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Gefangene Rußlands

Eine Reise im offenen Schlitten, bei etwa zwölf und mehr Grad Kälte von der Rega bis zur Newa zurückgelegt, gehört gewiß nicht zu den Annehmlichkeiten. Wird sie aber in Begleitung von Kosaken und mit der gewissen Aussicht unternommen, von Petersburg alsbald in die sibirischen Einöden weitertransportiert zu werden, so möchten selbst die stärksten Nerven und trotzigsten Mannesherzen einer solchen Aussicht erliegen. Der Beginn von Knoblochs und seiner Gefährten Reise erfolgte mithin unter allgemeiner, trostlosester Niedergeschlagenheit! Sie erklärten sich sämtlich für langsam Sterbende, deren Todespein noch erschwert werde durch die nur zu gewisse Brutalität einer ebenso verhaßten wie grausamen Siegerin.

Was die Härte der Reise aber von vornherein milderte, war Iwan Grischows, des Hetmans, Benehmen, und daß General Knobloch ihn geschickt zugunsten aller Leidensgefährten ausbeutete. Grischow war nicht bloß von sehr viel besserem, wenn auch ebenso rohem Gemüte wie Romanzow, er war auch einer jener listigen Naturen, die, gegen ihre Gebieter kriechend und gehorsam, dennoch auf eigene Hand Politik treiben, den veränderten Umständen sofort sich zu bequemen wissen und innerhalb ihrer Pflichterfüllung so ungehorsam zu sein verstehen, daß sie einen Befehl in einer Weise ausführen, der gerade die entgegengesetzte Wirkung hat als die, welche derselbe beabsichtigte. General von Knobloch wie Steuben hatten sein Herz durch das vortreffliche Russisch völlig erobert, in dem sie ihn anredeten und mit ihm verkehrten. Der General war ferner reich und hatte sich für den Marsch nach Pommern mit bedeutenden Geldmitteln, namentlich offenen Wechselbriefen, versehen, und so herb es für ihn war, in seinem Alter von Weib und Kind mutmaßlich für immer zu scheiden, war es ihm doch eine große Beruhigung, seine Familie in guten Glücksumstände zu wissen, was in damaligen Zeitläuften beim preußischen Militäradel als ein sehr seltener Fall galt. Die Freundlichkeit des Hetmans, mit der er den General wie dessen Genossen behandelte und ihnen jede mögliche Erleichterung und Bequemlichkeit gewahrte, vergalt Knobloch mit klingenden Belohnungen. Ein oder zwei Kosaken waren stets bereit, seine Wünsche betreffs erwärmender Getränke, Speisen, Nachtlager und dergleichen zu erfüllen, so daß die kleine Karawane stets einen Proviantschlitten von Genüssen mit sich führte, welche ihnen ihr Los doch etwas weniger grau erscheinen ließ. Da die preußischen Offiziere klug genug waren, von ihren Vorräten einen Teil den Kosaken selbst abzutreten, um diese bei gutem Humor zu erhalten, so wurde für die rohen Kinder der Steppe diese Eskorte zum reinen Vergnügen, und sie sprachen laut aus, daß sie ihre gutes, armen Väterchen gerne so bis nach Sibirien und in alle Ewigkeit begleiten möchten.

Natürlich war dieser fromme Wunsch nicht gerade nach dem Geschmack aller Beteiligten. Jedenfalls hatten die freundlichen Beziehungen, welche Knobloch und die Seinen mittels Tabak, Wodka und etlichen Pfunden Speck zwischen sich und ihren Wächtern hergestellt hatten, eine treuherzige Intimität der Kosaken zur Folge, welche erst ihre höheren Zinsen in dem Augenblick trug, als sie russischen Boden betraten.

Dies Ereignis fand am 1. Januar deutschen Stils statt und war überaus merkwürdig. Eine Meile vor der Grenze ritt der Hetman dicht an des Generals Schlitten.

»Väterchen,« sagte er zu ihm, »bald wird es besser mit uns. Wir haben etwa nur sechs Werst bis zum Grenzpfahl, jenseits aber sind wir die Herren und können euch mehr Liebe beweisen als bisher. Vergiß nicht,« er blinzelte listig, »ihr seid geheiligte Leute, denn ihr seid der Kaiserlichen Majestät Gefangene! Freilich kann sie euch nach Sibirien in die Bleigruben schicken, euch auch totprügeln lassen oder als Gemeine in irgendein Regiment in Moskau, Twer oder Tobolsk stecken, aber nur Sie allein kann es. Jeder Russe verliert Hand oder Hals, der euch oder was euer ist, anpackt! Seid deshalb stolz, grob, ruhig; fürchtet euch nicht. Du, Väterchen General, aber sprich ja kein Russisch mit den Beamten oder den anderen, wenn ich es dir nicht rate, denn die große Zarin hat Aufpasser überall, und dem armes Iwan möchte es schlecht bekommen, wenn sie erführe, er sei euer Freund!«

»Verlaß dich darauf, Freund Hetman, daß ich schweige. Was sollte uns auch geschehen, wenn du uns bewachst?«

»Gut denn, Väterchen. Ich werde jetzt zwei Leute vorausschicken, die uns anmelden.«

Er instruierte die beiden Verläßlichsten seiner Truppe, und die Kosaken ritten ab. Etwa eine Stunde später tauchten die grüngestreiften Pfähle mit den kaiserlichen Adlern und die Gebäude der Grenzstation am flachen Horizont auf. Bald hielten sie vor denselben. Russische Infanterie mit geladenem Gewehr, Offiziere und Beamte empfingen sie. Hetman Grischow saß ab, erstattete, so schien es, einem feisten Major Bericht und übergab ihm die Liste der Gefangenen.

Gedankenvoll hatte dieser Mann Iwans Bericht angehört und den Kopf nachdenklich geschüttelt. Gedankenvoll hatte er die Liste durchgelesen, und noch viel gedankenvoller, noch viel sonderbarer den Kopf geschüttelt, als ihm der Hetman Romanzows Brief an die Kaiserin vorzeigte. Es schien, daß er etwas mißbilligte oder bedauerte, ob nun den Brief, ob das Eintreffen der Gesellschaft, war unklar. Darauf gab er dem Hetman einen Wink und verschwand, die Liste in der Hand, mit ihm im Innern des kaiserlichen Amtshauses. – Während beide längere Zeit daselbst beschäftigt schienen, war es verzeihlich, daß sich die Aufmerksamkeit der Ankömmlinge der Umgebung zuwendete, Leuten, deren Sitten, Tracht und Art dem Lande angehörten, das ihnen fortan eine unfreiwillige und wahrscheinlich sehr harte Heimat werden sollte. – Das Militär stand steif und regungslos wie Mauern, lebhafte Neugier aber spiegelte sich sowohl auf den Gesichtern der Beamten wie in den Mienen der russischen Bauern des nahen Dorfes, die vielleicht das erstemal in ihrem Leben preußische Offiziere sahen. Noch hatten letztere ihre Studien und die melancholischen oder sarkastischen Bemerkungen, welche diese Umgebung ihnen aufnötigte, nicht beendet, als der russische Major mit dem Hetman und verschiedenen Beamten wie männlichen und weiblichen Dienstboten heraustrat.

Den Gefangenen ward eine unerklärliche Überraschung zuteil. Erstlich zeigte das breite, stutznasige Gesicht des Hetmans Iwan Grischow namenlose Bestürzung, und er nahm gegen die Gefangenen eine so blöde und ängstliche Unterwürfigkeit an, wie man sie bei ihm bisher nicht bemerkt hatte. Der Major aber, die Mütze ziehend, trat tiefgebückt zu dem Schlitten des Generals und richtete in gebrochenem Deutsch an ihn folgende Anrede:

»Exzellenz, mögen Sie die Gnade haben, zu gestatten, daß Ihr Diener, Major Labadin, Sie und Ihre Herren Begleiter ehrfurchtsvoll in Rußland willkommen heißt. Er hofft, Sie mögen gesund in Petersburg eintreffen und hochgeehrt vor die geheiligte Kaiserliche Majestät treten. Damit dies geschehe, bitte ich mir dir Ehre aus, Pelze und Decken wie Erfrischungen anzubieten, und Sie wollen gestatten, daß Ihr Diener für Ihr Wohlbefinden und glückliche Ankunft sorgt. Der Herr General und seine Offiziere sollen in der Residenz wenigstens sagen können, daß nichts von mir versäumt worden ist, was Devotion gegen Sie und Bewunderung gegen Se. Königl. Majestät von Preußen irgend nur erwarten kann!« Damit winkte er, und Beamte und Dienerschaft beeilten sich in übereifriger Höflichkeit, die Gefangenen mit Pelzdecken, Wildschuren und Fußsäcken zu versehen. Dann offerierte man ihnen ein ziemlich großes Fäßchen Rum, einen Samowar mit Teebechern, etliche Pfunde Tee und Zucker und eine ziemliche Quantität russischer Pfeifen und Tabak. Eine kleine dicke Dame, die Majorin augenscheinlich, ließ es sich nicht nehmen, ihnen noch Wein, Schinken und andere kalte Speisen aufzunötigen.

General von Knobloch war in großer Verlegenheit, wie er dies aufnehmen und inwiefern er sich erkenntlich zeigen sollte. Von Bezahlung oder Dank wollte aber Major Labadin nichts wissen. Er wendete sich kurz um, zog den Degen und ließ die Soldaten vor den Gefangenen präsentieren, der Hetman aber, um jede Erörterung abzuschneiden, kommandierte »marsch«, und die Schlitten flogen wieder davon, durchs Dorf hin ins weite, russische Reich hinein.

Die Gefangenen konnten sich von ihrem Erstaunen über die Zuvorkommenheit der Rußen und Iwans nunmehriges Gebaren gar nicht erholen. Es mußte etwas vorgegangen sein, was eine günstigere Wendung ihres Geschicks zur Folge hatte, sonst, dessen hielten sie sich überzeugt, wäre die Veränderung im Gehaben ihrer Wächter unmöglich gewesen. Knobloch rief, nachdem er mit Steuben und Koch den sonderbaren Fall vergebens erörtert hatte, den Hetman zu sich heran.

»Sage nur, Iwan, was dieser Willkommen, diese Geschenke des Majors Labadin bedeuten? Werden denn Gefangene immer so bei euch auf der Grenze behandelt?«

»Nein, großer, sehr gnädigster Herr General, man behandelt sie schlechter wie Hunde! Mit dir aber und deinen Herren Kameraden ist's etwas ganz anderes. Iß, trink und laß dir's wohlgehen. Ehe wir die Nachtherberge erreicht haben, darf dein armer Knecht nicht mit dir reden, dann aber sollst du hören, was dein Herz erfreuen wird.«

Damit ritt er hastig an die Spitze des Zuges, als fürchte er, weiter ausgefragt zu werden. – Als der Abend herabgesunken war, fuhren sie in ein Dorf ein, dessen elende Schenke sie aufnahm, nachdem der Hetman und etliche Kosaken ohne weitere Redensarten die zechenden Bauern mit dem Kantschu hinauskarbatscht hatten. Die Gefangenen wurden in das Haus geführt, den geringeren Offizieren die große Schenkstube, dem General, Steuben, l'Enfant und Romanai wie den drei Obersten aber das anstoßende Familiengemach des Wirtes eingeräumt. Bald knisterte ein helles Kienfeuer in dem großen Ofen, der Samowar dampfte, die geschenkten Vorräte wurden serviert und mit den Pelzen die Nachtlager hergestellt. Iwan Grischow war überall, und seine Sorgfalt schien sich heute zu verzehnfachen.

Als diese Vorbereitungen beendet waren und Knobloch sich mit den Offizieren um die brodelnde Tee- oder besser gesagt Grogmaschine niederließ, sagte der General:

»Hetman Iwan, du hast so freundlich für uns gesorgt und bist so artig seither gewesen, daß du verdienst, unser Gast zu sein. Setze dich her und lange zu, der Ritt wie der Frost werden dir Appetit gemacht haben.«

»Ich würde sehr töricht handeln, Herr, wenn ich deine Gnade annehmen wollte. Dein Knecht darf nicht mit dir zu Tische sitzen.«

»Plaudern aber mit uns und etwas von diesen guten Dingen annehmen, das darfst du doch? Zweifelsohne war es dein Einfluß bei Major Labadin, der uns solche Bevorzugung einbrachte?«

»Nein, gnädiger Herr General, das nicht. Ein so geringer Mann wie ich hätte das nicht vermocht. Wer Labadin kennt, weiß, daß er den Reisenden eher abnimmt, was er kann, denn der Himmel ist hoch, und der Zar ist weit, als daß er jemals einem schon etwas geschenkt hätte! Du und deine Herren Offiziere wären von ihm grob genug angefahren, geplagt und verspottet worden, wenn nicht – etwas sehr Großes geschehen wäre!«

»Etwas – sehr Großes, Iwan?! Doch ich vergaß, daß du uns ja was mitzuteilen hast. Freund, was ist geschehen?«

»Die Zarin Elisabeth ist am 25. Dezember gestorben! Zarewitsch Peter hat den Thron bestiegen!«

»Unerforschliche Vorsehung! Ist das wahr, Iwan?! Weißt du das ganz bestimmt?«

»Major Labadin hat es mir zugeschworen. Es muß wahr sein, sonst hätte der Major euch so große Geschenke nicht gegeben, vor euch gewiß nicht präsentieren lassen. Er sagte mir: wolle ich nicht den Hals verlieren, so solle ich euch ja höflich behandeln, und brächte ich's zuwege, daß du, großer General, des Majors Artigkeit vor dem Kaiser lobtest, so sollte ich auch sogar von ihm ein ganzes Fäßchen Wodka haben.« Damit warf sich Grischow auf die Knie und küßte des Generals Hand. »Habe Erbarmen mit mir und sage, daß ich immer gut zu euch war.«

Knobloch war im Augenblick starr. Dann rötete sich sein Gesicht von tiefinnerster Bewegung. Er knöpfte die Uniform auf, zog seine goldene Uhr mit der Kette und den Petschaften aus der Weste und reichte sie dem Kosakenhetman. »Nimm sie, mein Freund, zum Andenken an diese glückselige Stunde und als Zeichen, daß ich deine freundliche Behandlung wie deine Achtungsbezeigungen gegen uns überall loben werde und vor dem Kaiser zuerst!«

Der Hetman ergriff das schöne Geschenk mit lüsternen Blicken, küßte es und umfing, trotz allem Sträuben, des Generals Knie und Fuße. »Befiehl, was du willst, gnädiger Herr, Iwan tut alles!«

Die vorgefallene Szene war zu eigentümlich gewesen, als daß des Generals Gesellschaft nicht höchst gespannt auf das Resultat des Gesprächs hätte sein müssen, welches zwischen Knobloch und dem Hetman russisch geführt und außer ihnen nur von Steuben noch verstanden worden war. Aus den glücklich lächelnden Mienen ihres Chefs, und daß er mit seiner Uhr dem Grischow ein Geschenk gemacht hatte, entnahmen die übrigen, es müsse ein Ereignis auf ihr Geschick unmittelbar und höchst glücklich eingewirkt haben.

»Es scheint, wir sind, seitdem der russische Grenzpfahl hinter uns liegt, ins Land der Wunder gekommen!« rief Steuben, als sie allein waren.

»Das sind wir, meine Freunde. Doch nicht für uns allein wollen wir das Glück behalten, alle Kameraden sollen sich desselben freuen. Damit aber auch in der Freude Maß gehalten werde, damit wir das günstige Geschick beim Schopfe fassen und gemeinsam handeln, muß Vorsicht walten, denn noch sind wir Gefangene!« Damit erhob er sich, öffnete die Tür und lud die Majore von Saldern, von Schellborn, von Meyer und von Wurmb und den Kapitän de Valadie zu einer Besprechung ein.

Die Eingeladenen erschienen sogleich, und die Tür wurde verschlossen.

»Wissen Sie, meine Kameraden, welchem Umstände wir des Hetmans erhöhte Servilität und Major Labadins Freigebigkeit zu danken haben? Seit dem 25. Dezember ist Elisabeth II., die bitterste Feindin unseres Monarchen, tot, und Friedrichs Bewunderer, Zarewitsch Peter, ist Kaiser!«

Ein staunendes Ah, darauf ein freudiges Jauchzen war die Antwort.

»Unsere Befreiung, wenn wir in Petersburg eintreffen, wird die Folge sein!« rief Koch.

»Nein, das wäre nicht genug, meine Herren«, sagte Steuben lächelnd. »Wenn wir von Peters Zuneigung zu König Friedrich und seiner Vorliebe für preußisches Militär nicht mehr erlangten, so würden wir in Berlin sehr schlechten Dank verdienen, würden Sr. Majestät das Unglück von Treptow nicht vergessen machen, unsere Namen wären doch stets an die unselige Kapitulation geknüpft.«

»Was können wir sonst in unserer Lage tun«, rief Kaminsky.

»Als Gefangene Rußlands kommen wir nach Petersburg. Wir dürfen es aber nicht verlassen, ohne daß Preußen dort gesiegt hat und wir viel wertvollere Gefangene gemacht haben, als unsere Wenigkeit den Russen sein kann.«

»Sie sprechen wahrhaftig in Rätseln, Steuben!« sagte Witzleben.

»Wen wollen Sie dort gefangennehmen?« lachte Major von Wurmb.

»Wen? Den Kaiser, die Kaiserin, den ganzen russischen Hof!! Gefangennehmen mit Leib und Seele für das preußische Interesse! Wir müssen sie bestricken und zu Friedrichs Freunden sie machen, daß Rußland vom Bündnis mit Österreich und Frankreich alsbald zurücktritt, womöglich gar mit Preußen sich verbindet!«

»Donnerwetter!« rief General von Knobloch. »Das ist ein veritabler Gedanke, Steuben! Wenn es gelänge, Kameraden, würde sich unser großer König vor seinem Gewissen schämen müssen, treuen Offizieren länger zu zürnen, weil sie einmal im Leben unverschuldetes Malheur hatten.«

»Wie? Aber wie?« riefen drei oder vier.

»Ich hab's!« und Kapitän de Valadie lachte listig. »Meine Herren, ohne uns zu überheben oder unserer momentanen Lage uneingedenk zu sein, glaube ich doch, behaupten zu dürfen, wenn preußische Offiziere liebenswürdig sein, wenn sie verführen wollen, dann sind sie bezaubernde Kerle, und es gleicht ihnen kein Soldat der Welt! Vermochten wir die Russen in Pommern auch nicht zu schlagen, weil sie in der Übermacht waren, so lassen Sie sie uns in Petersburg durch die Übermacht unserer Bildung, unseres Witzes, unserer List und der anmutigen Künste des Salons besiegen! Hierin in brillantem Beispiele voranzugehen, ist aber niemand geeigneter als der, welcher diesen diplomatischen Feldzug ersonnen hat, unser Generalstabschef von Steuben selber!«

»Bravo, Bravo!« Gelächter und Händeklatschen erscholl ringsum.

»Steuben soll auch in dieser Beziehung unser Stabschef sein.«

»Wenn Sie der Meinung sind, hochverehrter Herr General, und wenn Sie, meine Herren Obersten und Majore, Sr. Exzellenz gute Meinung von mir teilen, so muß ich bei aller Selbstschätzung und Eitelkeit des Fleisches doch sagen, daß ich mich für den Bestrickendsten unter uns eben nicht halte, vielmehr Herr Oberst von Kaminsky, unser chevaleresker Reiter, Herr Hauptmann de Valadie und noch viele andere unter uns mich bei weitem übertreffen dürften. Aber da ich die Idee faßte, will ich den Plan auch entwerfen und Ihnen vorlegen. Dann wollen wir die Rollen oder vielmehr die Kommandos unter uns verteilen und die Art der Operation feststellen. Ich schlage vor, daß wir dies würdige Geschäft mit einem Glase vom Steifsten und einer Pfeife Russischem einleiten.«

»Einverstanden, einverstanden!«

»Baladie ist der Jüngste unter uns, er und l'Enfant mögen das Anfeuchtungsdepartement, Romanai dagegen soll das narkotische dirigieren. Nun aber schießen Sie los, Steuben, denn wir müssen mit unserer Handlungsweise im reinen sein, ehe wir die Kuppel der Newskikirche und die Sworzowaja Nabereschnaja sehen.«

»Gewiß müssen wir das, Exzellenz! Sie wissen, daß ein Feldzugsplan, noch dazu in einem fremden, uns noch feindlich gesinnten Lande unmöglich wird, wenn man keine gute Karte hat, also das Terrain nicht kennt. Zuerst müssen wir das diplomatische Terrain also kennenlernen, die Parteien des Hofes, die Einflußreichen und die, welche unsere Gegner sind. Wir lachen jetzt zwar noch lustig darüber, meine Herren. Die Hoffnung, anstatt Sibirien wieder die Heimat zu sehen, läßt uns die Sache mit zu vergnügten Blicken ansehen. In der Nähe dürfte sie aber doch ein verteufelt ernstes Gesicht machen.«

»Nur zu wahr, lieber Steuben«, fiel Knobloch ein. »Sowenig Einblick einem von uns auch in die augenblicklichen dortigen Verhältnisse gegönnt ist, das wissen wir doch, daß am Kaiserhofe eine deutsche oder besser preußische Partei herrscht, deren Führer Zar Peter selbst ist, daß es aber eine noch größere russische Partei gibt, die Preußen haßt, und ihr Haupt ist Peters Gemahlin, die Zarin Katharina.«

»Ganz gewiß«, setzte Steuben fort. »Wir müssen von den Verhältnissen und Personen die allergenaueste Kunde haben, bevor wir den Kaiser sehen und unsere Hebel ansetzen. Diese Kunde zu gewinnen, vermag nur unser geehrter General und allenfalls ich, denn wir sind allein des Russischen mächtig.«

»Ich unterziehe mich dem gern, und da ich als General der Hauptgefangene bin, so ziemt es sich, daß ich auch das Hauptrisiko in dieser Sache übernehme.«

»Vorausgesetzt nun, wir wissen alles, was zu unserem Zwecke tauglich ist,« warf Oberst Koch ein, »dann ist, wie bei jedem Kriegszuge, der Kostenpunkt nicht außer acht zu lassen, meine Herren. Wir müssen stramm und vortrefflich aussehen, um Eindruck zu machen, müssen unsere Toilette verbessern, Geld in den Taschen haben, um mit Sicherheit aufzutreten. Ich bezweifle, daß wir dazu jetzt imstande sind. Unser Auftreten unter den reichen Bojaren und an einem Hofe voll asiatischen Pomps wird etwas schwächlich ausfallen.«

»Dafür weiß ich Rat!« fiel der General ein. »Es handelt sich hier um eine sehr ernst Sache, um die Rehabilitierung unseres gutes Rufes etwa nicht bloß, sondern um einen Sr. Majestät von Preußen zu leistenden hochwichtigen Dienst. Tritt Rußland von dem Kriege zurück, dann sind Österreich wie Frankreich viel zu geschwächt, ihn lange noch auszuhalten. Tritt Rußland dagegen auf Preußens Seite, dann ist der Friede gewonnen! Angesichts einer solchen Aufgabe muß geopfert werden, was jeder hat. Zum Glück ist mein Portefeuille wohlversehen, etliche Monate können wir mit demselben also schon respektabel auskommen. Betrachten Sie mich also in Petersburg als Ihren Schatzmeister und bedenken Sie, daß jeder Friedrichsdor, jeder Rubel in Ihren Händen ein Kämpfer der List, eine Waffe der Anmut werden muß.«

»Wir sind Ihnen tief dankbar, Exzellenz,« sagte Oberst Kaminsky, »es soll an uns gewiß nicht liegen, wenn wir alle unsere Reize nicht keck entfalten.«

»Ich möchte hierbei nur bemerken,« sagte Steuben, »daß wir mit dem äußeren Brillieren dennoch vorsichtig sein müssen! Reich zu sein, von Diamanten zu blitzen, ist in Petersburg eine ziemlich gewöhnliche Sache. Zu rechter Zeit des rechten Luxus anwenden, dafür stimme ich gewiß. Lassen Sie uns aber als das auftreten, was wir sind, als Gefangene, die ihr Los von des Kaisers Gnade erwarten. Wir wissen wohl, daß der Zarewitsch Peter Preußen liebte und eine andere Politik als Elisabeth begünstigte, ob er das aber als Kaiser noch tun wird, wissen wir nicht. Die Menschen sind wandelbar in ihren Meinungen! Ich bitte Sie darum ernstlich, unser eigentliches Vorhaben für uns zu behalten, es von uns hier versammelten Zwölfen als ein gemeinsames, sehr ernstes Geheimnis zu betrachten. Unsere Leutnants und Herren Kapitäne im anderen Zimmer dürfen nichts wissen, als daß wir uns in Petersburg so interessant wie möglich machen wollen. Was wir anderen weiter erstreben, das lassen Sie uns Zwölfe auf unsere alleinige Gefahr und Verantwortung tun. Vergessen Sie nicht, ein einziges Glas Wein, das in Petersburg eines unserer liebenswürdigen Brauseköpfe zum renommistischen Plauderer macht, dürfte uns allerdings Sibirien weit gewisser machen, als unserem Herrn und König Peters Freundschaft!«

»Vivat dem Zar Peter III. von Rußland! Er lebe hoch!« erscholl es donnernd, und die Gläser klangen.

»Haha,« lachte Knobloch und rieb sich bis Hände, »sie fangen schon die Courtoisie an. Laßt uns ihnen folgen und dabei wünschen, daß die preußische« Gefangenen in Petersburg recht viel russische Gefangene machen mögen! Se. Kaiserliche Majestät Zar Peter III. soll leben!«

»Vivat! Vivat!« –


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