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Hatte sich für Steuben trotz des glücklichen Fortganges seiner Armeereform das Mißtrauen, die Renitenz und der Neid der Truppenchefs seit dem Augenblicke fühlbar gemacht, da der Kongreß durch Washingtons Einfluß seinem Reformplane zugestimmt, ihn zum Generalinspekteur und Generalmajor ernannt hatte, so trat Widerwille und Opposition jetzt gegen ihn weit intensiver auf, als man, der französischen Hilfe sicher, wöchentlich die Nachricht erwartete, eine große französische Armee wäre gelandet. Von diesem Augenblick an stieg Lafayettes Dünkel. Gates trat gleichfalls offen gegen Steuben auf, denn er war und blieb doch einmal der Sieger von Saratoga, seinem Feldherrngenie allein hatte man nur Frankreichs Freundschaft, also den nunmehr gewissen Sieg zu verdanken! Daß General Arnold ihn haßte, an ihm einen Mordversuch durch die schielende Schlange beabsichtigt hatte, davon war Steuben ebenso fest überzeugt, wie daß dieser Mann seine Kameraden gegen ihn aufstachelte. Arnold vermochte aber insofern nur im kleinen zu schaden, als er sich wohl bewußt war, daß Washington und die Offiziere, welche an jenem Abend bei dem Obergeneral die Szene mit Tamenund erlebt hatten, gegen ihn Verdacht hegten. Schon ging in Valley Forge offen die Rede, ein Verräter sei im Heere, und da sein Ruf ohnehin gerade nicht glänzend war, hatte Arnold alle Ursache, vorsichtig zu sein. Doch auch die Generale Mifflin, Kalb und viele andere sonst redliche Männer hielten nun, da zwei mächtige, wohldisziplinierte französische Armeekorps ihnen gewiß waren, die preußische Drillerei und Schererei für völlig überflüssig. Sie waren eben Stockamerikaner, die das alte englische System und den wilden ungeordneten Kampf der Massen, kurz die Guerillagefechte der Taktik geschulter Truppen vorzogen. Eine organisierte Verschwörung bildete sich gegen Steuben, an deren Spitze Lafayette stand. – Anfänglich hatte der Baron keine Ahnung davon, die erste Katastrophe brach deshalb unerwartet über ihn herein. Wäre er aber achtsamer auf das gewesen, was um ihn vorging, hätten seine Amtsgeschäfte ihn nicht gänzlich absorbiert, er würde schon zwei Tage nach dem Eintreffen der Damen Washington und Greene die Anfänge dieser Koalition gefühlt haben. Infolge der französischen Allianz und des leidlichen Frühjahrs sowie der vorgeschrittenen Ausbildung des Heeres erschien eine Operation zur Einleitung des Sommerfeldzuges empfehlenswert.
Am 8. Mai wurde deshalb Kriegsrat gehalten. In demselben machte Lafayette die Prätention, daß ihm ein starkes Detachement Infanterie und Artillerie gegeben werden, um den Susquehanna hinab gegen die Chesapeak-Bai, falls dort Engländer ständen, oder über Lancaster seitwärts einen Stoß gegen Clinton auf Philadelphia hin zu tun und seinen landenden Landsleuten die Hand zu reichen. Steuben dagegen meinte: »Es sei doch noch nicht gewiß, wann die französische Flotte anlange, und wo sie landen werde. Clinton könne aus Vorsicht sicher dann erst einen operativen Schritt tun, wenn die Landung oder die Vereinigung beider alliierter Heere zu gewärtigen wäre. Sei Lafayettes Annahme aber auch die richtige, so wäre der Streifzug doch so gewagt, daß derselbe nur einem General, der schon gesiegt habe, zu übertragen wäre!« – Diese Pille war deutlich.
Lafayette beantwortete sie mit der Einrede, daß es ihm zuerst zustehe, seinen Landsleuten zur Vereinigung beider Heere zu verhelfen, Steuben wenigstens gehöre nicht zu den siegreichen Generalen, da von ihm doch nur erwiesen sei, daß er in den preußischen Feldzügen hinter seinem Könige herzureiten oder dessen Befehle zu kolportieren gehabt habe. – Der Franzose legte dabei eine maßlos stolze Gereiztheit an den Tag, und Washington, neben Steuben am Konferenztisch sitzend, stieß denselben leise an und stimmte selbst für das Kommando Lafayettes, die übrigen Generale natürlich auch. Steuben sagte nur noch, daß er es dann angemessen fände, Lafayette wenigstens eine Eskadron Reiter mitzugeben, damit dessen Verbindung mit Valley Forge nicht unterbrochen werde. Dies wurde bewilligt. Ferner schickte man Gates nach Virginien zur Umbildung und Vergrößerung der dortigen Truppen, Arnold aber zum Nordkorps, um dort das gleiche zu tun. Lafayette marschierte ab, und die genannten Generale eilten an ihre Bestimmungsorte.
Es muß unbegreiflich erscheinen, daß ein Mann von Washingtons Klugheit und Vorsicht Lafayette ein so großes Vertrauen erwies. Er handelte hier aber nicht als General, sondern als Staatsmann und ganz im Sinne des Kongresses. Lafayette war für Amerika eben eine politische Notwendigkeit. Seinem ungeheuren Einfluß bei Hofe und bei dem Adel von Paris, seinen Fanfaronaden von Römertugend, republikanischer Freiheit und den Wundern des amerikanischen Volksgeistes in den heimischen Journalen hatte man eben die fanatische Teilnahme Frankreichs zumeist zu danken. Um dieselbe zu erhalten, hatte der Kongreß den Leutnant Lafayette zum amerikanischen Generalmajor gemacht. Washington gab ihm jetzt das Kommando eines Detachements, um – sei es durch seinen Sieg oder durch seine Niederlage – den Stolz oder den Zorn Frankreichs gegen England noch zu erhöhen.
Das Leben im Lager erhielt durch die Anwesenheit der Damen einen neuen Reiz. Ihr Heroismus, in diese Einöde vorzudringen, war bewundernswert. Lady Washington begann sofort abendliche Teezirkel zu arrangieren, zu denen sich die Elite der Offiziere einfand, und wenn die Lady ein starker, tief angelegter Frauencharakter war, so wußte die feingebildete Clemence Greene die Gesellschaft durch ihre heitere Unterhaltungsgabe zu bezaubern. Kein grellerer Unterschied war denkbar als der zwischen Nathanael, ihrem Manne, und Clemence. Greene war Quäker, ein Mann von schlichtester Einfachheit und Biederkeit, patriotischer Soldat, scharfsinnig, kurz und praktisch, Clemence dagegen eine leichtlebige Franco-Amerikanerin, die Tochter eines französischen Ansiedlers in Georgien. Zwischen ihnen herrschte ein Unterschied wie zwischen Salon und Kirche, wie zwischen Feldlager und Boudoir, aber in ihrer gegenseitigen tiefen, unbezwinglichen Liebe ergänzten sie sich aufs beste.
General Greene hatte schon in den ersten Wochen zu Steuben eine warme Zuneigung gefaßt, diese war in der Feldloge noch mehr gewachsen, welche in Valley Forge errichtet worden war, und welcher Washington und viele andere angehörten. Kein Wunder, daß Clemence Greene bald die Gefühle ihres Gatten teilte und Steuben in einer Weise auszeichnete, wie dies allein nur eine feinsinnige, gefühlvolle Frau vermag. Ebenso wert hielt unseren Freund auch Martha Washington, obwohl ihr ruhiges, kühleres Wesen eine so innige Annäherung nicht zuließ. Jedenfalls war bei beiden Frauen Steuben eine persona gratissima, und da in den nächsten Wochen mehr als ein halbes Dutzend höhere Offiziersfrauen, ermutigt vom Beispiele beider Damen, ebenfalls im Lager anlangten und Steuben gleichermaßen liebenswürdig fanden, war er um so mehr begünstigt, je lauter sich das Murren seiner Kameraden gegen ihn erhob.
Arnold war nach dem Norden abkommandiert worden; so lag kein Grund mehr vor, für die Familie des Propheten Besorgnis zu hegen. Die wärmere Jahreszeit lenkte die Familie ins Freie und zu ihren herumschweifenden Gewohnheiten, man sah sie also nun im Lager überall, besonders Sigh. Mochte nun Tamenund Grund haben, die Frauen, besonders seine Enkelin, noch im Lager zu lassen, oder folgte letztere bloß ihrem Hange, sich zu den amerikanischen Offiziersdamen zu halten, kurz, das Mädchen war stets in der Umgebung derselben zu finden. So gern sie bei dem »großen Wash« weilte, Martha war doch zu ruhig, stolz und imponierend, um das Mädchen nicht schüchtern zu machen. Dafür hing Sigh aber an Clemence Greene mit rührender Inbrunst. Es schien, als ob sich diese beiden, scheinbar so an den Endpolen der Kultur befindlichen Wesen aus eine Weise verständigten, die auf unerklärlichem seelischem Instinkt zu beruhen schien. Steuben verkehrte viel in Greenes Haus, sah Sigh daher oft, und wie von Anfang an gab sie ihm offen Zeichen einer jungfräulich-kindliches Zuneigung, die er gütig, halb väterlich, halb brüderlich und mit einer nicht zu verkennenden Rührung erwiderte. Clemence Greene hätte indes kein Weib sein müssen, hätte sie nicht die entkeimende Neigung dieses halben Kindes zu dem reifen Manne durchschaut.
Steuben, gerade dienstfrei, war, indes Greene mit Washington, Stirling und Hamilton über dem Plan für den Sommerfeldzug brütete, von der Generalin zu einem Spaziergang aufgefordert worden, bei welchem Sigh sie begleitete. Der Wald, welcher das Valley umschloß, stand in vollem majestätischem Blätterschmuck, die Wiesen lagen wie ein grüner Teppich, von Millionen duftenden Blüten durchwebt, ausgebreitet, die Bergluft war wahrhaft balsamisch. Plaudernd schritten sie langsam dahin. Sigh hörte meist zu, warf hin und wieder etwas ein oder bückte sich nach einer Blüte.
»Sigh,« sagte Clemence, »flechte doch für mich und dich einen Kranz, den ersten hoffnungsvollen Frühlingskranz aus dem vergessenen Tale! Ich werde immer an Valley Forge denken müssen, Baron, verlebten wir hier doch eine denkwürdige Zeit!«
»Lassen Sie uns hoffen, teuerste Freundin, daß diese Zeit auch für des Landes Geschichte wie Ihres Mannes Ruhm denkwürdig werden möge!«
Aus Sighs Brust hatte sich wieder einer jener halb unbewußten Seufzer gestohlen, der wie das Echo einer Stimme ihrer Seele klang. Dann eilte sie über die Wiese, hockte unter den Blüten nieder und begann ihr Werk.
»Was die Kleine nur immer seufzen mag, Baron?«
»Nennt man sie denn nicht Sigh, der Seufzer? Sie muß als Kind wohl diese Gewohnheit schon gehabt haben, daß man sie so benannte; die Indianer lieben redende Namen.«
»Sehen Sie nur, wie schön sie ist, mein Freund. Wie ebenmäßig und geschmeidig in ihren Formen, als wäre sie jenes erste reine Weib, die Mutter der Menschen, welche Gott erschuf!« Clemence hatte schalkhaft ihr Gesicht zu Steuben gewendet.
Er bemerkte es nicht. »Ja,« sagte er halblaut vor sich hin, »sie hat wunderbare Augen.«
»Wunderbare Augen? In der Tat, die hat sie, ganz wundervoll tiefe. Doch sind denn ihre Augen nur bezaubernd, nicht ihre ganze Gestalt, ihr Wesen, ihre sinnige, wie eine Knospe leise sich öffnende Seele?«
»Gewiß ist ihr Körper höchst vollkommen und vom Jugendreiz umstrahlt, ihr Herz ist vortrefflich – doch wunderbar, betörend und verwirrend ist allein ihr Augenpaar. Ich sehe es immer und habe doch nie geglaubt, es auf Erden wiederzusehen.«
Die Generalin stand überrascht still. »Baron! Wahrhaftig, ich glaube gar, Sie lieben die Kleine?«
»Ich liebe ihre Augen, ja! Das Mädchen selbst aber habe ich nur gern. Ich glaube nicht, daß Sie, meine schalkhafte Freundin, ernstlich meinen, ich könne noch heiraten und verfiele dann gerade auf ein Oneidamädchen.«
»Ob Sie sich noch zur Ehe qualifizieren, Baron, will ich als Freundin erst zu erörtern suchen, wenn dieser leidige Krieg vorbei sein wird, in dem wir armen Geschöpfe ohnehin wenig von euch Männern haben. Auch welchen Gegenstand für Ihre Liebe Sie dann zu wählen hätten, lasse ich auf sich beruhen. Von Sighs Augen sprachen Sie aber mit einer ganz eigentümlichen Feierlichkeit. Wie soll ich das verstehen, wenn Sie sagen: Sie liebten ihr Augenpaar, Sie sähen es immer, hätten aber nie geglaubt, es auf Erden wiederzusehen?«
»Dies Augenpaar ist mein einziger – aber ein tiefer und ewiger Schmerz! Sie, meine Freundin, sollen Teilhaberin desselben sein, sollen die Augen jenes Kindes sehen!« Er öffnete die Uniform, griff in seine Brusttasche, zog ein Etui hervor und öffnete es – es enthielt das Bild Sophies von Anhalt. Er reichte es der Generalin.
»Mein Gott,« rief Clemence, »wie ähnlich! Ist es nicht, als ob dieser Blick und Sighs Augen zwei Zwillingsschwestern zugehörten?«
»Diese Teure, deren Abbild ich auf dem Herzen trage, bis es zu schlagen aufhört oder eine Kugel diese Züge mit meinem Blute überströmt, ist tot, ist – um meinetwillen gestorben. Sie begreifen, Clemence, daß ich nach diesem Engelsweib keine andere mehr lieben kann.« –
Clemence klappte leise das Etui zu. »Ich danke Ihnen, lieber Baron, für dieses Vertrauen; ich werde es wie eine Schwester rechtfertigen. Was ich bei dieser trauriges Eröffnung empfinde, überlasse ich Ihnen zu beurteilen, der da weiß, wie ich Sie vorher schon geschätzt habe. Lassen Sie mich offen sein und eine Bitte wagen« – ihre Stimme zitterte vor Bewegung.
»Sprechen Sie, Clemence!«
»Darf ich Nathanel dies Bild zeigen, ihm Ihr Geheimnis mitteilen?«
»Wozu?«
»Daß er Sie noch mehr liebe!«
Eine Träne entglitt Steuben. – »Zeigen Sie es ihm!«
»Aber ich bin mit Bitten noch nicht fertig, Freund. – Darf ich Sigh von Ihrer toten Liebe reden, der toten Liebe, die Sighs Augen hatte?«
»Nein, nein! Sagen Sie dem Kinde doch das nicht!«
»Dies Kind hat eines Weibes glühendes Herz. Dies Kind liebt Sie. Die Flammen ihrer Gefühle für Sie lohen aus Sighs Augen. Soll das holde Geschöpf sich in törichter Hoffnung verzehren? Sie sind zu edel, das zu dulden. Starb jener Engel aus Liebe um Sie, und waren Sie ihr einziger und letzter Gedanke, soll denn auch noch ein zweites weibliches Wesen unbeglückt um Sie in Herzenspein verenden? Auch eines toten Oneidamädchens Seele gehört dem Allmächtigen, dem Vater der Liebe. – Wenn meine arme kleine Törin, noch ehe sie ihrer Gefühle sich völlig bewußt ist, weiß, daß Sie an ihr nur einer Toten Augen lieben und nie, nachdem Sie jene Vollendete geliebt, mehr lieben können, wird sie dann nicht Gefühlen entsagen, die erst noch im Entstehen, noch zu dämpfen sind?«
»Ich möchte dies liebe Mädchen um keinen Preis elend sehen, wünschte alles aufzubieten, ihre törichte Liebe wieder entschlummern zu machen. Ich schätze Tamenund, ja ich achte ihn so hoch, wie man einen Menschen seiner Art nur immer achten kann; ich schulde ihm überdies Dank. Am wenigsten möchte ich also dieses Greises letzte Tage durch die Entdeckung trüben, daß seine Enkelin um meinetwillen Kummer leidet. Ob es der rechte Weg ist, durch dies Bild das Mädchen zu heilen, ob Sie vielleicht ihre Liebe zu mir nicht zu wilderer Lohe anfachen werden, wenn Sie sie dämpfen wollen? – Clemence, ich bin ein Mann, der sich nur unvollkommen in ein weibliches Seelenleben versetzen kann, ich vermag hier nicht zu unterscheiden, was schlimmer oder besser ist. Sie allein sollen es! Sie sollen verantworten, was hierin geschieht. Vergessen Sie nur eins nicht. Sie mögen tief in Sighs Wesen eingedrungen sein, Ihr Herz mag mit dem jenes Mädchens gleich empfindungsvoll schlagen, Sie bleiben aber immer eine Weiße, die, wie Tamenund sagen würde, ›weiße Gaben‹ und keine roten hat. Die Leidenschaft mag bei allen Frauen dieselbe sein, aber indem Sie, teure Clemence, sich eines Gefühls bewußt werden, ziehen Sie aus ihm die Konsequenzen der weißen, der christlichen, der durch die Kultur und Sitte erzogenen Frauen. Sigh dürfte aus ihrer Leidenschaft aber indianische Konsequenzen ziehen. Welche, weiß ich nicht, aber Sie müssen sich doch sagen, daß wir über diese Gefühle keine Gewalt haben.«
»Ich verkenne weder Ihr Zartgefühl, noch die Vernunft Ihrer Argumente. Wir werden das, was Sie indianische Gefühle nennen, nicht vorher bestimmen, nicht nachher ungeschehen machen können. Nathanael möge uns raten. Aber auch er wird ratlos sein, denn alle drei sind wir eben Weiße.«
»Glauben Sie wirklich mit Sicherheit, daß Sigh für mich etwas empfinde?«
»Ich weiß es, denn ich sehe es ja! Nur Sie, der dies kleine Mädchenherz angesteckt hat, Sie sind allein blind.«
»Ich weiß, um das Mädchen vor sich selber zu bewahren, nur ein Mittel, es ist das geradeste, einfachste. Tamenund allein kann seiner Enkelin helfen. Er ist für sein Volk ein Weiser, er ist klug und voll Gemüt. Da er wie Sigh dieselben Gefühle, Ansichten und Grundsätze hat, welche seiner Rasse eigen sind, so wird er am besten ein Mittel finden, das Mädchen vor Torheit zu bewahren. Sprechen Sie mit Ihrem Gemahl, bitten Sie ihn, daß er den Propheten auf die Veränderung aufmerksam macht, welche mit seinem Kinde vorgehen will. Ich werde mir heute abend das Bild abholen.«
»Gut, mein Freund.« Clemence steckte das Porträt in die Tasche. »Es ist mir lieb, daß wir in der Sache zu einem verständigen Schlusse kamen, denn sehen Sie, da kommt sie mit drei Kränzen.«
Eine wunderliche Blütenpracht war's, welche Sigh in ihre duftigen Ringe vereint hatte. Der eine Kranz schimmerte im reinsten Weiß, durch grüne Blätter gehoben, der andere himmelblau mit gelben Blüten durchstreut, der dritte war zusammengestellt aus weißen, dunkelblauen und roten Blumen, das Rot herrschte indes vor.
»Mädchen, was hast du dir bei diesen Kränzen nur gedacht, als du so eigen die Blüten wähltest?« rief die Generalin.
»Ich dachte, wie dein Haar goldig ist, gleich des Manitou großes Licht, das uns erwärmt, so ist dein Herz tief wie der Himmel und umfaßt alles, was schön ist. Darum sollst du den Kranz tragen, der blau und gelb ist!« Sie reichte ihn sanft lächelnd Clemence. – »Du, großer Baron, kamst über das ewige Wasser, das dunkler ist wie der Himmel, ins Land der roten Kinder, die hier wie rote Blumen stehen. – Weshalb kamst du? Weil der Geist der Wahrheit dich trieb – die Wahrheit aber ist weiß wie der Schnee.« – Ihre Stimme zitterte, als sie dabei dem Baron sein Geschenk gab, und sie blickte zur Erde. Das dritte Geflecht drückte sie sich selbst auf.
»So ist der weiße Kranz also der Wahrheit Zierde?« fragte Steuben.
»Das Abbild der Wahrheit, des großen unsichtbaren guten Geistes – und des Todes, der blaß macht. Wie er mich schuf, so wird er durch den bleichen Tod in seine glücklichen Gefilde mich nehmen, und mein Herz wird rein sein wie der Schnee in der einsamen Höhe.«
Keiner erwiderte ihr. Sie schritt sinnend voraus dem Dorfe zu; Clemences und des Barons staunende Blicke hingen an ihr. – –
Am Abend, als Steuben sein Bild von Greene holte, hatte Nathanael bereits den Propheten durch Smirk, seine zweite jüngere Frau, wissen lassen, daß er ihn morgen gegen fünf Uhr nachmittags in seinem Wigwam sprechen wolle. Zur gedachten Stunde begab sich der General dorthin. Tamenund hatte seine beiden indianischen Zelte jetzt mitten in dem Teile des Waldes aufgeschlagen, der nördlich des Exerzierplatzes von Valley Forge lag und gegen das eigentliche Hochgebirge anstieg, von welchem die ganze Gegend, welche wir bereits kennen, nur das Vorgebirge, den Übergang zur Ebene bildete. Als Nathanael Greene den Paradeplatz und dann die Wiesen durchschritten hatte, welche die nördliche Waldlistere bildeten, und auf denen die Pferde des Trains grasten, traf er am Waldrande auf Tamenund selbst, der ihn, die Pfeife rauchend, erwartete. Der Indianer erhob sich sofort.
»Sago!«
»Sago, mein Freund. Es ist gut, daß du hier bist, so können wir im Freien reden.«
»Hier? – Nicht gut, Wald besser?«
»Warum Wald?«
»Wald ist Geheimnis! Manitou liebt Wald!«
»Weshalb aber Geheimnis? Habe ich denn ein Geheimnis?« Tamenund nickte.
»Wenn Yankeegeneral zu rotem Mann kommt, hat er immer ein Geheimnis! Wald besser!« Er lenkte die Schritte ins Dickicht, unter die hohen Säulen der stolzen Baumriesen. Greene folgte, und schweigend schritten sie nebeneinander her. Feierlichkeit war um sie gebreitet.
»Du hast recht, mein Bruder, es ist ein Geheimnis, was ich mit dir reden will, aber es betrifft den Feind nicht!«
»Den Freund!«
Nathanael fuhr auf.
»Du sagtest es. Aber nicht nur den Freund, es betrifft deine Enkelin, Tamenund.«
»Sigh! – Ich höre meinen Bruder.«
»Dieser mein Freund und der Freund meiner Frau ist der Baron!«
»Ich weiß es und weiß, was du sagen wirst.«
»Das bezweifle ich doch, denn wenn du es so gut wüßtest wie ich, so hättest du gesorgt, daß ich davon mit dir nicht erst zu reden brauchte.«
Tamenund schwieg, obwohl Nathanael eine Erwiderung erwartet hatte.
»Die Sache ist die, daß meine Frau bemerkt hat, wie Sigh inniger an dem Baron hängt als sonst ein indianisches Mädchen an einem weißen Mann. Gestern hat meine Frau dies dem Baron gesagt, und wir alle meinen, Tamenund, daß du, der rote Mann, du, ihres Vaters Vater, den besten Weg kennst, sie zu heilen, und daß du zuerst die Wahrheit wissen müßtest, damit du nicht deine Freunde anklagst, sie hätten dir und dem Kinde durch Unachtsamkeit Schmerz gemacht!«
»Mein Bruder spricht weise. Das Herz deiner Squaw, des großes Barons und deines bewahrt der Manitou in seinen leichten Händen. – Es ist aber alles vergebens.«
»Vergebens? – Ich verstehe dich nicht.«
»Der große Geist liebt alle Menschen, er hat allen Menschen Liebe gegeben. Der Mann liebt das Weib, damit die Welt nicht ohne Menschen bleibe, wenn Vater und Mutter in die ewigen Gefilde gehen. Ich bin alt, ich habe viel gesehen. Liebt ein weißer Mann ein blasses Mädchen, so sagt er es ihr. Dann kommt einer in einem schwarzes Rock, legt ihre Hände ineinander, betet zu eurem Manitou, und sie wohnen zusammen in steinernen Häusern oder Wigwams von Holz und treiben ihre Geschäfte nach ihrer Art. Wird Blaßgesichtmädchen Mutter ohne den schwarzes Rock, so hat sie Schimpf und Leid; ihr kleiner Pappusse hat keinen Vater. Rote Menschen lieben aber nicht so. Liebt der Indianer ein Mädchen, so sagt er es ihr auch. Ist sie zufrieden, so gehen sie in den Wald, in Manitous Geheimnis, entzünden das Feuer und umarmen sich; sie ist seine Squaw, und ihre Kinder sind seine Kinder. Rote Gaben sind andere Gaben als weiße.«
»Das bezweifle ich gar nicht. Eben deshalb warnen wir dich ja. Weshalb denn vergebens? Sie nährt vielleicht schon Hoffnungen, die der Baron nicht erfüllen kann?«
»Tamenund weiß alles, Tamenund kann aber nicht alles. Blasse Mädchen lieben, aber in ihres Herzen ist Stolz, Ehre, ist nicht Liebe allein. Blasses Mädchen liebt auch Geld, Glanz, und blasser Mann muß nicht bloß guter Mann sein, er muß großer Mann sein, das ist weiße Liebe. Indianische Mädchen lieben aber, weil ihr Herz süß ist. Sie suchen etwas, das sie nicht haben. Ihre Liebe ist Sehnen und Ungeduld. Haben sie eines Pappussen, so ist ihre Ungeduld gestillt, ihr Sehnen schweigt. Sie halten die Liebe dann in ihren Armen und sind ruhig. Das ist roten Mädchens Liebe.«
»Tamenund, was sprichst du da? Du, ihres Vaters Vater, du, den man gut und weise nennt, kannst dazu raten, daß deine eigene Enkelin – –?«
Tamenund legte seine Hand auf Greenes Arm. »Raten?« rief er scharf. »Wer hat geraten?« – Nach einer Weile setzte er ruhig fort: »Ich habe dir nur gesagt, daß Sigh, wie alle ihres Volkes, nur nach ihren roten Gaben zu lieben vermag. Der Baron liebt nach seinen weißen. – Der Baron kann Sigh zu seiner Squaw nicht machen wie ein weißer Mann, die Sigh kann nicht sein werden wie eine Blaßgesichtsfrau.«
»So sind wir ja einig, Freund. Wenn du dem guten Kinde, das wir alle so lieben, nun sagtest –«
»Ich sagen? Was sagen? Mein Bruder redet töricht. Was soll ich ihr sagen, als was sie schon weiß? Was soll sie mir antworten, als was sie schon geantwortet hat?«
»Sie ist sich ihrer Liebe bereits bewußt? Sie hat sie dir gestanden?«
»Sigh hat gesprochen. Als sie noch klein war, seufzte sie um das, was vor ihr lag, und was sie noch nicht wußte: sie seufzte nach dem Unbekannten. Sie hatte noch nichts zu seufzen, und sie tat es doch. Jetzt aber hat sie zu seufzen, denn sie seufzt um Vergangenes, Gewesenes.«
»Gewesenes?«
»Ja, sie möchte gern die tote Frau sein, deren Augen sie hat, und die der Baron noch liebt. Darum seufzt sie und wird seufzen, bis sie stirbt. Sei ohne Sorge, Bruder, Sigh ist verständig, ist von Tamenunds Blute. Sie weiß, daß sie die blasse Frau doch nicht sein kann, deren Augen sie trägt, ob sie auch nun geschlossen sind. Manitou schafft dasselbe Wesen, dieselbe Seele und Gestalt nicht zweimal, macht nicht rot zu weiß! Sigh wird lieben und seufzen, Sigh wird aber starkes, rotes Mädchen sein, wird Tamenunds Geist nicht verlieren, der von dem großen Geiste stammt!«
Greene reichte dem Indianer bewegt die Hand. »Ich bewundere deine Güte und Wahrheit, ich erstaune über dieses Kindes Geist und Herz. Eins – das letzte nur noch sei zwischen uns beredet. Sigh ist noch ein halbes Kind. Werden ihre Gefühle für den Baron immer dieselben bleiben? Werden sie, je mehr sie Weib wird, sich nicht verändern, vergrößern? Bist du denn gewiß, daß, wenn sie stets den Baron sieht, wenn sie immer im Lager ist, sie sich selbst stets treu bleibt? Wir haben zwar zweierlei Farbe, Bruder, wir sind beide aber Männer. Man kann schwache Stunden haben, die man bereut, aber braucht deswegen noch kein Schurke zu sein. Bedenke, Sigh hat eben der Toten Augen, und der Baron ist auch ein Mensch, der irren kann.« »Der Baron wird nicht irren.«
»Wie Willst du das wissen? Wie kannst du darüber beruhigt sein?«
»Ich bin ruhig. Wenn der Baron nicht Sigh liebt, sonders bloß die offenen Augen der toten Frau, so wird er ihr nichts sagen. Wenn der Baron aber nicht ihre Augen mehr, wenn er Sigh selber liebt, alles von ihr liebt, Herz, Leib, Augen, Mund, Seele, alles, dann irrt er auch nicht.«
»Tamenund!«
»Schweige, Bruder! Geschieht es ja, so werde ich vielleicht in den lichten Jagdgründen sein. Aber wenn es geschieht, so wird in des Barons Augen, Geist und Herz meine Sigh die Gestalt der Toten annehmen, weil Manitou ihn für Verlorenes trösten will. Stirbt dein Freund und stirbt Sigh, so wird er vor dem großen Geiste zwischen der weißen und der roten Seele zweier Mädchen stehen, alle drei verschlungen, der, welcher alles liebt, wird lächeln.«
Tamenund verneigte sich kurz und mit dem Anstande eines Königs, dann wandte er sich langsam und verschwand im Laube. Greene kehrte betroffen, fast verlegen und zugleich von einer Pietät und Rührung erfüllt, zurück, die er bisher in solcher Stärke für keinen Menschen, am wenigsten für eine Rothaut empfunden hatte. Ohne seine eigene Meinung anzudeuten, wiederholte er Clemence und Steuben, was Tamenund ihm entgegnet hatte.
»Ich bis jetzt um so mehr überzeugt,« sprach die Generalin, als ihr Mann geendet hatte, »daß es gut und für das Mädchen heilsam gewesen wäre, hätte ich ihr das Bild Ihrer teuren Braut gezeigt, Baron. Ertötet wären ihre Gefühle freilich nicht worden, aber besänftigt. Sie hätte im Anschauen desselben erkannt, es sei für Sie, mein Freund, eine Unmöglichkeit, die Verstorbene zu vergessen und ein anderes weibliches Wesen an deren Seite zu setzen.«
»So will ich es ihr selbst zeigen«, sagte Steuben trübe.
»Oh, tun Sie das. Erzählen Sie ihr von der Toten. Der Schmerz in Ihrem Antlitz wird Sighs reinem Gemüt und lichtem Verstand besser als alles sagen, daß Sie für sie nichts sind, niemals ihr Geliebter, ihr Gatte sein können. Man muß, das ist meine feste Überzeugung, Tamenund und dies Mädchen so zart und achtungsvoll behandeln, als wäre der Greis ein Lord und sie eine Lady.«
»Wahrhaftig, teures Weib, du hast recht«, rief Nathanael. »Laßt uns also handeln nach unseren Gaben! Wir Quäker, Baron, nennen uns die ›Reinen‹, weil wir wissen, daß unsere Religion, unsere Sitten gereinigter sind als die der anderen christlichen Glaubensgenossen. Vor Tamenund aber und diesem Kinde komme ich stark in Zweifel, ob sie in ihren Gefühlen nicht Gott doch noch näherstehen als wir.«
Steuben ging wie im Traume nach Hause.
*
Seine Absicht, mit Sigh zu reden, ihr das Bild zu zeigen, kam indessen nicht zur Ausführung. Plötzliche Begebenheiten traten dazwischen.
Wir wissen nicht, ob Steuben Mißtrauen zu Lafayettes aufschneiderischen Gaskognerien hatte, oder ob es nur das Vorgefühl war, eine Aktion im Felde stehe unmittelbar bevor. Seine Aufmerksamkeit und Spannung teilte sich, namentlich seit Lafayettes Abzug, allen Truppenchefs, selbst denen mit, die er nicht zu seinen Freunden zählen konnte, und wie es in allen Prologen der Fall ist, die einem Drama vorausgehen, verstärkte das mystische Gewand desselben, das Unbestimmte, nur das Kampfgefühl und den Eifer der Armee. An ihrer Stimmung, wie in allen Vorkehrungen der Truppen konnte man gewahren, daß jeder auf dem Sprunge stand.
Der Zufall wollte, daß am 21. Mai früh die Division Greene im Feuer manövrierte und der Baron dabei seinen Funktionen oblag. Greene galt nicht nur Steuben als einer der wenigen geborenen amerikanischen Generale, Greene war auch ein unbedingter Anhänger von des Barons Reform; er wußte, was er Steuben bei seiner Truppe zu danken hatte. Überdies hätte ihre intime Freundschaft es schon nicht anders zugelassen, als daß etwaige Irrtümer unter ihnen still abgemacht wurden. Man hatte eine halbe Stunde schießend evolutioniert, als man Major Fish, einen der zweiten Inspekteure, über den Plan dahersprengen sah. Er übergab Steuben ein versiegeltes Papier von Washingtons Hand. Es enthielt die Worte:
»Eben bringt ein abgehetztes Reiterpikett Nachricht, daß Lafayette auf dem Rückmarsch gegen Barrenhill zu in Gefahr ist, abgeschnitten zu werden. Generalmarsch! Kann in einer halben Stunde die Armee nach unserer Ordre de bataille in Reih und Glied stehen? Ich bereite mit dem Stabe indes das Nötige vor.
Washington.«
»Bitten Sie General Greene, lieber Walker, daß die Übung aufhöre!«
Sofort wurde das Exerzitium beendet.
»Sagen Sie Sr. Exzellenz, Major Fish, ich ließe ihm anzeigen, daß ich hoffe, in weniger als der benannten Zeit seinen Befehl auszuführen. Ich erscheine alsbald selbst!« Er reichte Greene lächelnd das Papier. »Es kommt früher, als ich dachte. Romanai, alarmieren Sie sofort Division Lee, Sie, Walker, befehlen Division Patterson zum Ausmarsch! Leutnant North wird Pulawsky aufsitzen und die Stabswache antreten lassen. Zeigen wir durch Schnelligkeit, was wir im Winter gelernt haben. Hoffentlich, mein teurer Greene, ist die bloße Inspiziererei und das Drillen für uns nun aus.« Er drückte dem Freunde die Hand und ritt mit dem Unter-Inspekteur seinen Adjutanten nach, von denen nur noch die Staubwolke sichtbar war, welche ihre Pferde, im Dorfe verschwindend, erregten.
»Major English ist teilweise schon nach der vorgeschriebenen Order verfahren«, sagte Fish. »Hören Sie, man alarmiert bereits!«
Die Division Greene brach, als sie den Generalmarsch hörte, in dröhnenden Jubel aus. Die Tambours nahmen das Signal auf; Valley Forge war wie elektrisiert. Steuben zog während des Galopps die Uhr. »Major Fish, wenn Sie die Güte haben, Scott und Division Patterson zu ersuchen, vor dem Dorfe neben der Straße aufzumarschieren, so haben die anderen Truppen Luft, Smalwood, Geschütze und Train aber Zeit, sich hier anzuschließen. Ich begebe mich zu Sr. Exzellenz.« Damit trennten sie sich. Als Steuben vor dem Hauptquartier absaß und Vogel die Zügel zuwarf, hörte er bereits Pulawskys Trompeten zum Abmarsch blasen, und Division Lee rückte aus. Er lächelte und trat zu Washington ein, um welchen sein Stab versammelt war.
»Exzellenz, da in diesem Augenblick mein Generalinspektorat aufhört, die Marschformation aber verfügt ist, so bitte ich, mich an den Kopf der Reiter setzen und Herrn von Lafayette zuerst aus der Verlegenheit reißen zu dürfen. Wenn Sie sich seiner Äußerungen über königlich preußische Adjutantendienste erinnern, werden Sie die Bitte natürlich finden.«
»Sie ist gewährt, Baron, doch unter der Bedingung, daß nach dem ersten Chok, und sobald Ihnen des Feindes Stellung klarliegt, Ihr Platz an meiner Seite ist.« »Zu Befehl!«
Steuben eilte hinaus und warf sich aufs Pferd. »Packe das Letzte rasch ein, Vogel, ich bin vorn bei Pulawsky zu treffen. Siehe, daß der Prophet und die Seinen bei dir oder den Damen sind.« Er sprengte durch das Dorf und suchte die Lanciers in der angegebenen Richtung auf. Er fand sie dicht vor dem Verhau bei dem Passe.
»Herr General,« rief er dem Polen zu, »es gilt, den Marquis de Lafayette aus einer englischen Umarmung zu reißen! Lassen Sie den Verhau abwerfen und eine Eskadron auf das Plateau bis zum Rande der großen südlichen Schlucht rücken. In zehn Minuten bin ich bei Ihnen. Mot d'ordre ist – Schweigen!«
Er trabte langsam zurück. Bereits formierte sich die Division Lee vor dem Dorfe. Ins Dorf einschreitend, sah er Detachement Scott antreten, die Stabswache hielt vor dem Hauptquartier, Division Greene rückte jubilierend eben heran.
»Wie fanden Sie die Arrieregarde?« rief er Greene zu.
»In zehn Minuten wird sie im Rücken des Dorfes stehen, Train in einer halben Stunde.«
»Auf den kommt es zunächst nicht an. Sahen Sie Ihre Gemahlin?«
»Nein. Sie ließ mir aber sagen, sie reite mit der Frau Exzellenz und nehme Sigh mit sich.«
»Gott befohlen denn und Glück zu!« Steuben wendete das Pferd und begab sich langsam, die Uhr in der Hand, vor Washingtons Tür. Während er den Vorbeimarsch der Truppen beobachtete und berechnete, wie lange derselbe noch dauern könne, berührte eine Hand leicht seine Knie. Sigh stand vor ihm.
»Ich wollte dich noch einmal sehen, ehe du gegen den Rotrock gehst!«
»Mich freut in diesem Augenblick dein liebes Antlitz, Mädchen. Ich hatte etwas mit dir reden wollen. Du siehst, es geht aber nicht. Meinen höchsten Schatz aber anvertrauen will ich dir. Bewahre ihn wohl.« Er zog Sophies von Anhalt Bild aus der Tasche. »Du darfst es ansehen, wenn du allein bist; darfst es der Generalin Clemence und dem Großvater zeigen, sonst niemand, Sigh!«
»Sind es die toten Augen?«
»Sie sind's.«
Hastig griff das Mädchen nach dem Bild und verbarg es in den Falten der Reisedecke, die ihr über der Schulter hing. Steuben sah hierbei, daß sie Skalpmesser und Kriegsbeil bei sich trug. Sie reichte ihm die Hand und eilte ins Haus zurück.
Wenige Minuten darauf trat Washington mit seiner Suite heraus.
»Wieviel Zeit verging seit Empfang meiner Order, Baron?«
»Fünfzehn Minuten.«
Der Obergeneral warf seinen Blick umher, alles stand oder marschierte in Gliedern.
»Lord Stirling, sehen Sie, wie weit die Arrieregarde und die Geschütze sind!«
Stirling sprengte fort. Washington bestieg sein Pferd. »Mit Gott und Amerika denn!« – Im Schritt, gefolgt von der Stabswache, durchritt die Suite das Dorf, die Linien der Truppen und langte vor der Division Greene an. Alles hatte lautlos Stellung genommen.
Washington wendete sich zu Steuben und zog den Hut.
»Herr Generalinspekteur, in fünfzehn Minuten war wirklich die Armee mobil. Das ist ein Ruhm für unsere Offiziere, für die Soldaten, für Sie, Baron, aber eine sehr edle Genugtuung und eine höchst passende Antwort für Ihre Feinde!«
»Ich hoffe, diese Antwort unten bei den Barrenhills deutlicher zu geben!« Steuben grüßte und sprengte zu der Tete der Lanzenreiter.
»General, ich habe die Ehre, Sie zu begleiten. Lassen Sie uns leicht und ohne Geräusch wie ein Maienlüftchen sein.«
»Wir wollen eine polnische Razzia machen, Baron!« Pulawsky winkte mit dem Degen. Die Lanciers rückten vor und die Schlucht hinauf.
»Ich wünschte, ich hätte 5000 berittene Polen jetzt bei der Hand, General,« sagte Steuben, »ich gäbe viel darum. Wir müssen mit den wenigen also wie eine große Masse erscheinen. Wer hat das Vorposten-Detachement?«
»Koscziuszko!«
»Ich werde mich zu ihm gesellen!«
Steuben sprengte mit seinen Adjutanten vor, das Vorspiel des Kriegstanzes hatte begonnen. – – –
Die Amerikaner jener Tage, dem Indianer in seinen urwäldischen Gewohnheiten näherstehend, liebten es wie jener, Menschen wie Dingen Sobriquets, Spitznamen, zu geben. Den Ort, an dem Lafayette sich gerade in der Klemme befand, hatten sie Barrenhill oder die Gegend der »unfruchtbaren Hügel« genannt. Etliche Wegstunden unterhalb vom Zusammenflusse des Schuykill- und Susquehanna-River unterbrach sechs Meilen östlich vom linken Ufer letzteren Flusses den Urwald eine fast zwei englische Meilen lange Wüstenei. Als letzte Gebirgswelle zur Niederung hinab reckte sich da eine Gruppe Hügel ohne allen Baumwuchs, kaum mit dürftigem Grase bedeckt, und bildete ein gewundenes Tal. – In ihm steckte seit sechs Tagen Marquis Lafayette mit seinem Detachement wie in einer Falle. Den nordwestlichen Ausgang nach dem Flusse sowie den südlichen Eingang desselben hielten nämlich starke englische Abteilungen besetzt, auf den Höhen der Hügel selbst aber waren Truppen postiert, deren Linien die Amerikaner fortwährend unter Feuer hielten und ihnen erheblich geschadet hatten. Zahlreiche Versuche, an einem der beiden Endpunkte durchzudrücken oder einen der Hügel zu nehmen, waren von Lafayette gemacht worden, und seine Truppen hielten sich brav. Ein Entrinnen aber schien unmöglich. Sie wurden stets zurückgeworfen. Ein Glück, daß die Engländer keine Feldgeschütze bei sich hatten, sonst wäre es ihnen ein leichtes gewesen, dem abenteuerlichen Zuge Lafayettes ein rasches Ende zu machen. Sie hatten ihn indessen fest genug, und Gefangenschaft war das drohende Geschick des guten Marquis.
Mittag war vorüber, und noch kam keine Hilfe. Lafayette packte eine Art Grauen, und die Scham der Niederlage machte sein Herz erbeben. Da ertönte am nördlichen Eingang des Passes seitens der Engländer Geschrei und wildes Kampfgetöse. Die dieser Stelle zunächst auf dem Hügel stehenden englischen Schützen wendeten nicht mehr ihre Aufmerksamkeit Lafayette zu, sondern eilten ihren Kameraden am nördlichen Eingang zu Hilfe, welche augenscheinlich dort von einem nordwärts herabkommenden Gegner bedrängt wurden. Hiervon kaum unterrichtet, sammelte Lafayette sein Detachement und führte es zum Sturm gegen den nördlichen Ausgang vor. Ehe ihm dies jedoch gelang, erschienen schon Scharen fliehender englischer Musketiere von dort ihm entgegeneilend, die er sofort unter Feuer nahm. Jetzt brachen die Lanciers von Pulawsky, Koscziuszko und Steuben voran, in die fliehenden Massen und die Schlucht herein, indes auf den Höhen rechts das Korps Greene, auf den Höhen links das Korps Lee die Rotröcke bedrängte. Viele der letzteren klommen oder stürzten die Hügelseiten herab, die Mehrzahl wälzte sich südlich Barrenhill fort, verfolgt von der amerikanischen Infanterie, welche sich mit wahrhaft wollüstigem Grimme an deren Fersen heftete. Was von den Engländern sich in das Tal selbst geflüchtet hatte, wurde umgeritten oder niedergehauen. Lafayette, in einer Anwandlung von Dankgefühl, galoppierte auf Steuben zu und streckte ihm die Hand entgegen.
»Verzeihung, Herr Marquis, diese preußische Adjutantenattacke geht der französischen Artigkeit vor. Vorwärts, Graf Kosczinsko, lassen Sie uns südwärts Luft machen, damit der Feind nicht Zeit gewinnt, sich wieder zu rangieren!« Damit stürmten die Reiter vorüber und lachten Lafayette ins Gesicht. –
Vielleicht wäre es von unserem Helden diplomatischer gewesen, Lafayettes Dank anzunehmen und auf diese kleine Rache zu verzichten, aber der märkische Stolz, das Bewußtsein seiner alten Verdienste machten es ihm unmöglich. Lafayettes Eitelkeit war beleidigt, er vergaß die Blamage nie, welche ihm Steuben vor aller Augen angetan hatte, und sein Dank verkehrte sich in Haß, seine Scham in Neid und giftige Nebenbuhlerschaft. Diese Gefühle wurden nur vermehrt, als Washington mit seinem Stabe eintraf, das Kommando von Lafayettes Detachement selbst übernahm und es sofort durch Hamilton aus der Schlucht nordwärts abführen ließ. –
»Ich bitte um Verzeihung, Exzellenz,« stotterte Lafayette, »daß ich gezwungen gewesen bin, Sie zu inkommodieren, aber –«
»Keine Entschuldigung, wenn's gefällig ist, Marquis,« fiel ihm Washington lächelnd in die Rede, »Sie haben mir Veranlassung gegeben, die Erfahrung zu machen, was unsere Leute wert sind, und wieviel dieselben der Schulung des Barons verdanken. Haben Sie die Güte, schließen Sie sich der Suite an.« – Damit durchtrabte Washington nebst Gefolge das Tal der Barrenhills. Als sie dessen südlichen Paß erreichten, sprengte Steuben ihnen entgegen.
»Das Korps Simcoes warf sich in voller Flucht südlich und westlich in die Wälder. Greene und Lee folgen ihm bis zur Dämmerung. Ich habe mir erlaubt, in Ihrem Namen beide Generale zu ersuchen, gegen Abend zurückzukehren, um auf den südlichen Lisieren Biwaks zu beziehen.«
Washington reichte Steuben die Hand. »Sie haben meine Zustimmung. Ich danke Ihnen als Stellvertreter der Staatsgewalt für die Einsicht und Bravour, welche Sie persönlich bewiesen haben, und für den ersten Erfolg der Truppen, welchen sie Ihrer Erziehung verdanken!« –
Die jetzt in das Tal wie längs den Höhen vorrückenden Divisionen Scott und Patterion brachen in helles Siegesgeschrei aus, die Suite umjubelte Steuben und gab ihm ihre lebhafte Anerkennung kund. Nach an Ort und Stelle gehaltenem Kriegsrate ward beschlossen, einstweilen in der eingenommenen Stellung zu bleiben, Steuben aber wurde von Washington zum Generalquartiermeister ernannt und ihm der Auftrag erteilt, das Kampement der Truppen laut Beschluß des Kriegsrats zu ordnen, auch sollte der Train in dem nördlichen Teil des Barrenhilltals herangezogen, die Artillerie auf die südwestlichen Höhen desselben aufgepflanzt und die Stellung der Armee durch sie und durch starke Rekognoszierungs-Detachements gesichert werden. Den Rest des Tages suchte Steuben mit seinen Gefährten diesen Befehlen zu genügen, und als er spät abends zu dem für ihn und seine Begleiter aufgeschlagenen Zelt zurückkehrte, konnte er sich mit Befriedigung zu einem Erfolge Glück wünschen, der die Armee mit Stolz und Selbstvertrauen zu erfüllen begann.