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Folgen einer verweigerten Absolution.

Herr Baldemar von Auerberg war gleichfalls nach Lorsch gewallfahrtet, des Festsegens theilhaftig zu werden. Er hatte einem Dominikanermönche gebeichtet, der zur Aushülfe nach Lorsch gekommen. Ueber eine Stunde währte der geheime Verkehr zwischen dem Beichtvater und dem Edelmann. Das Ergebniß war ein für Billungen ganz unerwartetes und erschütterndes: – die Absolution wurde ihm verweigert. Durch die Klagen und Vorwürfe Kunigundens, sowie durch den Zustand seiner Tochter nachdenklich geworden, hatte er nämlich dem Beichtvater die Verhältnisse auseinander gesetzt. Er hatte sein Versprechen an den Burggrafen, Editha ihm zu verloben, hervorgehoben, und auch die grenzenlose Abneigung seines Kindes gegen den Mann seiner Wahl nicht verschwiegen. Darauf war der gelehrte Dominikaner, mit dem schlimmen Leumund Bertolfs bekannt, bemüht gewesen, die Pflichtverletzung und höchst sündhafte Gewaltthätigkeit des Vaters zu zeigen. Billungen erhob zwar Einwürfe, die jedoch alle sehr gründlich und schlagend, gestützt auf Dogma und Moral, von dem Mönche widerlegt wurden. Die Wirkungen des Beichtverfahrens blieben nicht aus. Im Laufe der lichtvollen Belehrungen fiel es, wie Schuppen, von Baldemars Augen. Seine Eingenommenheit für Bertolf, den er als biederen Edelmann und treuen Freund zu betrachten pflegte, zerrann in Nichts. Er sah sich hintergangen und überlistet durch die Schlauheit eines ränkevollen Bösewichtes, dessen Habgier und hochstrebenden Planen er seine Tochter zu opfern im Begriffe gestanden. Und jetzt wunderte sich Herr Baldemar, daß er nicht längst schon die Kniffe des argen Mannes durchschaut hatte.

Religiös gläubig und redlichen Gemüthes, wie er war, bekannte Billungen reumüthig seine Schuld, fand sogar die Verweigerung der Absolution natürlich, bis er sein schweres Unrecht, durch Auflösung des erzwungenen Verhältnisses zwischen Editha und dem Grafen, thatsächlich widerrufen.

Diese Sinnesänderung Baldemars bewirkte, neben eingehender Belehrung, die überaus milde und liebevolle, zugleich aber auch entschiedene Verfahrungsweise des Beichtvaters.

»Mein Freund,« hatte ihm der Mönch gesagt, »kein Priester in der ganzen Christenheit kann Euch in solchem Zustande gültig lossprechen, bis Ihr das große Unrecht wider Euer Kind und den höchst sündhaften Mißbrauch väterlicher Gewalt aufgehoben. Ich bitte Euch dringend, dies bald zu thun und ja nicht zu säumen, weil kein Mensch den Tag und die Stunde kennt, wann der Herr ihn abruft und Rechenschaft fordert über sein Leben.«

»Ich danke Euch, ehrwürdiger Vater, für das Licht, das Ihr mir angezündet! Wie Feuer brennt mir das Unrecht auf der Seele. Heute noch reite ich nach Starkenburg.«

Als nun Baldemar den Beichtstuhl verließ, drängte es ihn, sogleich aufzubrechen, der drückenden Last ledig zu werden; denn sein religiöser Sinn ertrug schwer das Bewußtsein eines scheidenden Verhältnisses zwischen sich und dem Allerhöchsten, ein Beweis, daß seine Gewissenhaftigkeit ebenso groß war, wie seine Kurzsichtigkeit und gutmüthige Beurtheilung Anderer. Dennoch harrte er aus beim Feste. An der Seite Kunigundens wohnte er dem Hochamte, der Procession und der Predigt bei. Dann geleitete er seine Gattin nach dem Krankenhause zu Heidolf, wechselte einige väterliche Worte mit dem Genesenden, bestieg sein Pferd und ritt gegen Starkenburg.

Der Graf stand am Fenster, neben ihm seine Mutter, beide schauten hinab nach Lorsch, wo die lauschende Menge den Prediger umgab. Die gräuliche Alte murmelte heidnische Flüche, streckte die hageren Arme aus und ballte die Knochenfäuste wider die Festweihe der Christen.

»Perkunos Blitze und Picollos Seuche über sie!« rief das häßlich Weib. »Betrachte die große Menge, welche horchend den Mönch umdrängt, – denselben Mönch, der gepanzert als Deutschritter mit ehernem Fuße unsere Götter in den Staub trat! Und was der Mönch eben zu ihnen spricht, sind Worte desselben Geistes, welcher Tausende entflammte, dem Kreuzesbanner zu folgen, um die heidnischen Preußen zu bekriegen, deren Gottheiten zu stürzen, deren Freiheit in Knechtschaft zu verwandeln. – O ihr Sklaven eines gekreuzigten Juden, – unerträglicher ist mir euer Anblick, als die Schlangenknäuel und die ewig fressenden Nattern der Hölle!«

Sie wandte sich ab nach der Tiefe des Zimmers.

»Und Du, Withing,« fuhr sie den Grafen an, »wie ein Thor handelst Du, den starken Kämpen, Deinen Todfeind, der Haft zu entlassen! Schwertstreit mit ihm versagten die Götter, – den Feind aber unschädlich zu machen für immer, war Dir nicht verwehrt.«

»Von den Göttern nicht, wohl aber von Anderen,« versetzte Bertolf. »In Preußen wäre ein Keulenschlag auf das Haupt des schlummernden Feindes nicht aufgefallen, – hier zu Lande würde die gleiche That mit dem ganzen Adel mich verfeindet, meine Stellung unhaltbar gemacht haben. Ihr kennt ja die wunderlichen Sitten des deutschen Ritterthums. Schließlich hätten mich diese Gebräuche des Herkommens gezwungen, den Gefangenen frei zu geben, ohne sonderlichen Gewinn.«

»Und jetzt? Zeige mir einen Gewinn Deiner thörichten Schwäche!«

»Er liegt auf flacher Hand,« erwiederte Bertolf. »Bildschön ist mein junges Weib Editha, – doch reizender und schöner noch ihre reiche Mitgift. Lasse ich meinen Blick etwas in die Ferne schweifen, so finde ich Edithas Gatten im Besitze des stolzen Auerberg, mit allen Höfen, Ländereien, Forsten und Weinbergen.«

»Hat nicht Baldemar drei erbfähige Söhne?«

»Gegenwärtig – ja! Künftig – nein! Gegenwärtig schon zählt Heidolf nicht mehr. Wie ich vernommen, war der Schwertstreich, beim letzten Kampfe, von so guter Wirkung für den Jungen, daß er dem Ritterthum entsagte und fest entschlossen ist, Mönch zu werden, – und Mönche erben nicht. Die beiden anderen Söhne Baldemars sind junge Laffen, deren Leib nicht gefeit ist gegen irrende Jagdspeere und Pfeile, oder gegen andere todtbringende Mittel, unbequeme Hindernisse zu beseitigen.«

»Ich verstehe!« sprach kopfnickend die Alte.

»Sohin wird mir ein großartiges Erbgut nicht entgehen, – ein Erbgut, das mich, in Verbindung mit Starkenburg, zum reichsten und mächtigsten Herrn in der Runde erhebt. Jetzt schon im thatsächlichen Besitze der meisten Stiftsgüter, werde ich den Pfaffen da unten bald das Lebenslicht ausgeblasen haben. Und dann stehe ich auf fester Grundlage zum kühnen Aufbau eines Fürstenhauses.«

Wieder nickte die Alte mit dem Haupte, und ihre Augen funkelten habgierig; denn Habsucht bildete einen Grundzug des preußischen Volkscharakters. Avaritiae usque ad mortem dediti, – bis in den Tod sind sie ergeben der Habgier, meldet der Chronist.

»Außerdem übersehet nicht, Mutter, daß ich im Geiste unserer Väter handelte, indem ich ein Weib mir gleichsam kaufte. Frauen zu kaufen, oder zu verkaufen, Kinder zu behalten, oder nach Belieben zu tödten, ist ja preußische Sitte Voigt, Geschichte Preußens, B. II, S. 627 f.

»Ich bin versöhnt, Withing, – bin versöhnt! Mir schwillt das Herz vor Lust, mitten im Reiche der Deutschen nach preußischer Sitte zu handeln.«

»Wer stürmt da von Lorsch herauf?« sagte Bertolf, durch das Fenster spähend. »Billungen von Auerberg ist's. – Was mag er so eilig bringen?«

»Nichts Gutes; denn er kommt von einer Stätte, die uns unhold ist,« versicherte die Alte. »Gieb acht, – ihm wurde eine Weisung von den Pfaffen des Christengottes! Und was ein Gott befiehlt, dessen Statthalter zu Rom sitzt, wird ewig unvereinbar sein mit dem Geiste preußischer Gottheiten.«

»Was ihm auch die Kuttenmänner mögen eingeblasen haben, unerschütterlich fest steht mein Wille nach dem einzigen Ziele!« erwiederte Bertolf.

»Mannhaft gesprochen, Withing! Bleibe fest. – Ich gehe, mein Knie zu beugen vor den Göttern, und ihrer mächtigen Huld Dein Streben zu empfehlen.«

Ihre unheimliche Gestalt verschwand unter dem Eingang.

Nicht ohne Unruhe erwartete Bertolf den nahenden Baldemar, dessen Heranstürmen Ungewöhnliches verrieth. Sogar den Burgweg herauf spornte er das Pferd zum Laufe, und jetzt trat er, glühend vor Hast und Erregung, vor den Preußen.

»Willkommen, Freund Baldemar! Ich sah Euch von Lorsch heran sprengen, dermaßen eilig, als gelte es Tod und Leben. Was ist denn los?«

»Neuigkeiten, Graf! – Seht mich an! Da steht Einer vor Euch, dem Absolution verweigert wurde im heiligen Beichtgericht, weil er sündhaften Mißbrauch getrieben mit väterlicher Gewalt. Die Sünde aber des Vaters besteht darin, daß er seine Tochter Editha einem Manne zur Ehe versprach, den sie nicht liebt, – dazu einem Manne, der im Banne der Kirche liegt, wegen Raub, Mord und anderem Frevel.«

»Was ist das? Seid Ihr verrückt?«

»Verrückt war ich, kurzsichtig, blind, – nun bin ich sehend. Um es kurz zu sagen: – mein Versprechen nehme ich hiermit zurück. Editha wird niemals Euer Weib, – es sei denn, sie wähle mit freiem Willen Euch zum Gemahl.«

Der Preuße stand betroffen.

»Seid Ihr wirklich von Sinnen, Freund Baldemar?«

»Von Sinnen war ich, meines Kindes freie Wahl zu knechten, es tödtlich zu kränken, schnöde Gewalt zu üben in einer Sache, die nach Gottes heiligem Willen und nach Recht meine Tochter allein zu entscheiden hat. Ueber All dies hat der fromme Mönch im Beichtstuhle mir ein Licht angezündet, – ein Licht, das mich als ungerechten, grausamen Vater und frevelhaften Christen erscheinen läßt.«

»Ha, – nun verstehe ich!« stieß Bertolf mit verhaltenem Zorn hervor. »Wie, – seid Ihr ein Edelmann? Durch Wort und Handschlag habt Ihr Editha zum Weibe mir versprochen, – was, – schreckt Euch nicht die Entehrung durch Wortbruch? Nein, – es ist nicht möglich! Ihr seid gegenwärtig ganz und gar von Sinnen.«

»Ihr packt mich an der empfindlichsten Stelle, Graf! Doch gefeit bin ich gegen jede Umstrickung trügerischer Arglist. Dem Beichtvater trug ich meine Bedenken wegen des Euch gegebenen Versprechens vor. Er sagte, man könne etwas Böses nicht versprechen, solch ein Versprechen binde nicht vor Gott. Mein Versprechen aber sei frevelhaft, weil es meine Tochter in die Ehe mit einem Manne zwinge, den sie nicht lieben könne, den sie verabscheue. Dazu mit einem Manne, an dessen Hand Blut klebe, dessen unchristlicher Sinn männiglich bekannt, der sogar als Räuber, Kirchendieb und öffentlicher Verbrecher ausgeschlossen sei von der Gemeinschaft der Gläubigen.«

»Prächtig! Dies Alles sagt Ihr mir in's Angesicht?« rief wüthend der Preuße.

»Nicht in der Absicht, Euch, zu kränken, sondern mein Thun zu rechtfertigen. Meine Seele will ich retten, Graf! Will nicht schuldbeladen in die Hände des heiligen, gerechten Gottes fallen. Geräth das Höchste in Gefahr, dann müssen alle menschlichen Rücksichten verstummen.«

Mit verächtlichen Blicken maß Bertolf den Edelmann; denn es konnte der Preuße den Standpunkt eines festen Katholiken nicht begreifen. Der Preuße hielt für Schwäche und Thorheit, was im Grunde Eigenschaften wirklicher Geistesgröße bildete, insofern demüthiger Gehorsam vor Gott, Selbstverläugnung und offenes Geständniß begangener Fehler nicht zu den letzten Merkmalen ächten Seelenadels gehören.

»Demnach wäret auch Ihr ein Pfaffenknecht?« frug höhnisch der Withing.

»Weßhalb?«

»Weil Ihr eine willenlose Puppe seid in der Hand eines Mönches, dessen Einflüsterungen genügen, Euch Wort und Ehre und Treue vergessen zu lassen.«

»Falsch, Graf, – grundfalsch! Ihr seid in der Sache ebenso kurzsichtig und stockblind, wie ich es Euch gegenüber gewesen. Der Mönch hat im Beichtstuhle nicht entschieden nach persönlicher Meinung, nicht nach beliebigem Dafürhalten, sondern nach Lehren und Vorschriften unserer heiligen Mutter, der Kirche. Wer sich aber den Satzungen und Geboten der Kirche unterwirft, der ist kein Knecht, sondern ein guter Christ.«

»Jawohl, – Kirchenmund ist Gottes Mund! An diesem Gängelbande führen die herrschsüchtigen Pfaffen ihre dummgläubigen Schafe,« rief verächtlich der Kirchenfeind.

»Hättet Ihr früher so bündig und klar zu mir gesprochen, ich würde den Heiden erkannt haben, trotz meiner blinden Eingenommenheit für den biederen, edelsinnigen Nachbar zu Starkenburg.«

»Besser ein Heide in Treue und Ehre, als ein wortbrüchiger Christ.«

»Besser ein pflichtgetreuer Christ, der absteht vom erkannten Frevel, als ein gewissenloser Heide, der starrköpfig festhält an der Ausführung gelobter Missethat,« erwiederte Billungen.

Kochend vor Wuth und Grimm, wandte sich Bertolf ab und schritt einige Male durch das Zimmer.

»Wozu der Wortstreit?« hob er wieder an. »Alle Sprüche der Bibel und alle Pfaffen der Welt, vom Papste angefangen, bis herab zum letzten Mönche, können nicht eine Sylbe meines gegebenen Wortes auslöschen. Es bleibt bei unserem Abkommen. Den Gefangenen gab ich frei gegen Edithas Besitz, – so sei es! Ich hoffe, meine angelobte Braut wird ehrenhafter denken, als ihr Vater. Sollte ich hierin mich täuschen,« schloß er im Tone der Drohung, »dann werde ich mein gutes Recht zu vertreten wissen. Suum cuique, – Jedem das Seinige.«

»Mein Versprechen gab Euch kein Recht auf Edithas Hand, weil ich kein Recht hatte, die Hand meiner Tochter gegen deren Willen zu vergeben.«

»So? Ist es nicht Brauch und Herkommen der Väter, nach Gutdünken ihre Töchter zu verheirathen? Habt Ihr nicht selber wohl hundertmal auf dieses väterliche Recht Euch berufen?«

»Irrthümlich! Der Mönch erklärte, es sei dies ein heidnisches Herkommen, durchaus unverträglich mit christlichen Lehren. Ein Vater dürfe sein Kind nicht vergeben und verschenken, wie eine Sache.«

»Schon gut! Heute spricht aus Euch der Mönch, nicht der Edelmann. Reitet heim, – beschlafet den Handel, und morgen werdet Ihr Euch dessen schämen, was Ihr heute gesagt habt.«

»Das wird sich zeigen. Lebt wohl!« erwiederte Billungen und verließ raschen Schrittes das Zimmer.


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