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Preußische Invasion

Peter III. hatte schon hinlänglich seine Bewunderung für Friedrich II. bekundet, als er noch Zarewitsch gewesen war und die preußengrimmige Elisabeth noch die Zügel der Gewalt in ihren energischen Händen hielt. Es ließ sich darum mit großer Sicherheit erwarten, daß er als Selbstherrscher aller Reußen nunmehr seine freundschaftlichen Gesinnungen gegen den größten Kriegshelden seiner Zeit mit all der eigenwilligen Leidenschaftlichkeit betätigen werde, die er zu seinem Unglück besaß. Der Plan der preußischen Gefangenen, ihre eigentümliche Lage zu benutzen, um den Spieß der russischen Politik umzudrehen und dessen Spitze fortan gegen Österreich und Frankreich zu lenken, war also gar keine so große Narrheit, wie derselbe jedem anderen russischen Monarchen gegenüber gewesen sein würde. So klug ihr Vorhaben aber auch war, so gefährlich war es auch, ja erschien den ebenso kühnen wie leichtlebigen Offizieren, je näher sie der Ausführung desselben rückten und je mehr sie sich während der Reise über die zur Zeit obwaltenden Verhältnisse des Zarenhofes belehrten, doch viel halsbrecherischer, als sie sich dasselbe in der ersten Freude über Peters Thronbesteigung vorgestellt hatten. – In fast reißender Schnelligkeit, mittels untergelegter Pferde, eilten sie nunmehr ihrem Ziele zu. Als sie Riga erreicht hatten und der Hetman ihnen ein vertrauliches Gespräch mit dem dortigen preußischen Konsul verstattete, machte ihnen dieser gewiegte, mit den Petersburger Verhältnissen sehr vertraute Beamte derartige Eröffnungen, daß ihre Gesichter ziemlich lang wurden und sie sich zur äußersten Vorsicht veranlaßt fühlten. Nicht, daß sie daran gedacht hätten, ihren patriotischen Plan aufzugeben, aber die Art, wie sie denselben auf Rat des Konsuls angriffen, war weit weniger kriegerischkühn, als schlangenklug leisetreterisch zu nennen. Sie waren immerhin Gefangene, deren Los von der Laune ihres Besiegers abhing. Brauchten sie zwar auch nicht mehr des Transport nach Sibirien zu befürchten, so war doch immer noch sehr die Frage, ob der Zar oder dessen Umgebung sich eine diplomatische Hinterlist würden gefalle lassen, welche die bisherige russische Politik geradezu auf den Kopf stellen mußte. Sollte ihr Vorhaben trotz aller Schwierigkeiten gelingen, dann gehörte hierzu Kaltblütigkeit und eine todesverachtende Rücksichtslosigkeit der Gefangenen gegen ihre eigene Existenz. Auf welche schwanke Brücke sie hierbei traten, bewies, daß kaum ein halbes Jahr später Peter III. nicht ohne Mitwissen, oder doch mit Gutheißung Katharinas, seiner Gemahlin, von der ihr ergebenen stockrussischen Partei nicht nur entthront, sondern auch ermordet wurde. Dieser unglückliche Monarch wurde das Opfer seiner preußischen Politik und erduldete eigentlich das Los, welches die kecken preußischen Abenteurer für ihre in Petersburg gesponnenen selbstsüchtigpatriotischen Ränke verdient hätten! Die Art und die Gründe, weswegen sie demselben entgingen, sind um so sonderbarer und interessanter, als die Vorsehung sich ihrer geradezu als Werkzeug bedient zu haben scheint, um des schwerstes, längsten und allgemeinsten aller neueren Kriege fast wie durch einen Theatercoup zum Schlusse zu bringen.

Bevor die preußischen Schicksalsgenossen Riga verließen, richteten sie ein Schreiben an den Vizekanzler Michael von Woronzow, in welchem sie sehr höflich, aber auch ohne demütigende Floskeln ihre Gefangenschaft und die ungefähre Zeit ihres Eintreffens in der Hauptstadt anzeigten und diesen russischen Staatsmann baten, »bei Ihren Kaiserlichen Majestäten ihr Fürsprecher sein zu wollen, damit ihnen eine ehrenvolle Gefangenschaft in Petersburg selbst und damit die Möglichkeit verstattet werde, die großartigen Schöpfungen Sr. seligen Kaiserlichen Majestät des großen Peter wie seiner glorreiches Nachfolger zu bewundern!« Knobloch an der Spitze, unterzeichneten alle das scheinbar sehr bescheidene und unschuldig aussehende Papier, welches zwei Tage vor ihrer Abreise durch einen Kosaken, der auch Romanzows Brief an die tote Kaiserin mitnahm, vorausgesendet wurde. Der General machte in Riga ferner seine Gelder flüssig und stattete sich und seine Offiziere mit allem aus, was ihr Äußeres in vorteilhaftes Licht setzen konnte. So schafften sich unter anderem von Knobloch wie die Obersten von Koch, Witzleben und Kaminsky prächtige Schlitten mit breiten, russischen Gespannen an und mieteten eigene Kutscher; kurz das ganze Auftreten der Gefangenen war darauf berechnet, doch eine gewisse theatralische Wirkung hervorzubringen. Als sie sicher sein durften, ihr Kollektivschreiben sei bereits in des Vizekanzlers Händen, eilten sie der Zarenstadt zu, von den besten Ratschlägen des wackeren Konsuls begleitet, der sehr wohl begriff, welcher Vorteil seinem Vaterlande durch das mutige Beginnen dieser kriegerischen Patrioten erwachsen könne.

Auf der livländischen Straße bewegte sich in der Abenddämmerung des 19. Januar ein langer Zug Schlitten nordöstlich der Hauptstadt zu. Vorauf ritt Hetman Iwan Grischow allein, und wie es schien, etwas gedankenvoll. Er hatte seinen Auftrag beendet und war nun doch nicht ganz sicher, ob er einen Beutel voll Rubel oder einen Buckel voll Knutenhiebe zum Lohn erhalten werde. Eine ziemliche Strecke hinter ihm ritten der Oberst der kaiserlichen Garde zu Pferde, Generalleutnant Abergunow und Graf Rasumowsky, Chef eines Garderegiments zu Fuß. Ihnen folgte ein Beritt der Garde, dann General von Knobloch nebst Steuben und den beiden Adjutanten in großer Uniform und in des Generals eigenem Schlitten, hinter ihnen die übrigen Gefangenen, sämtlich links und rechts von Gardisten zu Pferde eskortiert. Grischows Kosaken aber machten den Schluß.

Man fuhr durch die livländische Vorstadt und die Wasnesenskaja hinab zur Admiralität. Durch das mittlere Haupttor derselben, durch die Werke und den großen Hof hindurch gelangte man zur Newa selbst, über deren festgefrorene weite Fläche es bis zur St.-Petersburg-Zitadelle ging. Melgunow richtete hier das erste Wort an Knobloch. Er befahl ihm französisch, mit seinen Gefährten auszusteigen und dem Hetman zu folgen. Steif vom harten Frost und langen Sitzen wickelten sich die Gefangenen aus ihren Umhüllungen und betraten unter Iwans Führung die Zitadelle, von ihren mit Gepäck beladenen Dienern gefolgt. Melgunow und Rasumowsky kehrten mit den Garden sogleich über die Newa zurück. Zwischen den Werken der Zitadelle empfing die Ankommenden jetzt ein anderer höherer russischer Offizier und führte sie unter Begleitung von Infanteristen in das Innere der Festung zur Kommandantur. Dort nahm sie im Oberstock ein weites, saalartiges Zimmer auf, das gut geheizt und ziemlich nobel eingerichtet war. Kaum hatten die Diener indes Zeit, das Gepäck abzulegen und die Offiziere von ihren Mänteln zu befreien, so flog die Tür auf, und ein stattlicher Militär mit schwarzem Haar und Schnurrbart und dunklem, funkelndem Blick nebst einem rotblonden, zweifellos echt russischen älteren Herrn trat ein, der die damalige Uniform höherer Beamten trug und dem der Stern des Alexander-Newsky auf der Brust erglänzte. Er hielt einen Brief in der Hand. Diesen beiden folgte ein Greis in Generalsuniform, den sein weißer dicker Schnurrbart und der Schnee seines Hauptes ehrwürdig machten.

»Sie sind zweifellos General von Knobloch?« sagte der Rotblonde im Beamtenrocke, sich an den General in leidlichem Deutsch wendend.

»Zu dienen, mein Herr!«

»Ich bin Michael Graf Woronzow. – Schrieben Sie diesen Brief an mich?«

»Gewiß, Herr Kanzler, die übrigen Unterschriften sind von diesen Herren, meinen Schicksalsgenossen.«

»Weshalb schrieben Sie an mich, statt an irgendeinen anderen?«

»Weil ich niemand aus der Umgebung Ihro Kaiserlichen Majestät kenne, Ew. Exzellenz Name aber mehrfach nennen und Ihren wohlwollendes Einfluß rühmen hörte. Wir erlaubten uns deshalb zu glauben, daß Ew. Exzellenz ebenso großmütig gesinnt als bei Hofe beliebt sein müßten.«

Der Rotblonde lächelte. »Nun, nun, es läßt sich halten. – Hier stelle ich Ihnen übrigens den Generalfeldzeugmeister Seiner Majestät, Baron de Villebois, Exzellenz, vor, der jedenfalls größeren Anspruch darauf hat, unseres gnädigsten Kaisers Vertrauter zu sein. Er ist der Kommandant der Zitadelle, die Ihnen als Aufenthalt angewiesen ist, also Ihr Vorgesetzter. Dieser General aber ist unser greiser Kriegsheld, Generalfeldmarschall Graf von Münnich, dessen Ruhm selbst bis zu Ihnen gedrungen sein wird!«

»Wir sind Ihnen für die Eröffnung höchst verbunden, daß uns verstattet ist, in Petersburg zu bleiben, und daß unser Los in die Hände eines Edelmannes gelegt ist, der mit dem Allerhöchsten Vertrauen beehrt wird. Wir sind überzeugt, Herr Generalfeldzeugmeister, daß Sie ebenso geneigt wie der Herr Vizekanzler sein werden, Ihro Kaiserlichen Majestäten Milde für unsere Lage zu erbitten.«

»Ich bedauere zwar, Herr General, daß kriegerisches Unglück Sie auf solche Art zu uns führte,« lächelte Villebois, »aber ich gratuliere uns dennoch, daß wir Ihro und Ihro Waffengefährten Bekanntschaft dadurch machen. Seine Majestät hat verfügt, daß Sie hier vorläufig bleiben sollen, bis Höchst-Selbst er Sie gesehen hat. Dies wird morgen abend geschehen. – Haben Sie die Güte, uns nun Ihre Herren Kameraden vorzustellen, Exzellenz!«

»Mit Vergnügen«, sagte Knobloch mit höflicher Verbeugung. »Hier ist mein Generalstabsoffizier Leutnant Friedrich von Steuben; diese beiden sind meine Adjutanten –«

»Halt!« rief der alte Marschall Münnich und trat auf Steuben zu. »Bist du der Sohn meines alten Steuben, Junge? Der Sohn Augustins?«

»Jawohl, Exzellenz,« und Steuben schoß das Blut ins Gesicht, »Ihres alten Augustin. Sie können sich denken, Herr Graf, wie mein Herz erbebte, als ich Sie sah und Ihren Namen hörte.«

Den greisen Kriegshelden erfaßte tiefe Bewegung. Er legte seine zitternden Hände um Steubens Hals und sah ihm starr ins Gesicht. »Ja, ja, 's ist des Alten Gesicht, so muß er ausgesehen haben, bevor er nach Rußland kam. Sage, Junge, lebt er noch?«

»Als Platzkommandant und Major zu Landsberg an der Warthe!«

»Gott erhalte ihn! – Kann dann wohl auch Russisch, Steuben, wie er?«

»Ich kann es, Väterchen,« erwiderte der Stabsoffizier auf russisch, »aber ich kann's nur schlecht, denn mit siebzehn Jahren trat ich als Fähnrich in Dienst und habe seitdem nur einmal meinen Vater wiedergesehen.«

»Er redet wahrhaftig leidlich genug Russisch!« rief Münnich, sich zu Woronzow und Villebois wendend.

»Verzeihung,« lächelte General von Knobloch, »ein wenig können es andere Leute auch.«

Die russischen Offiziere waren höchlich überrascht.

»Da seid Ihr ja ordentlich Russen selber?« lächelte Münnich vergnügt. – »Die Preußen sind verdammte Kerle!«

»Wenigstens kann ich den Exzellenzen meine Kameraden auf russisch vorstellen!« entgegnete General Knobloch heiter und entledigte sich dieses Geschäfts nun in der Landessprache so gewandt, daß die Vertrauten des Kaisers mit dem Geständnis schieden, sie seien noch weit angenehmer überrascht worden, als sie es beim Empfang der Herren Preußen ohnehin schon erhofft hatten. Damit empfahlen sie sich und überließen die Gefangenen einem vortrefflichen Souper und etlichen Batterien Weinbouteillen, welche sogleich vor ihnen aufgepflanzt wurden.

Um dieselbe Zeit etwa stand Graf Rasumowsky im Winterpalais vor der Zarin Katharina, welche die Damen Buturlin und Daschkow bei sich hatte.

»Nun, Oberst,« fuhr sie auf, als er eintrat, »du hast die Preußen gesehen?«

»Ich habe sie gesehen, Majestät.«

»Ich weiß, daß du nie lügst, Oberst. – Du wirst mir auch jetzt die Wahrheit sagen? Wie?«

»Ich werde die Wahrheit wie immer sagen!«

»Gut. – Die Leute sind nun einmal hier, und Peter wird sie schwerlich wegschicken, vielmehr wird er seine preußischen Narrenspossen mit ihnen treiben. Sage mir, wie sehen sie aus?«

»Allergnädigste Frau, wenn preußische Offiziere, nachdem sie geschlagen und gefangen wurden, dann aber von Kolberg bis Petersburg 'ne Winterreise machten, schon so vortrefflich aussehen, so müssen die, welche siegreich gewesen sind, ganz unvergleichliche Leute sein!«

»Oho! – Also es sind schöne Männer unter ihnen?«

»Sehr schöne, und wie mir scheinen will – obschon ich noch mit keinem sprach –, sind es Männer von Bildung und Feinheit. General von Knobloch allerdings ist ein grauer Herr, die übrigen aber in den besten Jahren und viele noch jung; sie sehen ganz vorzüglich aus.«

»Wir wollen sie morgen abend bei dem Zaren sehen. Wir sind neugierig, einige Exemplare dieser Preußen kennenzulernen, die sich sieben Jahre für ihren König wie die Bären geschlagen haben. Gefallen sie uns leidlich, so werden wir sie an uns ziehen, meint ihr nicht, Burtulin und Daschkow – vorausgesetzt, daß sie für russische Frauen traitable sind. Dies muß geschehen, um sie unter den Augen zu behalten, daß sie dem Peter nicht vollends den Kopf verdrehen. – Wo brachte man sie unter?«

»In der Zitadelle.«

Kaum hatte dies der Graf gesagt, als Vizekanzler Woronzow erschien.

»Das ist schön, daß du kommst, Michael, nun, ich habe es erwartet. Setze dich, lasse Wein bringen, Rasumowsky, er wird erfroren sein. – Du kommst auch von den Preußen, Michael?«

»Zu Befehl, Majestät.«

»Erzähle, aber ohne Winkelzüge, wie du es gemacht hast, sie herzubringen, was mit den Preußen nun geschehen soll, wie sie sich bei der Ankunft benahmen und was für Leute sie sind. Wenn du mich anzuführen Lust haben solltest, Michael, deiner dicken Nichte, deiner Privatpolitik und des Zaren wegen, bedenke, daß ich dahinter komme und – dann weder vergesse noch vergebe! – Rede!«

Woronzow, der zwischen den Parteien zu lavieren wußte, kam oft genug in den Fall, zwischen Tür und Angel zu stehen und in Verlegenheit zu geraten, wohin er eigentlich Front machen sollte. Seine Politik war aber so biegsam, sein Verfahren so schlau, er hatte für diesen besonderen Fall so richtig seine Position genommen, und die Sache ließ sich so gut an, daß ihn nichts aus dem Gleise zu bringen vermochte. Er kannte ferner seine Leute zu genau, um nicht auf ihre Leidenschaften zu spekulieren.

»Kaiserliche Majestät werden sich überzeugen, daß meine Handlungsweise nicht anders sein konnte, als sie es gewesen ist, sollte ich meine Pflicht nicht verletzen. Die Gefangenen hatten sich von Riga aus an mich schriftlich gewendet, ich solle Ihrer Majestäten Gnade ansprechen. Ich beeilte mich, Höchstihnen wie Sr. Majestät die Sache vorzulegen.«

»Wir stimmten dafür, sie nach Sibirien zu schicken, wenigstens doch nach Moskau, der Zar, wie gewöhnlich, befahl das Gegenteil und will sie hier haben. – Weshalb wendeten die Leute sich an dich?«

»Ich fragte sie soeben danach. General von Knobloch erklärte mir, sie hätten niemand gewußt bei Hofe, an den sie sich sonst wenden könnten, und da sie – so drückte er sich aus – von meinem wohltätigen Einflüsse gehört hätten, hätten sie mir ihr Gesuch gestellt.«

Katharina lächelte in eigentümlicher Art, dann versank sie in kurzes Sinnen. – »Diese Preußen hatten entweder einen klugen russischen Ratgeber unterwegs, oder sie sind sehr verschmitzt! Ich höre, der Zar will sie morgen abend sehen. Wir werden dabei sein, Michael, und achtgeben, daß diese Milde Peters nicht in zu große Preußenvorliebe ausartet, welche auf den ferneren Gang des Krieges von Einfluß sein könnte. Das Äußere der Gefangenen ist passabel?«

»Ich denke, sie sind – leidlich. Doch hierüber wird der Blick meiner allergnädigsten Herrin ein entscheidenderes Urteil haben als meiner. Das Benehmen dieser Leute ist übrigens würdevoll, zugleich ehrerbietig, und sie sind dankbar, daß man ihnen die Zitadelle anwies. Es hat uns aber überrascht, daß sowohl General von Knobloch wie Herr von Steuben , sein Stabsoffizier, Russisch sprachen.«

»Russisch?« Das Auge Katharinas blitzte. »Diese Leute sprachen wirklich Russisch? Das ist ein seltener – für sie günstiger Fall! Das gefällt mir wohl! – Weißt du, wie sie als Preußen dazu kamen?«

»Betreffs des Generals kann ich das nicht sagen, bei Steuben aber ist die Ursache klar. General Münnich war der Neugier wegen mit Villebois gekommen. Als Steuben genannt wurde, fragte er ihn, ob er der Sohn seines alten Augustin sei. Der junge Mann bejahte es und schien sehr ergriffen, der General aber umarmte ihn, und sie sprachen Russisch. Auf dem Rückwege bat ich des Grafen um Aufklärung. Beim Ausbruch des polnischen Erbfolgekrieges trat der alte Augustin von Steuben nämlich auf Befehl König Friedrich Wilhelms I. in russische Dienste –«

»Ah! Das hätte ich Friedrichs Vater wirklich nicht zugetraut. Ich werde den Sohn fragen, wie das kam. – Nun?«

»Der alte Steuben zeichnete sich bei der Belagerung von Danzig aus, diente unter Münnich in der Krim, blieb im Frieden in Petersburg und half als Ingenieur Kronstadt befestigen, erteilte auch unseren Offizieren kriegswissenschaftlichen Unterricht.«

»Bei Peter und Paul, was so ein Preuße nicht alles kann!«

»Da ich mich kurz darauf beschränke, sie zu empfangen und laut Sr. Majestät Befehl dem Baron Villebois zu überweisen, vermag ich sonst Näheres über sie nicht mitzuteilen; kluge Leute sind es ganz gewiß!«

»Unzweifelhaft! Sie hätten sich sonst auch nicht an dich, sondern an einen der Vettern von Holstein oder den Sternberg gewandt. – Da die Herren durch dich gewissermaßen sich auch Unserer Gnade empfohlen haben, so bedeute ihnen, daß Unser Wohlwollen gegen sie von der Zurückhaltung abhängen wird, welche sie sich dem Kaiser gegenüber auferlegen. Sie haben nie zu vergessen, daß sie Gefangene sind, daß ihr König unser Feind ist! Wir sind nicht gewillt, daß in diesem Verhältnis eine Änderung eintritt, es sei denn durch einen Frieden, der den Philosophen von Sanssouci zahm macht!«

»Das soll ich ihnen deutlich sagen?«

»Deutlich sagen, nein! Andeuten sollst du es ihnen aber gewiß. Abgeschreckt werden sollen sie, hier etwa ihren Witz und ihre Verführungskunst auf russische Kosten spielen zu lassen! Je weniger sie sich bemerkbar machen, desto besser werden sie Uns gefallen! Morgen abend also, Michael.« Damit winkte die hohe Frau, und der Vizekanzler empfahl sich.

Die Politik dieses Mannes, welche ihn und seine Familie erhielt und mächtig machte, bestand nun darin, daß er der Kaiserin wie dem Kaiser ihren Willen nicht bloß buchstäblich tat, sondern sie von ihren beiderseitigen Absichten stets vorher unterrichtete. In gewisser Beziehung hetzte er also beide Gatten dadurch gegeneinander, schwächte aber durch seine Offenheit zugleich die Operationen, welche sie gegeneinander unternahmen.

Michael Woronzow begab sich, diesem löblichen Verfahren gemäß, sofort zum Kaiser, der ihn bereits erwartete. Augenscheinlich hatte Peter III. schon über die Gefangenen Erkundigungen eingeholt und seine weiteren Entschlüsse gefaßt. Dies bewies nicht nur Villebois' Anwesenheit, den er nebst dem Generaladjutanten von Ungern-Sternberg mit dem Kaiser im eifrigsten Gespräch fand, sondern auch Peters Benehmen.

»Du bleibst lange, Woronzow? Woher kommst du?«

»Von der Kaiserin, Majestät.«

»Weshalb? Was hat sie mit der Angelegenheit der gefangenen Offiziere zu tun?«

»Wenn sie gefangengehalten werden, das heißt die Zitadelle niemals verlassen, dann hat Ihro Majestät schwerlich Ursache, sich mit ihnen zu befassen. Da Eure Majestät aber morgen abend General von Knobloch und seine Gefährten hier zu empfangen beabsichtigen, hielt ich es für angemessen, mich über das zu vergewissern, was die hohe Frau etwa bei dieser Gelegenheit zu tun beabsichtigt.«

»Hm! – Nun, was will sie tun?«

»Sie will mit ihrem Hofstaat der Abendaudienz beiwohnen!«

»Den Teufel auch, Michael! Es sollte eine Abendunterhaltung unter Männern sein – hast du ihr das nicht gesagt?«

»Nein, Majestät, weil die hohe Frau dann viel mehr ahnen und mutmaßen würde, als in der Tat richtig oder nötig wäre!«

»Ich glaube, Woronzow handelte klug!« sagte der Generaladjutant mit klarem und scharfem Tone, dem Kaiser einen vielsagenden Blick zuwerfend. Lassen Sie deshalb einen Hofball ansagen. – Sprachen Sie nicht vorher davon, Villebois, daß morgen der Termin der Truppeninspektion in der Zitadelle St. Petersburg sei?«

»Richtig,« fiel dieser hastig ein, »ich hatte das über anderen Dingen vergessen.«

»Also gut, Michael,« sagte der Zar kurz, »wir werden morgen großen Empfang mit Damen haben. Du kannst gehen.«

»Befehlen Eure Majestät meinerseits näheren Bericht über die preußischen Offiziere?«

»Es ist unnötig, Woronzow. Sie sind müde, und es ist spät genug. Villebois hat Uns das nötige gesagt, im übrigen werden Wir über die preußischen Herren morgen selbst ein Urteil gewinnen.« – Er nickte und wendete sich um, als wollte er das Zimmer verlassen. Der Vizekanzler verbeugte sich und trat rasch ab.

»Wir glauben, Wir erraten dich, Baron?« sagte Peter hastig zu Villebois, wieder stehenbleibend. »Wir müssen ihr zuvorkommen, und morgen abend muß bereits alles geschehen sein!«

»Dies ist nur möglich, Majestät,« lächelte Villebois, »wenn Sie die Inspizierung der Zitadelle als Vorwand nehmen, General von Knobloch zu sehen und dann den geeignetes Schritt zu tun, der unwiderruflich sein wird!«

»Gewiß, so geht's. Ordnen Sie alles für morgen an, Villebois, und bereiten Sie die preußischen Offiziere vor. Guten Abend!« –

Es mußte eine eigene, politisch sehr geheime Bewandtnis habe», daß sowohl Peter III. wie Katharina sich so außergewöhnlich um die Gefangenen kümmerten und dieselben für den russischen Hof bereits ohne ihr Zutun eine Wichtigkeit erlangt hatten. In der Tat waren sie, sobald man ihre Ankunft wußte, zur Tagesfrage im Winterpalais geworden, gewissermaßen zum Probierstein, von welchem Metalle die Politik sein werde, welche die eine Partei erwartete, die andere befürchtete.

Am nächsten Morgen, schon um neun Uhr – die preußischen Offiziere waren in militärischer Gala und zu jeder Art Besuch bereit – erschien Villebois bei ihnen.

»Messieurs,« sagte er, »ich benachrichtige Sie, daß Se. Kaiserliche Majestät in einer Stunde die Truppen und die Armierung der Zitadelle besichtigen wird. Da ich annehme, daß Ihnen Preußens Interesse am Herzen liegt, so werden Sie sowohl heute abend wie überhaupt von dem schweigen, was sich hier zutragen sollte. Vergessen Sie nicht, Sie sind des Kaisers Gefangene. Nur unter diesem Rechtstitel ist Ihnen gestattet, gute Preußen zu sein!«

»Herr Generalfeldzeugmeister,« erwiderte von Knobloch, »wir bitten Sie, sich überzeugt zu halten, daß sowohl Liebe für unseren Monarchen wie Ehrfurcht vor Sr. Kaiserlichen Majestät Maßnahmen uns die Zunge binden wird.«

»Was Sie indessen nicht abhalten soll, im übrigen so liebenswürdig zu sein, als Sie vermögen. Das wird Ihnen wie Sr. Majestät Politik sehr zugute kommen. – Also in einer Stunde, meine Herren!«

»Was halten Sie von der mysteriösen Andeutung, meine Kameraden?« fragte Knobloch, als sie allein waren.

»Mir scheint,« lächelte Koch, »man kommt unserem geheimen Vorhaben auf halbem Wege entgegen?«

»Und daß die Abendgesellschaft des Winterpalais nicht wissen soll, was am Morgen in der Zitadelle vorging!« fiel Kaminsky ein.

»Was könnte hier vorgehen, Steuben?«

»Eins gewiß, Herr General. Der Kaiser kommt her, uns jetzt schon zu sehen. – Er kann also bis heute abend nicht warten! – Folglich will er uns hier auf andere Art sehen wie im Winterpalais.

»Ich verstehe das nicht!« warf von Witzleben dazwischen.

»Ich will nicht behaupten, daß ich es ganz verstände,« erwiderte Steuben, »aber ich halte Rußlands Frieden mit Preußen für bevorstehend, und es ist unsere Pflicht, dem Kaiser die größtmögliche Sympathie zu erwecken.«

Die Stunde der Inspizierung kam. – Auf dem Glacis der St. Petersburger Zitadelle, in einem ungeheuren Karree um die Kirche St. Peter und Paul, also dem Mittelpunkte des Platzes, in deren Grüften Peter der Große, die Kaiserinnen Katherina, Anna und Elisabeth schliefen, waren die Besatzungstruppen aufgestellt; die Kanoniere standen mit brennender Lunte an ihren Geschützen auf den Wällen. Die nordwestliche Ecke dieses Karrees umschloß zugleich das Kommandanturgebäude, den Aufenthaltsort der Gefangenen. Kurz vor zehn holte dieselben Baron de Villebois ab und geleitete sie in den zu ebener Erde liegenden Konferenzsaal, an welchen sein Bureau und die Amtswohnung stieß. Hier ließ er sie sich ihrer Rangordnung gemäß aufstellen, dann entfernte sich Villebois, bestieg sein Pferd und sprengte zum Haupttor der Zitadelle. Durch dasselbe ritt jetzt Zar Peter III. ein, von den beiden Prinzen von Holstein, dem Flügeladjutanten von Ungern-Sternberg, dem berühmten Münnich, Fürsten Trubetzkoi, dem Grafen Wolkowsky und den Generalleutnants von Melgunow und Wolkow, – kurz den Häuptern seiner Partei begleitet. Die Truppen riefen hurra und präsentierten unter Trommelwirbeln das Gewehr.

Unsere preußischen Freunde konnten sich nicht enthalten, einen neugierig verstohlenen Blick durch die Fenster zu werfen. Ihre Aufmerksamkeit war selbstredend auf des Kaisers Person konzentriert, und dieselbe war auffällig genug. Peter III. war erst vierunddreißig Jahre alt, untersetzt und gesund aussehend, aber er hielt das Haupt nachdenklich gesenkt, etwas zur Seite, sah also von unten auf. Er ritt nicht nur einen Schimmel wie der Preußenkönig, führte nicht nur ebenfalls einen Krückstock, er trug ebenfalls, der russischen Mode zuwider, einen steifen Zopf, die preußische Infanterie-Generalsuniform und dieselbe gelbe Weste wie sein großer Freund in Berlin. Sein Gefolge hatte gleichfalls preußische Uniformen angelegt, und die Kavalkade gewährte den Gefangenen einen ebenso eigentümlichen als überraschenden Anblick, als sie der grünen Front der russischen Truppen entlang heranzog. Gegen sonstige Gewohnheit ließ der Zar die Soldaten keine Evolutionen machen und begab sich des gewöhnlichen Drillens, das seine ganz besondere Passion war. Vor der Kirche Aufstellung nehmend, ließ er die Truppen, von Villebois kommandiert, den Parademarsch machen und abrücken, dann trabte er mit der Suite zur Kommandantur hinüber und saß ab.

General von Knobloch und seine Gefährten standen, echte Bilder preußischer Straffheit, steif wie Statuen an den Wänden des Saales. Die Tür flog auf, Peter III. trat ein, die Rechte auf dem Rücken, die Linke auf den Stock gestützt und betrachtete lächelnd die Offiziere. Plötzlich seine friderizianische Maske vergessend, die ihm doch etwas hinderlich zu sein schien, überließ er sich seiner angeborenen launischen Lebhaftigkeit.

»Ah, Messieurs, willkommen in Petersburg!« rief er auf deutsch.

»Es lebe Se. Kaiserliche Majestät Peter III. von Rußland!« rief Knobloch und legte die Hand mit militärischem Gruße an den Hut. Donnernd fielen seine Kameraden ein.

»Danke, ihr Herren, danke! – Du bist General von Knobloch, wie?«

»Zu befehlen, Majestät.«

»Es ist dir bei Treptow schlecht gegangen, Väterchen, wie? Der Romanzow hat Euch da schön in die Falle gelockt!«

Knobloch küßte des Zaren Hand, die ihm derselbe gereicht hatte.

»So nahe uns dies Unglück geht, so tröstet uns wenigstens doch, daß unser Los uns vergönnt hat, Eurer Kaiserlichen Majestät Antlitz zu sehen und dem erhabenen Enkel des großen Peter, seinem leuchtenden Nachfolger und Nacheiferer, die ehrfurchtsvolle Bewunderung auszudrücken, welche nicht nur wir, sondern die ganze preußische Armee für Höchstsie empfinden!«

»Also Ihre Armee hat Anerkennung und Faible für Uns? Selbst als Feind begreift sie Unser Streben?«

»Wer sollte die Gefühle und Geistesrichtung Eurer Majestät unter uns nicht würdigen und lieben?«

»Das freut Uns! – Freut Uns sehr! Es wäre nur zu natürlich, daß man auf uns Russen bei euch mit Bitterkeit blickte, und der Zorn beurteilt nie gerecht! Buturlin und Tottleben haben in Berlin sich lange nicht human genug benommen! – Ich weiß auch, ihr schlugt euch bei Treptow verteufelt gut, die Übermacht Romanzows und daß ihm 'ne Flotte zu Gebote stand, war an eurem Unglück schuld! Das ist nicht richtig, das gefällt mir nicht, es soll anders werden, Väterchen! Während dieser sechs Jahre hat Friedrich II., mein königlicher Freund, bewiesen, daß er ganz Europa gegenüber in Wahrheit der einzige zu sein wußte, ›einzig‹ als Monarch und Krieger! Es ist gar kein Kunststück, wenn einen König mit so beschränkten Mitteln, wie sie Preußen hat, die drei größten Staaten angreifen. Das ist durchaus unnobel! Ich will dieser Betise mich nicht schuldig machen, will Sr. Majestät zeigen, daß ich in Wahrheit sein Freund bin! – General, stelle mir deine Kameraden vor. Wer ist der schöne Mann hier? Nur Leutnant?«

»Leutnant von Steuben, mein Generalstabsoffizier!«

»Ah! – A la bonheur, eine vortreffliche Figur! – Seht sie an,« rief Peter seinem Gefolge zu, »das sind preußische Offiziere, die Helden von Friedrichs Schlachten! – Ich sage dir, Steuben, vor dem preußische« Generalstabe habe ich Respekt! Wir haben in Rußland höchst bedeutende Generale, hier ist Villebois, besonders der dort, der Marschall Münnich. Aber mit unserem Generalstabe können wir keinen großen Staat machen! – Welche ist die berühmteste Schlacht, die du unter deines Königs Augen mitgefochten, Steuben?«

»Bei Prag ward ich verwundet, bei Roßbach kämpfte ich in der Avantgarde.«

»Wahrhaftig? In der Avantgarde, welche so bedeutenden Anteil am Siege hatte? Ich bin erfreut, einen Mann deiner Art bei mir zu habe»! – Rede, Steuben, könntest du uns mit russischen Truppen wohl etwas von euren Evolutionen bei Roßbach sehen lassen?«

»Gewiß, Kaiserliche Majestät, ich will nach der Erinnerung die Bewegungen wiederholen!«

»Vortrefflich! Villebois wird deine Befehle erwarten, General von Knobloch soll das Gegenkorps führen. Was braucht ihr noch?«

»Jeder von uns eine Terrainkarte, einen Bleistift und ein Pferd!«

»Ihr sollt's haben. – Nun, wer sind die Herren weiter?« – Die Vorstellung der übrigen erfolgte, und die Preußenpassion Peters erreichte eine solche Höhe, daß er sich mehr, als er schon ohnehin sonst tat, vergaß.

»Meine Herren, ich bin entzückt von eurem Anblick, ich bin euer Freund! Ihr habt euch nur insofern als Gefangene zu betrachten, als ihr bis zum Frieden Petersburg nicht verlaßt. Die Zitadelle ist eure Wohnung, aber nicht euer Gefängnis. Ihr sollt alles bei uns sehen und mir sagen, ob es gut oder schlecht ist. Ich werde Befehl geben, daß ihr überall wie Freunde des Kaisers empfangen werdet! – Sternberg, wo ist das Handschreiben, das ich an meinen königlichen Bruder von Preußen noch gestern nacht gerichtet habe?«

»Hier, Majestät.« Der Adjutant reichte es ihm.

»Feder und Siegellack, Villebois!« Damit trat er an die Konferenztafel.

Der Generalfeldzeugmeister tauchte die Feder ein und reichte sie ihm. »In diesem Handbillet trage ich eurem großen Könige Waffenstillstand und Freundschaft an! In eurer Gegenwart unterzeichne ich dasselbe und von dieser meiner Peters-Burg aus sende ich ihm den Frieden! Mein Großvater hätte das auch getan!« Der Zar setzte seinen Namen unter die Schrift.

»Es lebe Se. Kaiserliche Majestät von Rußland, der großmütige Freund unseres Monarchen!« Rauschend und begeistert fielen die Stimmen der preußischen Offiziere in Knoblochs Vivat ein.

»Solange ich atme, werde ich Friedrichs II. von Preußen Bruder sein!« Damit warf der Zar die Feder hin und reichte seinem Generaladjutanten den Siegelring. Während derselbe den bekannten, höchst merkwürdigen Brief schloß, wandte sich Peter zu seiner russischen Begleitung. »Ihr werdet sofort die betreffenden Orders nach Deutschland an mein Heer senden. Jede Aktion ist eingestellt! Dir, General von Knobloch, wie deinen Kameraden schärfe ich nur noch ein, das eben Geschehene für euch zu behalten. Nichts soll an euch gefangen sein als eure Zunge! – Wer eskortierte die Herren hierher, Villebois?«

»Der Hetman Iwan Grischow!«

»Warst du und deine Kameraden mit ihm zufrieden, oder hat das Biest sich was erlaubt?«

»Wir müssen Iwan aufs höchste loben, ebenso den vortrefflichen Major Labadin von der Grenzstation, er versah uns mit Decken, Pelzen, Weinen und was er sonst nur auftreiben konnte.«

»Labadin soll Oberst werden, Sternberg, und viertausend Rubel haben. Der Iwan aber zweitausend! Grischow wird dies Billett eiligst an Se. Majestät nach Preußen bringen und Antwort holen; er sitzt sogleich auf! Bringt er uns fröhliche Nachricht, so soll er die Summe noch einmal haben. – Guten Tag, ihr Herren. Macht mir auf den Abend lustige Gesichter!« Damit grüßte der Zar nach allen Seiten und entfernte sich mit seinen Begleitern.

Einen Augenblick standen die preußischen Offiziere wie bezaubert von dem Geschehenen. Dann sanken sie einander freudig bewegt in die Arme.

»Wir haben ihn!« rief Steuben halblaut. »Er bahnt uns selbst den Weg! Heute abend seid so bestrickend, Freunde, als tanztet ihr mit euren Bräuten auf der Redoute im Opernhause zu Berlin. Nach dem Roßbachmanöver setzen wir dann die Hebel an, um unseren Plan zu realisieren!« Das Winterpalais strahlte am Abend wie ein Lichtmeer. Der Schein der Lüster und Kandelaber brach sich tausendfach in dem Diamantschimmer, der von den Stirnen, Busen und Armen wie von den Roben der Damen des russischen Hofes und Adels glänzte, die an der Seite ihrer männlichen Angehörigen erschienen waren. Die Uniform der Offiziere, die Staatsgewänder hoher Beamter und Gesandten bildeten einen eigentümlichen Gegensatz zu dem altrussischen Nationalkostüm und den farbenreichen modisches Ballgewändern. Kurz vor dem Erscheinen der kaiserliches Herrschaften trat Generalfeldzeugmeister von Villebois mit General von Knobloch und den gefangenen Preußen ein, auf die sich alsbald aller Blicke richteten. – Sie waren die Helden des Abends, und somit ist es unsere Pflicht sie jetzt etwas näher zu beleuchten. Unzweifelhaft verdiente ihre straffe, musterhafte und dabei elegante Haltung alles Lob, obschon der Preußenenthusiasmus des Zaren am Morgen etwas stark übertrieben war. Es ist gewiß, daß es unter den Gefangenen prachtvolle Gestalten gab und der eine sich durch leichte Zierlichkeit und eleganten Bau, der andere durch Größe, schönes Ebenmaß, edle Gesichtsbildung und Würde auszeichnete. Zu diesen gehörten Oberst Kaminsky, der Major von Saldern, Hauptmann de Valadie, die Leutnants de l'Enfant und Romanai. Als hervorragender, auffällig schöner Mann aber konnte indes doch nur der Leutnant von Steuben gelten, und das machte in Petersburg sein Glück und seine Gefahr aus. Sein Wuchs war von jener Höhe und Kraft, wie man ihn fast nur im deutschen Norden und selbst da nicht allzuoft antrifft. Die knappe, pralle Uniform des Generalstabs und seine getragene Haltung vermehrten noch den wohlgefälligen Eindruck, den er auf jedermann hervorbrachte. Seine hochgewölbte Stirn, die edelgebogene Nase mit den leicht geblähten Flügeln, der große dunkle Blick, kurz, alles gab ihm einen geistigen Adel, der zumal so vielen nationalrussischen Mannesfiguren gegenüber auffiel. Das einzige, was man nicht sonderlich loben konnte, war, daß seine Unterlippe ein wenig hervorragte. Indes wirkte die Totalität seines Wesens so gewinnend, daß man diese Geringfügigkeit übersah. Kurz, Leutnant von Steuben war einer jener preußischen Offiziere, die überall in den Salons die erste Rolle zu spielen wissen, und für welche die Herzen der Frauen weit empfindsamer schlagen als für irgendeinen anderen männlichen Nebenmenschen. Selbst als ganz alter Herr und unter sehr veränderten Lebensbedingungen übte Steuben auf das zartere Geschlecht noch immer jenen magnetischen Zauber aus, der am besten mit den Worten: »Vollendet liebenswürdig« bezeichnet wird.

Um den Plan der Gefangenen, welcher seinem Hirne entsprossen war, noch zu begünstigen, hatte Zar Peter III. den preußischen Gesandten, Freiherrn von der Goltz, durch Ungern-Sternberg besonders eingeladen und ihn vertraulich von dem, was in der Zitadelle geschehen war, unterrichten lassen. Von der Goltz, ein von Friedrich II. für Peters III. Individualität besonders gut berechneter Diplomat, hatte sich nicht nur bemüht, bevor er zum Balle ins Winterpalais fuhr, einen Kurier mit einem vorläufigen Bericht an den König zu senden, er beschloß auch, die sichtliche Vorliebe des Zaren für seine gefangenen Landsleute zum Vorteile Preußens zu benutzen und sich deshalb den Gefangenen zu attachieren. Er hatte bereits mit ihnen Bekanntschaft gemacht, als Paukenwirbel und Tusch des Orchesters die Nähe der kaiserlichen Herrschaften ankündigte.

Zwei gegenüberliegende Türen öffneten sich. Aus der rechten trat der Kaiser, aus der linken die Kaiserin und verneigten sich voreinander. Im Gefolge Peters erschienen die beiden Prinzen Holstein, Baron Sternberg, die Grafen Münnich, Wolkowsky, Fürst Trubetzkoi, die Generale Melgunow und Wolkow wie die Familie Woronzow, einschließlich der etwas korpulenten Mätresse des Zaren, Elisabeth, welche von der Gegenpartei deshalb auch die »dicke Gräfin« genannt wurde. Katharina hingegen folgte die Fürstin Daschkow und Gräfin Buturlin mit anderen Damen, die Grafen Rasumowsky, Panin, der Hetman Kyrilla und die Brüder Gregor und Alexander von Orlow. Von den Gesandten waren außer Goltz noch Graf Mercy, der österreichische, Baron Breteuil, der französische Botschafter, und Legationsrat Trasse, der sächsische Gesandte, anwesend. Als beide Hofparteien eintraten, deren Häupter die kaiserlichen Ehegatten selbst waren, erschienen sie jedem in die Dinge Eingeweihteren wie zwei feindliche Heerhaufen, die einander gegenüber in Schlachtordnung rücken, und wer nachmals die Folgen erlebte, welche von diesem Abend an die Anwesenheit der Preußen in Petersburg hatte, erinnerte sich dieses Festes als an den Anfang jenes Trauerspiels, das am 17. Juli so düster endete.

Noch ahnte einen solchen Ausgang kein Mensch. Wenn die Gegner sich auch beargwöhnten und haßten, wenn sie sich auch immer wieder erinnerten, was sie bisher einander angetan hatten, dennoch hätten sie in diesem Augenblick vor dem Gedanken zurückgebebt, daß gegenseitige Intrigen ihre Gefühle schließlich zu solcher Wildheit steigern würden, daß nur der Untergang des einen von ihnen und damit der Fall einer ganzen Partei diesen Streit beenden könne. – Peter III. ergriff seiner Gemahlin Hand und tat, das beiderseitige Gefolge hinter sich, mit ihr im Saale einen Umgang, um die Gäste zu begrüßen.

Natürlich war die Aufmerksamkeit der Preußen allen denjenigen besonders zugewendet, welche ihnen leise von Villebois und dem preußischen Gesandten als Gegner ihres Landes und als unter Elisabeth besonders politisch mächtig bezeichnet wurden. Drei Frauen vornehmlich fesselten ihre Blicke. Die schönste derselben war Gräfin Buturlin. Fast rotblond, hatte sie einen vollendet weißen Teint und von feinstem Rot angehauchte Wangen, dabei dunkle, mandelförmige Augen, deren innere Winkel ein wenig nach unten gestellt waren und ihnen etwas Orientalisches verliehen. Das himmelblaue Atlaskleid, schwer gestickt, in einem sehr breiten Saum von karmesinrotem Samt endigend, hob noch mehr die Weiße ihres Nackens und ihrer Arme. Die bedeutsamste aller Frauen, wenn sie auch nicht die Kaiserin gewesen wäre, war Katharina. Worin dies lag, ließ sich schwer sagen. Sie war braunblond, hatte große, graue, ruhige Augen, und ihre Gesichtsfarbe sowohl wie Arme, Nacken und Busen schienen etwas auffällig rot. Es war, als ob ihre Haut so dünn sei, daß das Blut durch sie hindurchleuchtete. Katharina war sehr voll, aber nichts weniger als unproportioniert und in die Masse gehend wie ihre begünstigtere Nebenbuhlerin, die Woronzow, die sich dessen rühmen konnte. Die Physiognomie der Kaiserin erschien weniger ansprechend wie lebhaft und charaktervoll. Zwischen einer gewissen männlichen Markigkeit und weiblicher Weiche schwankend, verrieten ihre Züge sehr viel Geist, und wenn ihr kleiner, höchst lieblicher Mund sprach, schien ihr Auge zu phosphoreszieren und durch seine lebhafte Sprache den Worten besonderen Nachdruck und erhöhtere Bedeutung zu geben. Sie trug ein russischgrünes Samtkleid, das, vorn offen, eine blaßrote Brokatrobe sehen ließ; das grüne Überkleid hatte um Ausschnitt und Saum des Rockes eines breiten Besatz von Hermelin. Ihr schönes, sehr üppiges Haar war in breite Zöpfe geflochten, die, turbanartig um die Stirn gewunden, von einer Diamantagraffe an der Seite festgehalten wurde, aus der ein Büschel weißer Reiherfedern quoll und ihr Haupt umspielte. Als besonders ihr eigen, trug sie um den Hals anstatt der Kolliers eine kleine, anschließende Fraise von Silberzindel, die ihr lebhaftes Kolorit ungemein hob.

Ging sie wie die Buturlin mehr nationalrussisch, so hatte Elisabeth von Woronzow, obwohl sie entschieden slawische Gesichtsbildung besaß, sich halb germanisch, halb russisch gekleidet, die dunkelblonde Fürstin Daschkow aber, aus deren eigentümlich brünettem Gesicht Esprit und List leuchteten, erschien hingegen selbständig à la Pompadour in rosa und paille Seide. Hatten diese vier Frauen, welche gewissermaßen die politischen Systeme des Hofes in sich symbolisierten, die gespannte Aufmerksamkeit der Preußen erregt, so waren letztere diesen Damen nicht minder Objekte argwöhnischer Neugier. Kaum war die Kaiserin eingetreten, als auch ihr Auge auf die Gefangenen fiel und sie die Lippen kniff. Aufflackernd lief ihr Blick dann die Reihen der Preußen entlang und blieb dann erstaunt, groß und glühend auf Steuben haften. Wie kam es – ob er nun diesen Blick erwiderte und zwischen der Zarin und ihm sich sofort eine sonderbare Sympathie herstellte, zu welcher sicherlich beide vorher keine Neigung empfunden hatten –, das wußte Steuben nicht. In diesem Augenblicke raunte seine Eitelkeit ihm aber zu: »Du kannst ihr gefallen!« Diesem inneren Argumente setzte sein Patriotismus aber sofort den sophistischen Rat hinzu: »So mußt du sie gewinnen, womit es auch immer sei.« Daß dieser Weg gut war, ist unzweifelhaft, daß er besonders moralisch war, etwas weniger. Hätte der junge Stratege die Wirkungen desselben vorauszusehen vermocht, wäre er weltweiser, anstatt ein enragierter Preuße gewesen, er hätte sicher das Spiel vorsichtig aufgegeben, das er verwegenen Sinnes nun begann. In ihm lag der Anfang einer tragischen Schuld unseres Helden, welche sein ganzes ferneres, wechselvolles Los bestimmen sollte. Er war, von Eitelkeit, Vaterlandsliebe und Ehrgeiz gedrängt, keck genug, mit dem Heiligsten zu spielen, was es hinieden außer der Religion gibt, er spielte mit der Frauenliebe! Frauenliebe sollte darum auch die Nemesis werden, die, solange sie lebte, an ihm sich rächte!

Der Hof hatte die Runde gemacht und näherte sich den letzten Gästen, den Preußen. Zu Peters üblen Eigenschaften gehörte unter anderem auch, nichts für sich zu behalten, wenn es noch so nötig und wichtig war, sobald er seinen Gegnern, zu denen er vornehmlich Katharina rechnete, einen Hieb versetzen konnte. Unklugheit aus Caprice war sein Hauptfehler.

»Ah, messieurs, da seid ihr ja! Majestät, unsere Gefangenen! Das sind Preußen! Was sagst du zu ihnen, Kathinka?«

»Majestät,« erwiderte sie, Peter groß ansehend, »fragst du mich als russische Kaiserin – oder als Frau?«

»Haha, als beides! Kannst du denn die Kaiserin zu Hause lassen, solange du meine Frau bist?«

»Solange ich es bin, nein! Als Kaiserin sage ich also, daß mir die Anwesenheit dieser Preußen nicht gefällt und ich sie lieber in Sibirien sehen würde. Als Frau erkläre ich aber mit demselben Rechte, daß, wenn diese Herren so klug und gut sind, als sie unbezweifelt schöne Männer sind, mir ihre Bekanntschaft willkommen sein wird!«

»So macht bei dir die Frau gut, was die Kaiserin schlecht gemacht hat! Du wirst bei näherem Umgange mit diesen Herren sehr bald deine kaiserliche Ungnädigkeit verlieren. Hier ist General von Knobloch, der dort sein Generalstabschef Leutnant von Steuben. Beide Herren haben versprochen, mit unseren Truppen uns nächster Tage die Schlacht von Roßbach darzustellen.«

»Sie haben dir das versprochen? Du kennst die Herren schon?! Dann hast du sie wohl vorher gesehen?«

»Gesehen und gesprochen, natürlich! Heute morgen bei Inspizierung der Zitadelle.«

Generaladjutant von Ungern-Sternberg wurde blaß und warf auf Villebois einen verzweifelten Blick. Diesem stieg das Blut in die Stirn, und er sah namenlos verlegen aus.

»Gestern abend, spät noch, allergnädigste Frau,« sagte er entschuldigend, »gaben Se. Majestät die Order zur Inspizierung.«

Katharina warf auf Peter einen furchtbaren Blick, einen jener Blicke, in dem sich jahrelanger Haß aussprach. Sie wandte sich zu dem Gefolge um. »Ach,« sagte sie gedehnt, mit dem scharfen Klang ihrer sonoren Stimme, »wir werden also in Petersburg eine Roßbach-Schlacht erleben! Freut ihr euch nicht, Russen? Laßt uns nur gleich die preußischen Herren da um Frieden bitten. – Weißt du, welchen Witz du jetzt machst?«

»O ja, Kathinka, und – er wird sehr gut sein!«

»Das glaube ich! Also lasse ihn uns nur offen aussprechen. Bei Treptow machte der russische Kaiser preußische Gefangene, in die er so verliebt ist, daß er sie zu einer preußischen Invasion in Petersburg verwendet. Weshalb, Russen, sollen wir der Majestät erhabenem Beispiele nicht folgen und auch in sie verliebt sein? Möge es uns nur wohl bekommen! – General von Knobloch, ich befehle dich zum ersten Tanz, Daschkow, nimm den Steuben. Wir wollen das kaiserliche Beispiel ehrerbietigst nachahmen!« Mit einem Lächeln reichte sie dem preußischen General die Hand und hob befehlend die andere empor zu den Trompetern. Der Tanz erklang. Stolz schritt sie an dem Zaren vorüber und eröffnete den Hofball.

Peter III. stand verdutzt. Es dämmerte leise in ihm auf, daß er gegen sich selbst eine Indiskretion begangen habe.

»Was sagte sie denn von preußischer Invasion, Sternberg?«

»Die kaiserliche Frau deutet« an,« erwiderte derselbe niedergeschlagen, »daß sie ahne, was im Werke sei! Wenn Sie sich selbst lieben, allergnädigster Herr, so bitte ich, geben Sie niemals Befehle, solche Dinge zu verschweigen, die Sie selbst auszuplaudern geruhen!«

»Ganz egal, ich tue doch, was ich will!« Damit engagierte er seine teure dicke Elisabeth, die Romanowka-Woronzow.

»Er bleibt doch immer derselbe, Sternberg!« flüsterte Villebois. »Er wird sich und uns den Hals brechen. Wir wollen uns doch etwas vorsehen, Lieber!«

Der erste Tanz war beendet, der zweite folgte. Katharina befahl jetzt Steuben zu ihrem Tänzer. Als sie seine Hand ergriff, drückte sie dieselbe und gab ihm einen Blick, der eine zwar stumme, aber überaus starke Ermunterung war. Steuben, verwegen wie der Teufel, erwiderte beides.

Dieser Augenblick war verhängnisvoll. Mochte Steuben nun für die Kaiserin etwas empfinden oder nicht, sicher regierte ihn nicht das tiefe heiße Liebesgefühl, was den Mann zum Weibe zieht und über sein ganzes ferneres Leben bestimmt. Eitelkeit war's einerseits und keckes Selbstvertrauen, das ihn auf ein so gewagtes Verhältnis aus dem Grunde eingehen ließ, weil ihm von allen Seiten die Gunst des Schicksals lächelte, die lockende Gelegenheit so unverhohlen nahegelegt wurde. Steubens Seele erfüllte nur ein Gefühl, glühender Enthusiasmus für sein blutendes, vom Kriege verwüstetes Vaterland, heißeste Liebe zu seinem Heldenkönige, der noch mit letzter, sinkender Kraft sich gegen das gesamte bewaffnete Europa wehrte. Gelang es, Katharinas Liebe zu gewinnen, sie mit erheuchelter Gegenliebe zu täuschen, dann mußte sicher der Plan glücken, zu dem er mit den Freunden sich verbunden hatte.

In der aufflammenden Neigung dieser Frau, welche seines Monarchen bitterste Gegnerin war, sah er nur die seinem Angriffe bloßgelegte Flanke des Feindes und in seiner eigenen Handlungsweise eine Kriegslist, deren Erfolg seinem Vaterlande und Monarchen allein zugute kam. Je mehr er nur den Empfindsamen spielte, desto interessanter wurde er Katharina, desto sicherer war er seines Erfolges; wenn er aber seine gewinnenden Eigenschaften aufraffte, um einen solchen verderblichen Einfall ins Herz einer Frau zu machen, die in Liebe wie Haß einer Tigerin nicht unähnlich, zugleich aber das erste Herrschergenie unter allen Fürstinnen ihrer Zeit war, so mußte er sich doch mit kaltem Blute sagen, daß in der Stunde, wo Katharina entdeckte, sie sei betrogen, die Vernichtung in furchtbarster Gestalt vor ihn treten, sein Gewissen ihm dann aber sagen müsse, er habe sein Los verdient!

Die Kaiserin dirigierte den Tanz dergestalt, daß sie die erste Tour endigte, sobald sie die dem Kaiser fernste Seite des Saales erreicht hatte, wo Fürstin Daschkow mit General von Knobloch und Buturlin bei Oberst Kaminsky stand. Sie befand sich mit ihrem Tänzer also unter Vertrauten.

»Ich sehe und fühle, Steuben, daß du gegen mich nicht falsch sein kannst«, sprach sie, und so ernst auch ihre Worte klangen, lächelte sie doch mit einer Unbefangenheit, als gälte es die heiterste Unterhaltung von der Welt. »Ist dein Blick, ist der Druck deiner Hand wahr und willst du mir – mehr als ein Freund sein, rede aufrichtig!«

»Seien Sie versichert, erhabene Frau, daß ich es bin.«

»Woher sprichst du das Russische so gut?«

»Konnte ich die Sprache denn vergesse», Majestät, die mein Ohr zuerst im Leben vernahm? Im Jahre 33, als mein Vater auf den Befehl König Friedrich Wilhelms in die russische Armee eintrat, war ich drei Jahre all. Ja Ostpreußen, der Krim, in Petersburg, wo mein Vater unter russischer Fahne diente, verlebte ich meine Jugend.«

»Wie kam dein Vater in unseren Dienst?«

»Er erzählte mir später, die selige Kaiserin Anna habe damals des Königs Majestät von Preußen um einige Ingenieure ersucht. Unter den Erwählten befand sich mein Vater.«

»Er ist nun tot?«

»Nein, Majestät, er ist noch Platzmajor zu Landsberg an der Warthe!«

»Aha, als euer König Schlesien wegnahm, litt es ihn hier nicht mehr. Schade, jetzt wäre er bei uns General und ein guter Russe dazu. – Sei aufrichtig, war heute der Zar nur in der Zitadelle, die Truppen zu sehen und euch zu besuchen, oder tat er – noch etwas anderes in eurer Gegenwart, oder tat es doch so, daß du davon Kenntnis hast?«

»Er tat noch etwas anderes, von dem ich Kenntnis habe!«

»So, so?« sie lachte heiter auf, wie über einen Witz. »Sage mir in zwei Worten, was es ist.«

»Hohe Frau, weil ich geradeso fühle wie Eure kaiserliche Majestät, darum kann ich es nicht. Ich würde dann ein Schurke sein, solch ein Elender aber würde nie den strahlenden Gnadenblick Eurer Majestät verdienen! Höchstsie würden ja dann ebenso berechtigt sein, meine Treue gegen Sie selbst für verdächtig zu halten, wie sie es gegen andere gewesen wäre... Kaiserliche Frau, wenn ich das Geschehene verriete, würde es zugleich nutzlos sein, denn niemand kann es mehr widerrufen! Wie es von uns nicht zu hindern war, daß es beschlossen wurde, ehe der Kaiser uns sah, ebenso kann keine Gewalt es mehr ungeschehen machen. Dazu sind wir Gefangene, unser Los liegt in unseres Siegers Hand!«

»Du magst recht haben, ich kann mir leicht denken, daß dem so ist! Ich danke dir aber für die Art, wie du mir geantwortet hast, denn du zeigtest mir wenigstens deinen guten Willen. – Du wirst das Manöver wirklich gegen Knobloch kommandieren?«

»Zu Befehl, Majestät!«

»Wenn ich finden sollte, daß du als Stratege so gut manövrierst wie als galanter Mann gegen Frauen, dann will ich aus dem Leutnant Steuben etwas Besseres machen. Nach dem militärischen Schauspiele wirst du dich bei mir melden, und ich werde dir meine Meinung sagen.«

Bevor sie ihn nach dem letzten Tanze entließ, empfand und erwiderte er denselben brennenden Blick und denselben Druck der Hand nochmals. Er war seines Triumphes jetzt so ziemlich sicher, und die mit den Genossen verabredete Intrige erhielt für ihn fortan eine viel konkretere Wirklichkeit.

Das Erscheinen der Preußen, die ganz auffallende Bevorzugung Steubens durch die Kaiserin, deren erotische Leidenschaftlichkeit man bei Hofe genugsam kannte, hatte aber ebenso ihre Wirkungen auf die Anwesenden, wie das anfänglich von ihr mit ihm gepflogene Gespräch auf den weiteren Gang der Begebenheiten. Erstlich war das politische Programm der bisherigen Hofparteien kläglich durchlöchert worden und hatte einem Chaos der Meinungen Platz gemacht. Leidenschaften waren entfacht worden, die bisher in solcher Stärke doch nicht bestanden hatten, endlich aber sanken die bisherigen Hauptpersonen und Leiter der Hofintrigen zu Nebenfiguren oder vielmehr zu Objekten eines Planes herab, der von Personen ausging, die in ihrer Lage nach hier nur zu einer sehr untergeordneten, nur geduldeten Rolle hätten verurteilt bleiben sollen. Peter III. war in seiner Preußenliebe schreckhaft blind, er sah nicht, was andere argwöhnische Blicke entdeckten. Die von ihrem Gatten, trotzdem sie ihm den Zarewitsch Paul und Großfürstin Anna geboren hatte, offen vernachlässigte und doch so heißblütige Katharina hatte den schönen Poniatowsky bis fast an die Grenze der Selbstvernichtung geliebt. Alexander Orlow, der, wie man flüsterte, zur Zeit alles bei ihr gelten sollte, war, das zeigte sich jetzt klar, nur – eine Liaison aus Langeweile gewesen. Nicht aber Steuben allein war gegen Katharina siegreich, sondern auch seine Genossen, dem Beispiele ihres Stabsoffiziers folgend, hatten den Wunsch Peters III. und Villebois' Rat, recht liebenswürdig zu sein, bei den übrigen Damen des Hauses mit einer solchen Verve in Szene gesetzt, daß die Schönen an reiner Preußenschwärmerei krankten und ihre russischen Galane erstaunt sich völlig in den Schatten gestellt sahen. Die antirussisch gesinnten Vertrauten Peters sahen mit geheimer Lust, daß Preußens hauptsächlichste Gegnerinnen, die Zarin mit ihren Damen, fortan ganz anderen Gefühlen unterlagen, also Aussicht vorhanden war, die ihnen entgegenstehende stockrussische Politik über Bord geworfen zu sehen. Die altrussische Partei aber, welche in Katharina ihr Haupt verehrt hatte, erkannte voll Schreck, wie preußische Offiziere mit ebenso schnellem als auffälligem Glücke die Gunst und Stellung erlangten, welche sie bisher ausschließlich besessen hatten. Was Ungern-Sternberg, Trubetzkoi und Villebois mit Hoffnung erfüllte, versetzte Leute wie Rasumowsky, Panin, namentlich die Orlows aber in die äußerste Wut und Furcht, welche um so größer war, als sie jetzt ihre völlige Ohnmacht erkannten. Die Tatsachen, welche sich vollzogen hatten, nahm allein Michael Woronzow, der Vizekanzler, mit schlauer Kaltblütigkeit hin und machte danach seine Berechnungen. Es wunderte ihn daher auch gar nicht, als die Kaiserin kurz vor Schluß des Balles ihm befahl, sie in ihren Privatgemächern zu erwarten.

»Michael,« sagte sie daselbst scharf, »es passierte heute in der Zitadelle etwas Besonderes! Bei deinem Leben, weißt du darum?«

»Ich war heute früh gar nicht in der Zitadelle anwesend. Geschah etwas, so geschah es hinter meinem Rücken, und ich weiß davon sowenig wie Eure Majestät.«

»Vielleicht geschah es gestern schon, und deine dicke Nichte, die Gräfin, wird darum wissen. Sie sollte bedenken, daß, wenn ich ihr auch verzeihe, daß sie sich an Peter verkauft hat, ich doch einst Mittel finden könnte, sie zu züchtigen, wenn sie an einer Konspiration gegen Rußland teilnimmt oder sie verheimlicht! Ihr Woronzows steht bald auf dem rechten, bald auf dem linken Beine, nehmt euch nur in acht, daß ihr nicht einst beide Beine verliert und den Kopf dazu!«

»Majestät, ich werde mit Elisabeth reden, und weiß sie etwas, dann werde ich es erfahren. Ich fürchte, daß, da etwas geschah, was Eurer Majestät zuwider scheint, die Sache allein zwischen Seiner Majestät, Sternberg und Villebois geblieben ist. Der Zar liebt zwar Elisabeth, aber ist in der Politik gegen sie nichts weniger als mitteilsam. Er traut den Woronzows nicht!«

»Möglich. Selbst diesem stöckischen Hohlkopf ist die Dicke für Staatsaffären denn doch zu dumm! Frage sie aber nur, und was sie nicht weiß, soll sie zu erfahren versuchen. Das könnte ihr sehr zustatten kommen, wenn ich einmal Witwe werde! Leicht möglich ist das schon, denn der Zar leidet an zunehmender Geistesschwäche!«

»Ich werde sie hierüber belehren!«

»Gute Nacht, Woronzow. – Mir ist schon so – preußisch zumute, als wäre ich in Sanssouci statt in Petersburg. Wir sind die Gefangenen unserer Gefangenen geworden und sind doch ganz vergnügt darüber!«


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