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Der Adjutant

Nicht mehr der gewaltige Zarensitz an der Newa ist's, des wir grüßen, doch ein andrer Ort, so erhaben wie lieblich und eines Königs würdig – Sanssouci! Der Mai steckt jauchzend seine Blüten auf Busch und Baum, die Lerchen schlagen, und mit der Sonne lächelt die ganze Natur, trägt sie doch das Auferstehungskleid des Frühlings. Die Fontänen springen alle, denn heute ist der königliche Ruhesitz, namentlich Potsdam, belebt wie seit Jahren nicht wieder: König Friedrich ist mit Kanzler von Herzberg plötzlich aus dem Feldlager eingetroffen, und General von Tschernitscheff wie der neue russische Gesandte, Graf Wolkowsky, befinden sich eben mit dem Monarchen in geheimer Audienz. Auf der Höhe der Rampe von Sanssouci, von der herab man über die Terrassen zur großen Fontäne schaut, stehen höhere Offiziere der Garnison, im Audienzsaale selbst befinden sich, außer dem königlichen Generaladjutanten von Krusemark und Graf von Anhalt, der General von Knobloch mit seinen Gefährten.

Gestern abend bereits über Pommern angelangt, sind sie heute morgen schon zur Audienz beordert worden.

Unsere Ankömmlinge sind sehr ernst, ja niedergeschlagen, und die wenigen kühlen Worte des Empfangs seitens der Generaladjutanten haben ihre Zweifel auch nicht gehoben. Eine Stunde harren sie bereits regungslos, diese tiefe Stille aber hat etwas Beklemmendes.

Knobloch und seine Gefährten dachten jetzt sicher nicht an die Mühe, die sie aufgewendet hatten, ihrem Monarchen in Petersburg nützlich zu sein, sondern an den entwürdigenden 25. November, an welchem sie die Waffen gestreckt und Treptow übergeben hatten.

Eine Glocke vom Kabinett der Majestät her erklingt, die Generaladjutanten erscheinen. Nach einigen Augenblicken öffnet sich die Tür und Tschernitscheff mit Graf Wolkowsky treten heraus, von Krusemark begleitet.

»Da sind ja unsere Petersburger Gäste schon?« lächelte der russische Botschafter. »Auf Wiedersehen hier und in Petersburg dann!« Damit flüchtig grüßend, folgte er den beiden anderen; die Russen schienen es sehr eilig zu haben.

Die Tür des königlichen Arbeitskabinetts öffnete sich bald darauf wieder, und der Mann erschien, den sie sooft in Schlachtenwettern als Kriegsgott an sich vorüberbrausen gesehen, Friedrich II. Graf Anhalt folgte ihm. Noch stand der fünfzigjährige Held ungebeugt in königlicher Kraft. Langsam trat er vor die Offiziere hin, jeden einzelnen durchdringend anblickend. Er schritt ihre Reihe entlang und wieder zurück.

»Knobloch, Er hat mit der Brigade zu Treptow die Waffen gestreckt, und weil Er die Stadt nicht hielt, ist Kolberg gefallen! Hat Er dafür 'ne Entschuldigung?«

»Wenn Ew. Majestät nach eingesehenem Kriegsberichte meine Handlungsweise nicht entschuldigen, so bin ich schuldig!«

»Ah was, Wir sollen Ihn wohl noch selbst vor Uns verteidigen? – Ein preußischer Offizier streckt nie die Waffen, er fiele denn dabei, ruhmvoller Tod allein kann ihn pardonieren! – Ein Jahr auf die Festung schicken werde ich euch, einen wie den andern! Verstanden, Messieurs? – Das heißt,« der König zog gemächlich die Dose und nahm eine Prise, »versteht sich, nach dem Kriege; jetzt ist zu langem Arrest nicht Zeit. – Im übrigen, Knobloch, hat Er, habt ihr euch alle in Petersburg ein Verdienst um Uns und Preußen erworben, das nicht nur die Blamage in Pommern ausgleicht, sondern Uns Ihm und seinem Offizierkorps gewogen macht! Wir sind durch Goltz von allem unterrichtet. Wir wissen, was ihr riskiert, und daß ihr bei eurer Prozedur nicht auf euer Wohl und Wehe gesehen habt, sondern auf die Lage eures Königs!« Er nahm aus einem Kästchen, das ihm Graf Anhalt reichte, den Orden Pour le mérite. »Hier, Knobloch, hat Er den Beweis, wie ich – trotz Treptow – von Ihm denke! Er hat uns mit seinen Herren Kameraden Frieden und Waffengemeinschaft mit Rußland zuwege gebracht, und das will sehr viel sagen! Er kommandiert fortan 'ne Division, übermorgen geht er mit Uns zur Armee ab.«

»Majestät!« rief Knobloch erschüttert aus, doch der König fiel ihm in die Rede.

»Schon gut! – Leutnant von Steuben!«

Steuben trat vor, nicht weniger bewegt als alle übrigen.

»Der also war's!« – Friedrich lächelte. »Nun, es ist ihm schon anzusehen, haha, qu'il fait fortune auprès des dames! – Aus seinem Hirn also stammt eigentlich die magnifique Idee und bei der weiblichen am schwerstes traitablen Partei il avait jeu gagné? Wir haben aber noch einen Steuben in der Armee?«

»Meinen Vater, Majestät, den Major Wilhelm Augustin von Steuben, Ingenieur vom Platze zu Landsberg an der Warthe.«

»Richtig! Den meine ich indes nicht. Ich meine einen Steuben, der auch nicht viel älter als Er sein kann, ich sah ihn bei der Armee in Sachsen?«

»Halten zu Gnaden, Majestät, das war ich selbst. Ich stand als Generaladjutant des Herrn Generals von Hülsen dort!«

»Ach ja, das Korps Hülsen focht unter Prinz Heinrich. Daher kenne ich ihn also, Er fiel mir schon Anno 59 auf. – Wo trat Er ein und wann?«

»Anno 47 ins Regiment Lestwitz als Fahnenjunker, ich war siebzehn Jahre.«

»Fünfzehn Jahre im Felde gedient? Das ist brav! Verwundet ist Er nicht?«

»Zweimal. Bei Prag und – und –«

»Was sitzt Ihm denn in der Kehle?«

»Kunersdorf!« stieß Steuben gepreßt heraus. »Da packte es mich zum zweiten Male.«

Des Königs Auge umflorte sich, dann blitzte es hell auf, er reichte Steuben die Hand, welche dieser küßte. »Wen es am Tage von Kunersdorf packte und doch – ganz gelassen hat, mon ami, den hat Gott der Herr sichtlich in seine Hand genommen! – Er schlug Roßbach auch mit?«

»Bei den 31ern, Majestät!«

»Aha, in der Avantgarde! – Hat Er sonst etwas dienstlich von sich zu sagen?«

»Daß ich Anfang des Jahres 58 unter Vorbehalt des Avancements in das Freibataillon des Generals von Meyr als dessen Generaladjutant eintrat.«

»Ha, der Meyr! Ein tüchtiger General! Bei dem wird er strategische Kenntnisse erlangt und das Tirailleurgefecht genug praktiziert haben?«

»Ein wenig, Majestät.«

»Sie sprechen doch Französisch?« fuhr jetzt Friedrich in seiner Lieblingssprache fort.

»So gut man es während der Kampagne vermag«, erwiderte Steuben ebenso.

»Das muß Er nun nachholen, die Gelegenheit soll Ihm werden«, erwiderte Friedrich deutsch. »Vermögen hat er nicht?«

»Nein, Majestät!«

Der König blickte sinnend vor sich hin, dann lächelte er. »Wir ernennen Ihn hiermit zum Stabshauptmann und Unserem Flügeladjutanten, auch verleihen Wir Ihm ein Kanonikat beim Domkapitel zu Havelberg, das bringt Ihm zeitlebens etliche hundert Taler Zubuße zum Gehalt. Ihr anderen sollt ebenfalls Beförderungen und Auszeichnungen erhalten, damit die Armee sehe, daß Wir für außergewöhnliche Leistungen auch dankbar sind! Meldet euch morgen sämtlich zur Parade! – Krusemark und Anhalt,« setzte er französisch hinzu, »nehmen Sie sich des Hauptmanns von Steuben an, adjustieren Sie ihn und führen Sie ihn in den Dienst ein!« Damit ging Friedrich II. grüßend die Reihe der begeisterten Ankömmlinge entlang und trat durch die äußeren Portale auf die Rampe, wo ihn die übrigen Militärs empfingen.

Gewiß war der Dienst, den Knobloch, Steuben und Genossen dem Könige geleistet hatten, von weittragenden Folgen, denn inzwischen war der Allianzvertrag mit Rußland zustande gekommen, und an demselben Morgen, da unsere gefangenen Freunde in Sanssouci erschienen waren, hatte General Tschernitscheff seine Truppen Friedrich II. auf Befehl des Kaisers zur Verfügung gestellt.

Es war ein stolzes und zugleich gefährliches Glück, welches Friedrich von Steuben erblühte, und – er war demselben nicht gewachsen! – Sein während der Reise nach Petersburg gefaßter, von den Kameraden aufgenommener Plan war angesichts der Thronbesteigung Peters wie ein lustiges Impromptu aus keckem Soldatenhirn entsprungen und um so waghalsiger durchgeführt worden, je sichtlicher sich Steuben in Petersburg den Weg zum Herzen Katharinas von selbst geebnet hatte. Trotzdem war die Spannung, in der ihn die Intrige während dreier Monate erhalten hatte, das Bewußtsein, durch Unvorsichtigkeit nicht bloß sich und sämtliche Schicksalsgenossen, sondern in noch höherem Grade seines Königs Wohl zu gefährden, wie das Gefühl, für die Waffenlegung zu Treptow noch verantwortlich zu sein, so aufregend für ihn gewesen, daß er, fast täglich von dem Kaiser und der Kaiserin beansprucht und stets auf sich selbst wie alle anderen aufmerksam, bisher nicht an sich und seine Zukunft zu denken vermocht hatte. Sein Verhältnis zu Katharina war auch immer ernster geworden. Hatte es seine Manneseitelkeit auch geweckt, so hatte es doch zugleich ein anfänglich unempfindliches Herz, sein Gewissen, kurz alle seine edleren Gefühle in Wallung und innersten Konflikt gebracht. Als die Seelenorkane sich legten, nachdem er Kronstadt im Rücken hatte, war er nicht weniger stark als seine Kameraden um den Empfang besorgt gewesen, der ihn daheim erwartete. Kurz, diese Kette verschiedenartigster Aufregungen und Erschütterungen, welche Tag um Tag einander gedrängt hatten, waren einem zwar wachen, aber tollen, abenteuerlichen Traume ähnlich gewesen, aus welchem Steuben erst in der Maisonne Sanssoucis erwachte und sich – zu eigenem Erstaunen – als seines großen Monarchen Flügeladjutant wiederfand. Jetzt – in der größeren Ruhe des ersten Tages, in der majestätischen Stille des preußischen Königssitzes ging alles Erlebte, Empfundene, Gewollte und Vollbrachte im Geiste an ihm nochmals vorüber, und er vermochte es nach seinem wahren Gehalt zu schätzen.

Es wäre ein Wunder gewesen, wenn ein Mann von zweiunddreißig Jahren, der sich aller seiner Vorzüge bewußt war, vor welchem des Lebens schönster Teil in allem seinem Reize lag, nicht eitel und hochmütig geworden wäre, wenn Steuben nicht wenigstens in einer unglückseligen Stunde den bisher so festgehaltenen sittlichen Grundsatz hätte vergessen sollen, daß der Dienst des Staates über der Eigenliebe des Individuums stehe, der Grundsatz, durch den er in Rußland gesiegt hatte. Es wäre eine zu seltene Tugend gewesen, wenn Steuben das ruhige Urteil nicht über sich verloren, nicht vergessen hätte, daß er die ungeahnte Stellung in der Nähe des Monarchen hauptsächlich doch dem Glücke verdankte, das ihn in Rußland über alle gefahrvollen Klippen getragen hatte. Noch brach sich Eitelkeit und Hochmut in ihm nicht Bahn. Stets unter den Augen des von ihm mit Begeisterung geliebten Monarchen, in seiner neuen Lage und noch im Kriege, bewahrte er sich die Gemessenheit und Klarheit der Seele und drängte die verderbliche Seite seines Ichs ohne besondere Anstrengung zurück. Aber Eitelkeit und Hochmut steckten doch bereits in ihm, Zeit und Gelegenheit aber mußten beide zur Blüte bringen.

Die Stellungen um einen Monarchen sind in ihrem eigentlichen Werte sehr voneinander verschieden. Seit alters ist bei den Königen Preußens zwar äußerlich unter ihren Adjutanten wenig Unterschied zu spüren gewesen, dennoch aber war die Kluft zwischen einem Generaladjutanten und einem Flügeladjutanten bedeutend genug. Ersterer war stets mehr der Vertraute, der altbewährte Freund des Monarchen, letzterer immer nur ein Offizier im Dienste. Der mechanischere, ausübende Teil desselben um die Majestät fällt daher den Flügeladjutanten zu, während die Generaladjutanten wesentlich zu des Monarchen Beratern und Umgange gehören. Dies galt besonders bei Friedrich II., dessen Hofstaat wesentlich militärischer Natur war und dessen Generaladjutanten Genossen seiner persönlichen Schicksale, seiner ernstesten Stunden in den Wechselfällen des Krieges geworden waren.

An dem Tage nach Steubens Eintritt in den Hofstaat begab sich Friedrich II. nach Schloß Schönhausen, wo Königin Elisabeth Christine Hof hielt. Dorthin waren sämtliche in Berlin anwesende Glieder der königlichen Familie und alle Personen geladen worden, die zum Hof gehörten oder in besonderer Gunst standen, da es dem Monarchen nur an diesem Tage möglich war, vor der Abreise allgemeinen Empfang zu halten. Steuben wußte so gut wie jedermann, daß die Ehe des Königs keine auf Liebe begründete war, er wußte aber auch ebenso gewiß, daß Friedrich II. niemals die Pflicht des Respektes noch die große Hochachtung verleugnete, welche er vor seiner Gemahlin empfand.

Bei paradiesischem Wetter fuhren am Morgen nach Erledigung der laufenden Geschäfte Friedrich II. mit seinem Adjutanten nach Berlin, um auf dem Schloßplatze die Parade abzunehmen. Nachdem der König bei Herzberg ein leichtes Frühstück genommen hatte, eilte man durch den nördlichen Teil Berlins Schönhausen zu. Der Jubel des Volkes, das in den Straßen zusammenströmte, um den König zu sehen, der Reiz der Neuheit seiner Lage und der helle Frühlingsschimmer, in den sich alles kleidete, übten auf Friedrich von Steuben eine ebenso ungewohnte wie berauschende Wirkung aus. Er begann jetzt erst seine Erhebung zu fühlen. Als Friedrich II. vor Schloß Schönhausen vorfuhr, erwartete ihn die Königin, begleitet von den Prinzessinnen Amalie und Wilhelmine, ihren Damen und einer großen Anzahl Berliner Adeliger. Der König zog sogleich den Hut, verließ den Wagen und eilte auf seine Gemahlin zu, welche sich tief verneigte. Er ergriff ihre Hand.

»Gott erhalte Ihre Majestät!« sagte er wärmer als sonst. »Lassen Sie uns hoffen, daß, wenn wir Sie – was vielleicht bald sein wird – wiedersehen, wir Ihnen den Frieden verkünden können.« Er küßte sie auf die Stirn.

Die Königin war außerordentlich bewegt.

»Dies glückselige Wort, Majestät, soll mir der Vorbote freudiger Gewißheit sein. Hat man wirklich Aussicht, den Krieg beendet zu sehen?«

»Bessere als jemals, ma chère, doch wir wollen nicht zu früh jubilieren. Ma soeur, wie befinden Sie sich? Noch leidend?« Er umarmte Prinzessin Amalie.

»Wenn ich Sie sehe, Majestät, ist mir immer wohl, der Friede wird mich also sicher ganz gesund machen.«

»Dann wollen wir ihn sobald wie möglich schließen. – Ich freue mich, Sie zu sehen, Prinzessin«, wandte er sich zu Wilhelmine, der Gemahlin seines Bruders Heinrich. »Sie sind blühender denn je, das Zölibat scheint Ihnen nicht schlecht zu bekommen. Ah, lieber Hülsen, Er auch? Das ist schön, daß Er herauskam. Grüße Er mir die Berliner und sage Er dem Magistrat, man möge in Geduld nur noch eine Weile aushalten, es würde bald besser werden! – Da sind ja auch Pöllnitz, Maupertuis und Des Champs, lauter alle Freunde. Ach, daß Uns eure Nähe bisher so selten gegönnt war; der Friede muß Uns eben allen helfen!« Er wandte sich zur Seite. »Steuben!«

»Zu Befehl, Majestät!« –

Steuben, den Hut in der Hand, trat vor.

»Majestät, wir stellen Ihnen unseren neuen Adjutanten, Kapitän Friedrich von Steuben, vor, der uns in Petersburg vortreffliche Dienste geleistet hat. Mache Er sich mit den Herrschaften bekannt, Steuben!« Damit reichte der König seiner Gemahlin den Arm und führte sie ins Schloß.

»Endlich komme ich doch dazu,« sagte der Gouverneur von Berlin, General von Hülsen, zu Steuben, »meinem ehemaligen Adjutanten mehr zu gönnen als einen kurzen Paradeblick. Ich gratuliere Ihnen und mache mir das Vergnügen, Sie den verschiedenen Herren und Damen vorzustellen.«

Die Einzelvorstellung erfolgte im unteren Empfangssaal, der an den Park stieß. Die Königin und die Prinzessinnen unterhielten sich mit Steuben sehr liebenswürdig und fragten mit einem Interesse, das nicht frei von Neugier war, nach den Petersburger Verhältnissen. Steuben kam hierbei mitunter arg in die Klemme, aus der ihn nur seine in Rußland gut geschulte Gewandtheit erlöste. Er sah nur zu wohl, daß alle seinen Einfluß auf Kaiserin Katharina kannten und er in den Augen der hohen Damen dadurch außerordentlich an pikantem Interesse gewann. Nachdem er ihren Fragen endlich entkommen war und der Generalin von Hülsen, Frau von Krusemark und anderen Damen vorgestellt worden, trat Generaladjutant Graf Anhalt zu ihm und legte die Hand auf seinen Arm.

»So werde ich Ihnen wohl auch meine Frau und Schwester vorstellen müssen!«

»Ich bitte um die Ehre, Herr Graf.« –

Anhalt führte ihn in eine Ecke des Saales. »Liebe Amalie, beste Sophie – der Herr Kapitän von Steuben, mein neuer Kamerad! Ich empfehle ihn eurer Freundlichkeit. – Gräfin Amalie, meine liebe Frau, und Komtesse Sophie, meine sanfte Schwester; ich überlasse sie Ihrer ritterlichen Artigkeit.« Damit nickte Anhalt lächelnd und wandte sich zu der übrigen Gesellschaft.

Friedrich von Steuben stand wie gelähmt. Alles Blut schoß ihm zu Herzen und dann ins Hirn zurück. Über ihn kam allmächtig das Gefühl einer ersten tiefen, heißesten Liebe. Komtesse Sophie von Anhalt, welche der Graf seine »sanfte« Schwester genannt hatte, war eine nicht nur blendende Erscheinung, sondern ein Wesen von unbezwinglicher Liebenswürdigkeit. Hochgewachsen, schlank, hatte sie in ihrer Haltung etwas fürstlich Imponierendes. In der ersten Hälfte der Zwanzig stehend, war sie eine vollerblühte Jungfrau, deren weißer Nacken, Hals und Busen wie die wundervoll geformten Arme das Entzücken Pesnes und Buissons waren, welchen sie mehrmals zu deren allegorischen Gemälden gesessen hatte. Dies aber hätte Steuben noch nicht gefesselt. Er hatte in Petersburg gewiß sinnlich fesselndere Frauen gesehen. Sophie von Anhalts Zauber bestand in der Geistigkeit und dennoch mädchenhaften Naivität ihrer Züge, in jener rührenden Unschuld und Idealität, die nur dem deutschen Weibe eigen ist. Ihr dunkles Auge blickte so sinnig in die Welt hinein, so liebevoll, und die reizenden Lippen, die Wangengrübchen milderten schalkhaft die Vornehmheit ihrer Bewegungen.

»Aber mein Gott, Herr Adjutant,« lächelte die Gräfin, »hat Sie Berlin denn stumm gemacht, nachdem Sie, wie die Fabel geht, so überaus beredsam bei den Damen in Petersburg zu sein verstanden?« – Sophie schlug errötend die Augen nieder.

Steuben faßte sich. Er kehrte rasch in die Wirklichkeit zurück. »Verzeihen Sie die Unart, allergnädigste Frau. Wenn ich in Petersburg beredsam war, so war ich es gegen Feindinnen meines Landes. Bin ich vielleicht hier stummer als höflich ist, so geschieht es, weil ich der Macht deutscher Frauen erliege, die mir, der ich als Knabe schon im Kriege allein gelebt habe, noch neu ist!«

»Wie galant, Herr von Steuben. Ich fürchte dann, Sie wollen durch die umgekehrte Methode bei uns Eroberungen machen, und das wird uns vielleicht noch gefährlicher als den Petersburgerinnen.«

»Wer selbst erobert ist, Frau Gräfin, dem wird es schwer, den Eroberer zu machen!«

»Nein, nein,« lachte die Gräfin, »schlagen Sie nicht den Schäferton des Amaranth an, mit uns deutschen Frauen können Sie schon hübsch einfach und im Tone guter Freunde sprechen. Die Herzlichkeit und Hochachtung hat immer ein einfaches Gepräge.«

»Ich hoffe, Gnädige, Sie wollen mich nicht so beschämen, daß Sie meine Taktlosigkeit gegen mich als Waffe kehren, welche nur meine Verwirrung entschuldigen kann!«

»Gut denn, nur werden Sie uns verzeihen, daß diese Verwirrung gerade an Ihnen zu entdecken uns etwas wundert. Doch es kommt Bewegung in die Gesellschaft, und da taucht auch mein Herr Gemahl auf.«

Der Graf wand sich durch den Knäuel der Anwesenden zu ihnen heran und bot der Gattin den Arm. »Die Majestäten gehen in den Garten, es scheint auf eine Überraschung abgesehen. Bei Hoffesten und Soireen, lieber Steuben, ist es Sitte, daß jeder Herr eine Dame hat. Wollen Sie sich nicht engagieren?«

»Ist mir verstattet, mich Ihnen anzuschließen, Herr Graf, und der Komtesse den Arm zu bieten?«

»Mit Vergnügen!« Anhalt verbeugte sich und schritt mit der Gräfin voraus, Steuben bot Sophie den Arm, und der lange Zug der Anwesenden betrat den Park, um einen Rundgang durch die sonnigen Pfade zu tun, von prangendem Grün und Blüten umgeben, von Vogelgesang erfüllt. – –

»Mein Benehmen muß Ihnen höchst sonderbar vorgekommen sein, gnädigste Komtesse, ich kann es aber, ehrlich gesagt, durch nichts rechtfertigen als mit einer Art von Befangenheit, die mir wirklich neu ist.«

»Oh, lassen Sie doch,« versetzte Sophie errötend, »ich bin Ihnen ja nicht böse. – Aber wirklich,« sie lächelte heiter, »ich möchte wohl wissen, was die Damen von Petersburg für eine Abart unseres Geschlechts sein müssen, daß Sie bei ihnen keine Schüchternheit befiel, ja, daß es Ihnen im Gegenteil gelang, durch die Macht der Frauen für Preußen zu erlangen, was von uns nie gehofft werden konnte?«

»Sie haben recht, Gnädige, daß die russischen Damen – mit Ihnen verglichen – eine Abart genannt werden müssen. Vergessen Sie nicht, wir waren in Petersburg Gefangene, die Gelegenheit aber zu verführerisch, unserem Monarchen einen Dienst zu tun. Derselbe erforderte einige soldatische Keckheit und kaltblütigen Verstand. In solch einer Verfassung und bewegt von einem berechnenden Plane ist man weniger zugänglich, Frauen auf sich wirken zu lassen, als fähig auf sie einzuwirken. Man ist eben nicht mehr unbefangen.«

»Ich kann das begreifen, aber ich begreife nur die hohen Damen dort nicht, Damen wie Katharina, die Daschkow und Buturlin, daß dieselben sich so einnehmen ließen?«

»Weil Sie, gnädiges Fräulein, eben eine völlig andere Art von Frau sind. – Die Kaiserin wie ihre Damen lieben eben kecke Männer, die etwas riskieren. Die Sitte da ist – derber, freier, die Art des Umgangs vertraulicher. Sie werden zugeben, daß das Du mit welchem beide russische Majestäten jedermann anzureden pflegen, sie allen Leuten näher rückt. Dies vertrauliche Vorrecht, was sich die russischen Herrschaften gegen uns nahmen, verwischte im Umgang die Kluft, welche sonst Souveräne von ihren Umgebungen trennt, und fordern den so kordial Behandelten auf, in anderer Art, sei es auch nur durch heitere Galanterien seinerseits, eine Brücke zu den Herzen zu schlagen, die man zu gewinnen die Absicht hat.«

»Die Kaiserin, sagt man, soll schön und sehr klug sein!« »Sie hat etwas, das nicht nur einem Mann unwillkürlich sympathisch ist, sondern ihm zugleich eine Blöße zeigt, die er, wenn er, wie in unserem Falle, absichtlich und intrigant handelt, nicht unbenützt lassen wird.«

»Wie meinen Sie das?«

»Die Kaiserin ist heißblütig, leidenschaftlich, von lebhaftestem Gefühl, zugleich klug. Wäre sie als Frau glücklich, so würde das nichts auf sich haben, aber sie ist von dem Zaren vernachlässigt – ja entwürdigt. Sie muß einer Frau weichen, die in allem ihr nachsteht. Diese Lage hat bei ihrem Seelenzustande aber zur Folge, daß sie geneigt ist, sich der Bewunderung fremder Männer mehr zu überlassen, als es für eine Fürstin ratsam sein dürfte.«

»Das heißt, Herr von Steuben, es fehlt ihr im Schmerz jede Würde!«

»Sie haben recht, die Würde, welche der beste Schutz jeder edlen Frau ist! Ihr Geist macht Katharina fähig, ganz Rußland zu beherrschen, ihre Leidenschaft aber unfähig, sich selbst zu regieren!«

»Dann wird die Beklagenswerte an sich selbst zugrunde gehen!«

»Wohl möglich, wenn sie nicht andere durch ihre Leidenschaft vernichtet!«

»Herr von Steuben!«

»Mein gnädiges Fräulein, die Kaiserin ist ein dämonischer Charakter! Sie liebt und haßt dämonisch! Wie weit eine solche Natur, begabt mit einer ehernen Seele, zu gehen vermag – wer will das wissen?«

»Dann ist Ihr Einfluß, Herr von Steuben, bei Katharina rätselhaft.«

»Weniger als Ihnen scheint, Komtesse. Ihre kaiserliche Laune verfiel einmal darauf, Steuben mit nicht preußenfeindlichen Augen anzusehen. Ihre politischen Absichten, ihren Geist, ihre Empfindungen vermochte ich zu begreifen, während sie in Petersburg sonst niemand begriff. Sie sah in mir zugleich aber auch einen Mann, der ihr als Soldat einst nützlich werden konnte, wenn sie ihn für Rußland dauernd gewann.«

»Hat Katharina Sie denn gewonnen?« rief halblaut Sophie.

»Sie kann mich niemals gewinnen. Ja,« und Steuben sprach leise, »wenn sie, setzen Sie den Fall, mich selbst gewonnen, wenn ich mich wirklich schon entschlossen gehabt hätte, wie Katharina wünschte, nach dem Frieden russische Dienste zu nehmen, von diesem Augenblick an würde sie mir so fern und fremd stehen, als hätte ich sie nie gekannt!« –

Sophies Wangen, Nacken und Busen überflog ein glühendes Rot, sie senkte den Blick und wandte ihr Haupt ab.

»Mißbilligen Sie diesen Entschluß, Komtesse?«

»Nein!« –

»Darf ich das Bewußtsein mit in den Krieg nehmen, daß Sie – es gern sehen, bliebe ich in meines Königs Dienst?« –

Noch einmal errötete Sophie, aber sie kehrte langsam ihr schönes Antlitz ihm zu und sah ihn mit halb verschämtem Lächeln an.

»Das dürfen Sie«, sagte sie leise und innig.

»Dann will ich als Preuße sterben!« –

Wie wenn das Schicksal ihn beim Wort nehmen, die kurze, erste selige Liebeslust im Mollklange des Scheidens ersticken wolle, gab sich plötzlich eine Bewegung kund.

»Wo ist Herr von Steuben? Der Adjutant von Steuben?«

»Verzeihung, Majestät befiehlt mich!«

Er verbeugte sich und eilte durch die Gruppen der Herren und Damen, die sich nach ihm gewendet hatten, zu König Friedrich, welcher in einem Kreise von Generalen stand.

»Da ist er!« sagte Hülsen.

»Steuben, Er muß sogleich nach Berlin und dann nach Potsdam. Ich habe Ihn zum Chef meines Quartiermeisterstabs gemacht! – Diese Bleistiftorder genügt! Fahre Er mit Exzellenz von Hülsen, der Ihm die Listen, die Ordre de bataille, den Etat des Hauptquartiers und die Etappenkarte geben wird, sofort zurück und sei Er agil. Er trifft uns Punkt acht Uhr abends im Schlosse zu Berlin, wo wir übernachten. Rendezvous des gesamten Stabs nebst Wache morgen früh drei Uhr auf dem Schloßplatze!«

»Zu Befehl, Majestät!«

»Ich werde sehen, Steuben, wie Er sich im Kriege in meiner Nähe nun anläßt.«

Steuben machte sein Honneur.

»Ich empfehle mich Ihro Majestät, der Königin und den Hoheiten Prinzessinnen.«

Er verbeugte sich erblassend, wandte sich und schritt mit Hülsen durch die rings stehenden Herrschaften.

»Eine Bitte, Exzellenz!« flüsterte er Hülsen zu.

»Nun rasch, was haben Sie?«

»Ich möchte nur noch Komtesse Sophie und Gräfin Anhalt die Hand küssen.«

»Dann machen Sie schnell. Er liebt das Zaudern nicht!«

Steubens Blick flog umher. Dort stand Sophie neben der Schwägerin.

»Sie müssen bereits heute schon fort, Sie Ärmster?« sagte die Gräfin.

»Ich habe soeben das Kommando des Hauptquartiers erhalten. Ich empfehle mich zu Gnaden.«

Er küßte der Gräfin Hand.

Als er Sophies Hand an die Lippen preßte, fühlte er ihren Druck.

»Vergessen Sie mich nicht ganz, gnädiges Fräulein!.«

Eine Träne antwortete ihm, die Sophies Blick umflorte. Rasch wandte sie sich ab. –

»Ich stehe Exzellenz zu Befehl!.« –

Eine Viertelstunde später jagte ein königlicher Wagen mit Hülfen und Steuben nach Berlin. Zwar schien die Sonne, aber es schien letzterem, als sei sein Frühling zu Ende. – General von Hülfen belehrte ihn unterwegs indes über seine Generalquartiermeisterpflichten und was er zunächst zu tun habe, damit der Aufbruch nächsten Morgen stattfinden könne. –

Friedrichs II. Ökonomie im Felde war ziemlich knapp bemessen, sein Hauptquartier war lediglich nur aus Offizieren im Dienst zusammengesetzt. Kein Zivilmensch, geschweige denn fürstliche Kriegsamateure waren bei ihm zu finden, welche sonst die Plage des gesamten Hauptquartiers zu sein pflegen. Außer den Adjutanten, des Offizieren des Generalstabs, den Chefs der verschiedenen Departements, welchen die Sorge für Bewaffnung und Ernährung der Truppen oblag, befand sich nur des Königs Leibarzt, der Oberstallmeister mit dem Marstall, Fredersdorf, sein Kammerdiener, ein Sekretär und das für die leibliche Existenz seines militärischen Hofstaates unerläßliche Personal im Gefolge. Trotzdem hatte Steuben mit Hülfens Hilfe in Berlin wie in Potsdam übergenug zu tun, um es möglich zu machen, neben Hülfen den König abends am Portale des Schlosses mit den Worten zu bewillkommnen: »Majestät, alles ist parat!«

»Alles auch ordentlich, Hülfen?« »Ich habe alles genau inspiziert, Majestät. Die Mitglieder des Hauptquartiers sind im Schloßhofe bei der Wache versammelt.«

Der König fuhr in den Hof ein, stieg aus und begrüßte seine militärischen Feldgenossen, fragte dies und jenes, besichtigte die aufgefahrenen Gepäck-, Vorrats- und Küchenwagen, nahm den Bericht des Stallmeisters wie der Beamten entgegen und musterte dann das begleitende Personal.

»Ich bin mit Ihnen zufrieden, Steuben; morgen also pünktlich, meine Herren!« Damit grüßte er und betrat das Innere des Schlosses. Die Adjutanten zogen sich zeitig auf ihre Zimmer zurück, und bald nach drei Uhr des anderen Morgens befand sich das Hauptquartier auf dem Marsche zur Armee. –

Es ist bekannt, daß, sobald die übrigen Gegner Preußens inne wurden, Rußland trete mit seinem Heere für Friedrichs Sache ein, sich sofort ein heilloser Schrecken der Kabinette Europas bemächtigte. Sie verloren plötzlich das bisher noch immer gehegte Gefühl der Übermacht. Sofort schloß Schweden mit Preußen Frieden, die übrigen feindlichen Heere aber konzentrierten sich vorsichtig weiter rückwärts, dadurch wurden aber Friedrichs II. Erblande frei.

Am 19. Juli stand das Heer des österreichischen Feldmarschalls Daun zwischen Schweidnitz und Glatz auf den Höhen von Burkersdorf und Läutmannsdorf. Ihm gegenüber befanden sich Friedrich II. mit seinem Heere und 21 000 Mann Russen unter General Tschernitscheff. Es lag alles daran, die Österreicher wieder aus Schlesien zu werfen und Schweidnitz zurückzugewinnen. Hierzu war begründete Hoffnung, denn zahlreiche Kosakenkorps durchschwärmten Mähren, und Prinz Heinrich schickte sich an, Dresden zu belagern, Herzog von Bevern dagegen war beordert, der Reichsarmee auf den Pelz zu gehen. Die Dispositionen waren nunmehr so getroffen, daß Friedrich II. längstens in zwei oder drei Tagen den Kaiserlichen eine Schlacht anbieten konnte. – Das Hauptquartier des Königs hatte sich zur Zeit in einem Dorfe hinter dem Zentrum der russisch-preußischen Armee etabliert, Friedrich II. selbst aber hatte beim Pfarrer des Ortes Unterkunft gefunden. Am 19. Juli hatte sich der König frühmorgens, bevor er seinen herkömmlichen Ritt machte, um die Stellung der Truppen zu besichtigen, mit Adjutanten und Stabsoffizieren eingeschlossen und saß über den Karten. Steuben befand sich an einem Tische am Fenster und schrieb militärische Orders. Plötzlich wurde scharf und hastig geklopft. Alles fuhr auf, denn eine solche Manier, Einlaß, noch dazu um diese Zeit, zu fordern, war unerhört.

»Steuben, sehe Er nach, was das heißen soll!« befahl der König.

Steuben schloß auf und trat hinaus. Mau hörte ihn einen Augenblick draußen unterhandeln, dann kam er wieder.

»General Tschernitscheff ist, nur von seinem Stabschef begleitet, erschienen und verlangt dringend Eure Majestät zu sprechen. Er behauptet, es betreffe Dinge von der äußersten Wichtigkeit!«

»Sehr odiös! Lasse Er ihn ein!«

Tschernitscheff erschien allein. Sein Gesicht war blaß, sein Auge wirr, er schien dem Eindrucke einer furchtbaren Tatsache zu erliegen.

»Majestät,« sagte der Russe französisch, »ich bin gezwungen, Höchstsie um ein Gespräch unter vier Augen zu bitten. Die Nachricht, welche ich Ihnen bringe, verträgt keines Menschen Ohr, bevor nicht Sie dieselbe wissen und danach Ihre Dispositionen treffen können! Kein Offizier meines Heeres weiß noch davon außer mir!«

Friedrichs II Gesicht erhielt einen eigentümlich starren Ausdruck. » Eh bien! Gehen Sie alle hinaus, meine Herren. Graf Anhalt, Sie bleiben draußen an der Tür, daß wir nicht belästigt sind.« Er legte die Hände auf den Rücken und durchmaß das Gemach.

Sämtliche preußische Offiziere eilten in den Vorsaal und warteten dort eine volle Stunde lang. – Man hörte drinnen verschiedene Ausrufe, hastige Rede und Gegenrede. Endlich war das Gespräch so leise, daß man keinen Ton mehr vernahm. – Die Tür öffnete sich nun rasch, der russische General erschien und entfernte sich, seinem Stabsoffizier winkend, langsam. Sein Gesicht war sinnend und sorgenvoll, aber es war ruhiger geworden. – Die Schelle des Königs ertönte, seine Offiziere erschienen vor ihm wieder.

»Schließen Sie eigenhändig ab, Graf Anhalt!« – Das Schloß schnappte zu, die Offiziere umstanden gespannt den König.

»Wissen Sie auch, meine Herren, was Tschernitscheff Uns angekündigt hat? – In Petersburg ist am Juli eine Revolution ausgebrochen, Peter III., mein edelmütiger Freund, ist nicht nur entthront und die Zarin als Katharina II. zur Kaiserin ausgerufen worden, die russische Partei dieses höllischen Weibes hat Peter III. erdrosselt! Man flüstert, Alexei Orlow mit etlichen anderen vornehmen Schurken solle dabei gewesen sein!« Dabei richtete Friedrich II. einen furchtbares Blick auf Steuben. Hätte ein Sprenggeschoß ins Gemach eingeschlagen, die lähmende Wirkung auf die Umgebung des Königs hätte nicht größer sein können. Steuben empfand in diesem Augenblicke namenloses Grauen, Empörung und Ekel zugleich. Er zitierte bei dem Gedanken, daß die Erinnerung an ihn mit dazu beigetragen haben könne, die Kaiserin zu einem so unnatürlichen Entschlüsse zu bringen. Den auf ihn einstürmenden Gefühlen ließ aber der König nicht lange Zeit. –

»Der erste Regierungsakt der Zarin«, fuhr derselbe fort, »ist nun, den Tschernitscheff mit seinem Korps sofort nach Rußland zurückzurufen. Der General zeigte Uns die französisch geschriebene Order! – Wir müssen noch Gott danken, daß sie in ihr wenigstens die Absicht ausspricht, strenge Neutralität zu beobachten! – Durch Bitten und Überredungen, besonders aber durch den Vorwand, es wäre Uns in Unserer augenblicklichen Lage unmöglich, sofort die Anstalten zu treffen, versprach er, so lange zu bleiben und Uns zu Gefallen eine demonstrative Haltung gegen die Österreicher zu beobachten, bis die bevorstehende Schlacht entschieden sei und Wir an des Generals Rückmarsch denken könnten. Die Russen werden also nur die Staffage bilden, wir – wie gewöhnlich – allein unsere besten Akteure sein müssen! Setzen sie sich sämtlich zu Pferde, untersuchen Sie unsere und die kaiserlichen Stellungen und inwiefern wie unter so veränderten Verhältnissen von Tschernitscheffs Anwesenheit noch Nutzen ziehen können! Bis nach der Schlacht wird der General schweigen und sich still halten, in Wien weiß man aber noch nichts! Also Totenstille und rasches Handeln! – Ich werde indes nachdenken, wie wir den Österreicher trotzdem packen können; Steuben mag hier bleiben.«

Ein schrecklicher Augenblick brach für Steuben an, da er sich seinem Könige allein gegenüber sah und dieses große blaue Auge sich in seine Seele senken fühlte. Unzweifelhaft, der König hegte gegen ihn einen sehr traurigen Verdacht. Langsam kam er auf ihn zu und legte die Rechte schwer auf Steubens Achsel.

»Habe ich Seinem Patriotismus, Seinem männlichen Opfermute den Frieden und die Allianz mit Rußland zu danken gehabt, oder verdanke ich Seinem schurkischen Ehrgeize den schmählichen Tod eines Monarchen, der mein Freund gewesen?«

»Majestät, wenn etwas in meiner Seele mich gedrängt hat, Katharinas leicht gewährte Gunst zu benutzen, so war's der Gedanke allein, meinem Herrn zum Segen zu handeln! Erst an dem Tage, da der Friede unterzeichnet wurde und wir abreisten, trat mir der Kaiserin Leidenschaft in einer Art in den Weg, daß mir bange war und ich in Gefahr kam, mich im letzten Augenblick zu verraten!«

»Wieso? In welcher Art?«

Steuben erzählte hierauf dem König alles, was ihm in Petersburg bis zu dem Augenblicke begegnet war, wo er am Wassilj-Ostrow die Fregatte bestieg, welche ihn mit seinen Kameraden zurückbrachte.

»Hm!« Friedrich senkte das Haupt. – »So lag bei dem Abschiedsgesuche denn doch wohl ernster Wille zugrunde, da Er dieser Frau schwor, zu ihr zurückzukehren?«

»Nein, Majestät, so wahr Gott mein Richter sein wird! – Das aber sage ich ebenso aufrichtig, wenn Zar Peter nach dem Laufe der Natur und an einer Krankheit gestorben wäre, sie aber hätte mich als Kaiserin an meinen Schwur dann gemahnt, obwohl ich ihn nur in der Überzeugung tat, er werde nie Erfüllung erheischen, so hätte ich mein Dasein meinem Vaterlande zum Opfer gebracht und wäre der Günstling Katharinas geworden, um Preußen zu nützen! Ich habe ihr stets gesagt, meine Ehre und mein Gewissen seien allein mein eigen, Mördern aber, Majestät, diene ich nicht!«

»Das würde Er ihr doch auch schreiben, Steuben, wenn sie Ihn jetzt riefe?«

»Majestät sollen mit eigenen Augen den Brief an sie dann sehen. Sosehr ich den unglückseligen Zar beklage, so danke ich doch der Vorsehung dafür, daß sie mich durch seinen ruchlosen Tod von den Fesseln dieser kaiserlichen Furie befreit hat!«

»Er ist doch 'n respektabler Kerl, Steuben!«

»Dächten Eure Majestät je anders von mir, so würde meine Pistole Sie von einem so elenden Diener befreien!«

»Kein Wort von dieser Sache mehr! Ich sehe jetzt erst ein, auf welch verflucht abschüssigem Boden Er in Petersburg operiert hat! – Laß Er Uns an die Karten, Steuben, Er hat bei Uns gerade in dieser Stunde ein solch' Vertrauen erweckt, als wäre Er Unser ältester Adjutant.«

Am 21. Juli wurde die Schlacht bei Reichenbach siegreich geschlagen, Daun, trotz dem vom Papst geweihten Hute und Degen, verlor für immer seinen Kriegsruhm! Am 9. Oktober fiel Schweidnitz, Kleists fliegende Korps brachen in Franken ein und bedrohten Nürnberg, Prinz Heinrich mir Seydlitz schlugen am 29. Oktober das Reichsheer bei Freiburg.

Wenige Tage nach Schweidnitz' Fall erhielt der König einen Brief des Herzogs von Braunschweig-Bevern. Etliche Stunden nach dessen Eingange befahl er unseren Helden vor sich.

»Kapitän von Steuben, Er weiß, daß ich Ihn schätze, und zwar wegen dessen schätze, was Er für mich getan hat unter keinem andern richtenden Auge als dem Gottes! Ich wünsche aber, daß man Ihn auch in dem schätze, was alle Welt von Ihm sieht; Er soll sich vor der Front auszeichnen! – Se. Hoheit von Braunschweig schreibt wegen eines guten Kommandeurs für das Regiment Salmuth, er kann keinen anderen für dies Kommando aus seinem Korps entbehren, das Regiment selbst hat aber alle Stabsoffiziere verloren! Gehe Er hin und kommandiere Er die Truppe gegen die Franzosen! Er behält allerdings nur Kapitänsrang, denn nach dem Frieden ist Er wieder mein Adjutant. Handle er aber so, daß Ich Ihn bald zum Major machen kann!« – Mit einer ihm im allgemeinen seltenen Herzlichkeit reichte er Steuben die Hand.

Dieser küßte sie, und in der tiefen Bewegung entglitt ihm eine Träne, die auf des Königs Hand fiel. »Ich danke Euer Majestät für diese Auszeichnung!«

*

Am 1. November wurden auch die Franzosen bei Kassel geschlagen. Steuben blieb an der Spitze des Regiments bis nach dem Hubertusburger Frieden, dann rückte dasselbe als Besatzung nach Wesel ab, unser Held hingegen kehrte wieder als des Königs Flügeladjutant nach Berlin zurück.


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