land, welches uns gebar, nie ernstlich daran denken könne, die bravsten seiner Söhne, die Retter seiner Freiheit, ins Elend zu stoßen. Ich berief nachträglich nur deshalb diese allgemein gewünschte Versammlung, damit das Land etwa nicht glaube, seine eigenen Kinder wollten, weil sie die Waffe führten, es in diesem Augenblick als die Stärkeren vergewaltigen und den freien Willen der Republik durch meuterische Drohungen unterdrücken. Deshalb berief ich Sie öffentlich, Kameraden, deshalb kam ich mit meinen nächsten Freunden zu Ihnen, damit Amerika wisse, daß die Männer, mit denen Washington und alle, welche ihn lieben, in Beratung treten, niemals Beschlüsse fassen können, deren nur ungehorsame Bürger, Landesverräter, Männer ohne Herz und Ehre fähig sind. Sie sind tief verletzt, Kameraden! Sie haben nicht bloß gekämpft, geblutet und gelitten wie Männer, sie gehen auch einer Zukunft voll Sorge und bitterem Herzen entgegen. Obwohl mich Gott über mein Verdienst mit Glücksgütern gesegnet hat, so hat er mir doch ein offenes Gemüt gegeben, das Ihre Leiden, Ihre Enttäuschungen und alles, was Ihr Herz empört, mit Ihnen zu empfinden vermag, wie Sie mit mir den Hungerwinter zu Valley Forge, die Tage der Niederlage und die Tage des Sieges empfunden haben. Bei diesen gemeinsamen Entbehrungen, Schmerzen und Ehren versichere ich Ihnen als Christ wie Patriot, der Staat wird Ihre Wünsche befriedigen! Er wird Ihnen Gerechtigkeit nicht versagen. Seien Sie nicht so erbarmungslos, dieselbe in diesem allgemeinen Notstande erzwingen zu wollen. Bringen Sie die eben formulierte Forderung noch einmal in einer Adresse an den Kongreß, ich werde sie unterschreiben und selber überreichen. Erheben Sie Ihren patriotischen Geist zu dem Beschlusse, in dieser Adresse öffentlich dem Lande zu versichern, daß Sie nichts zum Bruche Ihrer bürgerlichen Treue verleiten werde, und legen Sie nochmals Ihr Geschick in die Hände des Landes. Oberst Armstrong hat gefragt: ›Was dann, wenn man auch jetzt uns keine Gerechtigkeit gewährt?‹ – Kameraden, nehmen wir selbst jenes Äußerste an, das mein Herz nicht zu glauben, meine Vernunft nicht zu erfassen vermöchte! Wenn man uns wirklich Gerechtigkeit verweigert, dann will ich wenigstens der Union ein Beispiel von Rechtschaffenheit geben, so gering es immerhin sein mag! Ich, der mit Ihnen ein Sansculotte war, will auch mit Ihnen vereint dann Zeit seines Lebens ein Bettler werden. Dann soll Cincinnatus nicht mit stolzerer Verachtung Rom den Rücken gewandt haben, als ich zur Schmach der Freiheit Amerikas mit Ihnen die Lumpen eines Bettlers in den Straßen von Philadelphia und New York tragen will!«

Mit fast einstimmiger Majorität nahmen die Offiziere die nach Washingtons vorgeschlagener Fassung redigierte Adresse an. Am nächsten Tage war der Oberbefehlshaber mit derselben nach Philadelphia unterwegs.

Am, 22. März beschloß der Kongreß, daß vom 4. Juli an alle Außenstände der Armee, seien es unbezahlter Sold oder rückstehende Kompetenzen, bezahlt werden und der ihr 1780 versprochene Halbsold auf Lebenszeit in einen vollen Sold auf fünf Jahre verwandelt sein und mit dem Augenblick beginnen sollte, da die Auflösung der Armee nach dem Frieden ausgesprochen sei.

Mit diesem Beschluß reiste Washington zur Armee ab. Das Unwetter war durch den großen Zauberer abgeleitet worden. Was der Staat darbot, war freilich blutwenig; er konnte eben nicht mehr gewähren, und man fand sich darein. Dieser drohende Vorgang in der Union, der als die erste Krisis einer inneren Krankheit bezeichnet werden muß, ließ nach allen Seiten hin Spuren zurück. Die demokratische Partei war vorerst eingeschüchtert, ihr ganzes Sinnen mußte jetzt daran gerichtet sein, die drohende Armee loszuwerden. Eine andere edlere Stimmung gab sich betreffs Steubens bei denjenigen Staaten der Union kund, welche bisher am meisten von seiner amtlichen Tätigkeit während der bittersten Leidenszeit berührt worden waren. Sie gedachten der Strenge nicht mehr, mit der er in friderizianischem Soldatenjargon oft seine Requisitionsforderungen gestellt hatte, sondern daran, was er ihnen beschützt, erspart, unter oft bedenklichen Verhältnissen gerettet hatte. Pennsylvanien ernannte ihn zu seinem Ehrenbürger und machte ihm eine Landschenkung von 2000 Acres im Bezirk Westmoreland. Virginien, – die glänzendste Antwort auf die Anklage wegen der Affäre am Point of Forge – schenkte Steuben »als Zeichen der hohen Anerkennung für seine großen Verdienste und Anstrengungen« 15 000 Acres, die zwischen dem Muskingum und großen Miami für ihn abgezweigt werden sollten.

Steuben nahm die Anzeige der Pennsylvanierdotation mit tiefer Bewegung auf. Aber er blieb still, sprach mit seiner Umgebung über diesen Besitz nicht und begnügte sich, dem pennsylvanischen Staatenhause zu danken. Die Virginiadotation aber, nicht bloß auffällig ihrer Größe wegen, sondern weil sie von dem Staate ausging, der in der Leidenschaft kriegerischer Notstände seine Ehre am tiefsten gekränkt hatte, regte ihn ganz besonders auf. Er nahm beide Verleihungsdokumente, eilte zu Washington und teilte sie demselben mit. –

»Durch diese Dotationen, bester Baron,« erwiderte Washington, »sind sie eigentlich ein reicherer Mann geworden als ich. Mit diesem Besitze geht es Ihnen aber wie der Union mit ihrem ungeheuren Terrain: er ist heute tot und wertlos, erst eine Generation fleißiger Hände ist imstande, ihn lebendig zu machen und in Geld umzuprägen. Ich glaube nicht, daß einer Ihrer Gläubiger für diesen Besitz Ihnen seine Forderung erlassen wird.«

»Sie wären Narren, Exzellenz, wenn sie es täten. Der lebende Steuben mit seinen Rechtsansprüchen an die Regierung ist ihnen doch immer noch sicherer als jene ferne Wildnis, die demselben gehört. Ich bin in der Tat ein sehr armer reicher Mann!«

»Um nur bis zu Ihrem Besitz am großen Miami zu reisen,« lächelte Washington trübe, »würden Sie ein Kapital, ein kleines Vermögen aufwenden müssen, auch würde ich genötigt sein, Ihnen ein Bataillon Riflemen mitzugeben, um jene Gegenden den Indianern, Squatters, Settlers und den Pelzjägern gegenüber für Sie zu okkupieren!«

»Als ich eine ruhige, sorgenfreie Existenz daheim mit dem mühe- und enttäuschungsreichen Leben Amerikas vertauschte, habe ich wirklich nicht geahnt, auch einst ein Floater zu werden, ein Mann, dessen Besitz schwimmt, weil er ihn nie festzuhalten, noch weniger zu verwerten versteht!«

»Aber Segen stiften, Menschen mit ihm glücklich machen, das können Sie!«

»Inwiefern?«

»Geben Sie dem Staate Virginien sein an sich gewiß großartiges Geschenk mit der Bestimmung zurück, den Grund und Boden umsonst an virginische Veteranen, Handwerker wie Ackerbauer zu verteilen. Sie werden dadurch Hunderte von Familien dem Elend entreißen, eine ferne Urwildnis aber der Kultur und menschlichen Wirkungskreisen erschlossen haben!«

»Ich werde dieses Rat befolgen, Exzellenz. Oh, gleiche ich nicht dem König Midas? Alles zwar wurde zu Gold, was er berührte, aber zu essen hatte er nichts. Bisher habe ich immer noch gehofft, man werde für mich sorgen, daß ich mit Sigh nach Europa gehen und in einem Winkel meiner Heimat ausruhen könne von allen Lebenskämpfen – kommt nicht bald Hilfe, so ist auch dieser Traum vorbei! Dann muß ich, will ich meine Gläubiger nicht betrügen, ihnen wenigstens meine Person zum Pfande lassen.«

Washington legte die Rechte auf Steubens Schulter. »Drängt es Sie denn von uns fort, von dem großartig schönen Felde Ihrer Tätigkeit? Gesetzt, Ihrer Abreise stände nach dem Frieden nichts mehr im Wege, Sie langten mit Sigh und einem hübschen Kapital in Deutschland an. Würden Sie in Berlin sich nicht als Fremder in fremd gewordenen Verhältnissen fühlen? Würden Sie am Rhein etwa die Befriedigung wiederfinden, die unser Land Ihnen noch immer versagt? Wird Sigh dort glücklicher an Ihrer Seite sein als hier? Sie sind Amerikaner geworden, Baron, durchweht von amerikanischen Gefühlen. Jeder unserer Staaten ist Ihnen ein Vaterland, für jeden haben Sie gekämpft, um jeglichen Verdienste sich erworben. Hier klingt der Name Steuben überall, Hochachtung, Dank und Liebe begegnet Ihnen im Lager wie in den Städten, Sie sind Mitschöpfer der Freiheit, Mitordner von Amerikas neuem Dasein geworden, alle unsere Verhältnisse legen sich Ihnen heimatlich ans Herz und halten Sie fest! Hier allein leben Sie! Hier sind Sie unsterblich. Hier müssen Sie bleiben, Baron, denn in Deutschland werden Sie sich lebendigen Leibes schon als vergessener Toter fühlen!«

»Ich danke Gott,« sagte Martha bewegt, »daß er Ihnen so viele Schulden aufbürdete! Die wenigstens erhalten Sie uns, wenn wir es nicht vermögen! Oh, verzagen Sie nicht! Auch diese Trübsal wird einmal weichen. Beweisen Ihnen die Dotationen nicht, daß man Ihrer dankbar gedenkt? Dieser öffentliche Dank wird sich verstärken, allgemeiner werden, die Stunde muß schlagen, wo die Union zu Ihnen sagt: ›Du hast genug um mich gelitten, Glück und Freude soll jetzt dein Lohn sein!‹«

»Sie haben mich bezwungen, hochverehrte Frau, Sie haben den Entsagungsschmerz in mir besänftigt, mein General. Ich werde bleiben, darben und warten!«

»Ich aber,« und Washington umarmte ihn, »der mit Martha Ihre Seelenkämpfe sieht, werde Zeugnis für Sie ablegen vor Gott und Menschen!«

Bald nach diesem Entschluß erfolgte eine dritte Auszeichnung. New Jersey, tief durchdrungen von dem Werte der vielen und wichtigen Dienste, die Baron Steuben den Vereinigten Staaten während dieses letzten Krieges geleistet hatte, und von dem Wunsche beseelt, das innige Gefühl der Dankbarkeit für die genannten Dienste vor der Welt an den Tag zu legen, hatte ihm die lebenslängliche Nutznießung einer Besitzung übertragen, die im Bezirke Bergen bei New Bridge, der Hafenstadt New York nahe gelegen, früher einem Tory, John Zabriskie, gehört hatte. Welch ein Glück. Hier war ihm ein Asyl geboten, ein Auskommen, ehrenvoll und reichlich genug, hier hätte er sein Nest bauen können.

»Zabriskie! John Zabriskie?« tönte es in Steuben, als er das Dotationsinstrument in der Hand hielt. »Kenne ich den Mann denn nicht? Wann klang sein Name mir doch ins Ohr?« Er rief Sigh, Leander, Kleopatra, Vogel und die Bängo.

»Kinder, wer von euch und wo hat mir von einem John Zabriskie geredet?«

»Ich, ich, ich!« riefen wie aus einem Munde Bängo, Patra und Leander.

»O Massa,« sagte erstere, »das ist der junge Tory ja, der Miß Rowenna Ravlinson geliebt hat! Als Tarlitons Volk ihr den Vater erschlagen, entfloh sie mit ihm nach seinem Gute in New Jersey!«

»Von Charlotte Courthouse weg, wo ich krank lag!« – Steuben seufzte schwer auf. »Diesem John Zabriskie hat der Staat New Jersey jetzt sein Gut genommen, weil er ein Tory ist, und will es mir schenken!«

Die Neger standen starr. Dann brachen Bängo und Patra in lautes Klagen aus, Leander aber fiel auf die Knie, und Steubens Hand küssend, sagte er: »O guter Massa Baron, das Gut dem Zabriskie nicht nehmen, dem Manne unserer armen Herrin! O könnten Leander, Patra und die Bängo ihre bleiche liebe Miß Rowenna doch wiedersehen und jetzt mit ihr weinen!«

Steuben starrte vor sich ins Leere, dann strich er sich gedankenvoll die Stirn. »Weint nicht!« sagte er plötzlich scharf. »Sollt sie wiedersehen, sollt eure verlorene Herrin wiederhaben! Ich nehme das Gut nicht an! Macht euch in einer Stunde reisefertig; Vogel, du wirst die Niggers begleiten und meine Antwort an das Jersey-Staatenhaus überbringen. Weg mit euch! Geht, eure Tränen ersäufen mein ganzes Glück! Haha, dazu bin ich ja auf der Welt, ewig geopfert zu werden!« –

So scharf und bitter hatte Sigh ihren Baron noch nicht gesehen. »Du zürnst, du willst das Geschenk nicht nehmen?«

»Ich werde tun, was der große Geist der Liebe in mir spricht«, versetzte er sanfter. »Laß mich mit ihm allein, Sigh.«

Sigh lächelte. »Ich weiß schon, was du tun wirst.« Damit verließ sie das Gemach.

Steuben richtete an seine Geschenkgeber sofort eine Antwort, in welcher er für die Ehre und die erwiesene Huld dankte. »Will das Hohe Haus von New Jersey zu diesem Geschenke aber eine besondere Gunst noch fügen und mein Gewissen beruhigen, so bitte ich, daß es das konfiszierte Gut in meinem Namen seinem ehemaligen Besitzer wiedergibt. Wohl ist Mr. John ein Königsfreund gewesen, aber er ist jetzt ein Bettler und hat Familie. Den Vater seiner Frau, Rowenna Ravlinson, der Besitzer von Charlotte Courthouse am Riwanna in Virginien, haben Tarlitons Mordbrenner getötet, die Negersklaven dieses toten Torys aber haben mich, den Feind, den Kranken, daselbst gepflegt und am Leben erhalten. Ich will nicht fremdes Gut mein nennen, ich will an diesem Manne und seiner Frau die Menschenliebe seiner Sklaven vergelten sehen. Arm bin ich, das ist wahr, Hohes Haus. Gestatte man mir aber darum wenigstens den Stolz des freien Mannes: in Armut gerecht bleiben zu dürfen. Gott, der Vater aller Nationen, sei über New Jersey und Young Amerika!«

Nach einer Stunde erschienen vor ihm die Neger und Karl Vogel reisefertig. Steuben gab letzterem den Brief und das Reisegeld; zum Glück war die Tour nicht übermäßig weit und kostspielig. Der Abschied der Neger war höchst bewegt. Diese vortrefflichen Menschen, im letzten Augenblick noch in ihrer Treue zwischen Steuben und ihrer alten Herrin schwankend, ergingen sich in Tränenströmen, Handküssen und schmerzlichen Ausrufen, bis Vogel sie auf Steubens Wink endlich hinausschaffte.

Als es still um ihn geworden war, schloß Steuben Sigh in seine Arme, seines Herzens Weh machte sich in verhaltenen Tränen Luft. »Arm und ohne Hoffnung zu sein, mein Mädchen, ist unser Los. Wie heiß wir uns auch lieben mögen – nie, du wirst niemals meine teure Frau sein.«

»Ich werde es doch. Du aber bist mein großer Baron! Sieh, wie du wächst nach jedem Schmerze, wie die Bergtanne vom Gewitter. Du lebst dem guten Geiste, dessen Kind auch ich bin; Tamenund würde dich preisen als den gerechtesten aller Männer.«

Inzwischen war Vogel von Trenton zurückgekehrt, mit ihm Bängo. Das Jersey-Staatenhaus hatte Steubens Bitte gewährt, Mr. John Zabriskie und seine Rowenna mit ihren zahlreichen Kindern waren vom Elend gerettet, denn ihr Besitz war ihnen wiedergegeben worden. Mr. Johns von Rührung und Dank erfüllter Brief und die Segenswünsche, welche Kleopatra und ihr langer Leander Vogel mitgegeben hatten, bewiesen Steuben, welch' grenzenlosem Familienjammer er ein Ende gemacht hatte. Als er Bängo schelten wollte, daß sie nicht bei ihrer Herrin geblieben, sondern in sein Haus zurückgekehrt sei, erwiderte sie treuherzig:

»Massa Baron, nicht böse sein. Gute Herrin Rowenna hat Bängo freigelassen, weil Bängo Karl lieb hat. Bängo den Karl heiraten und für Massa Baron und rote Lady viel arbeiten; Bängo ist sehr stark.«

Es wäre vergeblich gewesen, eine Anhänglichkeit zu hindern, die von der Liebe diktiert und, was das Lebenslos beider betraf, gewiß nicht von gemeinem Interesse geleitet wurde.

Am 12. Juli übernahm Steuben ein ihm vom Kongreß durch Washington übertragenes militärdiplomatisches Geschäft. Von allen amerikanischen Besitzungen blieb den Briten nach den Präliminarien nur derjenige Teil von Kanada übrig, welcher vom linken Ufer des St. Lorenzstromes und den nördlichen Ufern des Ontario und Eriesees ab die ganze nordische Region umfaßte, so daß der Champlainsee und das gesamte angrenzende Oneidaland dem Staate New York zufiel. Steuben sollte nun einige befestigte Punkte der Engländer in den Seedistrikten gegen eine Abschlagssumme erwerben, in welcher die Union Militärstationen errichten wollte, um ihre Rechte auf den Großen Seen zu wahren sowie die neuen Gebiete gegen den Einbruch räuberischer Mingo-Indianer zu schützen. Auf dieser Reise wurde Steuben von de l'Enfant, North, Walker und Sigh begleitet. Anfang August trafen sie am Champlainsee, dann in Sorel, später in St. John ein, wo die Verhandlungen mit den britischen Militärbehörden begannen. Ob diese höherer Weisung gemäß oder aus dem natürlichen Grolle der Besiegten handelten, die Konferenzen wurden als erfolglos abgebrochen. Nach Saratoga zurückgereist, hatte Steuben nur eben Zeit, Washington seinen Bericht zu senden, als die Gicht ihn völlig wieder niederwarf. Drei Wochen lag er, ängstlich gepflegt, ehe es Sighs treuer Liebe mit Hilfe ihrer Umgebungen gelang, den Baron wieder gesund zu machen.

»Sie bedürfen nur der Ruhe eines sorgenfreien Lebens, mein verehrter Freund,« sagte de l'Enfant, »um wieder ganz der Alte zu werden. Ich bin gewiß, wenn die Engländer erst New York geräumt haben und der Kongreß dort seinen Sitz nimmt, werden sich auch Ihre Verhältnisse ordnen. Dann wird hierbei«, er warf einen Blick auf Sigh, »auch Ihr letzter, süßester Wunsch in Erfüllung gehen.«

»Oh, mein Baron,« rief Sigh, »mein Geliebter, sieh, das Oneidaland ist nahe genug. Könntest du nur eine Woche in seinen ewigen Bergeswäldern leben, da würdest mir dort ganz gesund. Dort könnten ich und du, fern von den Menschen, die dich kränken und plagen, denen du um schlechten Lohn dienst, zusammenleben wie Manitous Kinder.«

»Gut, mein Herz, gut. Wir wollen hinüber nach deinem heimlichen Feenlande und doch sehen, was es für ein glückliches Arkadien ist.« –

Sie zogen westlich in der Richtung des Ontario und langten in dem gigantischen Felstale an, dem der Oneida entspringt, um mit dem Onondago nördlich vereint als Oswego-River von den Plateaus hinab in den Ontario zu münden. Hier war Sigh geboren, hier empfingen die Indianer ihres Stammes jauchzend die Tochter ihres toten Häuptlings, unter ihnen auch der stille Yokomen, der über die Oneidas jetzt als Tamenunds Sohn herrschte. Großartigkeit und Stille, rings Üppigkeit einer jungfräulichen Natur und das Walten der roten schuldlosen Kinder einer noch nicht geknechteten Erde.

Die Offiziere waren überrascht und entzückt. In Steubens Brust erwachte allgewaltige Friedenssehnsucht.

»Ja, Mädchen, hier allein kann ich gesunden, hier nur vermöchte ich, von deiner Liebe beglückt, den beneidenswertesten Tod zu sterben, den Gott verleihen kann. Alle Politik, allen Streit, alle Kultur wollte ich hier verlachen, um stolz und frei ein Cincinnatus zu sein. Pah, welch närrische Träume. Ich bin ein Sklave meiner Pflicht, um nur aufzuhören, ein Sklave meiner Gläubiger zu sein. Zurück ins Joch, Cincinnatus, du nennst keine Acker dein, die du mit eigener Hand bebauen dürftest.«


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