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Das Fest.

Schon am Tage vor dem eigentlichen Feste strömten die Wallfahrer von nahe und fern zusammen, Männer und Frauen, Adelige, Bürger der Städte, Bauern der Dörfer und Weiler. Die Meisten kamen aus innerem Antriebe frommen Sinnes, der Gnaden theilhaftig zu werden, von Gott auf die Fürbitte des heiligen Nazarius allen gespendet, die reuig ihre Sünden gebeichtet und reinen Herzens den Frohnleichnam empfingen.

Nicht Wenige führte Schuldbewußtsein und Zerknirschung über begangene Frevel aus weiter Ferne, nach mühevoller Wanderung, bei Fasten und Casteiung des Leibes, nach Lorsch. Die Wallfahrt mit einer empfindlichen Sühne zu verbinden, belasteten diese Büßer ihre Schultern und Glieder mit mancherlei Gegenständen. Einige trugen große Kreuze von Holz, Andere schwere Steine, Manche hatten sich mit Ketten umgürtet. Viele schleppten Säcke, mit Frucht, Linnen, Wachs, Käse, Hülsenfrüchten, gedürrtem Obst und andern Dingen gefüllt, welche sie dem heiligen Nazarius opferten. Vier Männer aus Speyer brachten auf einer Bahre ein großes lebendiges Schwein. Die Träger des Schweines gingen baarfuß, in Bußsäcken, das Haupt mit Asche bestreut. Durch ihr niedergedrücktes, kummervolles Wesen erregten sie die besondere Aufmerksamkeit Pilgrams, der alle Vorgänge mit reger Theilnahme beobachtete.

Trotz des Zusammenströmens so vieler Menschen herrschte die beste Ordnung. Nirgends Geschrei und Tumult. Alles verlief regelrecht, nach herkömmlicher Gewohnheit. Die Pilger gingen nach der Kirche und schaarten sich um die Beichtstühle. In Gebet und Betrachtungen versenkt, harrten sie des Augenblickes, nach reumüthiger Anklage und versprochener Lebensbesserung, Absolution zu erhalten.

Aus umliegenden Klöstern waren Mönche herbeigeeilt, die Norbertiner von Lorsch bei der geistigen Aerntearbeit zu unterstützen, die weitaus ihre Kräfte überstieg.

»Eine solche Menge Menschen,« schreibt der Chronist Rodulph, »vornehme und geringe, und Leute beiderlei Geschlechts, pflegen an größeren Festen nach unserem Kloster zu kommen, daß sie in Häusern nicht mehr untergebracht werden können, sondern in Hütten und Laubgezelten wohnen müssen, und der ganze Platz um das Kloster her, wie ein Lager aussieht. Dazu kommen viele Kaufleute, welche kaum Pferde und Wagen, Karren und Lastthiere genug finden, eine solche Menge von weit Hergereisten zu führen. Und was soll ich sagen von den Opfern, die man für die Kirche bringt? Zu schweigen von Thieren, Pferden, Ochsen, Füllen, Widdern, Schafen, die in unglaublicher Menge geopfert werden, wird auch Linnen und Wachs, Brod und Käse über alles Maaß und Gewicht dargebracht. Um die Zeit der Vesper werden die Leute, welche im Klostergange dazu aufgestellt sind, die Gaben in Geld zu empfangen, wahrhaft müde, obwohl sie nichts Anderes zu thun haben; so groß ist die Menge des geopferten Geldes Chronic. Abbatiae St. Trudonis, Lib. I.

Was hier Mönch Rodulph von seinem Kloster Tron erzählt, gilt in gleichem Maße von Lorsch.

Poppo, der vielbesorgte, oft hartbedrängte Kämmerer, freute sich der Opfergaben, die auf längere Zeit alle Noth verbannten. Als Kaufleute aus Worms einige Fäßchen gesalzener Fische darbrachten, hielt er es für keine Verschwendung, am Festtage das herkömmliche Gemüse durch mehrere Schüsseln Fische zu bereichern, sogar den Nachtisch mit Kuchen zu bestellen. Auch die Geldspenden kamen ihm sehr gelegen; denn abgerissen waren Gewandung und Schuhwerk der Mönche, Laienbrüder und Eigenleute. Auch die Ackerbaugeräthe bedurften der Nachhilfe und noch manches Andere, was Bertolfs raubgierige Hand in Verfall gebracht.

Eine große Anzahl geopferter Kälber und Hämmel ließ Poppo schlachten, arme Wallfahrer zu speisen. Nach den Spitälern schickte er in reichem Maaße unnütze, für Mönche unbrauchbare Dinge, wie Honig, Wein, gedürrtes Obst, Fleisch und Dergleichen.

Die Herbergen des Stiftes und des Dorfes Lorsch waren mit Pilgern überfüllt, weßhalb eine große Menge die Hütten auf den Matten bezog. Dahin begab sich am späten Abend Herr Pilgram mit seinem Genossen Gebhard, das Thun und Treiben der Wallfahrer zu beobachten. Die Gassen des Hüttendorfes waren ungewöhnlich breit und durch flammende Pechpfannen erhellt. Die Hütten waren niedrig, aber geräumig, und deren Boden mit Stroh zur Nachtruhe belegt. Die Wallfahrer hatten sich in Gruppen vor den Hütten geschaart, Litaneien und andere Gebete gemeinsam verrichtend, die mit Gesängen wechselten, und gerne lauschte Pilgram den seelenvollen Melodien religiöser Volkslieder.

Im Mittelpunkte des Dorfes war von Balken und Brettern eine lange Waarenhalle errichtet, von dem Chronisten domus mercatoria genannt. Zwischenwände schieden die Halle in mehrere Abtheilungen, erhellt durch viele Lichter und Lampen. Hier boten Krämer allerlei Gegenstände feil, Rosenkränze, Paternoster, Heiligenfiguren in Wachs und Holz, Agnus Dei, Crucifixe, Wachsstöcke und Anderes. Kauflustige umstanden die Buden, und auch Herr Pilgram erwarb für sich und seinen Genossen zwei Rosenkränze.

»Traget ihn Unserer Liebenfrau zu Ehren,« sprach er, gutmüthig lächelnd. »Und wenn Ihr ihn betet, so gedenket dabei Eures Gesellen auf der Wallfahrt zu Lorsch.«

Allmählich verstummten Gesänge und Gebete. Die Pilgrime zogen sich in die Hütten zurück, ihre müden Glieder auf das dürftige Lager ausstreckend. Viele wählten jedoch den nackten Boden vor den Hütten zur Nachtruhe, dem Geiste sühnender Buße folgend, der sie hieher geführt. Und als eine Stunde vor Mitternacht die Glocke das Zeichen zur allgemeinen Ruhe gab, da verstummte um das Kloster und im Dorfe Lorsch jedes Geräusch. Grabesstille herrschte allenthalben und nirgends gab ein Merkmal Kunde, von der Gegenwart vieler Tausend Menschen.

Beim Grauen des folgenden Tages öffneten sich die Portale der beiden Kirchen. Die Wallfahrer strömten in die Gotteshäuser, umlagerten abermals die Beichtstühle, während einige Hundert, die am Abende zuvor durch würdigen Empfang des Bußsakramentes sich gereinigt, vor dem Frohnleichnamsaltare sich niederließen. Eine Stillmesse begann, und dann speiste der Priester die Heilsbedürftigen mit dem Brode des Lebens. In kurzen Pausen wiederholten sich die Messen und Communionen für Jene, die inzwischen gebeichtet hatten. Auch Frau Kunigunde erschien am Tische des Herrn, jedoch ohne ihren Gemahl. Sie hatte die Wallfahrt unternommen in der lobenswerthen Absicht, durch die Fürbitte des heiligen Nazarius Genesung und Heil für Editha zu erlangen; denn schmerzlich bewegte das Herz der Mutter das herbe Geschick ihres Kindes.

Gegen neun Uhr begann das Hochamt, wobei sich die ganze Pracht des katholischen Cultus entfaltete. Von der Emporbühne herab klangen die Engelsstimmen der Klosterschüler, die so ergreifend schön erhabene Choräle sangen, daß viele Pilger weinten vor andächtiger Rührung.

Auch während des Hochamtes wurden am Frohnleichnamsaltare Messen gelesen; denn ununterbrochen dauerten die Communionen fort, indeß die Priester in den Beichtstühlen mit großer Anstrengung ihres heiligen Amtes warteten, – für gläubige Gemüther ein überaus beglückendes Schauspiel. Nicht wenige empfindsame und feinfühlige Seelen wollten sogar das geheimnißvolle Rauschen des Gnadensegens wahrnehmen, wie er vom Himmel herab auf die Menge sich ergoß.

Das Hochamt war gesungen, und jetzt rüsteten sich die Wallfahrer zur Verehrung der Ueberreste des heiligen Märtyrers Nazarius. Der kostbare Reliquienschrein war unter feierlichen Ceremonien geöffnet und ein Theil der Gebeine des Blutzeugen auf dem Hochaltare niedergelegt worden. Ein Kissen von weißer Seide, mit Gold reich durchwirkt, mit Perlen und Edelsteinen geschmückt, trug die bleichen Gebeine des Martyrers. Die Wallfahrer ordneten sich zu einer unabsehbaren Procession, welche im linken Schiffe der Kirche hinauf, dicht am Altare vorüber und das rechte Schiff herab zog. Jedes Glied der Procession trug einen Gegenstand in der Hand, Rosenkränze, kleine Heiligenfiguren, oder auch nur ein weißes Tüchlein, in der Absicht, diese Dinge an den gebenedeiten Reliquien des Heiligen berühren zu lassen. Zwei Mönche standen zu beiden Seiten des erwähnten Kissens, empfingen von den Wallfahrern die Gegenstände, brachten sie mit den Reliquien in flüchtige Berührung und gaben sie den Eigenthümern zurück. Jetzt hatte die unscheinbare Wachsfigur, der Rosenkranz, das Tüchlein, hohen Werth; denn es war geweiht durch die Berührung mit den Ueberresten des heiligen Martyrers.

Endlos dehnte sich die Procession. Tausende zogen vorüber, während die Orgel in vollen Akkorden rauschte und die Klosterschüler wunderschöne Hymnen auf den heiligen Nazarius sangen.

Nach altem Herkommen zog die Procession durch das Portal des rechten Schiffes aus der Kirche, nach einem Hügel in der Nähe, wo die Festpredigt gehalten wurde; denn auch die große Kirche konnte die Menge der Wallfahrer nicht fassen. Da jedoch bis zum Beginne der Predigt noch geraume Zeit verstrich, so geschah das Wallen nach dem Hügel keineswegs nach der strengen Ordnung der Procession. Indeß Viele in eiliger Hast dahin liefen, einen günstigen, dem Prediger möglichst nahen Platz zu gewinnen, gingen Andere langsam, zuweilen sogar auf Umwegen. Zu den Letzteren gehörten die beiden Ritter Pilgram und Gebhard. Sie waren mit der Procession um den Altar gezogen, hatten ihre Rosenkränze anrühren lassen, und schritten jetzt in trautem Gespräche langsam nach dem Hügel.

»Wie hoch schätzt Ihr die Zahl der Wallfahrer?« frug Pilgram.

»Mindestens Zehntausend.«

»Eure Schätzung mag zutreffen. – Habt Ihr auch die Grafen von Nassau und Birkenfeld wahrgenommen? Sie gingen nur einige Glieder vor uns in der Procession. Beide trugen graue Gewänder, Bußsäcken ähnlich, und beinahe so wetterscheinig und abgetragen, wie der bekannte graue Rock des Königs Rudolph, den Ottokar weidlich verspottete.«

»Vor dem sich aber des stolzen Böhmenkönigs Prachtgewand in den Staub beugen mußte,« erwiederte Gebhard.

»Nassau blickte mich einige Male scharf an,« fuhr Pilgram fort. »Dank meiner Mönchskutte, fand er jedoch im Dämmer der aufgezogenen Kaputze nicht, was er vermuthete.«

»Und ich meine, erhabener Herr, es würde eine unermeßliche Begeisterung das hier versammelte Volk ergreifen, sähe es plötzlich seinen hochgefeierten, vielgeliebten Kaiser im Pilgergewande in seiner Mitte.«

»Möglich! Allein das Volk wallfahrtete zu einem unendlich höheren Herrn, darum soll Begeisterung für den Kaiser die fromme Andacht und heilige Weihe des Festes nicht stören. Ungekannt will ich hier weilen, den König verbergen, damit Huldigungen die Einkehr bei mir selbst und die Prüfung meines Wesens nicht beeinträchtigen. Herrscher sind leider beständig in Gefahr, über Sorgen um tausend Dinge, sich selber zu verlieren. – – Diese wenigen Stunden, verlebt im Frieden eines frommen Klosters, hatten für mich die heilsame Wirkung eines reinigenden und stärkenden Seelenbades,« fuhr er fort. »Beobachtet man die gewissenhafte Befolgung einer strengen Ordensregel von Seite dieser Mönche, so dünkt mir deren Leben ein beständiges Absterben für das Irdische und ein tägliches Fortschreiten in geistiger Vollkommenheit. Offen gestanden, Pfalzgraf, – klein erscheine ich mir vor der Geistesgröße dieser Norbertiner! Die unerhörten Bedrückungen und Quälereien des Tyrannen Bertolf ertragen sie in christlicher Ergebung, wie Schafe, die ihren Mund zur Klage nicht öffnen. Lenkte ich die Rede auf den Elenden, so wichen sie meinen Fragen aus, – fanden sogar an dem Klostervogte manches Löbliche. Das heiße ich, Feindesliebe üben! – Wir aber müssen Gerechtigkeit üben und strenge Strafe walten lassen. – Heute Nachmittag reitet Ihr nach Worms, wie ich Euch schon angewiesen. Morgen frühe erwarte ich den Landvogt. Oeffnet ihm Bertolf nicht, dann muß Starkenburg gebrochen und die Räuberbande vernichtet werden.«

Er that einige heftige Schritte, dräuend blitzten seine Augen, und ehern klang es unter dem Mönchsgewande. Dann fiel sein Blick auf den Hügel, den eine ungeheuere Menge umlagerte.

»Da sehet hinüber, – betrachtet die Tausende, harrend auf die Verkündigung des Wortes Gottes!« fuhr Pilgram fort. »O unsere heilige Mutter, die segenspendende Kirche! Thoren sind meine Vorgänger am Reiche gewesen, welche den Kaiser auf die Kanzel stellten, in den Beichtstuhl setzten, eigenmächtig im Heiligthum ihn walten ließen, und so das Heilswerk der Kirche vergifteten. Giebt es denn eine wirkungsvollere Unterstützung für den richtigen Gang der Staatsordnung, als die segensvolle, einflußreiche Thätigkeit der Kirche? Erwäget nur die vielseitigen, tiefgehenden Wirkungen einer solchen Wallfahrt! Tausende kommen hieher in der Absicht, mit Gott sich auszusöhnen, zerknirscht ihre Sünden zu beichten, reinen Herzens den heiligen Leib des Herrn zu empfangen. Wie vieles Unrecht sühnet darum ein solches Fest? Wie viele Frevel werden im Keime erstickt? Wie viele Feindschaften beigelegt? Wie viel gestohlenes Gut zurückgegeben? Wie mancher Gedanke des Hasses und der Rache vor Gott abgeschworen? Wie manche Verirrungen und Gewaltthätigkeiten bereut und gut gemacht? Erwäget ferner die große Zahl frommer Klöster, zerstreut über das ganze Reich, – und für jedes Kloster im Jahre zwei, drei oder mehr solche Wallfahrten, – solche Gelegenheiten und Aufforderungen für Adel und Volk, zur Absage des Bösen, zur geistigen Erneuerung und Begeisterung für die Tugend! Kann es wirkungsvollere Mittel geben, das Schlechte auszurotten, die Gemüther zu sittigen, die Herzen zu veredeln? Wahrhaftig, – die Ritter Christi, die frommen Mönche, sind die besten und streitbarsten Gehülfen des Kaisers, im Kampfe wider das Unrecht und jeglichen Frevel!«

»Die Nothwendigkeit der Religion, zur Erhaltung der menschlichen Gesellschaft, wird Niemand bestreiten können,« sagte Gebhard. »Bedenket jedoch, hoher Herr, daß nicht alle Ritter tapfer, nicht alle Mönche fromm sind, mithin auch nicht den heilsamen Einfluß zu üben vermögen, wie die würdigen Väter von Lorsch!«

»Leider richtig! Schon unter den Zwölfboten war ein Geizkragen, ein Judas; – wer möchte die Geizkrägen und Verräther am Heiligsten im Reiche nicht merken? Aber im großen Ganzen dürfen wir die Pfaffheit wohl rühmen.«

Sie nahten dem Hügel, bis zu seinem Fuße herab von einer dichtgedrängten Menge besetzt. Die kegelförmige Gestalt und flache Abdachung des Hügels war nicht natürlich, sondern künstlich hergestellt, um einer sehr großen Volksmenge die Anhörung der Predigten bei Wallfahrten zu ermöglichen. Auf der Spitze des Hügels erhob sich eine tragbare Kanzel, mit einem gewaltigen Schalldeckel, die Tonwellen nach unten zu leiten.

Als ein Barfüßermönch aus Worms die Rednerbühne bestieg, verstummte das letzte Geflüster in der Masse. Der Franziskanerbruder hatte eine mächtige, weithin schallende Stimme, so daß auch jenen Zuhörern, die entfernt standen, kein Wort verloren ging. Bezüglich der Predigtweise hielt sich der Redner gewissenhaft an die Vorschrift seines berühmten Ordensstifters, des heiligen Franziskus von Assisi. Er sprach höchst einfach, dem Ungebildetsten faßlich. Aber den Prediger erfüllte eine feurige Begeisterung, welche die Gemüther entzündete und die Hörer fortriß. In lebendiger Darstellung schilderte er den Glaubensmuth und den Martyrertod des heiligen Nazarius und seiner Genossen. Er zeigte, wie jeder Christ verpflichtet sei, die Tugenden des Heiligen nach besten Kräften nachzuahmen, und wie unermeßlich Glück und Segen des lebendigen, thätigen Christenglaubens für den Einzelnen und ganze Völker seien.

»O meine vieltrauten Brüder und Schwestern,« rief er aus, »könnte ich euch vor Augen halten, was unsere heidnischen Vorfahren gewesen, bevor das Licht der Christuslehre die finstere Nacht des Götzenwahnes erhellte! Bilder von Holz und Stein, selbst Thiere und Bäume und Quellen, haben unsere heidnischen Vorältern göttlich verehrt und angebetet. Betrogen von der Arglist des Teufels und seiner Götzenpriester, hielten sie schwere Frevel und blutige Verbrechen für erlaubt, ja sogar für Pflicht. Raub und Diebstahl waren nicht Sünde, sondern Beweise von Mannhaftigkeit. Auf der faulen Haut zu liegen und müßig zu gehen, gehörte zu den Vorrechten edler Männer, – nichts wußten sie von der Todsünde der Trägheit. Tag und Nacht fortzuschwelgen und sich zu berauschen, hiebei in Streit zu gerathen und sich zu erschlagen, galt für adelig Tacitus, Germania. C. XXII. »Tag und Nacht fortzuzechen, ist Keinem eine Schande. Häufige, unter Betrunkenen natürliche Streithändel führen selten zu Scheltworten, öfter dagegen zu Wunden und zum Todschlage.«. – – Die Knechte und Mägde unserer heidnischen Vorfahren wurden nicht als Menschen, nicht als Ebenbilder Gottes, nicht als Kinder des himmlischen Vaters betrachtet, sondern als Sachen, als Thiere, mit denen ihr Herr nach Belieben verfahren, die er kaufen, verkaufen und tödten konnte. Welch eine Ungerechtigkeit! Welche satanische Grausamkeit! Nein, die Liebe, die christliche Liebe, die Achtung des Nächsten, die Gleichheit aller Menschen vor Gott, kannten die heidnischen Deutschen nicht! Menschenopfer brachten sie auf den Götzenaltären, ja die Aeltern schlachteten ihre leibeigenen Kinder, und sich selbst zu morden, galt für löblich. Welche Gräuel! – – Und diesen teuflischen Lehren der Abgötterei entsprachen die rohen Sitten, die barbarischen Gewohnheiten, selbst die Unwirthbarkeit und Wildheit deutscher Lande, bedeckt mit endlosen finsteren Wäldern und Morästen. Wer von euch, meine Vielgeliebten, möchte hausen in solchen Wildnissen, unter solchen Menschen? Blicket heute über die deutschen Lande, – welche Pracht und Herrlichkeit entfaltet sich da? Wer zählt heute die blühenden Städte, reich bevölkert mit frommen, arbeitsamen, wohlhabenden und glücklichen Menschen? Wer zählt die vermögenden Marktflecken, die begüterten Dörfer und Weiler? Wer überschaut die fruchtbaren Fluren, bebaut von deutschem Fleiße, gesegnet von Gottes Güte? Wer zählt die stattlichen Burgen auf hohen Bergzinnen, bewohnt von einem Adel, der nicht in Raub und Mord, nicht in Zechgelagen und Faulheit, seine Ehre sucht, sondern im Dienste Gottes und des Nächsten? Wer zählt die frommen Klöster, diese Zufluchtsstätten für jegliche Noth und Armuth, darin die Nackten gekleidet, die Durstigen getränkt, die Hungrigen gespeist werden? Wer zählt die Schaaren demüthiger Mägde und tapferer Ritter Christi, die Schaaren der Klosterfrauen und Mönche, deren Beruf es ist, Tag und Nacht flehend vor dem Herrn zu stehen, durch ihre Gebete, Fasten und Casteiungen Gott gleichsam zu nöthigen, seine Gnade auszugießen über die Erde? O meine viellieben Brüder und Schwestern, wie glücklich sind wir, zu leben in solch einer gnadenreichen Zeit, in der Christus herrscht, Christus siegt, Christus waltet! Andere Zeiten werden kommen, – schreckliche Zeiten, von denen geweissagt unser Herr Jesus. Zeiten, in denen abermals, wie zur Zeit des Heidenthums, entfesselt wird die Macht der Hölle. Zeiten der Lüge, der Versuchung, der Verführung, der Tyrannei gegen unsere heilige Mutter, die Kirche. Zeiten, von denen geschrieben steht, daß verkürzt werden die Tage, damit nicht auch die Auserwählten zu Grunde gehen. Zeiten, in denen die Gläubigen verfolgt und verachtet, die Ungläubigen und Frevler geehrt und erhoben werden. Zeiten, in denen die Pracht und Herrlichkeit dieses heiligen Reiches deutscher Nation umnachtet sein wird, weil in demselben nicht mehr leuchtet die Sonne der ewigen Wahrheit, nicht mehr herrscht und siegt Christus, der einzige Weltheiland. – – Danken wir deßhalb dem barmherzigen Gott, der uns geboren werden ließ im Zeitalter eines starken, werkthätigen Glaubens, unter der obersten Seelenleitung eines gar frommen Papstes, unter der Reichsverwaltung eines heldenmüthigen, gerechten und edelgesinnten Kaisers.«

Als endlich der Prediger zum Schlusse gekommen, waren alle Zuhörer noch fester überzeugt von den Segnungen und Wohlthaten der Kirche und begeistert für den religiösen Glauben. Dann hoben die Tausende zu singen an das »Herr Gott Dich loben wir,« mit solcher Macht und so gewaltigem Stimmengebraus, daß weithin über das Land, wie rauschende Meeresfluth, das Lied sich ergoß und wiederhallte an den Bergen des Odenwaldes.

In freudiger Stimmung kehrte die Menge nach Lorsch und dem Hüttendorfe zurück, leiblicher Bedürfnisse gedenkend; denn Mittagszeit war längst vorüber.

Pilgram und Gebhard speisten zusammen in der Herberge des Klosters. Dann bestieg Gebhard das Pferd und ritt gegen Worms.

Pilgram wandelte beobachtend durch die Gassen des Dorfes Lorsch. Nicht nur die Herbergen, sondern alle Bauernhäuser waren von Wallfahrern besetzt; denn Gastfreundschaft an Pilgrimen zu üben, galt für ein sehr gottgefälliges Werk. Auch vor manchen Häusern standen Tische mit Speisen und Getränken, an denen sich die Gäste erquickten.

Unter einer schattigen Linde, den Vorplatz einer stattlichen Herberge zierend, gewahrte Pilgram jene vier Männer aus Speyer, welche das große Schwein getragen und seine Neugierde erregt hatten. Ihre Häupter waren von der Asche gereinigt, aber die Bußsäcke trugen sie noch um den Leib und in den Zügen tiefen Ernst. Sie saßen bei reichgekleideten Männern, offenbar wohlhabende Bürger, um einen langen Tisch, aßen Brod und tranken Wasser dazu. Diese Strenge, verbunden mit einer fast schwermüthigen Haltung, steigerte noch mehr die Neugierde Pilgrams. Zum Tische herantretend, löste er den Gürtel des Mönchsgewandes, die blanken Stahlringe seiner ritterlichen Kleidung wurden sichtbar und verkündeten der Tafelrunde den Stand des Nahenden.

Herr Pilgram grüßte freundlich. Die Männer rückten zusammen.

»Hier ist noch Platz, wenn Ihr uns die Freude machen wollt, ehrenfester Ritter!«

Alle betrachteten überrascht die hoheitvolle Gestalt des Fremden, der sich den vier Männern in Bußsäcken gegenüber niederließ. Sein Nachbar bot ihm den Gasttrunk aus dem eigenen Humpen; denn nach der Sitte jener Zeit galt es nicht für anstößig, wenn Mehrere sich desselben Trinkgefäßes bedienten. Pilgram that einen kräftigen Zug und gab den Humpen weiter, so daß er die Runde um den ganzen Tisch machte, an Jenen von Speyer jedoch unberührt vorüberging.

»Dies war ein erhabenes und gnadenreiches Fest, meine werthen Tischgenossen!« unterbrach Pilgram die eingetretene Stille. »Gar manche Seele mag sich im Guten gefestigt, gar manche von bösen Wegen zum Pfade der Tugend gewandt haben.«

Die Rede des Fremden gefiel, wie das beistimmende Nicken sämmtlicher Köpfe bewies.

»Euer Edlen mag weit hergeritten sein,« sagte ein Neugieriger; »denn Ihr redet nicht die Sprache der Rheinländer, sondern jene des Oberelsasses, wie mit dünkt.«

»Fast habt Ihr es getroffen, – bin Ritter Pilgram aus Schweizerland.«

»Und wir Alle um den Tisch sind Bürger aus Worms und Tribur, – die vier Bußsäcke sind aus Speyer.«

»Habe Euch gestern schon bemerkt und ein großes, fettes Schwein auf Euren Schultern,« wandte sich Pilgram an die Bußsäcke. »Habt Ihr es von Speyer hieher getragen? Ein weiter Weg für solche Last.«

»Es wiegt dreihundert Pfund, – hat uns die Schultern wund gedrückt und manchen Schweißtropfen ausgepreßt,« erwiederte ein Speyerer. »Möge Gott in Gnaden unseren Bußgang annehmen, – möge der gebenedeite Martyrer Nazarius unser Fürsprecher sein!«

Er seufzte und schwieg.

»Wohl ein großes Unrecht, das solche Sühne heischt,« forschte Pilgram.

»Ja, ein großes Unrecht, – ein schwerer Frevel, – eine arge Blutthat!« bestätigten mit düsterem Kopfnicken die Speyerer.

»Sollt jedoch nicht meinen, Herr Ritter, daß unsere vier Tischgenossen den Frevel begingen,« erklärte ein heiterer Bürger aus Tribur. »Im Gegentheil, – wir sehen da vier unschuldige Opferlämmer, welche für Anderer Schuld die Sühne übernommen. In den Bußsäcken stecken vier Rathsmannen aus Speyer, redlich besorgt um das Gemeinwohl ihrer Stadt und deßhalb in Kümmerniß, Gott möge die Gemeinde hart strafen, wegen eines ganz unerhörten Verbrechens. – Nun, Merkel Klöpffel, wollt Ihr dem guten Herrn Pilgram die Geschichte erzählen? Kommt's Euch hart an, so mag dies gelten als weitere Buße.«

»Wäre Euch dankbar für die Gefälligkeit, Rathsmann Klöpffel!« sagte Pilgram. »Nicht gerade Neugier drängt mich, den Handel zu erfahren, sondern Theilnahme für eine gute deutsche Stadt.«

»Jedes Ding hat seinen Anfang, seine Ursache, aus der es hervorgeht, wie aus dem Fruchtkorn der Halm und aus dem Kern der Baum, – so auch die gar arge Blutthat, welche in Speyer geschah,« hob Klüpffel an. »Darum ist es nothwendig, zu melden, was dem Frevel vorausging. – – Auf alte Rechte und Freiheiten sich steifend, wollten unsere Dompfaffen in Speyer das Ungeld nicht zahlen, überhaupt keine Lasten tragen zum gemeinen Nutzen. Dagegen wollten sie alle Vortheile des Gemeinwesens genießen. Zudem gleichen unsere Dompfaffen weit mehr Handelsleuten, die sich um Irdisches kümmern, als ehrlichen Pfaffen, die nur Gott und der Seelen Heil vor Augen haben. Von Alters her treiben sie Handel mit allerlei Frucht, die wächst auf ihren Pfründegütern, und die sie noch auf dem Lande dazu kaufen. In großer Menge fahren sie Frucht in die Stadt, schütten sie daselbst auf, lassen sie in den Speichern liegen bis zur höchsten Theurung, und dann führen sie dieselbe wieder aus, zu Wasser und zu Land. Die Bürger haben das Nachsehen und müssen theuer Brod essen. Dazu treiben die Dompfaffen Weinhandel im Großen und im Kleinen. Nicht blos ihren Pfründe- und Gültewein bringen sie nach der Stadt, sie kaufen überdies nach Belieben von den Bauern. All diesen Wein verkaufen sie wieder nach Fudern und Ohmen. Daneben haben sie durch's ganze Jahr öffentliche Weinstuben, darauf sie ihr Gesinde halten, welches an Fremde und Einheimische den Wein verzapft. Diesen Weinhandel treiben sie mit großem Gewinn, weil sie, in Folge ihrer Freiheiten und Rechte, das Weinungeld nicht zahlen müssen, wie die Bürger. Darum können auch die Bürger ihren Wein nicht so billig verzapfen, wie die Dompfaffen, und leiden aus dieser Ursache großen Schaden. Hiezu kommen noch andere Lasten der Bürger, deren die Pfaffheit frei und ledig ist. Nämlich die schweren Unkosten zur Unterhaltung und Verwahrung der Stadt, zum Bau und zur Ausbesserung der Thürme, Mauern und Straßen, sowie anderer Nothdurft, – dies Alles liegt auf den Schultern der Bürger, ohne die Pfaffheit zu drücken. Nebstdem müssen die Bürger Steuer geben, frohnden, wachen und andere Dienste und Beschwernisse tragen, wovon die Pfaffen frei sind. Dies Alles zusammen dünkte dem Rathe der Stadt gar unbillig. Darum hat er die Pfaffheit freundlich gebeten, sie möchte doch die vielen Lasten der Bürgerschaft beherzigen, dieselben etwas erleichtern helfen, demnach das Weinungeld und anderes Ziemliche auf sich nehmen. Wenn die Glieder eines Leibes und einer Stadt treulich und gutherzig einander helfen, sagte der Rath, dann leben sie in Frieden einträchtig zusammen. Auch führte der Rath die Fabel an, daß ein hartbeladener Ochs seinen Mitgesellen, ein Kameel, gebeten, es wolle doch einen Theil der Last auf sich nehmen, damit sie beide in gleichem Paß möchten nebeneinander hergehen. Das Kameel hat's jedoch verweigert, weßhalb der Ochs den Wagen umgeworfen, so daß ein Theil der Ladung herabfiel, und diesen mußte das Kameel wider seinen Willen auf den Rücken nehmen. – Es, hat jedoch Alles nichts geholfen. Die Pfaffheit stellte sich hinter verbriefte Rechte und Freiheiten, und blieb hart. Darnach hat der Rath beschlossen, es dürfe bei der schweren Zeit keine Frucht aus der Stadt gebracht werden, nicht zu Wasser und nicht zu Land. Ferner, – es dürfe kein Bürger in den Schenken der Dompfaffen Wein holen, weder öffentlich, noch heimlich, weder selbst, noch durch sein Gesinde, auch dürfe er daselbst nicht zum Wein gehen. Auch sollte kein Bürger den kleinen Zehnten weiter zahlen. – Darüber sind die Dompfaffen weidlich erzürnt worden. Namentlich hat der Domdechant, Arnold von Mußbach geheißen, sich stark in's Zeug gelegt und tapfer gestritten für überbrachte Freiheiten und Rechte. Es kam zu gröblichen Händeln und Streitigkeiten. Das Gesinde der Bürger prügelte sich auf Straßen und Höfen mit dem Gesinde der Dompfaffen. Fast jeden Tag gab es blutige Schlägereien. Die Gemüther wurden immer heißer und erbitterter, vorab gegen den starrsinnigen Domdechant. – Jetzt geschah der entsetzliche Frevels Lehmanni Chronic. Spirense, Fol. 568.

Klüpffel hielt inne, als scheue er sich, die Bluttat zu berichten.

»Nur zu, Merkel!« ermunterte ein Tischgenosse. »Bis hieher ist die Bürgerschaft ganz im Billigen, wenn auch nicht im strengen Rechte. Aber allzuspitz nicht sticht und allzuscharf nicht schneidet, darum heißt's im Sprüchwort:

Eng Recht ist ein weit Unrecht,
Streng Recht groß Unrecht.

Wer den Nutzen des Gemeinwesens will, muß auch die Lasten tragen helfen, – das ist billig und recht, dünkt mir. Zum Anderen sollten sich die speyerer Dompfaffen schämen, Fruchthändler und Weinzapfer zu sein, – paßt nicht für Geistliche.«

Allgemeiner Beifall, Ritter Pilgram ausgenommen, der sich jeder Aeußerung enthielt.

»Wirrsal, Haß und Grimm wurden immer ärger,« fuhr Klüpffel fort. »Insonderheit waren die Bürger wider den Domdechant erbittert, der ein gar hartnäckiger und starrköpfiger Mann sei, kein Mitleiden habe mit der gemeinen Noth und fest an verbrieften Rechten halte, sollte auch dabei die Stadt zu Grunde gehen. Der Bischof hingegen, Friedrich von Bolanden, rühmte den Domdechant, der sich erhebe, wie eine starke Mauer für das Hause Gottes und in Allem nach Gerechtigkeit eifere. Dagegen sagte die Bürgerschaft, Fruchthandel und Weinzapfen gehören nicht zum Hause Gottes, und der Domdechant eifere nicht für Gerechtigkeit, sondern für Geld und irdisches Gut. – Solchermaßen wurde gestritten und gehadert mit Worten und in Thaten. Als nun besagter Domdechant, Arnold von Mußbach, früh Morgens zur Mette in das Münster ging, da wurde er todtgeschlagen. Sein Kopf wurde ihm gespalten, das Hirn floß heraus und wurde von einem Schweine gefressen Remling, Geschichte der Bischöfe von Speyer, Bd. I, S. 526.

»In der That, ein ganz unerhörter Frevel!« sagte Pilgram. »Man hat die Mordbuben doch gehängt?«

»Die sind bis zur Stunde unbekannt geblieben,« antwortete Klüpffel. »Aber den Bann hat der Bischof über sie ausgesprochen. – – Damit uns Gott nicht strafe ob des Frevels, machen wir nach heiligen Orten Wallfahrten, in Bußsäcken, bei strengem Fasten. Und weil ein Schwein bei der Blutthat gewesen, so zu sagen dazu mitgeholfen, darum trugen wir ein solches hieher und opferten es dem heiligen Nazarius.«

»Was in Eurer Stadt geschah, Rathsmannen, war ein nichtsnutziges Verbrechen, das Jedermann verdammen muß,« sagte ein Wormser. »Aber die Pfaffheit ist nicht ohne Schuld. Sie hätte ein Einsehen haben und billig nachgeben sollen.«

»Bin gleichen Dafürhaltens,« bestätigte ein Anderer. »Ueberhaupt taugen nicht alle Dompfaffen gar viel, sind auf das Raffen von Geld und Gut versessen, bedenken aber wenig das Heil der Seelen. Betrachtet hiegegen die frommen Leutpriester, die guten Mönche, die Baarfüßer, die Dominikaner und andere, – das sind heilige Männer, ächte Pfaffen! Ihren Leib casteien sie, dienen Gott gar inbrünstig, fragen nichts nach irdischem Gut und treiben die Seelen mit Gewalt in den Himmel. – Mit Weinzapfen und Fruchthandel gewinnt man keine Seelen, auch nicht mit Reiten, Jagen und Bankettiren, wie's heut zu Tage manche Dompfaffen halten.«

»Ganz richtig, – so ist's, – den Nagel auf den Kopf getroffen!« klang es um den Tisch.

Dem lauschenden Pilgram bestätigten diese Reden eine beginnende feindselige Stimmung der Städte gegen die Geistlichkeit reicher und mit vielen Freiheiten begabter Stifte. Und diese Feindseligkeit fand er einigermaßen gerechtfertigt, durch ein anhebendes unpriesterliches Leben an manchen Domkirchen.

»Weinzapfer und Fruchthändler sind just gerade unsere Dompfaffen nicht,« sagte ein Bürger aus Worms. »Doch hatten wir vor nicht langer Zeit einen Bischof, der großes Unheil anstiftete. Heinrich hieß der Bischof, war ein Graf von Saarbrücken, kam nicht durch besondere Frömmigkeit auf den Stuhl, sondern durch Gunst des Kaisers. Selbiger Bischof ließ sich von dem Hohenstaufen, Kaiser Friedrich dem anderen, heimlicher Weise Briefe gegen die Rechte und Freiheiten der Stadt ausstellen. Die Bürger aber kehrten sich nichts daran, sondern blieben bei ihren alten Freiheiten, wie solche von Päpsten und Kaisern geschenkt und bestätigt worden. Darüber gerieth Bischof Heinrich in großen Zorn. Ganz Worms that er in den Bann und gebot, sogar in Todesnöthen keinem Bürger den Frohnleichnam zu reichen, es sei denn, er gelobe zuvor dem Bischöfe Gehorsam und verzichte für seinen Theil auf herkömmliche wormser Rechte und Freiheiten Münster, Sebast. Cosm. S. 693.. – Nun frage ich, ist es christlich, oder gar bischöflich, um zeitlicher Dinge willen am ewigen Seelenheil die Christenleute zu schädigen und zu verderben? Daraus ersieht man klärlich, daß solche Bischöfe und Dompfaffen keine guten Hirten sind, ansonst würden sie nicht um weltlicher Rechte und eiteln Gewinnes willen die armen Seelen drücken und bannen.«

»Ich meine, bei Gott im Himmel gelte ein solcher Bann ebensoviel, wie das böse Urtheil eines ungerechten Richters,« sagte ein Anderer. »Seid Ihr nicht auch gleicher Meinung, Herr Ritter?«

»Wenn ich soll Richter sein in einer Sache,« erwiederte Pilgram, »dann sage ich:

Eines Mannes Red', ist keines Mannes Red',
Man muß sie hören alle Red.«

Mit diesen Worten erhob er sich, ließ eine Silbermünze für den getrunkenen Wein auf dem Tische liegen, grüßte die Tafelrunde und schritt langsam nach dem Kloster zurück.

Die Bürger sahen dem Weggehenden nach.

»Ein stattlicher Herr!« sagte Klüpffel. »Ohne Ehrfurcht ist er gar nicht anzuschauen.«

»Finde dies auch!« bestätigte ein Anderer. »Augen hat er, so scharf, als wollten sie Leib und Seele durchdringen.«

»Dabei ist seine Art von großer Ehrwürdigkeit und Vornehmheit,« äußerte ein Dritter. »Hab' schon viele hohe Herren gesehen, solch Einen aber noch nicht. Wer mag es wohl sein?«

Inzwischen ging Pilgram nach dem Hüttendorfe, wo ihn ein lebhaftes, buntes Treiben empfing. Das Kloster bewirthete seine Gäste. Von den geopferten Schafen und Kälbern war eine große Anzahl geschlachtet und an Spießen, gebraten worden. Die Bäckerei des Stiftes hatte einige Wagen voll Brod herbeigefahren. An verschiedenen Stellen waren angezapfte Fässer mit Wein ausgestellt. Der Wein war leicht; denn er wuchs in dem großen Klostergarten, während Bertolf seine räuberische Hand auf sämmtliche Weingelände des Stiftes an den Vorbergen des Odenwaldes gelegt hatte. Von Laienbrüdern wurde der Wein Allen dargereicht, die mit Krügen und Humpen erschienen. Der Andrang nach den Fässern war nicht so bedeutend, als man nach dem vortrefflichen Getränke und der bekannten deutschen Trinklust hätte schließen können. Die Trinklust war ohne Zweifel vorhanden, aber die fortwirkende heilige Weihe des Festes, und der mahnend gehobene Finger des Blutzeugen Nazarius, zügelten dieselbe. Ein angenehmer Bratengeruch erfüllte die Luft, aber von Gedecken und feinem Tischzeug war nichts zu bemerken. Die Gäste saßen auf Bänken, gebildet aus ungehobelten Bohlen, die auf eingerammte Pfähle genagelt waren. Von gleicher Einfachheit waren die Tische. Teller und Gabeln gab es nicht. Auf mächtigen Schüsseln wurden die gewaltigen Braten herbeigetragen, jeder Gast schnitt sich nach Belieben ein Stück herunter, legte es auf ein umfangreiches Stück Brod und aß. Die Weinkrüge waren gemeinschaftlich und machten die Runde. Viele Gäste saßen nicht an Tischen, sondern lagerten am Boden um Weinkrüge und Bratenschüsseln. So allgemein und anregend war die Thätigkeit des Erlabens, daß auch ein Appetitloser, wäre er in die Athmosphäre der duftenden Braten und ihrer Liebhaber gerathen, unwillkührlich würde zugegriffen haben. Dazu würzte die heitere Gemächlichkeit der redseligen Rheinfranken und lebhaftes Geplauder, Scherze und wohlmeinende Neckereien das Mahl.

Bei der Unzulänglichkeit der Laienbrüder, zur Bewirthung einer solchen Menge Gäste, waren die erwachsenen Klosterschüler eingetreten. Leviten und Diakonen, Jünglinge aus Grafenhäusern und Fürstengeschlechtern, bedienten Bauern und Hörige. Lange Schürzen, mit hohen Bruststücken, um das Ordenskleid gebunden, schritten sie durch die Gassen des Dorfes, riesige Braten vor sich tragend, oder Körbe mit Brodlaiben. Die Gluth emsiger Gastfreundlichkeit röthete die Wangen der Jünglinge, wenn sie eilenden Ganges, mit züchtig gesenkten Augen einherschritten, nicht wagend, ihre Blicke frei ausschweifen zu lassen; denn St. Norberts Disciplin hatte sie unterwiesen, Jungfrauen nicht zu betrachten. Hübsche Frauen und schöne Mägdlein saßen aber nicht wenige um die Tische, wie den Klosterschülern das Gesumme weiblicher Stimmen verrieth.

Magister Ermenold, unter dessen Aufsicht und Leitung die Zöglinge Wärterdienste verrichteten, war allgegenwärtig. Nichts entging seiner Aufmerksamkeit, nichts seiner Sorgfalt und seinem Bemühen, der Gastpflicht zu genügen. Hiebei strahlte sein Angesicht von Glückseligkeit; denn groß und gesegnet war die geistige Aernte des heiligen Festes. Tausende hatten dem Bösen entsagt, mit Gott sich versöhnt, begangenes Unrecht, Haß und Feindschaft widerrufen, so daß Ermenolds gewöhnliche trübe Stimmung ob der bösen Welt überwunden schien. Im Glanze seines Angesichtes bemerkte man zugleich einen Zug, der sich als Merkmal eines freudigen Geheimnisses deuten ließ. Diesen Zug geheimnißvoller Freudigkeit trug er seit der Beichte des Ritters Pilgram, dem er niemals begegnete, ohne Anwandlung, die kniefällige Huldigung an der Kirchenpforte zu wiederholen. Aber das Beichtsiegel zwang ihn, nur den einfachen Ritter in Gegenwart Anderer zu kennen.

Als Pilgram im Hüttendorfe erschien, waren bereits viele Wallfahrer entfernter Orte abgezogen; Andere rüsteten sich zur Heimkehr. Bekannte schieden mit warmem Händedrücken und Segenswünschen von einander. In Allen aber hatte das Fest die Zusammengehörigkeit im Glauben, das Bewußtsein der Kindschaft derselben Mutter, die Gleichheit des Strebens nach dem Höchsten, und demzufolge wechselseitige Empfindungen der Freundschaft und Liebe mächtig geweckt.

Um einen Tisch saßen hörige Bauern, die sich bei Speise und Trank des heiligen Nazarius gütlich thaten. Sie unterhielten sich über Angelegenheiten ihres engen Lebenskreises, namentlich über Pflichten und Leistungen gegen ihre Grundherrschaft. Am Ende des Tisches saßen einige Frauen, unter denen ein hochgewachsenes, robustes Weib, mit entschiedenen Zügen und gerade nicht freundlich funkelnden schwarzen Augen, bemerkenswerth hervortrat. Dieser Hochgewachsenen gegenüber ließ sich Pilgram grüßend am Tische nieder. Die Frauen betrachteten neugierig den Fremden, wie eine ungewöhnliche Erscheinung. Die Schwarzäugige schob ihm schweigend den Weinkrug hin.

»Ihr seid gütig, Frau! Ich trinke auf Euer und aller deutschen Frauen Wohl!«

Die Weiber lächelten: die Schwarze verzog etwas schnippig den Mund.

»Ich sag's ja, die Klosterbauern haben den Himmel auf der Welt!« rief der Leibeigene eines Edelmannes. »Wir müssen uns plagen und schinden durch's ganze Jahr, dazu frohnden für den Gutsherren, – ihr Klosterbauern seid Grafen gegen uns.«

»Es giebt auch Rittersleut', die's gut mit ihren Bauern meinen,« versetzte ein Klosterbauer. »Daneben sind nicht alle Aebte und Mönche Heilige.«

»Das ist wahr! Mein Gestrenger ist ein christlicher Mann, der's wohl meint mit seinen Eigenleuten,« sagte ein Anderer. »Wir können uns manches Eigen erwerben und durch Entgelt der Hörigkeit ledig werden, wenn wir wollen. Dennoch aber dürfen wir uns nicht messen mit der Wohlhäbigkeit der Klosterbauern, die leben auf den Stiftsgütern, wie der Vogel im Hanfsamen. – Sag', Gutwin, was zahlst Du jährlich Deinem Kloster an Pacht und Schatzung?«

»Drei Ferkel und zwölf Eier,« antwortete Gutwin. »Dazu jede Woche einen Tag frohnden auf dem Klostergut.«

»Nicht der Rede werth!« entgegnete der Andere. »Ich muß für meinen Edelmann vier Tage in jeder Woche frohnden, hab' also nur zwei Tage für mich. Obendrein muß ich ihm noch zwei Malter Hafer und einen Wagen Heu in's Schloß liefern.«

»Das ist allzuviel!« sagte Gutwin »Wie mag Einer dabei auskommen mit Weib und Kindern?«

»Ihr Klosterleut' seid halt verwöhnt!« versicherte ein Anderer. »Hab' auch noch nicht gehört, daß ein Klosterbauer sich der Hörigkeit entschlagen, – natürlich! Wer wird so dumm sein, und aus der guten Küche laufen? Dagegen hab' ich schon oft gehört, daß in harter Zeit, bei Nothjahren, die frommen Mönche ihren Eigenleuten unter die Arme greifen mit Saatfrucht, Vieh und jeglichem Bedarf. Darum ist's kein Wunder, wenn Freibauern oftmals den Klöstern sich zu eigen geben.«

Inzwischen hatte die Schwarzäugige ihr Gegenüber beobachtet und schien jetzt Willens, ein Gespräch anzuknüpfen.

»Ihr seid doch nicht in hiesiger Gegend daheim?«

»Weßhalb nicht, Frau?«

»Weil ich aus Eurem Trinkspruch vernommen, daß Ihr anders redet, als wir am Rhein.«

»Demnach seid Ihr am schönen Rhein zu Hause?«

»Ha, – ich bin ja die Müller-Prisel aus Worms, und die Prisel kennt das ganze Land. – – Und wo seid Ihr daheim, wenn man fragen darf?«

»In der Schweiz!«

»Wo die himmelhohen Berge stehen? Hab' oftmals gehört von der Schweiz, – soll gerade nicht das schönste deutsche Land sein und grimmig kalt, wegen des vielen Schnees. Die Mühlräder, hört' ich, seien das halbe Jahr hindurch und noch darüber eingefroren, und die Müller hätten wenig Arbeit und Verdienst, weil in der Schweiz nur kümmerlich Frucht wachse. – – So, – aus der Schweiz seid Ihr! Und wie benamset Ihr Euch, – wenn man fragen darf?«

»Pilgram ist mein Name,« antwortete der Ritter, welchen die gerade Art des Weibes belustigte.

»So, – Pilgram! Und was für ein Geschäft?«

»Ein Dienstmann des Königs Rudolph.«

Prisels Gesicht legte sich in bitterböse Falten.

»So, – hm!«

»Seid Ihr dem guten Könige Rudolph nicht gewogen, Frau Prisel?«

»Gewogen, – dem gewogen? Dazu hab' ich keine Ursach'.«

»Was hat Euch der König Leids gethan?«

»Der, – wie könnt Ihr nur fragen?« erwiederte sie mit steigendem Unwillen. »Wißt Ihr nichts von den harten Steuern, die er dem Volke auferlegt? Für jedes Mühlrad müssen wir ihm dreißig Pfenning zahlen, – macht bei vier Mühlrädern hundert und zwanzig Pfenning! Ist das nicht judenmäßig geschatzt und geschunden? Dazu verlangt er von jeder Hofstätt zwölf Pfenning, – von einem Morgen Rebland zwanzig Pfenning, – von einem ganzen Hofgut gar sechzig Pfenning. Wann ist solche Presserei noch erhört worden im Reiche? Wie kann Jemand bei solchen Steuern aufkommen? Aussaugen thut uns der König, – es ist eine Schande!«

»Seid dem Könige deßhalb nicht böse, Frau Prisel! Die Steuern hebt er ja nicht für sich, sondern zur Führung des Reichshaushaltes!«

»Ei was, – kann er den Haushalt nicht billiger führen, so mag er ihn aufgeben.«

»Ihr werdet den armen König doch nicht abdanken wollen?«

»Was, – abdanken? Ihr sollt mich zum Besten nicht haben, wenn Ihr auch des Königs Dienstmann seid. Zu der gotteslästerlichen Steuer auch noch zum Narren gehalten werden?« rief sie zornig aufbrausend. »Hundertzwanzig Pfenning für unsere zwei Rheinmühlen, – es ist schändlich! Früher zahlten wir gar nichts. Am Ende besteuert er auch noch die Mahlsteine und die Mehlbeutel, – der Presser, der Blutsauger, der Strüpper!«

»Geh', Prisel, sei doch nicht gar so grimmig!« besänftigte die Nachbarin.

»Ei was, – ich red', wie mir der Schnabel gewachsen ist! Keiner soll die Prisel mit Unrecht foppen, – sollt's auch Einer vom Königshof' sein. Und wie ich sage, so ist's! Die Leute beutet er aus mit seinen Steuern, – der Bettelkönig! Was fragt der darnach, wenn ganz wohlhabende Menschen von ihm an den Bettelstab gebracht werden, – der Geier, der Isegrimm, der Schinder!«

Pilgram gab sich alle Mühe, das verhaltene Lachen zu unterdrücken; denn überaus komisch erschien ihm das scheltende Weib.

»Wie schade, daß der König Eure Strafpredigt nicht hört, – würde sich zweifelsohne bessern.«

»Hm, – seid ja des Königs Dienstmann, könnt's ihm ja melden.«

»Wollte dies schon, kann jedoch die saftigen Brocken nicht im Kopfe behalten, – dazu fehlt mir Euer Strafgesicht mit den blitzenden Augen. Kann auch nicht so tapfer beide Hände in die Seite stemmen und die Nase gar so dräuend himmelwärts stellen. Nein, – im Vergleiche mit Eurem eindrucksvollen Vortrage, wäre meine Rede schaal und fade. Dürfte Euch doch nur der König sehen und hören! Wollt Ihr dem Könige nicht aufwarten, wenn er nach Worms kommt?«

»Kommt er wirklich? Es geht stark das Gerede, er käme nächstens nach Worms,« sagte ein Weib.

»Innerhalb drei Tagen. – Nun, Frau Prisel, wollt Ihr dem Könige aufwarten?«

»Mit was aufwarten? Mit meinen hundertzwanzig Pfenning Rädersteuer? Kann der Hungerleider nicht warten, bis er das Geld kriegt? Fährt er auch noch im Lande herum, die Steuern einzutreiben, – der Zöllner, der Schröpfer!«

»Nicht mit dem Steuerpfenning sollt Ihr ihm aufwarten, sondern mit der Wahrheit.«

»Die könnt' Ihr ihm selber sagen, habt sie ja gehört, die Wahrheit, und eßt des Königs Brod.«

»Mir fehlt die richtige Salbung zu Eurer Redeweise, gute Frau Prisel! Und dann die Kraftwörter, – sie müssen unter dem Blitzen Eurer Augen und dem Donner Eurer Stimme niederfahren, wenn sie Eindruck machen sollen. Seht, Frau Prisel, wenn ich Eure Rede wiederhole, so klingt sie, wie Beleidigung, – aus Eurem Munde hingegen brechen die Worte hervor, wie unwiderstehliche Wahrheit. Wie schwach und seicht ist es, wenn ich sage: – der Bettelkönig, der Leutfresser, der Schinder, der, – – nun, wie geh's weiter?«

Die Aufforderung zur Nachhilfe kam Frau Prisel gelegen; denn sofort strömte es über ihre Lippen: »Der Presser, der Zöllner, der Schröpfer, der Nimmersatt, der Geier, der Isegrimm, der Strüpper, der Blutegel, der Hungerleider!«

Pilgram lachte hell auf.

»Ha, – ha! Es ist köstlich! Dazu die Augen, das Mienenspiel, die scharfe Stimme, schneidiger, als ein zehnfach geschliffener Dolch! Frau Prisel, Ihr würdet dem Könige ein ungeheueres Gaudium bereiten!«

»Ein Gaudium, – was ist das?«

»Seine Bekehrung, Frau Prisel, seine Bekehrung!«

»Hm, – seine Bekehrung hab' ich Gott anheimgestellt.«

»Ihr habt für ihn gebetet beim Feste?«

»Natürlich! Das thue ich jeden Tag, wie's einem Christenmenschen ziemt. Und das Beten hat der König gar sehr von Nöthen. Man kann nicht genug Gott und alle Heiligen für den Schatzer anrufen, daß er seine Zöllnerei aufgiebt und ein rechter König werde.«

»Ei, Frau Prisel, hätte nicht gedacht, daß Ihr für den König betet, da Ihr ihn so weidlich herunter geschimpft.«

»Geschimpft? Warum nicht gar! Hab' nur die Wahrheit gesagt. Aber so ist's, – am Königshof, zu dem auch Ihr gehört, wird leider die Wahrheit für Schimpf gehalten. Kommt der König nach Worms, so muß er sich schimpfen lassen; denn er wird Wahrheiten genug zu hören kriegen.«

»Zum Beispiel, Frau Prisel?«

»Daß er ein Landstreicher ist, der seit Jahren da droben am Nordmeer bei den Böhmen und Polaken herumfährt, im Reiche sich aber nicht blicken läßt, wo Alles drunter und drüber geht. Sitzt da droben auf der Starkenburg so ein rechter Heide, ein Preuß, ein Räuber und Mörder, den uns der letzte Stauferkönig in's Land geschafft. Dieser Spitzbube, nämlich der Raubpreuß, wirft mit seinen Diebsgesellen fahrende Leute auf der Landstraße nieder, leert ihnen die Taschen, verwundet, schlägt todt, und hat von unseren Waffenleuten bereits eine hübsche Zahl umgebracht. Und dies Alles läßt unser Einfaltspinsel, der Steuerkönig, ungestraft geschehen, schafft weder Zucht, noch Ordnung. Was kümmert uns der Böhm? Der hat uns nichts zu Leid gethan. Dagegen soll er den Satanspreuß aus dem Lande schaffen, oder ihn aufhängen, wie's der Raubmörder verdient. Gar oft schon hab' ich vernommen, der Preuß gehöre nicht in's Reich, sintemal er weder ein Christ, noch ein Deutscher sei. Warum also läßt der König den Preuß toben und rasen, rauben und morden? Herrgott, – haben wir einen König! Der scheint noch gar nicht einmal zu wissen, wozu er eigentlich da ist.«

»Das müßt Ihr ihm sagen, Frau Prisel! Leset ihm tüchtig die Leviten, wenn er nach Worms kommt.«

»Hm, – warum nicht? Wollte ihm schon eine kräftige Suppe einsalzen.«

»Du aber müßtest die Suppe ausessen, Prisel!« versicherte eine Tischgenossin. »Für den Schinder und Bettelkönig kämest Du sicher in den Block, – oder gar an den Galgen.«

»Weder in den Block, noch an den Galgen. Nimmt er meine Rede nicht für Wahrheit, sondern für Schimpf, so kostet es mich drei schwere wormser Schillinge Pön, – und drei Schillinge will ich noch an meinen armen König hängen.«

»Holla, – ihr Weiber aufgebrochen!« rief ein Mann. »Jetzt nehmen wir den Weg unter die Füße, damit wir vor Nacht heimkommen.«

Alle erhoben sich zum Abzuge.

»Auf Wiedersehen zu Worms, Frau Prisel!« sagte Pilgram.

»Und nichts für ungut, Herr Dienstmann!« erwiederte sie und schritt von dannen.


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