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Ausgang.

Während Sighard am Königshofe weilte, bestand zwischen den Burgen Greifenstein und Auerberg der lebhafteste Verkehr. Mutter Hildegard, in Folge des Verlustes ihrer Kinder von einer krankhaften Angst um Sighard beherrscht, unterhielt mit ihm eine tägliche Botenverbindung. Die glänzende Auszeichnung und Erhebung ihres Sohnes erfüllte sie nicht nur mit unaussprechlicher Mutterfreude, sondern auch mit Furcht, das tückisch lauernde Verhängniß möchte durch irgend eine Wendung auch ihr letztes Kind rauben, und neidisch die Wonne des Glückes in namenloses Wehe wandeln. Daher drängte es sie, tägliche Nachricht von dem zärtlich Geliebten zu erhalten.

Der Bote überbrachte regelmäßig frohe Kunde und manche Beweise kaiserlicher Huld für den jugendlichen Helden.

Von dem Bedürfnisse getrieben, sich auszusprechen und Anderen von dem mitzutheilen, was ihr Herz so freudig erfüllte, kam Mutter Hildegard oft nach Auerberg, wo sie den ganzen Tag weilte und die Frauen unerschöpflich die glückliche Wendung der Dinge besprachen. Jedesmal geleitete Editha den Besuch nach Greifenstein zurück, wo sie des Boten harrte, und auch die unbedeutendste Nachricht über Sighard ihr werthvoll und kostbar dünkte.

Zum Gerichtstage über Bertolf hatte Billungen seinen klugen Roßknecht Hunolt nach Worms geschickt, Verlauf und Ausgang zu erkunden. Gegen Mitternacht war Hunolt von Worms heimgekehrt. Am nächsten Morgen trat er zum Berichte vor seinen Herrn, der ihn empfing in Gegenwart seiner Gattin und Tochter. Der Knecht erzählte ausführlich den Hergang vor Gericht, und tief erschütterte den Burgherrn das Todesurtheil über Bertolf und dessen Söhne.

»In manchen Stücken hab' ich zwar mich geirrt in dem Burggrafen,« sprach er betrübt. »Ein arger und tückischer Mann ist er gewesen, – dennoch geht mir sein hartes Geschick sehr zu Herzen. Sein hochfahrender Sinn verleitete ihn zu mancher Missethat, – aber sein kühner Muth verdient Achtung, und sein männlich stolzer Trotz verließ ihn selbst beim Anblick des Todes nicht. Alles hat er frank und frei gestanden, nichts geläugnet, – wie ehrenhaft! Wäre er, bei solcher Geradheit und solchem Muthe, ein guter Christ gewesen, seine guten Eigenschaften würden eine glänzende Stellung im Reiche behauptet haben.«

»Wir haben Ursache, Gottes waltende Hand zu segnen, der uns gnädig errettet aus namenlosem Jammer,« sagte Frau Kunigunde. »Bertolfs heidnische Gesinnung würde Deine religiösen Bedenken und Pflichten ebensowenig beachtet, wie seine rücksichtslose Härte den Frevel gemieden haben, unser Kind unglücklich zu machen und Deine Seele mit nagenden Gewissensbissen zu belasten.«

Baldemar schwieg gedrückt. Er gedachte vergangener Dinge. Bertolfs gestellte Bedingung, zur Freilassung Sighards, war ja nur ein Vorwand gewesen, ihm, dem Vater, die Erfüllung seines Versprechens zu erleichtern. Freilich hatte ihm der schlaue Graf jenes Versprechen im Augenblicke eines heftigen Gemüthssturmes abgerungen, und dieser Umstand erleichterte einigermaßen die bitteren Betrachtungen Baldemars.

Nach Entfernung seiner Gattin und Tochter ging er lange im Zimmer auf und nieder.

»Er hat mich damals überrumpelt, überlistet, – der gar schlaue Mann!«

Kaum hatte er diesen Vorwurf ausgesprochen, als er entschuldigend beisetzte: – »Was freilich ohne meine kurzsichtige Einfalt nicht möglich gewesen wäre.«

Inzwischen war Editha dem Knechte gefolgt, den sie nach einer Kammer rief.

»Ihr habt ja von dem edlen Grafen Sighard nur Dürftiges gemeldet, guter Hunolt! Ich möchte seiner ängstlich besorgten Mutter gar gerne frohe Kunde bringen. Könnt Ihr darum nicht Weiteres berichten, bester Hunolt?«

»Doch, gnädiges Jungfräulein, – doch! Ganz Worms ist voll Rühmens über den kühnen Degen. Alt und Jung werden nicht fertig, seine tapferen Thaten zu erzählen, wie er die Mannen des bösen Grafen erschlagen, – wie er, zur Befreiung des Goldschmiedes Veit, den riesengroßen Ritter aus dem Sattel geworfen, – wie er die Kaufleute und den Bürgermeister und Andere mehr aus den Fäusten des Raubpreußen gerettet. Und dann, – wie er ganz allein die Starkenburg nahm und deren Hut überwand, darüber haben sie in Worms ein gar hübsches Lied gemacht, das in allen Gassen und Herbergen gesungen wird. – – Auch wissen die Wormser nicht genug die große Stattlichkeit und Frommheit des Helden Sighard zu preisen, der jeden Morgen mit dem Kaiser zur Messe gehe. Im Münster aber sei er dermaßen in Andacht und Beten vertieft, daß er auf nichts Anderes merke. Fast dünkt mir, die Leute reden über den Grafen Sighard noch mehr, als über den Kaiser Rudolph. – – Auch hörte ich sagen, Rath und Bürgerschaft hätten ihm, dem viel treuen und tapferen Eidgenossen Sighard, weit prächtigere Geschenke gemacht, als dem Kaiser. So stolz und froh sind die Wormser ob ihres Eidgenossen, daß sie gar nicht wissen, was sie an Freude und Ehre ihm sollen anthun. Er ist aber auch ein gar hübscher und höchst stattlicher Mann! Beim Gericht saß er ganz nahe beim Kaiser, und oftmals hörte ich Leute um mich her sagen: – Seht, dort sitzt er, Held Sighard, unser tapferer, viel kühner Eidgenosse!«

In dieser Weise berichtete Hunolt, immer wieder zu weiteren Aufschlüssen durch Edithas Fragen gedrängt. Mit unbeschreiblichem Entzücken, das sich in ihren feinen Zügen und strahlenden Augen spiegelte, vernahm sie die Kunde und fand es nicht langweilig, wenn der Knecht bereits Erzähltes wiederholte.

»Ich danke Euch, guter Hunolt, für die frohe Mär! Wie mag sich Mutter Hildegard freuen! Unverweilt reite ich nach Greifenstein. Rüstet mir den Zelter.«

Während Hunolt hinabstieg, lächelte er geheimnißvoll; denn ihm dünkte, Editha habe dem Grafen nicht blos deßhalb so eifrig nachgefragt, um Frau Hildegard frühe Mär zu bringen.

So waren zwölf Tage vergangen, seit Greifenstein nach Worms geritten. Herr Baldemar hatte sich eben vom Morgenimbiß erhoben und durchmaß in ernstem Sinnen das Zimmer. Bertolfs gedachte er und seines kläglichen Ausganges. Oft schimmerte es, wie eine Thräne, in den Augen des bewegten Burgherrn. Denn nicht einmal die offenkundigen Frevel des Missethäters hatten es vermocht, Baldemars Eingenommenheit und freundschaftliche Gefühle gänzlich zu ersticken. – Da wurde die Thüre ungestüm aufgerissen und Hunolt stürzte in größter Aufregung herein. So heftig war die Gemüthsbewegung des eifrigen Wärters stattlicher Rosse, daß er ohne Wams, in aufgestülpten Hemdärmeln, vor seinem Gestrengen erschien. In Folge seines stürmischen Laufens nach Athem ringend, stand er da, weit offenen Mundes und mit beiden Armen zu Worten gestikulirend, die er nicht sprach.

»Was giebt es?« frag Billungen betroffen. »Sprich, – rede, – was ist vorgefallen?«

»Ach Gott, – Herr, – ein Wunder, – er ist da!«

»Wer ist da?«

»Im Hofe unten steht er, angethan so prächtig, wie ein König!«

»Wer denn? Graf Sighard?«

»Nein, – nein, – unser Zamba!«

Jetzt kam auch über den Herrn die leidenschaftliche Erregung des Knechtes. Mit dem Ausrufe: – »Unser Zamba!« stürzte er aus dem Zimmer, sprang in weiten Sätzen die Stiege hinab und gelangte im Fluge in den Hof.

Wirklich, – da stand er, der mackellos schöne Zamba, die Ursache blutigen Streites. Und wie er seinen alten Herrn sah, stieß er ein grüßendes, schmetterndes Wiehern hervor, das von den überraschten Stallgenossen vernommen und in gleichen Lauten erwiedert wurde.

Babo, Greifensteins Knecht, hielt Zamba beim Zügel, ohne vom Pferde gestiegen zu sein.

»Mein Herr, Graf Sighard, läßt Euer Edlen grüßen. Die Bürger von Worms haben ihm den Zamba geschenkt, den Euch mein gnädiger Graf wieder zurückstellt, mit dem Wunsche, Ihr möchtet ihn noch viele Jahre im besten Wohlsein reiten. – Sodann läßt mein Herr fragen, ob er Euer Edlen heute Nachmittag in einer höchst wichtigen Angelegenheit sprechen könne.«

»Natürlich, – versteht sich!« erwiederte Baldemar, fortwährend Zamba im Auge. »Ich würde heute noch zu dem edlen Grafen hinüber geritten sein und ihm für das hochherzige Geschenk gedankt haben. Da er mich nun aber mit einem Besuche beehren will, so bin ich natürlich zu Hause.«

»Seht doch, Gestrengen, wie herrlich unser Zamba gekleidet ist!« jubelte Hunolt. »Silberne Bügel, silberner Sattel, das Riemenwerk mit silbernen Plättchen gepanzert, – und welch eine kostbare Decke!«

»So haben ihn die Wormser angezogen,« erklärte Babo.

In stiller Wonne betrachtete Billungen das hübsche Thier, wobei er beständig um dasselbe herumging, es mit Schmeichelworten anredete und ihm den stolz gehaltenen Kopf streichelte. Und mit ihm ging und stand Hunolt, der unausgesetzt lächelte, freudig die Hände rieb und Zamba gleichsam mit den Augen verschlang.

Endlich erinnerte sich Billungen der Pflichten der Gastfreundschaft.

»Komme herein, Babo, zum Imbiß!«

»Es kann nicht sein, Euer Edlen! Mein Graf gebot mir, sogleich heimzukehren und ihm Meldung zu bringen, ob er Euch heute Nachmittag sprechen kann.«

»Heute und immerdar, – so oft es ihm beliebt! – Hunolt, laufe hinein, hole einen Krug vom Besten.«

»Meinen Grafen wird es hoch ergötzen, weil er mit dem Zamba Euch eine solche Freude gemacht hat.«

»Ob er mir eine Freude gemacht hat? Melde dem edlen Grafen meinen besten Dank, – sage ihm, niemals könne ich ihm das entgelten, dermaßen groß sei mein Ergötzen.«

Hunolt erschien mit dem gefüllten Weinkruge. Nach einem kurzen Trinkspruche setzte Babo das Gefäß an den Mund und trank in kräftigen Zügen. Hierauf wandte er das Pferd und trabte heimwärts.

Eilig trug Herr Baldemar die freudige Mär von Zambas unerwarteter Ankunft nach dem Zimmer, wo Frau Kunigunde mit ihrer Tochter bei der Arbeit saß. Der Herzensjubel des Gatten und Vaters bewirkte, daß auch die Frauen der Rückkehr Zambas sich freuten.

»Siehst Du,« sagte Frau Kunigunde, »was Bertolfs Gewaltthätigkeiten und blutige Fehde nicht erzwingen konnte, hat Sighards verdientes Ansehen bewirkt.«

»Der Graf will heute Nachmittag herüber kommen, – ließ mir durch Babo melden, er habe eine höchst wichtige Angelegenheit mit mir zu besprechen. Möchte nur wissen, was dies für eine ›höchst wichtige Angelegenheit‹ sein mag!«

Die beiden Frauen schienen das für Baldemars Scharfsinn unbegreifliche Geheimniß sofort zu errathen. Sie blickten sich einander flüchtig bedeutungsvoll an. Editha erröthete und senkte die Augen zur Arbeit, während ein glückliches Lächeln über das Angesicht der Mutter hinglitt.

Billungen machte sich über den Zweck des angesagten Besuches kein weiteres Kopfzerbrechen; denn für ihn gab es gegenwärtig nur eine einzige »höchst wichtige Angelegenheit,« die alles Uebrige in den Hintergrund drängte. Er eilte nach Zambas Behausung, wo er Hunolts überschwängliche Lobsprüche über den Unvergleichlichen anhörte und dieselben vollkommen berechtigt fand. Zamba that sich gütlich beim Futter, wandte zuweilen den Kopf nach seinen Bewunderern und wieherte sie an. Als jedoch Hunolt mit Bürste und Kamm über ihn kam, schüttelte er ungeduldig die wallende Mähne.

»Seht doch, Gestrengen, er hat noch die alten Mucken im Leibe! Von Bürsten und Waschen mag er nichts wissen. Wäre auch fast überflüssig; denn er selber hält sich gar säuberlich und glänzt, wie ein blanker Helm.«

Erst zum Mittagsmahl stieg Billungen nach dem Speisezimmer empor, wo er, trotz seiner schwachen Sehkraft, an Editha eine ganz ungewöhnliche Erregtheit bemerkte. Sie sprach wenig über Tisch, wechselte oft die Farbe und schien von mächtigen Gefühlen beherrscht.

»Was hast Du, mein Kind?« frug der besorgte Vater. »Bald glüht Dein Gesicht wie eine rothe, – bald blüht es wie eine weiße Rose. Was fehlt Dir?«

»Blutandrang nach dem Kopfe wird es wohl sein,« antwortete Frau Kunigunde.

»Das kommt höchst ungelegen! In keinem Falle wirst Du unterlassen, den Grafen herzlich zu bewillkommen, sollte es Dich auch einige Anstrengung kosten. Ich bin ihm sehr zum Danke verpflichtet wegen des Zamba. Indem er mir das herrliche Thier zurück gab, vollbrachte er eine so edelsinnige Handlungsweise, daß sie wohl den kühnsten Waffenthaten des jungen Helden an die Seite gestellt werden darf. Seien wir nicht undankbar und zeigen wir, daß wir solchen Edelmuth zu würdigen verstehen.«

Sie erwiederte nichts, wohl in Folge ihrer ungetheilten Aufmerksamkeit und Sorgfalt, die letzte Gräte aus der Forelle zu entfernen, welche vor ihr auf dem Teller lag. Diese Gleichgültigkeit verdroß den Vater.

»Was ihr Frauen doch für absonderliche Geschöpfe seid!« sprach er ungehalten. »Nicht gar lange ist es her, daß meine Tochter Willens gewesen, ein sehr großes Opfer zu bringen, zur Lösung ihres Jugendfreundes aus der Haft. Und heute, wo derselbe Jugendgespiele in Gestalt eines Grafen wieder kommt, mir dazu gar edelmüthig den Zamba zurück gegeben, – heute scheint meine Tochter nicht einmal gesonnen, ebendenselben Jugendfreund minniglich zu begrüßen.«

Frau Kunigunde vermochte es kaum, sich eines Lächelns über den erstaunlichen Scharfblick ihres Gatten zu erwehren.

»Ich werde nicht versäumen, der guten Sitte zu genügen, mein Vater, – obwohl die Pflicht, meinen Jugendgespielen aus Haft und Tod zu erretten, weit größer gewesen, als die Pflicht, der Hausehre keine Schande zu machen.«

»Gut, – das läßt sich hören!« versetzte befriedigt Herr Baldemar. »Nur vergiß nicht, auch Deinerseits dem edlen Degen für den Zamba zu danken.«

Nach aufgehobenem Male stieg Editha nach ihren Gemächern empor, wo sie vor dem allwissenden Vertrauten ihrer Leiden und ihrer Freuden betend in die Kniee sank. Vielleicht betraf Sighards »höchst wichtige Angelegenheit« doch nicht ihr höchstes irdisches Glück, und für diesen Fall bat sie um Stärke und Ergebung.

Dann rief sie Isengard, zum Empfange des angesagten Gastes ihr ausgewählte Gewänder anzulegen. Die Abwickelung der Toilette war sehr einfach. Jene Zeit wußte nichts von Verschönerungskünsten, die auch, bei Edithas wundervoller Schönheit, überflüssig gewesen wären. Die meiste Sorgfalt erforderte das reiche Haar, dessen Fülle sich wie eine goldschimmernde Fluth über Nacken, Schultern und Rücken ergoß. Zum Schlusse legte die Zofe ein grünseidenes Oberkleid, faltenreich und mit Zobel verbrämt, um Edithas Schultern. Und jetzt brachte die ganze Erscheinung einen fesselnden Eindruck hervor. Das bis zu den Füßen herabwallende fürstliche Gewand, das blitzende Diadem um die weiße Stirne, die blendende Schönheit des Angesichtes, die ebenmäßigen Formen der Körperbildung, die Anmuth und Würde der Jungfrau, die Taubeneinfalt und Lauterkeit der lichtstrahlenden Augen, – Alles vereinigte sich, die idealsten Vorstellungen einer vollendeten Frauengestalt zu verwirklichen.

Isengard wollte sich gerade, nach Zofen Art, in Ausdrücken höchster Zufriedenheit und Bewunderung ergehen, da dröhnte Hufschlag über die Bohlen der Zugbrücke. Im nächsten Augenblick ritt Sighard aus dem Dunkel des Thorgewölbes in den Burghof. Die Zofe eilte zum Fenster.

»Graf Sighard, – mein Gott, wie prächtig! Seht doch, Gnädigste, – ein gar herrlicher Degen!«

Editha folgte jedoch der Einladung nicht. Sie machte sich mit den Dingen einer Schublade zu schaffen, um ihre Gemüthsbewegung zu verbergen.

Herr Baldemar empfing den Gast am Eingange zum Pallas und geleitete ihn nach dem Saale, wo Frau Kunigunde den Grafen in herzlicher Freude willkommen hieß.

»Meine innigste Theilnahme für Eure Auszeichnung und Euer Glück, – beide haben Eure Tugenden und kühne Thaten verdient,« sagte die Burgfrau. »So unerwartet, fast wunderbar, hat sich drohendes Verderben in Heil gewandelt, daß man Gottes Finger im raschen Wechsel der Dinge erkennen möchte. Wir alle fühlen uns glücklich, Herr Sighard, durch die glänzende Anerkennung Eurer Verdienste und hohen Eigenschaften von Seiten des Kaisers.«

Während Frau Kunigunde sprach, rüstete sich Herr Baldemar zu einer feierlichen Standrede, – ein bedenkliches Unternehmen, bei der Ungeübtheit in diesem Fache.

»Herr Graf,« hob er in sehr lautem Tone an, »was meine Frau eben gesagt hat, muß ich in allen Stücken bestätigen. Jawohl, die Wendung geschah ganz wundersam! Als der Bauer von Heppenheim an jenem Morgen die ganz erstaunliche Mär brachte, war ich sehr viel betroffen, sintemal ich Schlimmes fürchtete wegen Eurer That, die wohl kühn erscheinen mochte, mir aber, – verzeiht meine Offenheit, – unbedacht, gewagt, sogar gesetzwidrig dünkte. Als nun der zweite Bote kam, nämlich der Laienbruder aus Lorsch, und frohe Kunde brachte, da fiel es mir wie Bergeslast vom Herzen. So verwunderlich klang jene Mär, daß ich meinen Ohren nicht traute, – ja, hätte ein frommer Bruder nicht berichtet, nimmer hätte ich die Sage für wahr gehalten. Meine Frau hat Recht, – Gottes Finger waltet in der ganzen Geschichte! – – Nun seid Ihr Graf von Starkenburg, Bannrichter in den Stiftslanden, Vogt von Lorsch, und dazu in des Kaisers Huld. Zu Allem wünsche ich Euch Glück von ganzem Herzen! – – Und was den Zamba betrifft, den Eure gar große Güte mir zurück gegeben, so darf ich wohl sagen, daß mir seit vielen Jahren Ergötzlicheres nicht begegnete. Glaubt mir, ich hatte fast Heimweh nach dem Zamba, es fehlte etwas im Haushalt, – nun er wieder da ist, vermeine ich, es sei mir ein hohes Gut geschenkt worden. Das will ich mein Leben lang Euch niemals vergessen, Herr Graf! Kommt Ihr irgendwie in Nöthen, habt Ihr irgend ein Begehren, das ich erfüllen könnte, so erinnert Euch, daß ich Euer großer Schuldner bin.«

»Ich danke für Eure Glückwünsche und genieße die empfangenen Wohlthaten doppelt, durch die Wahrnehmung so warmer Theilnahme,« versetzte mit einer Verbeugung Herr Sighard. »Verzeiht, wenn ich von dem gütigen Anerbieten Eurer Huld und Gunst sofort Gebrauch mache!« fuhr er beklommen fort. »Wie schon gemeldet, möchte ich in einer höchst wichtigen Angelegenheit mit Euch sprechen. Diese Angelegenheit betrifft eine Bitte, deren Gewährung mein ganzes Lebensglück bedingt.«

»Laßt hören, lieber Herr Graf!« ermuthigte Baldemar, als der Bittsteller befangen inne hielt. »Liegt die Erfüllung Eures Wunsches in meiner Macht, dann sollt Ihr mich dankbar finden.«

Diese Andeutung einer Gegenleistung für Zamba mochte in ganz unvereinbarer Beziehung mit Sighards Bitte stehen; denn seine Befangenheit wuchs und er wagte es nicht, seine Herzensangelegenheit vorzutragen.

»Redet frisch von der Brust weg, mein lieber Freund!« ermunterte Billungen. »Habet doch keine Scheu und Besorgniß, an mich eine Fehlbitte zu thun. Nur keine Umstände, saget kurz Euer Begehren!«

Mit glühenden Wangen und gesenkten Blicken stand der kühne und starke Degen in der Schlacht, wie vor einer Riesenaufgabe, während ihn der Burgherr befremdet betrachtete und Frau Kunigunde glücklich lächelte.

»Ich bitte den Vater,« brachte endlich der Recke mit bewegter Stimme hervor, »mir sein Kind Editha zum trauten Gemahl zu geben.«

Herr Baldemar stand einen Augenblick da, wie aus den Wolken gefallen. Dann verbreitete sich eine Mischung von Freude und Besorgniß über sein Gesicht. Er gedachte Edithas heute bewiesener Gleichgültigkeit für den Grafen, – und jetzt war sie nicht einmal zu dessen Begrüßung erschienen. Heimlich die Unbeständigkeit und Seltsamkeiten der Frauen verwünschend, kraute Billungen in den Haaren.

»Herr Graf, – offen gestanden, – lieber wäre es mir gewesen, Ihr hättet Land und Leute von mir begehrt, als meine Tochter; denn über Hab und Gut darf ich frei verfügen, nicht jedoch über die Hand meines Kindes, – wie ein frommer und gelehrter Mönch zu Lorsch mir klar bewiesen. Später will ich Euch diese Geschichte einmal erzählen, – sie hat mir viel Kummer und Leid gemacht.«

»Da Editha ihr Glück und Leben für meine Rettung großmüthig einsetzte,« sprach der betroffene Werber, »so wagte ich, an ihre Liebe für mich Unwürdigen zu glauben. Ebenso hielt ich es für möglich, die Billigung des Vaters für mein dreistes Begehren zu finden.«

»Ei, – Freund Sighard, meine Einwilligung habt Ihr! Natürlich, – versteht sich! Könnte ich überhaupt einen begehrenswertheren Eidam finden, als den Helden und Grafen Sighard? Also, – von ganzem Herzen meine Einwilligung! – – Aber, seht, was hilft mein ›Ja,‹ wenn Editha ›Nein‹ sagt?«

Jetzt hielt es Frau Kunigunde für rathsam, in die zarte Angelegenheit sich zu mischen.

»Herr Graf, Euer Werben ehrt die Aeltern und die Tochter! Ohne Zweifel wird die Entscheidung Edithas der Neigung ihres Herzens entsprechen. Da sie nur wenige Schritte von hier entfernt ist, so will ich sie herbeirufen, ihre Willensmeinung zu vernehmen.«

Mit diesen Worten verschwand sie aus dem Saale.

»Muß gestehen, meine Frau trifft immer das Richtige, – ein gar viel kluges Weib!« rühmte der Gatte. »Und meine Tochter ist fast noch klüger, als ihre Mutter. Ich wünsche sie Euch von ganzem Herzen, lieber Graf!«

Der junge Mann hörte kaum die Worte, ein solcher Sturm von Hoffen und Zweifelsqual war über ihn gekommen. Eine Ewigkeit dünkte es ihn, bis zum Erscheinen Edithas, die offenbar durch ihre Mutter von seinem Werben unterrichtet wurde. Als endlich die Thüre aufging, und die Ersehnte voll Anmuth und in strahlender Schönheit eintrat, beugte er das Knie, erhob sich und stand in namenloser Verwirrung.

»Seid herzlich willkommen, Herr Sighard!« grüßte sie, durch ein huldvolles Lächeln den Beklommenen ermuthigend. »Zugleich drängt es mich, zu Eurer Auszeichnung und Standeserhöhung meine aufrichtigsten Glückwünsche auszusprechen.«

»Dank für Eure Theilnahme, die es mich wagen läßt, die Vollendung meines Glückes von Euch zu erbitten. Editha, – schenket mir Hand und Herz für das Leben, – werdet mein innig geliebtes Ehegemahl!«

Ein liebliches Erglühen ergoß sich über ihr Angesicht.

»Was ich bereits um Sighards willen dahin gegeben, mein Leben und Sein,« sprach sie tief bewegt, »das übergebe ich jetzt in doppeltem Maße an Sighard selbst.«

Beifällig nickte Herr Baldemar. In Kunigundens Augen schlichen Thränen der Freude. Der Graf von Starkenburg küßte Editha der Sitte gemäß auf die Stirne. Die Aeltern beglückwünschten die Verlobten und der hocherfreute Vater segnete sie.

Bis zum Abend weilte Sighard in Auerberg, dann kehrte er heim, Mutter Hildegard das für ihn glücklichste Ereigniß zu melden.

Editha trug nicht lange den Verlobungsring; denn schon nach wenigen Wochen folgte die Vermählung, welche mit großer Pracht in der Stiftskirche zu Lorsch gefeiert wurde.

Der fromme Sinn der Neuvermählten bürgte für ein glückliches Eheleben, dessen Treue niemals wankte, dessen Liebe nicht erkaltete. Allerdings waren Beide nicht ausgeschlossen von dem Loose aller Sterblichen. Oefter umwölkte sich der Himmel im Laufe einer langen Reihe von Jahren. Stürme erhoben sich, Leiden und Prüfungen stellten sich ein, – doch alle diese äußeren Wechselfälle gingen vorüber, ohne die Quelle ihres beneidenswerthen Glückes, nämlich die Gegenseitigkeit einer beharrlichen Liebe und den Frieden mit Gott, getrübt zu haben.

Heidolf, der Klosterschüler, genaß von seiner Wunde und auch von seiner Schwärmerei für das Ritterthum. Er nahm das rauhe Gewand des heiligen Norbert und wurde ein frommer Mönch.

Hans von Steinberg siechte langsam dahin. Oft besuchte ihn Sighard und jedesmal fand er den Kranken heiteren Sinnes.

»Ihr habt damals eine gar heilsame Geißel über mir geschwungen, trauter Kampfgeselle!« scherzte der Leidende. »Ohne Euren Geißelstreich wäre ich niemals zur Besinnung gekommen, und für das ewige Leben zu Grunde gegangen. Nun aber hat der barmherzige Gott mir Zeit zur Einkehr und Sinnesänderung verliehen, – dafür sei dem Herrn Preis und Dank! Mein wüstes Leben zu büßen und zu sühnen, sei jetzt meine einzige Sorge.«

Er starb in aufrichtiger Reue über seine wilde Vergangenheit, ausgesöhnt und in Frieden mit Gott. Nach Steinbergs letztem Willen wurde seine Rüstung in der Klosterkirche aufgehängt, wo sie Jahrhunderte hindurch als Denkmal eines bußfertigen Ritters gezeigt wurde.

Odina, Bertolfs Mutter, nahm ein düsteres Ende. Man fand ihre Leiche in einer unheimlich ausgestatteten Kammer zu Starkenburg. Dort standen drei häßliche Götzenbilder um einen blutbefleckten Altar, und alle Merkmale deuteten an, daß Odina insgeheim die abschreckenden Gebräuche des preußischen Götzendienstes hier geübt und sich schließlich entleibt hatte. Einen Dolch in der Brust, lag sie vor den Götzen ausgestreckt am Boden.

Hatto, der Roßdieb, kehrte einige Monate nach Sighards Vermählung zurück nach Auerbach, wo er durch eine mustergiltige Hauswirthschaft und einen frommen Wandel die entehrende That zu sühnen trachtete. Seine Mitbürger hatten dem öffentlichen Büßer an der Kirchenpforte zu Lorsch langst vergeben. Die Bauern waren voll Bewunderung für die sittliche Kraft des vormals Gesunkenen, der sich aus Unehre emporgerungen zur Ehre vor Gott und den Menschen.

Ueberhaupt nahm das religiöse Leben, und hiermit innig verbunden die irdische Wohlfahrt, unter Sighards Schirmvogtei in den Stiftslanden einen lebhaften Aufschwung. Als dem Kloster die Einkünfte wieder zuflossen, konnte dasselbe eine größere Wirksamkeit für die leiblichen und geistigen Bedürfnisse des Volkes entfalten. Die Nothleidenden verschwanden vollständig, allgemeiner Wohlstand blühte im ganzen Gebiete des Stiftes. Selbst Nothjahre vermochten es nicht, Zinsbauern und Eigenleute zu verderben; denn Poppo, der Kämmerer, war ein sehr umsichtiger und kluger Oekonom. Den Bauern erließ er in solchen Mißjahren nicht nur den Pacht, er öffnete zugleich seine Vorrathshäuser und beschenkte die Bedürftigen mit dem Nothwendigen, – kräftig unterstützt in dieser preiswürdigen Thätigkeit von dem allgemein beliebten Vogt und Grafen zu Starkenburg.

Noch segensvoller waltete das Kloster für die geistige und sittliche Wohlfahrt des Volkes. Die Klosterschulen blühten empor, und nicht allein die Söhne des Adels fanden eine standesgemäße Bildung, auch die Kinder des Bauern wurden im Nothwendigsten unterrichtet, und dahin gehörte, neben den Hauptwahrheiten der christlichen Religion und Sittenlehre, das Lesen, Schreiben und Rechnen. Auch Heidolf fühlte den Drang, in die kleine Schaar der Lehrer einzutreten. So kam es, daß er, statt des Ritterschwertes, die Strafruthe des Dorfschulmeisters in Heppenheim schwang, wo es seinem Eifer gelang, die kleinen Wildlinge zu sänftigen, dieselben sogar mit der Kunst des Schreibgriffels vertraut zu machen.

Die großen Wallfahrtsfeste kehrten regelmäßig wieder. Nach Tausenden strömte das Volk herbei, Gnade zu finden bei Gott durch die Fürbitte des heiligen Nazarius, sich durch reumüthigen Empfang des Bußsakramentes von Schuld zu reinigen, an Gottes Wort sich zu erbauen und dann geistig gekräftigt wieder heimzukehren. Selbst Bruder Ermenold, vormals trauernd über das Böse in der Welt, wurde versöhnt. Er sah die Ströme des Gnadensegens, welche ausgingen von Lorsch, fand die sittliche Entwickelung des Volkes in raschem Aufblühen begriffen, und vernahm von Mönchen anderer Klöster die gleichen trostreichen Beobachtungen. Deßhalb widersprach er nicht mehr, wenn Bruder Gerbod sagte: » Christus vincit, Christus regnat, Christus gubernat.«

 


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