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Wallfahrer.

Laienbrüder und Eigenleute waren geschäftig, das hohe Gras der Wiesen rings um Lorsch abzumähen und im Brande der Junisonne in Heu zu verwandeln. Dies geschah mit großem Eifer, einige Tage vor der allgemeinen Heumahd; denn es nahte das große Fest heran, welches viele Tausende frommer Waller zu dem gebenedeiten, wunderwirkenden Leibe des heiligen Märtyrers Nazarius führte, der in überaus kostbarem Schrein in der Stiftskirche bewahrt wurde. So groß pflegte der Andrang der Massen zu sein, daß sie in den Herbergen des Dorfes Lorsch und des Klosters bei weitem nicht Raum fanden. Deßhalb wurden auf den Wiesenmatten Hütten aus Brettern und Baumzweigen errichtet, in denen die Wallfahrer rasteten.

Zwei Tage vor dem Feste langten zwei Fremde an, von denen der Eine die Aufmerksamkeit des Gastbruders Anselm in besonderem Maße erregte. Der beständige Umgang mit Menschen der verschiedenartigsten Berufsklassen, wozu ihn das Amt verpflichtete, hatte Anselms Blick geschärft und ihm einen nicht geringen Grad von Menschenkenntniß verliehen. Obschon Männer hohen Ranges in Pilgertracht nach Lorsch wallfahrteten, unbekannt die Reliquien des Heiligen zu besuchen und dessen Fürbitte sich zu empfehlen, so täuschten sie doch selten, durch einfache Kleidung und angenommene Namen, den geübten Scharfblick des freundlichen Gastbruders. Als sich nun Einer der beiden Fremden »Ritter Pilgram« nannte, da glitt ein feines Lächeln durch Anselms Züge, er senkte die klugen Augen und verbeugte sich tief vor den Gästen. So tief und ehrfurchtsvoll war die Verbeugung des demüthigen Bruders, daß sie als eine morgenländische gelten konnte, und selbst dem Herrn der Welt, dem Kaiser des heiligen Reiches, genügen mochte.

In der That forderte unwillkührlich die Erscheinung des Ritters Pilgram Huldigung, so wirkungsvoll kleideten sein Wesen Hoheit und Majestät. Er war von hoher Gestalt und in vorgerückten Jahren, hatte ein längliches Gesicht, darin eine kräftig hervortretende, kühngebogene Adlernase, und darüber zwei scharfblickende blaue Augen. Der Ausdruck von milder Güte, unbeugsamer Strenge und ernster Würde, lag in einer so eigenthümlichen Mischung in seinen Zügen, daß Niemand, ohne das Gefühl unterwürfiger Scheu, dieses Angesicht betrachten konnte. Ueber der Rüstung trug er einen grauen, wettergebleichten Waffenrock, um die Leibesmitte von einem einfachen Lederriemen zusammengehalten, an dem ein langes, ungewöhnlich breites und zweischneidiges Schwert hing. Obwohl hager, verrieth sein Körper, ein Gebilde von starken Sehnen und Knochen, welche durch beständige Strapatzen wetterhart und eisern geworden, dennoch außerordentliche Kraft. Sein Helm war ohne Schmuck, und sein Stahlschild, von einem Knechte ihm nachgetragen, ohne Wappenthier.

Als er in der Herberge den Helm abnahm und die Kettenhaube zurückschlug, fielen dünne, gelbe Locken in den Nacken herab, und eine hohe, gebietende Stirne wurde sichtbar.

»Unsere Absicht geht dahin, frommer Bruder, uns der Fürbitte des heiligen Nazarius zu empfehlen, sowie der Gnaden des Festes theilhaftig zu werden,« sprach er, sich am Tische niederlassend. »Wir kommen zwei Tage früher, weil es mich und meinen getreuen Genossen, den Ritter Gebhard, nach der Stille und dem Frieden dieses altehrwürdigen Stiftes verlangte. Ferne von allem Geräusch, möchten wir mit Bedacht und Fleiß Einkehr nehmen bei uns selbst, was an dem eigentlichen Festtage nicht so ungestört und bequem geschehen dürfte.«

»Die edlen Gäste sind herzlich willkommen!« wiederholte freundlich Bruder Anselm. »Die Ausführung eines so frommen Vorhabens, das Gott und die lieben Heiligen erfreut, wird auch unserem Kloster Segen bringen.«

Während Anselm in die anstoßende Kammer trat, in der eben zwei Laienbrüder mit Speisen und Getränken erschienen, leuchtete es beinahe schalkhaft in Pilgrams scharfblickenden Augen.

»Habt Ihr bemerkt, lieber Pfalzgraf, wie der feinfühlige Gastbruder im Handumdrehen sein Kloster uns verpflichtet hat? Wir bringen dem Stifte Segen, – sohin schuldet das Stift uns Dank, wir nicht ihm.«

Der Pfalzgraf mußte sich mit einem bejahenden Kopfnicken begnügen; denn schon trat Anselm mit Erquickungen zum Tische.

»Wir hörten Manches von den Sehenswürdigkeiten dieses alten Stiftes.« sagte Pilgram, »und möchten daran uns ergötzen und auch erbauen.«

»Ich werde Eurer Edlen Alles zeigen und erklären,« entgegnete Anselm. »Jedoch möget Ihr nicht allzuhoch Eure Erwartung spannen. Sehr viele Klöster im Reiche besitzen weit kostbarere Dinge, als Lorsch. Gar Manches ging uns verloren in unheilvollen Tagen. Wir haben drei Kirchen, – eine sehr große, die nur bei Festen und Wallfahrten zur gottesdienstlichen Feier geöffnet wird, – eine kleinere für den gewöhnlichen Gottesdienst und die Gruftkirche, ecclesia varia, bunte Kirche genannt, wo die Enkel Carls des Großen begraben liegen. An heiligen Gefäßen von edlem Metall und kunstvoller Arbeit besitzen wir nur Weniges noch, – das Werthvollste wurde von Feinden des Stiftes weggenommen.«

»Höchst verwerflich!« sagte Pilgram. »Nur Gottlose können Feinde und Widersacher eines so ehrwürdigen Hauses sein.«

Er hielt inne, offenbar einer Entgegnung des Bruders harrend. Dieser aber blickte schweigend nieder.

»Hoffentlich berauben heute Lorsch keine Feinde mehr, – oder doch?«

»Feinde nicht, edler Herr!« antwortete zurückhaltend der Norbertiner.

Die Rede verbreitete über das Gesicht des Forschenden ein flüchtiges Lächeln, das jedoch sofort würdevoller Strenge wich.

»Der Ordensmann schuldet Wahrheit ohne Rückhalt, Bruder Anselm!« sprach ernst der Fremde. »Feinde nicht, – sagt Ihr; aber ich lese in der Schrift Eures Angesichtes, daß zur Täuschung die Worte gestellt sind.«

» Mea culpa, – verzeiht, edler Herr!« entgegnete Anselm, den durchdringenden Blicken des Gastes ausweichend. »Nicht auf Täuschung war es gerade abgesehen. Grundlos darf Niemand die Ehre des Anderen abschneiden. Feinde nicht, – sagte ich, – so ist es. Nur einen Feind hat Lorsch, an dem von Ehre nicht ein Funken bleibt, enthülle ich sein arges Treiben gegen unser Kloster.«

»Eure fromme Aengstlichkeit schießt über das Ziel, guter Bruder! Nicht grundlos war mein Fragen, – nicht an schlimmer Nachrede wollte mein Ohr sich weiden. Mein Forschen entsprang vielmehr inniger Theilnahme für dieses ehrwürdige Stift, dem vielleicht mein Einfluß dienen könnte. Nehmet an, ich sei ein Freund der Ordnung und des Rechtes, dazu enge verbündet mit mächtigen Herren, die mein Wort zur Hilfe bereden könnte, und deren starker Arm Lorschs Feind zu strafen vermöchte. Dies Alles angenommen, – seid Ihr ohne Zweifel im Gewissen verpflichtet, nach der ganzen Wahrheit mir Rede zu stehen. – Also, – wer ist Lorschs Feind?«

»Dessen eigener Vogt, Graf Bertolf von Starkenburg.«

»Von dem Manne hörte ich bereits,« sagte Pilgram. »Hat nicht der Hohenstaufe, Kaiser Friedrich der andere, dessen Vater mit der Burggrafschaft belehnt?«

»So ist es, gnädiger Herr! Als genannter Kaiser dem Erzbischofe von Mainz unser Kloster schenkte, verlieh er Starkenburg mit der Schutzvogtei unseres Stiftes auf ewige Zeiten an des gegenwärtigen Grafen Vater.«

»Geschah die Belehnung nach dem Concil von Lyon?« frug Gebhard.

»Im Jahre 1232, also dreizehn Jahre vor demselben.«

»Schade!« bedauerte Gebhard. »Jenes Concil sprach den Bann über den Hohenstaufen; gebannte Kaiser aber, von der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen, sind unfähig, irgend ein Reichsamt giltig auszuüben, sohin auch unfähig, Reichslehen zu vergeben. Darum wäre eine Belehnung mit Starkenburg nach dem Concil ungiltig gewesen und Bertolf des Lehens verlustig. So viel mir bekannt, hält Kaiser Rudolph strenge am Laufe des Rechtes.«

»Hier von keiner Bedeutung,« versetzte Pilgram. »Rechtlich besessene Lehen verwirkt Ehrlosigkeit und dieser verfallen Straßenräuber, Landfriedensbrecher und Kirchendiebe. – Nun, guter Bruder, belasten Bertolf solche Frevel, wie ich sie eben genannt?«

»Ja, edler Herr!« – und er begann, die Ungerechtigkeiten und Quälereien des Vogtes zu enthüllen. Auch die Fehde mit Worms erzählte er, die blutigen Kämpfe, den Straßenraub und andere Bedrückungen Bertolfs.

Pilgram folgte mit gespannter Aufmerksamkeit dem Berichte. Strafende Strenge lag über seinem Gesichte und drohend blitzte es aus seinen Augen. Während ihm Bertolfs fortgesetzte Beraubung des Klosters Zorn, die Hundegeschichte Eckel und Entrüstung, Greifensteins mannhaftes Einstehen für das Recht Freude erweckten, vernahm er jetzt dessen Gefangenschaft nicht ohne Unruhe.

»Ist etwa Sighard von Greifenstein derselbe jugendliche Held, dessen Schild den Kaiser schirmte in der Schlacht auf dem Marchfelde?« unterbrach er Anselm.

»Der Nämliche!«

»Und in der Gewalt eines solchen Bösewichtes? Ha, – was könnte geschehen!« sagte Pilgram, indem er sich erhob und mit ehernen Tritten das Zimmer durchmaß. »Auch die Mönche von Lorsch haben schwer gefehlt,« sprach er in vorwurfsvollem Tone. »Giebt es im Reiche keinen Schirmherrn der Kirche und des Rechtes? Weßhalb wurde Jahre lang diese Heidenwirthschaft des ruchlosen Preußen geduldet? Weßhalb führten die Mönche vor dem Kaiser nicht Klage?«

»Es geschah, edler Herr!« wagte Anselm zu erwiedern, nicht wenig eingeschüchtert durch das hoheitvolle Wesen des Fremden.

»Wann geschah es?«

»Vor einigen Monaten, in Verbindung mit Worms.«

»Viel zu spät; – längst hätte dies geschehen sollen. Rudolph von Habsburg würde ein so schmähliches Treiben eingestellt und mit der ganzen Strenge des Gesetzes gestraft haben.«

»Verzeiht, edler Herr, nicht aus Nachlässigkeit für das Wohl des Stiftes, oder gar aus mangelnder Entrüstung gegen die Frevel des Grafen, wurde die Klage versäumt.«

»Sondern?« frug Pilgram, als der Mönch zögernd inne hielt.

»Weil wir nicht zu hoffen wagten, den mit großen Reichsangelegenheiten viel beschäftigten Kaiser für unsere Klosterangelegenheiten zu interessiren.«

»Ei, Bruder, Eure Meinung von des Habsburgers Pflichtgefühl wiegt gerade nicht schwer!« rief der Fremde in einem Tone, welcher Tadel und Scherz zugleich enthielt. »Ein Kaiser muß walten über Großes und Kleines mit reichsväterlicher Sorgfalt. Fürwahr, – der Engländer Richard und der Spanier Alphons, sowie deren gleich schwache und gleich pflichtvergessene Vorgänger am Reiche, haben das Ansehen deutscher Könige schwer geschädigt, – so schwer, daß selbst fromme Mönche an das Pflichtbewußtsein des Königs nicht zu glauben, von seiner Schirmherrschaft keine Hilfe zu hoffen wagen. Ein verhängnißvoller Geist, der alle Rechtszustände erschüttern muß, weil er nicht glaubt, an den starken Schirmherrn des Rechtes! Wüßte nicht, daß Rudolph von Habsburg, seitdem ihn Gott an die Spitze des heiligen Reiches berufen, jemals der Ungerechtigkeit und gesetzlosem Trotze das mindeste Zugeständniß gemacht hätte. – – War den Mönchen der Weg nach dem Königshofe zu weit, weßhalb führten sie nicht Klage vor dem Landrichter in Worms?«

»Dies geschah, gnädigster Herr! Allein Bertolf erschien nicht auf die Vorladung des kaiserlichen Vogtes. Der Graf erklärte, kein Recht nehmen zu wollen von dem Kaiser, – nur von seinem Schwerte nehme er Recht, pochend auf die Unbezwingbarkeit seines festen Hauses, der Starkenburg.«

»Die bekannte Sprache aller Raubritter und Verächter gesetzlicher Ordnung,« sagte Pilgram. »Bald wird diese Sprache unbotmäßigen Trotzes verstummen; denn es hat der Habsburger bewiesen, daß er auch in unbezwingbaren Vesten die Raubdegen zu greifen versteht, um sie an den verdienten Galgen zu hängen.«

»In vorliegendem Falle müßte sich der Kaiser zu einer Belagerung der Starkenburg verstehen, – ein Umstand, der wichtigere Angelegenheiten störend durchkreuzen könnte,« wandte Gebhard ein.

»Wichtigeres gibt es wohl für den Kaiser nicht, mein Freund, als eine so freche und fortgesetzte Verletzung der öffentlichen Ordnung zu strafen,« erwiederte Pilgram, dessen Aufregung seiner gewöhnlichen würdevollen Ruhe gewichen war.

Gebhard vertheidigte zwar nicht weiter seine Ansicht, man konnte jedoch wahrnehmen, daß weniger eine Widerlegung derselben, als eine unbegrenzte Hochachtung für seinen Reisegefährten ihm Schweigen auferlegte.

»Hunger und Durst habt Ihr befriedigt, nebenbei auch unsere Neugierde,« sagte Pilgram. »Gefällt es Euch nun, frommer Bruder, uns die Kirchen und deren Heiligthümer zu zeigen?«

Mit Freuden, edle Herren! Habet die Gewogenheit, in Euren Kammern, wohin ich Euch geleiten will, die Rüstung abzulegen und mit dem Ordensgewande zu vertauschen, wie es die Regel heischt.«

»Die Rüstung ablegen, ohne deren sanften Druck wir uns aller Kleidung ledig wähnen?« sagte Pilgram. »Genügt es nicht, das Gewand des heiligen Norbert über der Rüstung zu tragen?«

»Es genügt! Nur Eurer Bequemlichkeit galt meine Bitte.«

»Für einen guten Ritter ist das Stahlgewand dieselbe Bequemlichkeit, wie für einen guten Mönch die rauhe Kutte,« scherzte Pilgram, dem Gastbruder nach seiner Kammer folgend.

Zehn Minuten später, betraten die Fremden mit Anselm die Stiftskirche, einen romanischen Bau mit drei Schiffen, deren Gewölbe gewaltige Pfeiler und Halbsäulen trugen. Frommer Sitte gemäß, gingen die Wallfahrer nach dem St. Johannisaltare, wo im Tabernackel, von Gold und edlem Gestein glänzend, der Frohnleichnam eingeschlossen war. Gläubig knieten sie auf der ringsum laufenden, zierlich geschnitzten Communionbank nieder, dem Allerhöchsten Huldigung und Anbetung zu erweisen. Darauf geleitete Anselm die Fremden zum nächsten Altare und deutete auf einen mächtigen Grabstein am Boden, der in alter Schrift Kunde gab, von Namen und Rang des hier Bestatteten.

»Diese Steinplatte deckt die sterbliche Hülle eines berühmten, an Lebensschicksalen merkwürdigen Mannes,« erklärte Anselm. »Herzog Tassilo von Bayern, der Letzte aus dem Geschlechte der Agilolfinger, harret hier der Auferstehung. – Folgendermaßen lautet die Umschrift des Gruftsteines:

Tassilo, dux primum, post rex, monachus sed ad imum,
Idibus in ternis decesserat iste Decembris.
Conditur hac fovea, quem pie Christe bea.

Was verdeutscht heißt:

Tassilo, Herzog zuerst, dann König, zuletzt ein Mönich,
Starb seligen Tod's am elften des zwölften Monds.
Hier liegt er im Grabe, den Christus mit Seligkeit begabe.«

Pilgram blickte eine Weile sinnend zum Steine nieder, und ernste Gedanken beschäftigten seinen Geist.

»Eine scharf hervortretende Gestalt aus den Stürmen längst vergangener Tage!« sprach er. »Manches weiß ich aus der Lebensgeschichte des ebenso streitbaren, wie unglücklichen Bayernherzogs, – doch unbekannt war mir, daß er ein Mönch geworden. Könnt Ihr uns Näheres berichten, ehrwürdiger Bruder?«

Das Interesse des Fremden für einen berühmten Todten seines Klosters erfreute Anselm nicht weniger, als die Gelegenheit, die alte Chronik des Stiftes vor theilnehmenden Hörern öffnen zu dürfen. In Mitte der beiden Edelleute stehend, und fortwährend zum Grabsteine niederblickend, begann er seinen Bericht.

»Herzog Tassilo hatte dem Frankenkönige Pipin Treue geschworen und aus dessen Hand sein Reich zu Lehen genommen. Tapfer hielt er sich mit seinen Mannen und treu im Heere Pipins gegen die Sachsen, Aquitanier und Longobarden. Bald jedoch reute ihn der Schwur. Das Frankenheer verlassend, kehrte der junge Herzog im Jahre 763 nach Bayern zurück und erklärte sich als unabhängiger Beherrscher Bayerns. Die Franken überzogen den Meineidigen, konnten ihn aber nicht überwinden, bis Kaiser Carl, der Große, ihn zur Unterwerfung zwang. Dies geschah im Jahre des Heiles 781. Sechs Jahre später, aufgehetzt von seiner gar argen Gemahlin Liutberga, erhob sich Tassilo abermals. Da überzog ihn Carls gewaltige Macht, schlug Tassilos Heer, und zwang ihn zur Abtretung des Herzogthums, das er ihm jedoch wieder zurückgab als Reichslehen, gegen die Auslieferung seines Sohnes, der bürgen sollte für des Vaters künftige Treue. Allein die Milde des großen Carl und die boshaften Einflüsterungen Liutbergas reizten Tassilo neuerdings zu Abfall und Treubruch. Im Geheimen verband er sich mit den Avaren, dem griechischen Kaiser und dem Herzoge von Benevent wider Carl. Das Geheimniß wurde jedoch dem Kaiser verrathen. Er lud Tassilo und dessen Anhänger auf den Reichstag nach Ingelheim. Die Geladenen erschienen sonder Bangen; denn sie hatten keine Ahnung, daß die geheime Verschwörung dem Kaiser verrathen worden. Zu Ingelheim, vor den tagenden Großen des Reiches, sollten sie es mit Schrecken erfahren; denn selbst die reichstreuen Bayern erschienen klagend wider ihren Herzog vor dem Kaiser. Tassilo mußte sich schuldig bekennen, und die Fürsten sagten ihm das Leben ab. Da sank ihm der Muth und brach sein Trotz. Vor dem schwerbeleidigten und verrathenen Kaiser beugte er das Knie und bat um Vergebung. – »Was willst Du beginnen, so das Leben Dir geschenkt wird?« frug ihn Carl, der fromme Held und große Kaiser. – »Im Kloster meine Sünden büßen und meiner Seele Heil bedenken,« antwortete Tassilo. – Auf des Kaisers Fürbitte hoben die Fürsten das gesprochene Todesurtheil wieder auf, und Tassilo wurde ein frommer Mönch allhie zu Lorsch. Er führte ein strenges Bußleben, casteiete seinen Leib, glänzte durch Demuth und Gehorsam, durch Gebetseifer und Nachtwachen, und galt für einen Heiligen. Wie unsere Chronik meldet, geschahen hier an seinem Grabe manche Wunder in vergangenen Tagen. Jetzt noch empfindet die Seele, welche hier betet, gar milde Tröstung.«

»Begreiflich!« sagte Pilgram. »Tassilos wildbewegtes Leben hat ja einen friedvollen, versöhnenden Ausgang. Auch Kaiser Carl,« wandte er sich mit sorgenvoller Miene an Gebhard, »hatte seine Kümmernisse und Kämpfe mit tückischen Verräthern und faulen Gliedern am Leibe des heiligen Reiches. Wer möchte heute dem frommen Büßer Tassilo nachahmen, der ihm folgte im Irren und Fehlen? Fortwährend heischen leider grobe Ausschreitungen gesetzlosen Trotzes Carls starken Arm und strafende Gerechtigkeit.«

»Gottes Gnade gab uns wieder einen Carl, zur Neugestaltung des Reiches,« erwiederte Gebhard.

»Wohl! Doch dem neuen Carl fehlt die Größe des alten,« versetzte Pilgram.

Abermals standen sie vor einem Grabsteine, der hoch und breit, mit vielverheißender Schrift, in der Wand eingemauert war.

»Ich merke gerne auf die Reden der Todten; denn die Grüfte melden Wahres und Nützliches,« sagte Pilgram. »Nebenbei enthalten die Grabsteine zugleich treffende Urtheile über den Geist jenes Zeitalters, das sie gesetzt, – also doppelter Gewinn.«

Die letzten Worte befremdeten Anselm.

»Darf ich fragen, edler Herr, wie nach Eurem Dafürhalten die Grabsteine gleichsam Richter ihres Zeitalters sein können?«

»Ganz natürlich, guter Bruder! Was sagst Du von einer Zeit, die einen Ungläubigen und Gottesverächter begräbt, – einen Menschen, der an Christus den Herrn nicht glaubte und dessen heilige Kirche verachtete, dem aber dennoch seine Zeit eine rühmende Grabschrift setzt? Den sein Zeitalter als klugen, weisen und gerechten Mann feiert? Was ist dies für eine Zeit?«

»Ohne Zweifel jene Zeit,« antwortete Anselm, »in der, wie St. Johannes in der geheimen Offenbarung vorausverkündet, des Teufels Gewalt entfesselt wird, – eine Zeit, welche der Ankunft des Antichristes unmittelbar vorausgeht?«

»Wohlgesprochen, Bruder! Darum sagte ich: – auf Grabsteinen fällt jegliches Zeitalter treffende Urtheile über sich selbst. – – Nun, – was verkündet diese Schrift?«

»Daß hier Abt Salmann ruht, ein gar frommer und gelehrter Mönch. Großes that er für Kunst und Wissenschaft. Er schrieb ein Werk in drei Theilen über Moral, das wir heute noch besitzen und hoch in Ehren halten. Er schenkte dem Stifte drei kostbare Bücher mit tiefgedachten und erbaulichen Erklärungen des heiligen Evangeliums nach Matthäus. Die Decken der Bücher sind von Elfenbein, mit Gold und edlen Steinen geziert. Den prachtvollen Mosaikboden, wie er dieses Gotteshaus schmückt, hat Salmann vollendet, und die Vorderseite des Hochaltares hat er mit einem Antipendium aus Gold und Perlen geziert. Er selber hat sich diese Grabschrift verfaßt, in gar schönen lateinischen Versen, deren liebliche Form in deutscher Sprache ich kaum wiederzugeben vermag. Also kündet die Inschrift!« – und mit laut und feierlich tönender Stimme hob der Gastbruder an:

»Erbe der Sünde, ein Kind des Zornes schon von Natur aus,
      Ist der Mensch von Geburt schon zum Exile verdammt.
Mensch, was brüstest du dich? Du bist in Sünden empfangen,
      Wirst geboren in Weh, lebest in Mühsal und stirbst.
Eitel des Menschen Gesundheit und Schönheit und Alles ist eitel,
      Ist da Eitelste doch unter dem Eitlen der Mensch.
Während das Leben sich zu schönerem Glanze entfaltet,
      Geht es vorüber, entflieht's, mehr noch, es gehet zu Grund.
Nach dem Menschen der Wurm, und nach dem Wurme der Staub, – ach!
      So zerfällt in Staub unsere Herrlichkeit all.
Ich Unglücklicher, der ich hier lieg', ein sündiger Adam,
      Bitt' um das Einzige nur: – schenkt mir ein kurzes Gebet!
Ja, ich habe gesündigt und bitt' um Vergebung, – verzeiht mir!
      Vater vergieb, vergebt Brüder, vergieb mir, o Gott!«

»In der That, ernstmahnende Worte, – ergreifend, an solcher Stätte vernommen!« sagte Pilgram, mit sinnendem Neigen des Hauptes. »Wenn ein weiser und frommer Mönch solch ein strenges Urtheil über sich fällt, dann muß Bangen vor dem künftigen Gerichte den sündigen Menschen ergreifen, und auch das mächtigste Haupt in Demuth sich beugen.«

Sie schritten weiter in der langen Reihe von Grabsteinen.

»Was ist das hier? Was bedeuten die verstümmelten und gebundenen Glieder?« frug Pilgram, auf eine kunstvoll gemeißelte Steinfigur deutend, deren Füße zusammengebunden und deren Hände abgehauen waren.

»Abt Humbert ist's, ein gar böser Mann!« antwortete der Mönch. »Wie unsere Chronik meldet, gelangte er im Jahre 1033 durch Geld und Gewalt zur Abtswürde, – eindringend in die Schafhürde, wie ein Dieb und Räuber; denn nicht freie Wahl der Mönche von Lorsch erhob ihn, sondern erkaufte Gunst der Höflinge des Kaisers. Die Füße sind ihm gebunden, die Hände abgehauen, zum Zeichen, daß der Kirche Bannfluch ihn traf und alle seine geistlichen Gewalten gebunden waren. Und wie ein Räuber und Dieb schaltete Humbert. Den reichen Kirchenschatz, von frommen Kaisern, Fürsten und Gläubigen zur Ehre des heiligen Nazarius geschenkt, verschleuderte er an seine Günstlinge. Die Stiftsgüter gab er gewissenlosen Männern zu Lehen, sogar in das Heiligthum des Herrn griff er mit frevelnder Hand. So besaß Lorsch einen überaus werthvollen, mit Gold durchwirkten Purpurteppich, von solcher Größe, daß er den ganzen Kirchenchor bedeckte. Um die Menge des eingewirkten Goldes zu erlangen, warf Humbert den Teppich in das Feuer. Ein Klosterbruder, wie Phineas von Eifer entbrannt, entriß den Flammen ein bedeutendes Stück des Teppichs, das wir heute noch besitzen. – Den Mönchen war Humbert kein liebevoller Vater, sondern ein gar harter Mann, der selbst die nothwendigen Lebensmittel den hungernden Brüdern entzog. Wie diesen Miethling für seine Frevelthaten die Rache Gottes ereilte,« fuhr Anselm fort, die Chronik wörtlich recitirend, »auch das wollen wir nach den Berichten unserer Vorfahren erzählen, damit alle, welche seinem Beispiele folgen, durch sein jämmerliches Ende abgeschreckt werden. An demselben Tage, an welchem er den Teppich einschmelzen ließ, ergriff ihn stechender Schmerz in den Eingeweiden und im ganzen Körper eine unerträgliche Hitze. In der folgenden Nacht erwachte Humbert plötzlich, durch Lichtglanz erschreckt. Vor sich sah er eine ehrwürdige Gestalt mit zürnenden Blicken, zerrissenem Gewande, eine mit Wein gefüllte Schale in der Hand. Die Gestalt redete ihn an und sprach: ›Wirst Du von Durst gepeinigt?‹ – ›Ja, sehr heftig!‹ antwortete Humbert. – ›Kennst Du mich?‹ frug die Gestalt weiter. – Da verstummte der Simonist Humbert, von Gewissensbissen und Schrecken erfüllt. – ›Ich bin Nazarius,‹ fuhr die Erscheinung fort, ›der Schützer dieses Hauses und dieser Familie, welche Christus Jesus mit seinem Blute erkaufte und uns anvertraute. Diese Familie hast Du, schlechter als die Kreuziger des Herrn, überfallen, zerrissen und vertheilt. Deinen Soldaten hast Du den untrennbaren Rock zum Verloosen übergeben, den Herrn hast Du auf Mund und Wangen geschlagen. Den Lohn für Deine Thaten wirst Du von Christus, dem Richter und Rächer, erhalten und zwar um die neunte Stunde. Empfangen wirst Du den Kelch des Zornes, den alle Frevler trinken müssen.‹ – Der bald erfolgende Tod Humberts, zur bezeichneten Stunde, bestätigte die Wahrheit des Gesagten. – – Dem bösen Wandel Humberts entsprechend, lautet seine Grabschrift,« und der Gastbruder las von dem Steine:

»Humbert, einstens ein Abt, der nicht von Gott war berufen,
      Liege ich hier im Grabe, dessen als Priester nicht werth.
Nicht entsprach mein Wandel dem Amt, nach dem ich genannt ward!
      Kann man wohl Anderer Heil fördern, wenn man selber nicht gut!
Gottes Gebote verachtend, um Geld die Insul erkaufend,
      Liege ich hier, in der That, wie nach dem Rufe ein Wolf.
Aber als Sünder wünscht' ich von Dir gezüchtigt zu werden,
      Jesus, und darum allein hoff' ich Erbarmen von Dir!«

»Ein scharfes Urtheil und auch ein verdientes,« sagte Gebhard.

»Schändeten und beraubten Lorsch noch mehrere solcher Wölfe?« frug Pilgram.

»Nur Einer noch gleicht ihm, Abt Benno, ein Günstling des Kaisers Heinrichs V.,« antwortete Anselm. »Was sonst hier ruht von Aebten und Mönchen, seit fünfhundert Jahren, mag einer glorreichen Auferstehung harren.«

»Dann bedeuten die zwei Böcke in einer so großen Schafheerde nicht viel,« sagte Pilgram, dessen Neigung zu Scherz selbst vor den Grüften sich kund gab. – »Was meldet dieser einfache Stein?«

»Ein guter Ritter Christi schläft hier, Prior Ulgerius,« antwortete Anselm. »Mit fünf Jahren kam er in's Kloster und erreichte ein Alter von hundert und zehn Jahren. Von Geburt war er eines Pfalzgrafen Sohn, von Gesinnung ein Armer im Geiste und stark an opferwilliger Nächstenliebe. Darum lautet seine Grabschrift;

Hier Ulgerius ruht, der schon als Knabe gewohnt war,
Alles auf Gott zu bezieh'n, Worte, Gedanken und Werk'.
Seine Beschäftigung war, stets helfen und mahnen und lehren,
Trauernde trösten und Nackte bekleiden und brechen den Hochmuth,
Niemand verletzen und doch immer erfüllen die Pflicht.«

Pilgram nickte beifällig mit dem Haupte, warf einen scheidenden Blick auf die endlos fortlaufende Reihe der Grabsteine, und wandte sich nach dem Ausgange.

»Edle Herren, wollt Ihr nicht unsere prachtvoll geschnitzten Chorstühle sehen, und dann unsere Meßbücher mit Elfenbeindecken und goldener Schrift, und auch unsere gar zierlich gestickten Gewänder?«

»Heute nicht mehr, frommer Bruder! Die Sonne rüstet zum Niedergange. Benutzen wir das letzte Tageslicht, zum Besuche der Königsgräber.«

Sie verließen durch eine Seitenthüre die Kirche; das Mausoleum der Carolinger lag vor ihnen. Es bildete einen Rundbau, von einer mit Blei gedeckten Kuppel überdacht. Ecclesia varia, bunte Kirche, wurde das Mausoleum genannt, wegen des bunten Farbenwechsels seiner Bausteine. Gewaltige Steinwürfel von rother und weißer, gelber und grauer Farbe, wechselten in sehr geschmackvoller Zusammenstellung, nicht blos der Farben, sondern auch der Formen der Quader, so daß das Ganze einem riesigen Mosaik glich und einen überraschenden Anblick gewährte.

Die Eintretenden empfing ein geräumiger Rundgang, von den Mauern der Kirche und einer kreisförmigen Säulenstellung gebildet. Ein kostbarer Mosaikboden schmückte die Rotunde, nicht blos hübsche Verzierungen in den mannigfaltigsten Farben und Zeichnungen bildend, sondern vollständige Gemälde darstellend. Man sah Jesus, von seinen Aposteln umgeben, im Schiffe stehen, dessen Segel der Sturm aufschwellte, dem empörten Meere und den Winden gebietend. Dann wieder sah man Abraham, im Begriffe, seinen Sohn zu schlachten, der vor ihm gebunden auf dem Opferaltare lag, während ein Engel vom Himmel niederschwebte und dem schwergeprüften Vater Halt gebot. Während so den Boden die reichste und kostbarste Steinmalerei zierte, waren die Wandflächen der Kirche ohne allen Schmuck, den bunten Wechsel der Steinfarben und die belebende Zusammenstellung der glattgeschliffenen Quadersteine ausgenommen. Diese nackten, kahlen Wände, von einem kalten, schauernden Hauche übergossen, entsprachen dem ernsten Charakter der Gruftkirche und brachten auf das Gemüth des Schauenden starke Eindrücke hervor.

Innerhalb des Kreises, von mächtigen Granitsäulen gebildet, erhoben sich vier Sarcophage von schwarzem Marmor, mit dachförmigen Deckeln, gewaltig und riesig, wie die Leiber, welche sie umschlossen. Besonders werthvoll waren diese Sarcophage durch mehrere Heiligenfiguren im reinsten griechischen Styl. Ueber jedem Steinsarge schwebte eine Metalllampe von alterthümlicher Form, deren Lichter jedoch erloschen waren.

Auf die betreffenden Sarcophage deutend, sprach erklärend der Gastbruder: »Hier ruht König Ludwig der Deutsche, – hier dessen Sohn, Ludwig der Jüngere, – hier des Letzteren Sohn Hugo, – hier Königin Emma, die Gattin des Königs Ludwig. Alle Särge enthalten die Inschrift: » Christe, resuscita me in resurrectione justorum! – Christus erwecke mich bei der Auferstehung der Gerechten!«

In ernstem Sinnen stand Pilgram vor den Riesensärgen. In seiner Seele schienen die Worte nachzuklingen, welche Abt Salmann aus dem Grabe zu ihm gesprochen:

»Nach dem Menschen der Wurm, und nach dem Wurme der Staub, – ach!
      So zerfällt in Staub unsere Herrlichkeit all.«

Dann hob er den Blick zu den erloschenen Lampen.

»Weßhalb brennen nicht die gestifteten Lichter?«

»Vogt Bertolf hat die Einkünfte jener Güter eingezogen, welche die Ausgaben für die Unterhaltung der Gruftlampen lieferten,« antwortete Anselm. »Auch die Stiftungen für die Jahresgedächtnisse der Carolinger raubte er; dennoch halten wir die Anniversarien, – sine eleemosina, d. h. ohne Lohn, obschon die Schrift sagt: wer dem Altare dient, soll vom Altare leben.«

Eine Bewegung des Zornes zuckte über Pilgrams Gesicht. Er schritt nach dem Altare, der sich in einer Nische erhob, einfach und ohne Zierwerk, ein Steinwürfel, zu dem zwei Stufen emporführten, von einem sehr alten Crucifixe überragt, durch ein Linnentuch bedeckt und von vier Leuchtern bestellt. Dort kniete der Fremde nieder, in Betrachtungen und Gebete sich vertiefend. Der Tage Carls des Großen mochte er gedenken, des Wechsels der Zeiten, der Hinfälligkeit irdischer Größe, und der Ewigkeit des Lohnes und der Strafe. – Endlich erhob er sich, warf noch einen langen Blick auf die Ruhestätte der Carolinger und verließ die Kirche.

Als sie über den Vorplatz schritten, klang aus dem Stiftschore der Completgesang der Mönche herüber.

»Ihr habt mir von dem frommen Magister Ermenold erzählt,« sagte Pilgram. »Diesen heiligen Mann wähle ich zum Beichtvater. Da morgen schon eine große Menge Wallfahrer andrängen wird, so möchte ich heute noch vor Gottes Stellvertreter im Bußgerichte erscheinen. Habet also die Güte, den Bruder Ermenold von meinem Vorhaben zu verständigen. In einer halben Stunde bin ich bereit.«

Die beiden Fremden betraten abermals die Stiftskirche und knieten zur Gewissenserforschung in einer Bank nieder.

Der Completgesang der Mönche war verklungen. Die letzten Töne rauschten unter den hohen Gewölben dahin, immer schwächer und leiser, bis sie vollständig erstarben und tiefe Stille eintrat.

Magister Ermenold, ein blendend weißes Chorhemd über die rauhe Kutte gezogen, um die Schultern eine blaue bis zu den Füßen hinabfallende Stola, stieg vom Chore herab und ließ sich im Beichtstuhle nieder. Pilgram trat heran, in der Haltung des reuigen Sünders. Lange währte sein Bekenntniß und sein Verkehr mit dem Beichtvater. Ihm folgte Gebhard, dessen Seelenzustand bei weitem nicht die Bemühungen des Beichtvaters und die Gelehrsamkeit des Magisters zu fordern schien, wie jener Pilgrams.

Vollständige Finsterniß herrschte in der Kirche. Nur am Beichtstuhle brannte ein Wachslicht, dessen Schein das hagere Gesicht Ermenolds traf, als er sich vom Sitze erhob. Ganz Außerordentliches mußte sich begeben haben; denn die Züge des Mönches drückten freudiges Staunen aus. Er nahm die Stola von den Schultern und kniete in der Nähe der Thüre auf dem Boden nieder. – – – Endlich unterbrach ein Geräusch die Stille. Die beiden Wallfahrer hatten sich erhoben und nahten dem Ausgange. Eine unsichtbare Hand öffnete ihnen die Thüre. Pilgram war im Begriffe, die Schwelle zu überschreiten, da fühlte er seine Rechte ergriffen und geküßt. Ermenold kniete vor ihm, blickte verehrungsvoll zu dem Hochragenden empor und senkte darauf demüthig das Haupt. Pilgram mochte sofort die Huldigung verstehen und natürlich finden; denn er schritt ohne ein Zeichen des Erstaunens mit Gebhard hinaus, während hinter ihnen die Thüre behutsam sich schloß.


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