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Die niedergehende Sonne goß einen Strom flüssigen Goldes in das Zimmer zu Starkenburg, in dem Hans von Steinberg verwundet lag. Sighard, ein ebenso aufmerksamer, wie beharrlicher Krankenwärter, saß vor dem Bette und las in einem Buche, das er sich aus der lorscher Bibliothek erbeten hatte.
Steinbergs Blicke ruhten mit dem Ausdrucke unbegrenzter Hochachtung auf dem Lesenden. Die leibliche Pflege durch Greifenstein, und dessen liebevolle Wartung bei Tage und bei Nacht, wurden zwar von Hans gewürdigt, – aber einen weit tieferen und wirksameren Eindruck brachte Sighards religiöses und frommes Verhalten auf den verirrten Edelmann hervor. Ihm entging nicht, wie Greifenstein auch während der Haft seine täglichen religiösen Gewohnheiten beobachtete, wie er nicht blos des Morgens und Abends, sondern auch zu anderen Tageszeiten, im Gebete mit Gott verkehrte und sein Geist religiöse Wahrheiten betrachtete. Sah er am frühen Morgen den stattlichen Helden vom Lager sich erheben und niederknieen, so gedachte Hans längst vergangener Tage, in denen auch er, im Frieden und Glücke eines guten Gewissens, dieser frommen Uebung genügte. Die heiteren und frohen Bilder seiner Kindheit traten vor ihn, und ihre reinen, lichten Gestalten wurden zugleich Ankläger und Berurtheiler seines späteren gesetzlosen Leben. – Hiezu kam der erhebende Verkehr mit Greifenstein und der still wirkende Einfluß einer edlen Gesinnung. Keine Verwünschung, kein Fluch, kein Wort des Hasses, vernahm er aus seinem Munde gegen Bertolf, – wohl aber bittere Klagen über dessen unchristliches Treiben in den Stiftslanden, sowie über dessen harte Bedrückung und Beraubung der Mönche und Klosterleute. Steinberg widersprach nicht, es war ihm unmöglich, die Handlungsweise des Grafen zu rechtfertigen. Er fand vielmehr die Klagen und Berurtheilungen Sighards begründet und gerecht, Bertolfs Thaten weit abirrend von dem allgemein herrschenden Geiste der Zeit, und auch in schreiendem Gegensatze zu den Pflichten des Christen.
Allerdings entsprang diese Auffassung der Dinge nicht nur einer fortschreitenden Sinnesänderung, sondern auch der gegenwärtigen Lage des Kranken. Seine Wunde hatte sich verschlimmert, und er fühlte die rasche Abnahme seiner Körperkräfte, die beginnende Auflösung, das unabwendbare Ende aller irdischen Dinge. Todesgedanken beschlichen und stimmten ihn sehr ernst.
»Edler Sighard,« sprach er bewegt, »besäße ich alle Schätze der Welt, ich gäbe sie freudig hin gegen die Reinheit Eures Gewissens! Doch mit graut vor meinem Leben, darin ich gar viele Sünden und Missethaten gewahre. Ich merke, es geht mit mir zu Ende, – – wie mag ich bestehen vor dem Gerichte Gottes? O Sighard, glücklicher Degen, – wäre doch auch meine gefährlichste Lebenszeit, das Jünglingsalter, behütet worden und geleitet von frommen Mönchen! Aber für mein jugendliches Ungestüm gab es nicht Schloß und Riegel einer heiligen Zucht. Daher meine Verirrungen und jetzt mein Elend.«
Seine Stimme stockte und die Lippen bebten ihm.
»Zaget nicht, mein trauter Freund!« tröstete Held Sighard. »Gott ist barmherzig und gerne willig, dem Reuigen zu vergeben. Gedenket des Schächers am Kreuze, – der sündigen Magdalena, denen Verzeihung ward und Gottes Huld, weil sie bereueten. Gedenket des verlorenen Sohnes, um dessen reuevoller Rückkehr willen der entzückte Vater ein großes Freudenfest veranstaltete. Mögen die Frevel Eures vergangenen Lebens viele sein, derselbe Vater wird auch Euch, den Reuigen, mit offenen Armen aufnehmen. Darum wäre es zugleich heilsam Eurer Seele, wenn Ihr in die Hut der ehrwürdigen Väter von Lorsch Euch begeben würdet.«
»Ja, ich will es, – morgen schon!«
»Morgen ist es nicht wohl thunlich; denn es feiert das Kloster ein Wallfahrtsfest. Doch übermorgen gehet nach Lorsch. Ich will meinen Knecht dahin schicken, Eure Ankunft melden und bitten lassen um die Sänfte, dieweilen das Fahren Euch schaden möchte.«
»So mag es gelten, mein Sighard, mein guter Engel!«
Darauf schwieg der Kranke, lag mit gefalteten Händen und schien zu beten.
Der Dämmerung folgte das Abenddunkel. Sighards Knecht trat ein, stellte einen brennenden einfachen Leuchter auf den Tisch und zugleich das dürftige Mahl für seinen Herrn.
»Babo, gehe nach der Küche,« befahl der Gefangene, »und siehe nach der Weinsuppe für Herrn Hans von Steinberg. Sage den Mägden, das Wasser könnte weniger sein in der Suppe; denn es bedürfe der Kranke sehr einer kräftigen Nahrung.«
Die hastenden Schritte Babos waren kaum im Gange verhallt, als der bekannte schwere Tritt des Burgherrn näher kam. Weit die Thüre öffnend, den Hut auf dem Kopfe und im stark gerötheten, weinseligen Gesichte ein triumphirendes Lächeln, trat Bertolf ein.
»Guten Abend, edle Herren! Wie geht es Euch, Freund Hans? Immer noch bettlägerig? Wie kann man nur krank sein in einer so lustigen Zeit? Für meinen Theil würde ich heute sogar dem Tode in's Gesicht lachen, – säße er auch auf dem grimmen Schwerte des Recken Sighard. Unverwundbar bin ich heute, gefeit gegen alle Waffen; denn Lust und Leben trank ich aus dem besten Weinfasse zu Auerberg.«
»Könntet Ihr trinken aus dem Becher meiner Leiden, der Weindusel verginge Euch, Graf! Auch Ihr würdet vielleicht erwachen, zur Nüchternheit der Selbsterkenntniß.«
»Ha, – ha, – prächtige Gedanken! Wollt Ihr etwa Mönch werden, guter Hans?«
»Als Kranker, – weniger am Leibe, als an der Seele krank, will ich allerdings Heilung bei den frommen Vätern in Lorsch suchen.«
»Thut dies, bester Hans! Die Mönche in Lorsch sind ausgezeichnete Aerzte, werden Euren Leib durch Salben kuriren und Eure Seele durch Fasten und Gebet. Für meinen Theil brauche ich weder Salben, noch Fasten und Gebet, – meine beste Arznei ist der Wein; – ha, – ha!«
»Es giebt stärkere Geister, als der Weingeist, Burggraf! Erwachen die gemeinten Geister in Eurer Brust, Ihr werdet sie in einem Meere von Weingeist nicht ersäufen können.«
»Und Ihr sollt sie nicht wecken, – stille, – nur stille! Wie ein Gespenst redet Ihr, das neidisch meine Lust ersticken möchte. – – Herr Ritter,« wandte er sich an Greifenstein, »für Euch hab' ich eine ganz ergötzliche Botschaft, – sollt Euch wundern! Freund Hans muß wirklich nach Lorsch, in die Pflege der Mönche; denn Euer Krankenwärterdienst hat ein Ende. Der Haft seid Ihr ledig, – könnt heimreiten, wann es Euch gefällt.«
Der Gefangene sah den Burgherrn verwundert an.
»Mein voller Ernst, edler Sighard! Hoffentlich traget Ihr keinen Haß fort aus Starkenburg wider mich, – möchte gerne in Freundschaft zu Euch stehen, sintemal böse Nachbarschaft niemals erfreut.«
»Ich bitte, Herr Graf, in einer ernsten Sache nicht zu scherzen!« sprach der junge Edelmann, in der Meinung, Bertolfs Weinlaune erlaube sich einen Spaß.
»Scherzen? Durchaus nicht! Euer Lösegeld ist bezahlt, – der Haft seid Ihr quitt, Eures verpfändeten Wortes ledig, – könnt morgen heimreiten.«
»Wer bezahlte mein Lösegeld?«
»Baldemar, – oder nein, – nicht Baldemar, vielmehr dessen Tochter Editha. Ich sage Euch, ein Lösegeld, das mich vollkommen zufrieden stellt!«
Greifenstein saß einige Augenblicke in sprachlosem Erstaunen.
»Was Ihr sagt, verstehe ich nicht, Graf! Redet klar, mir verständlich.«
»Ha, – ha! Rede ich etwa türkisch oder spanisch? Jedes Kind versteht es, wenn ich sage: – Editha bezahlte dem Grafen Bertolf das Lösegeld für den edlen Ritter Sighard von Greifenstein.«
»Ein Kind mag dies verstehen, ich nicht,« erwiederte Sighard, indem er sich, von Unruhe und Bangigkeit ergriffen, vom Sitze erhob. »Eure Kunde enthält für mich manches Räthselhafte. Zunächst, – wie kam Editha dazu, mein Lösegeld zu zahlen?«
»Weil ich's verlangte, Herr Nachbar! Die Urfehde habt Ihr verworfen, mußte demnach andere Bedingungen stellen, – und dieses andere Lösegeld konnte nur Edithas reicher Schatz aufbringen.«
»Wie hoch beläuft sich die Summe?«
»Unermeßlich hoch. Glaubt Ihr, man löst einen Gefangenen von solcher Wichtigkeit um einige Pfund Silber?«
»Nennt die Summe, Graf, – die Summe, – die Summe?«
»Die Summe? Ha, – ha! Auf mein Wort: – in Pfunden von Silber und Gold ist die Summe gar nicht auszudrücken. Was fragt Ihr auch darnach? Das Lösegeld ist schon bezahlt, Ihr seid frei; – das mag Euch genügen.«
»Durchaus nicht! Auf den Heller muß das Lösegeld zurückerstattet werden.«
»Dazu fehlen Euch die Mittel, – auf Ehrenwort, – die Mittel; solltet Ihr auch sämmtliche Bausteine Eures festen Hauses in Goldstücke verwandeln.«
»In diesem Falle kann ich den Vorschuß der edlen Freundin nicht annehmen,« sprach entschlossen der Gefangene.
»Seid kein Thor! Editha wünscht niemals eine Rückerstattung, weil ihr der Ruhm hochsinniger Freundschaft mehr gilt, als zehnfacher Rückersatz. Und Ihr handelt nicht edelmüthig, wenn Ihr mackelt, wie ein Jude, und solchen Freundschaftsdienst nicht annehmen wollt. Eure Weigerung wird auch nichts helfen; denn ich bin einmal im Besitze des Lösegeldes und habe keine Lust, um Eurer närrischen Laune willen, es wieder herauszugeben.«
»Und ich nehme vorläufig die angebotene Freiheit nicht an,« erwiederte Greifenstein. »Morgen werde ich nach Auerberg reiten, von Editha zu erfahren, was Ihr hartnäckig verschweigt.«
»Meinethalben! Fraget nach, – dies ändert nichts an der Sache. Für heute gute Nacht!«
Der Graf wandte sich um und verschwand aus dem Zimmer, den Gefangenen in einem unlösbaren Gewirre von Vermuthungen zurücklassend.
Nach einer sorgenvoll durchwachten Nacht, die er in düsteren Betrachtungen, oder den Verwundeten pflegend, zubrachte, suchte Greifenstein gegen Morgen das Lager und versank in einen festen Schlaf. Bei seinem Erwachen stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Rasch erhob er sich, belegte Steinbergs Wunde mit frischem Umschlage und trat zum Waschbecken. Mit ungewöhnlicher Sorgfalt kämmte er sich das wallende Haar, und kleidete den starken Leib in Wams und Beinkleider von Leder, die unter der Rüstung getragen wurden. Flüchtig genoß er von den aufgetragenen Speisen, und legte, mit Hilfe Babos, die Rüstung an. Das Alles geschah mit großer Hast, wobei ihn der Kranke schweigend beobachtete.
»Bin selber neugierig, was Ihr zu Auerberg erfahren möget,« sagte Hans. »Kann mir den seltsamen Handel durchaus nicht erklären, welchen Editha mit dem Grafen abgeschlossen. Aber schon der Gedanke würde mich erfüllen mit Wonne, Theilnahme und Huld eines so gar minniglich schönen Mägdleins zu besitzen.«
Sighard erwiederte nichts. Er zog die Stahlringe der Panzerkappe über das goldflimmernde Gelock seines Hauptes und nahm aus Babos Hand den Helm.
»Benützet mein Roß, edler Sighard! Schnell wird es Euch zur Burg Baldemars hinauf tragen.«
»Ich mache gerne Gebrauch von Eurer Güte, – trauter Kammergeselle! – Du bleibst hier, bis zu meiner Rückkehr,« wandte er sich an den Knecht. »Jede Stunde machst Du frische Aufschläge, vollziehst überhaupt alle Wünsche des edlen Herrn.«
Nach einer viertel Stunde stürmte der Gewappnete auf der Landstraße dahin, und gelangte bald an den Fuß des Berges, auf dessen Stirne das stolze Vaterhaus Edithas sich erhob. Der langsame Aufritt zur Höhe unterzog Greifensteins brennende Ungeduld einer schweren Probe. An schroffen Stellen sprang er aus dem Sattel, und schritt dem schnaubenden Streithengste voran. Für die Herrlichkeiten des Waldes, die ihn umgaben, waren alle Sinne ihm verschlossen. Er empfand nicht den reinen, würzig duftenden Aether der Höhe, sah nicht die gewaltigen Stämme der Baumriesen und deren grünes, den Sonnenstrahlen undurchdringliches Gewölbe. Ebenso wenig hörte er den lieblichen Gesang der Vögel, deren Stimmen in der Nähe und aus fernen Thalgründen erschallten, sich vereinigend zu einem erhabenen Choral, der jedes einigermaßen empfindsame Gemüth zu weihevollen Betrachtungen einlud. Herr Sighard, taub und blind für die Außenwelt, war einzig bedacht, die Höhe in Sturmeseile zu gewinnen. Als er endlich vor der Burg hielt, fand er das Thor geschlossen. Er griff zum Hifthorn, das um seine Schulter hing, und begehrte Einlaß. Der Hornstoß umkreiste gellend Thürme und Zinnen, wiederhallte an umliegenden Bergwänden und erstarb in leisem Nachklang der Ferne. Sighard lauschte. Nichts rührte sich. Wie ausgestorben erschien die Veste. Schon war er im Begriffe, das Hifthorn abermals an die Lippen zu setzen, als Tritte nahten. Das Thor öffnete sich und Hunolt, der Roßknecht, stand vor dem jungen Edelmanne.
»Willkommen, edler Herr!« grüßte Hunolt, aber nicht in seiner gewohnten frohen Weise, und Sighards forschender Blick gewahrte sogleich Unruhe und Trauer im Gesichte des Knechtes. »Sie sind Alle fort, – die gnädigste Herrschaft und das Gesinde. Alles wallfahrtete zum heiligen Nazarius nach Lorsch. Nur das gnädige Jungfräulein und ihre Zofe Isengard sind daheim.«
Die Kunde war nicht geeignet, Sighards banges Ahnen zu beruhigen. Er kannte Edithas frommen Sinn, nur sehr wichtige Umstände konnten sie von der Wallfahrt abgehalten haben. Sich vom Pferde schwingend, stand er in Sorgen vor Hunolt.
»Was geschah? Sprich!«
»Ich weiß es nicht, gestrenger Herr! Seit unser Gebieter mit unserem Jungfräulein in Starkenburg gewesen, – dies war vor vier Tagen, – ist gar trübes Wetter allhie und Editha krank, – sehr krank.«
Greifenstein erbleichte und nahte langsam dem Eingange, wo ihn Isengard empfing, deren kummervolles Aussehen Hunolts Bericht sofort bestätigte. Und so groß waren Bestürzung und Spannung Sighards, daß ihm die Geduld fehlte, nach den oberen Gemächern emporzusteigen. Er bat die Zofe, mit ihm die Kemnate zu betreten, eine geräumige gewölbte Stube, zu der unmittelbar neben der Schloßpforte eine mit hübschen Eisenbändern gefestigte und zugleich geschmückte Thüre führte. Isengard sank auf eine Bank hin und leitete ihre Aufschlüsse durch einen Strom von Thränen ein, indeß der Gewappnete vor ihr stand, wie eine Bildsäule von Erz.
»O du mein Gott, – mein armes Fräulein, – mein namenlos unglückliches Fräulein!« schluchzte die Zofe.
»Bei allen Heiligen, – redet! Was ist geschehen?«
»Ihr wißt es nicht? Gar nichts?«
»Gestern Abend erschien der Burggraf vor mir mit der Erklärung, daß ich frei sei, – Editha habe das Lösegeld bezahlt. Worin das Lösegeld bestehe, weigerte er, zu sagen. Das Nähere zu erfahren, bin ich hier.«
»Höret, Herr Sighard, – o höret! Ich will versuchen, den Jammer der letzten Tage Euch zu schildern, obschon ich kaum dies vermag. – – Heute sind es vier Tage, da kehrte meine edle Herrin mit ihrem Vater von einem Besuche in Starkenburg zurück, und zwar in einem Zustande so bitteren Wehes, daß sie entstellt war, bis zur Unkenntlichkeit. Ihre sonst strahlenden Augen waren erstorben und eingesunken; schneeweiß war ihr Angesicht, ihre Haltung starr und leichenhaft. Schweigend, wie eine wandelnde Todte, stieg sie nach ihrer Kammer empor, sank dort in einen Armsessel und starrte unablässig vor sich hin, unzugänglich und taub für alle Fragen und Vorstellungen ihrer Mutter. Einige Stunden währte dieser Zustand. Dann erhob sie sich und kniete auf ihrem Betschemel vor dem gekreuzigten Herrn nieder. Lange – lange betete sie stille, bis sich ihre Starrheit in einen Strom von Thränen auflöste. Dann hob sie laut zu beten an. ›Du lehrst mich, o du gekreuzigter Herr Jesus, sprach sie, durch dein süßes Wort und heiliges Beispiel lehrst du mich, was man thun soll für Jene, die man herzinnig liebt! Gieb mir Gnade, o Gott, verleihe mir Kraft, daß ich es vermag!‹ – – Dann wieder rief sie Unsere Liebefrau an, in Worten und Klagelauten eines Menschen, der vom Leben scheiden will und mit dem Tode ringt. So währte es bis gegen Mitternacht. Jetzt wurde sie ruhig, – sehr ruhig. Sie erhob sich vom Betschemel, wie verwandelt. Das gar große Wehe war fort, auch die entsetzliche Starrheit war fort. Eine unbeschreibliche Hoheit und Würde verklärte ihr ganzes Wesen. Sie glich einem Menschen, der nach heißem Streiten einen glänzenden und glorreichen Sieg errungen. – Jetzt wagte ich, nach ihrem Befinden zu fragen.
›Ich bin glücklich, meine Isengard; denn ich kann ihn retten und werde ihn retten.‹
›Wen retten, Gnädigste?‹
›Den edlen Sighard.‹
›Droht ihm Gefahr?‹
›Ja, – der Tod! Bertolf, der schreckliche Mann, will ihn morden, – es sei denn, ich gebe mein Leben hin, als Lösepreis für Sighards Leben.‹
›Wie ist dies möglich, edle Herrin?‹
›Ja, möglich ist es und wird geschehen. Ich bin entschlossen, das Opfer zu bringen!‹ antwortete sie, mit dem himmlischen Glanze eines Engels in dem Angesichte.
›Ich kann es nicht fassen, Gebieterin! Wie mag Bertolf Euren Tod verlangen? Es ist ja nicht denkbar!‹
›Meinen Tod gerade nicht, – und doch meinen Tod! Sterben heißt, sich mit dem Tode vermählen, – und ich soll mich vermählen mit dem Schrecklichen, – grauenhafter noch, als der Tod. Der Graf fordert meine Hand, heischt mich zum Weibe, als einzigen Lösepreis für Leben und Freiheit des edlen Sighard.‹«
»O Himmel!« stieß Greifenstein hervor, wankend und taumelnd, wie ein Berauschter. »Editha, – Wonne meines Lebens, – Dich willst Du opfern, mich zu retten? O ich Glücklicher, ich namenlos Glücklicher durch die Liebe der Herrlichsten der Frauen! Himmel und Erde, höret und beneidet mich: – Editha liebt mich, – mehr liebt sie mich, als ihr Leben!«
Sogleich aber schlug dieser Taumel höchster Freude in sein Gegentheil um. Sighards Angesicht, eben noch leuchtend von Glück, entstellte sich. Zornesflammen sprühten aus seinen Augen, die Fäuste ballten sich und die ehernen Ringe der Rüstung krachten unter der leidenschaftlichen Erschütterung des reckenhaften Körpers.
»Ha, – der Elende!« rief er wild. »Nun verstehe ich sein räthselhaftes Gebahren. Schurke, – arglistiger, tückischer Bube, – daraus wird nichts! Wie, – ein Teufel reckt seine Krallen aus nach einem Engel? Ha, – ha! Warte, – warte!«
Wie von Sinnen stürmte er durch die Kemnate, bald Drohungen wider den Grafen ausstoßend, bald Edithas Seelengröße bewundernd und in überschwänglichen Worten preisend. Endlich trat er in fieberhafter Spannung vor die Zofe.
»Fahret fort, Isengard, erzählet weiter die Wundermär! Seid umständlich bis in das Kleinste, – jedes Wort Edithas ist mir ein Kleinod, laßt keines verloren gehen!«
»Ihr habt Recht, – Kleinodien sind ihre Worte! Doch gegen ihr Thun sind alle Kleinodien der Welt nur Kieselsteine. Das lieben, was man haßt, um des Geliebten willen, in den Tod gehen aus Liebe, – sich vom holden Leben trennen, mit dem grauenvollen Tode vermählen, um den Geliebten zu retten, – ich sage Euch, das wiegt alle Schätze der Welt auf!«
»Wahr, Isengard! Die Liebe eines reinen, großen Herzens verdunkelt alle Pracht der Erde. Wer sich im Besitze einer solchen Liebe weiß, vor dem sind alle Könige und Kaiser der Welt nur Bettler. Und wenn ich Editha mehr liebe, als mich selbst und die ganze Welt, so liegt darin keine thörichte Schwärmerei, sondern nur das richtige Maß für Edithas hohen Werth. – – Nun weiter! Was that und sprach Editha ferner?«
»Als ich den Lösepreis vernahm, den meine edle Herrin zahlen sollte für Euer Leben, da war mein Schrecken groß; denn ich wußte, daß nichts auf Erden ihr mehr Abscheu und Grauen einflößt, als der Burggraf. Ich sagte: ›Um Gotteswillen, Gnädigste, wie könnt Ihr einen so gar bösen Mann heirathen? Einen Mann, dessen bloße Nähe Euch berührt, wie Pest und schwarzer Tod? Die Vermählung mit ihm wird Euer Leben ebenso unabwendbar vernichten, wie Gift, das man trinkt.‹
›Ich weiß es!‹ sprach sie darauf. ›Doch mein Tod bürgt für Sighards Leben. Ihn zu retten, ist mir jedes Opfer süß. In drei Tagen kommt der Graf, meine Entscheidung zu hören, – er könnte heute kommen, ich bin entschlossen. Du weißt, wie ich den frommen Helden Sighard liebe! Nicht Vater und Mutter, nicht Geschwister, mich selbst nicht, liebe ich so grenzenlos, wie ihn. Nächst Gott giebt es nichts, das mein Herz so tief einschließt, wie ihn. Rede ich Wahrheit, ist mein Empfinden nicht Täuschung und Lüge, – wie kann das schwerste Opfer, zur Rettung des Geliebten, mich abschrecken? Ja, – es ist wahr: – meine Vermählung mit Bertolf bedeutet den Tod! Und bald wird der Tod mich erlösen. Gerne scheide ich von dem Leben; denn ich sterbe für den edlen Sighard.‹
Dabei blieb sie. Meine Bitten und Thränen halfen ebenso wenig, wie das Einreden ihrer Mutter; denn auch Frau Kunigunde ist überzeugt, daß Bertolfs Kammer bald Edithas Grab sein wird. – – Nur Herr Baldemar pries den Entschluß seiner Tochter. Mit vielen Worten hob er die guten Eigenschaften des Grafen hervor. Schweigend, ohne Widerrede, hörte sie das Rühmen des argen Mannes an. Gingen die Aeltern fort, dann betete Editha mit der Innigkeit und dem Ernste eines Menschen, der sich auf den nahen Tod bereitet. Sie aß kaum und schlief gar nicht. Aus ihrem blühenden Angesichte entwichen alle Rosen, es wurde schneeweiß, und meine gute Herrin glich sehr einer ganz reinen, fleckenlosen Lilie. Mir wollte fast das Herz zerbrechen. Wenn ich sie nur anschaute, strömten mir die Thränen aus den Augen. – – So währte es bis zum dritten Tage. Dann kam der Graf, – gestern. Das Entsetzliche geschah, – die Verlobung. Was dabei gesprochen wurde, weiß ich nicht, – die Sinne waren mir vergangen. Nur meine Herrin sah ich dastehen, wie ein weißes Opferlamm, das sich dem Messer des Schlächters überliefert. Und auch den Schlächter sah ich neben ihr, den gräulichen Bertolf. Dann gingen die beiden Gestrengen fort. Meine arme Herrin sank erschöpft auf eine Bank.
›Es ist vollbracht!‹ sagte sie. ›Nun kann ich ruhen und schlafen; denn Sighard ist frei, gerettet!‹
Sie legte sich nieder und sank in einen tiefen Schlaf, aus dem sie heute noch nicht erwachte. Wohl hundert Male trat ich zum Lager, nach ihr zu sehen, ihren Athem zu belauschen. Sie schläft so ruhig und mild, so friedlich und süß, wie ein Kind nach überstandenen Nöthen. – – O Herr Sighard, was steht der Edelsten aller Frauen bevor!«
Die Zofe verhüllte das Gesicht und weinte heftig.
»Seid getrost, Isengard!« versetzte Greifenstein, bestürmt von den widersprechendsten Gefühlen. »Eure Mär goß in meine Seele alle Wonnen des Himmels, – und auch Peinen der Hölle. Ha, Schurke! Doch, – ruhig, empörtes Gemüth, – stille, Zorn! Lege dich nieder, Grimm, – erwache zu Starkenburg! In diesem Hause, von einer Heiligen bewohnt, dürfen nur Friede walten und himmlischer Sinn. – – Isengard, ich muß Deine Herrin sprechen. Steigen wir nach dem Saale empor, der ja in der Nähe der Frauengemächer liegt. Sachte schleichst Du in ihre Kammer. Ist sie nicht erwacht, dann warte ich, – sollte es auch bis morgen währen.«
»Gerne thue ich nach Eurem Geheiß. Könnte ja meiner unglücklichen Herrin eine größere Freude nicht begegnen, als der Augenschein von Eurer Freiheit und Rettung.«
Sie stiegen die Treppe zum dritten Stockwerk empor, wobei Greifenstein jedes Geräusch zu vermeiden suchte. Er nahm das Schwert unter seinen Arm, das Klirren zu verhindern, bemühte sich jedoch vergebens, den schweren Tritt des Geharnischten in das leise Auftreten eines Menschen zu verwandeln, der in Filzschuhen geht. Im Saale blieb er unbeweglich stehen, den Blick auf die Thüre geheftet, welche nach den anstoßenden Gemächern führte. Lange wartete er, die Zofe kehrte nicht zurück, ein Beweis, daß Editha zu seinem Empfange sich rüstete. Und das lange Warten war von guter Wirkung; denn es half ihm zu einiger Gemüthsruhe und Ueberlegung, und letztere zeigte ihm, daß er mit größter Vorsicht handeln müsse. Durch die heftigen Erregungen der vorausgegangenen Tage tief erschüttert, mußte er sich wohl hüten, Editha in feurigen Worten seine unbegrenzte Verehrung oder gar seine Liebe auszusprechen. Darum wollte er äußerlich kalt erscheinen, sollte auch dabei sein Herz vor Glück und Wonne zerspringen. Nicht einmal sagen wollte er ihr, daß er unmöglich ihr Opfer annehmen könne, damit nicht Schmerz und Schrecken über sein unsicheres Geschick und neuerdings gefährdetes Leben ihren Frieden stören. Alle diese Vorsätze gelobte er sich auf Wort und Ehre, wohl in dem Vorgefühl der ungeheuren Schwierigkeit, bei inneren Stürmen äußerlich kalt zu bleiben.
Als nun die Thüre sich aufthat und Editha erschien, da ergriff ihn, bei ihrem Anblicke, eine sinnenverwirrende Erschütterung. Wie hatten wenige Tage sie verändert! Sie glich einem Menschen, welcher durch die Flammen der schwersten Prüfungen hindurch gegangen war, die alles gewöhnlich Menschliche abstreiften. Ein höheres Wesen dünkte sie ihm an Hoheit und milder Würde. Die Schönheit ihres lilienweißen Angesichtes erschien ihm vergeistigt und in einem Lichte strahlend, das nicht der Erde angehörte. Das Knie beugend, wagte er kaum, die dargereichte Hand mit den Lippen zu berühren. Unfähig, ein Wort hervor zu bringen, verharrte er gesenkten Hauptes in kniender Haltung, während ihm alle Glieder bebten und Thränen über seine Wangen herabrollten.
»Willkommen, Herr Sighard!« grüßte ihre liebliche Stimme. »Stehet auf und verwandelt nicht die Formen ritterlicher Sitte in eine Huldigung, wie sie ein sterbliches Wesen nicht annehmen darf.«
»O edle Herrin, laßt mich knieend meinen Dank stammeln, – in Worte nicht zu fassen! Frei bin ich, – der Haft ledig, durch ein so unermeßliches Opfer, wie es nur der höchste Geistesadel zu bringen vermag. Nächst Gott, meinem Schöpfer, bin ich für mein ganzes Leben Eurem Dienste mit Recht verpflichtet; denn Euch gehört, was Ihr gelöst habt durch einen Preis, dessen ich unwerth bin.«
»Herr Sighard, – ich bitte, – o ich bitte!« unterbrach sie ihn bewegt.
Er gedachte seiner Vorsätze, erhob sich rasch und geleitete Editha nach einer mit Polstern belegten Ruhebank. Für sich selber rückte er einen Stuhl heran und ließ sich nieder.
»Habt Ihr schon Eure liebe Mutter gesprochen?«
»Noch nicht; – der erste Gebrauch meiner Freiheit konnte nur Derjenigen gelten, der ich sie verdanke,« antwortete er, mit äußerster Anstrengung seine Fassung bewahrend. »Gestattet eine Frage, hochherzigste aller Frauen! Wie Eure Zofe mir berichtete, habt Ihr gefürchtet für mein Leben in Bertolfs Gewahrsam. War dies keine übertriebene, grundlose Furcht?«
»O nein!« erwiederte sie und begann, die tödtlichen Drohungen Odinas zu wiederholen.
»Nun begreife ich!« sprach er. »Ja, – der Mutter gleicht der Sohn! Der Graf ist jeglicher Missethat fähig, alles ritterlichen Sinnes baar, – ein Mann der Gewaltthat, vor keinem Frevel des Hasses und der Rache zurückschreckend.«
Er hielt plötzlich inne; denn er charakterisirte Edithas Bräutigam.
»Indessen, – ich könnte mich auch irren. Der Graf mag besser sein, als er scheint.«
Sie lächelte; denn sie erkannte sofort den Grund des Einlenkens.
»Säumet nicht länger, Herr Sighard, Eure geängstigte Mutter zu beruhigen und zu beglücken. Wie mag sich die Gute bei Eurem Anblicke freuen!«
Edithas Wunsch kam ihm gelegen; denn er befreite ihn aus einer entsetzlichen Lage. Fast kein Wort konnte er sprechen, ohne fürchten zu müssen, seine Retterin zu ängstigen und ihr das zu verrathen, was ihn so stürmisch bewegte.
»Ich gehorche Eurem Befehle, edle Herrin, – jedoch unter der Bedingung, morgen wieder kommen und Euch überraschende Kunde bringen zu dürfen.«
»Welche Kunde?« frug sie beunruhigt.
»Gerade nichts Besonderes, – nur meinen Dank!« antwortete er, ihr banges Ahnen gewahrend.
»Dank habt Ihr ja im Uebermaße bereits dargebracht.«
»Doch nicht so, wie ich es wünsche, Herrin! Offen gestanden, vielleicht ist mein zweiter Dank morgen nur ein Vorwand, Euch bald wiedersehen zu dürfen.«
Sie senkte den Blick und ein schneidiger Schmerz glitt über ihr Angesicht.
Mit eiliger Hast sich verabschiedend, stürmte er die Treppe hinab und ritt nach Greifenstein. Dort begrüßte er seine Mutter, die weinend an seine Brust sank, und hatte dann mit Herbert von Windeck, der mit einer kleinen Schaar wormser Edelleute in der Burg lag, eine lange und geheime Unterredung.