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Das Saalgericht des Königs.

Nach altdeutscher Sitte waren die Gerichtsstätten genau bestimmt und durch Merkmale bezeichnet. Nur an »rechter Malstatt«, oder »ächter Dingstatt« vorgenommene gerichtliche Handlungen hatten Gültigkeit. Ausgenommen hievon war einzig das Gericht des Königs. Als Träger alles Rechtes und der Vollgewalt jeglicher Macht konnte er zu Gericht sitzen, wo es ihm beliebte; denn seine Würde prägte jedem Orte das Malzeichen einer ächten Dingstatt auf.

Zur Malstatt über den Grafen Bertolf und dessen Söhne erkor Rudolph den großen Saal des Rathhofes. Gewöhnlich pflegten die Könige, bei ihrem Aufenthalte zu Worms, Recht zu sprechen im Saale ihrer Pfalz, weßhalb diese Dingstatt das Saalgericht des Königs genannt wurde. Da jedoch das Verfahren gegen Bertolf alle Schichten der Bevölkerung im höchsten Grade interessirte und eine ganz ungewöhnliche Theilnahme erwarten ließ, so verlegte der Habsburger sein Saalgericht nach dem großen Saale des Rathhofes, der nach Tausenden die Zuhörer fassen konnte.

Der Prachtsessel des Bürgermeisters, dessen er sich bei feierlichen Gelegenheiten zu bedienen pflegte, war verschwunden und an dessen Stelle der Gerichtsstuhl des Königs, stapplus regis genannt, aus der Pfalz übertragen worden. Es war dies ein altehrwürdiger, mit alterthümlichem Schnitzwerk versehener Stuhl von Eichenholz, zu dem einige Stufen emporführten. Er war mit einem Polster und die Stufen waren mit Teppichen belegt. Oberhalb des Stuhles, einige Spannen über dem Haupte des Sitzenden, prangte an der Wand auf goldenem Grunde der einköpfige Reichsadler. Unterhalb der Stufen, zu beiden Seiten des Richterstuhles, standen mehrere Bänke, mit Polstern belegt, die Sitze für die Schöppen oder Urtheilshelfer. Alle Polster und Teppiche waren roth; denn Roth war die altdeutsche Gerichtsfarbe.

Nach einem freien Raume von etwa zehn Schritten Breite folgte eine unbedeckte Bank, der Sitz für die Angeklagten. Kurz hinter derselben war der Saal von einem niederen Gitterwerk durchschnitten und so die Dingstatt vom Zuhörerraum getrennt.

Lange vor der bestimmten Stunde begann sich der Saal mit Bürgern und Patriziern zu füllen. Auch viele Adelige der Nachbarschaft waren herbeigeeilt, den Spruch des Königs über den Grafen zu hören. Die Ansichten der Versammelten waren sehr getheilt und widersprechend. Während die Bürger von Worms ohne Ausnahme ein strenges Urtheil erwarteten, sogar nicht anstanden, dem »Räuber und Mörder« den Galgen in sichere Aussicht zu stellen, fand der Adel schwer wiegende Rechtfertigungsgründe für den Standesgenossen.

»Der Kaiser kann ihm nicht an Leib und Leben,« hörte man vielseitig behaupten; »denn Bertolf lag in rechter Fehde mit Worms.«

Dieser Meinung wurde von den Wormsern mit Nachdruck widersprochen, so daß lebhafte Erörterungen im Saale entstanden, die plötzlich verstummten, als Bertolf mit seinen Söhnen erschien. Sie waren durch eine Thüre eingetreten, die unmittelbar auf den freien, abgesperrten Raum führte, geleitet von zwei Stadtknechten in Helm und Harnisch, blitzende Streitäxte in der Rechten und kurze Schwerter an der Seite. Indem Bertolf nach der Bank hinschritt, trug er das Haupt trotzig und überschaute mit gleichgültiger Ruhe die versammelte Menge. Keine Spur von Furcht und Bangen war in seinen Zügen bemerkbar. Seine Haltung trug vielmehr das Gepräge herausfordernden Uebermuthes, der in höhnische Verachtung überging, als er das schadenfrohe Mienenspiel mancher Wormser gewahrte.

Des Grafen Söhne machten den Eindruck roher, verwilderter Burschen, die sich zum ersten Male in Gegenwart so vieler Menschen befinden mochten, deren Aufmerksamkeit ihnen galt. Während ihr Vater, hoch aufgerichtet, mit verschränkten Armen vor der Anklagebank stehen blieb, kühnen Blickes die Versammlung musternd, wandten sie derselben scheu den Rücken und setzten sich nieder, – gefangenen jungen Raubvögeln ähnlich, die sich im Käfig fauchend in die Ecke drücken.

Abermals öffnete sich weit die Thüre. Paarweise betraten gemessenen Schrittes zwölf Stadtknechte den Saal, in blanker Wehr und stolzer Haltung. Auf der rechten Schulter trugen sie langschaftige Hellebarden, während die Linke auf dem Schwertgriffe ruhte. Indem sie über den freien Raum schritten, theilten sie sich und nahmen Stellung zu beiden Seiten der Schöppenbänke. Ihnen folgte der Stadthauptmann, Heimburg genannt, in ritterlicher Wehr, das blanke Schwert feierlich tragend, wie einen Scepter. Dicht zur Seite des königlichen Sitzes tretend, verharrte er unbeweglich, wie eine Bildsäule.

Hinter dem Stadthauptmann schritten acht ehrwürdige Rathsmannen, die Schöppen, nach ihren Bänken. Ihnen folgten die beiden Grafen Gerold, kaiserlicher Landvogt des Wormsgaues, und Sighard von Starkenburg. Bei Sighards Erscheinen entstand lebhafte Bewegung und freudiges Geflüster unter der Menge. Deutlich vernehmbar drangen die Worte herauf: »Das ist er! Seht doch den Helden Sighard! Welch ein stattlicher Degen!«

Hälse reckten sich und begeistert leuchtende Augen waren auf die männlich schöne Gestalt Sighards gerichtet.

Dann fesselte der Kaiser die allgemeine Aufmerksamkeit. Während noch die beiden Grafen nach den für sie bestimmten Plätzen hinschritten, betrat Rudolph, in Mitte der beiden Bürgermeister, den Saal. Heute trug er nicht den einfachen grauen Waffenrock, sondern reiche Fürstengewänder, auf dem Haupte eine goldene Krone, an den Füßen rothseidene Strümpfe und Schuhe, und in der Rechten einen kurzen Stab von Elfenbein. Die lange, bis zu den Füßen herabfallende Tunika war von weißer Farbe und einem Wollenstoffe, wie er feiner und gediegener kaum mochte gefertigt werden, als in Worms. Um die Halsöffnung, an den Aermeln, um die Handgelenke und am Saum, zierten goldene Borden die Tunika. Ein hochrother, kostbar gestickter, mit Saphiren und Smaragden besetzter Gürtel hielt das weiße Gewand um die Leibesmitte zusammen. Darüber trug er einen weiten, in malerischen Falten bis über das Knie hinab wallenden Ueberwurf von rothem Sammt, mit reicher Verbrämung, über der Brust von goldener Spange gehalten.

Die hohe Gestalt des Habsburgers, ohnehin ehrfurchtgebietend und stattlich, bot in der kaiserlichen Tracht einen erhabenen Anblick dar. Von Gedanken an die große Verantwortung des Amtes erfüllt, dessen er zu walten gedachte, schritt er über den freien Raum, indeß alle Augen, wie gebannt, an dem Kaiser hingen und Grabesruhe in dem weiten Raume herrschte. Er stieg die Stufen empor und saß nun, gekleidet in Hoheit und Majestät, auf seinem thronähnlichen Richterstuhl.

Einige Schritte hinter dem Könige folgten drei rechtsgelehrte Männer in rothen Talaren, die Fürsprecher, deren Rechtsbeistand die Angeklagten nach freier Wahl fordern durften.

Kaum hatte sich der Kaiser niedergelassen, als der Stadthauptmann mit lauter Stimme ausrief: – »Hört! Hört! Unser Herr König sitzt allhie auf seiner Staffel, männiglich nach dem Rechten zu sprechen!«

Bürgermeister Hartmann trat hervor und verbeugte sich tief vor dem königlichen Richter.

»Hier stehe ich, im Namen des Rathes und der Bürgerschaft von Worms, Recht zu heischen wider Bertolf, genannt Withing, vormals Graf zu Starkenburg und Schirmvogt des Klosters Lorsch, – desgleichen wider des Genannten hier anwesenden drei Söhne Bruno, Rumold und Bucco. Der Rechtshandel aber gestaltet sich folgendermaßen.«

»Dem Ritter Baldemar Billungen von Auerberg wurde ein gar hübsches Roß gestohlen, genannt Zamba, und von dem Diebe an einen hier angesessenen Juden, Machol Ben Baruch geheißen, der ein Roßhändler ist, verkauft. Von dem Juden kaufte das Roß unser Mitbürger, Gerbermeister Werner zum Hirsch, ohne Wissen und Ahnung, daß Zamba gestohlenes Gut sei. Einige Wochen später forderte Baldemar von Billungen das Roß von Werner zurück. Dieser weigerte die Herausgabe und die Sache kam vor den Rath. Dieweilen nun Werner den Zamba in gutem Glauben und ohne Arg gekauft hatte von dem Pferdehändler, so ließ der Rath dem Kläger melden, Werner besitze das Roß mit Fug und Recht und er, der Kläger, habe sich an den Juden zu halten. Darauf erschien vor dem Rathe Bertolfs Sohn, Fehde androhend im Namen seines Vaters, der Recht und Ehre des gelähmten Billungen auszufechten übernommen habe, falls Zamba nicht sofort herausgegeben würde. Der Rath blieb jedoch bei seinem Spruche, weil Werner mit Recht das Roß besitze. Jetzt warf der junge Bertolf dem Rathe den Fehdehandschuh hin, und ritt von dannen.«

»Was der Graf von Starkenburg angedroht, hielt er getreulich. Er fiel unsere fahrenden Kaufleute an und beraubte sie. Auch andere wormser Bürger warf er nieder auf befriedeter Landstraße und hätte mich gleichfalls aufgehoben, ohne die rettende Dazwischenkunft des edlen Sighard von Greifenstein.«

»Den Quälereien und Schädigungen zu entgehen, brachten wir den Handel vor den Landvogt. Dieser lud Bertolf vor sein Gericht, setzte ihm einen Tag und gebot ihm, Recht zu nehmen nach dem Gesetze. Bertolf hingegen erschien nicht, sondern erwiederte: – »Ich nehme kein Recht von dem Landvogt, selbst nicht von dem Kaiser, sondern nur von meinem Schwert.«

»Darauf verurtheilte der Landvogt den Angeklagten, der zugleich der Acht verfallen war.«

»Nun hatten wir eine gute Weile Ruhe; denn es trat Winterszeit ein und gab keine fahrenden Kaufleute. – Inzwischen rüstete Graf Bertolf. Er warb Söldner und begann im Frühjahre das Raubwesen noch ärger. Einen ganzen Zug Lastwagen, mit guten Tüchern, Scharlach und Leder befrachtet, nahm er weg, dazu die Pferde und Wagen. Mit den geraubten Waaren aber trieb er Handel, das heißt, er verkaufte dieselben an heidelberger Juden, – ein Umstand, der zugleich Helle verbreitet über die eigentliche Ursache und den Zweck der Fehde. Der Graf benützte nämlich das angebliche Recht des Ritters Baldemar lediglich als Vorwand, um sich durch Raub und Diebstahl zu bereichern. Er wollte an die fahrenden Kaufleute kommen und deren Gut wegnehmen, – das ist der wahre Grund und Kern seiner Fehde.«

Bertolf war bisher ruhig gesessen. Jetzt sprang er auf, glühend vor Zorn.

»Schändlich gelogen!« rief er heftig. »Solchen Schimpf weise ich zurück!«

»Das möget Ihr, sobald für Euch die Zeit zum Reden gekommen!« sprach in strenger Ruhe der König.

»Mit jedem Tage wurde die Sache ärger,« fuhr der Bürgermeister fort. »Für unsere Kaufleute war die Landstraße nach Schwaben und Franken gesperrt. Der Zustand wurde unerträglich und schädigte sehr die allgemeine Wohlfahrt. Darum traten wir mit dem tapferen Ritter Sighard von Greifenstein in Waffenbruderschaft. Er öffnete uns seine Burg, übernahm die Führung einer wohl ausgerüsteten Schaar Wormser Edelleute und Waffenknechte, unsere Kaufleute und andere Bürger zu geleiten.«

»Abermals hatten wir eine gute Weile Ruhe. Bertolf unterließ das Rauben und Niederwerfen. Plötzlich aber fiel er mit seinen Söhnen und Söldnern über unsere Geleitsschaar her und erschlug fast die Hälfte derselben. Zu Raub und Landfriedensbruch hatte sich nun auch Todtschlag gesellt. Wäre der gar arge Graf nicht von dem Helden Sighard überwunden und gefangen worden, noch weit größeres Unheil hätte er wider uns angerichtet.«

»Darum klage ich den genannten Bertolf an, des Straßenraubes, des Landfriedensbruches und des Todtschlages, – heische Recht wider ihn und Schadenersatz.«

Herr Hartmann trat zur Seite. Bertolf erhob sich.

»Wollt Ihr selbst Eure Verteidigung führen, oder verlangt Ihr einen Fürsprecher?« frug der König.

»In einer so klaren und gerechten Sache, wie die meinige, bedarf es keines Fürsprechers,« antwortete trotzig der Angeklagte. »Nach Verlauf und Wahrheit hat der Bürgermeister den Sachverhalt vorgetragen, – ich habe nichts zu bestreiten, nichts beizusetzen. Nur in einem Punkte hat er durch Lüge mich beschimpft,« fuhr er mit Heftigkeit fort. »Kein Mensch in der Welt darf aus dem Withing Bertolf einen Schacherjuden machen, ohne in seinen Hals hinein zu lügen, wie ein ehrloser Bube.«

»Mäßiget Eure Sprache,« unterbrach ihn Rudolph. »Dem Angeklagten ist nicht gestattet, seinen Ankläger zu beschimpfen. Geschah Euch Unrecht, so beweist es. – Uebrigens werdet Ihr nicht läugnen wollen, an Heidelberger Juden die geraubten Kaufmannsgüter verhandelt zu haben.«

»Dies bestreite ich nicht, wohl aber den schmählichen Vorwurf, nicht um Ehre und Recht, sondern aus judenmäßiger Habsucht die Fehde erhoben zu haben. Bei meiner Ehre, – an Handelsgeschäfte dachte ich nicht! Diese Sache ergab sich von Ungefähr, ohne meine Veranlassung, – nämlich ein Jude aus Worms gab mir den Rath.«

»Hört, – hört!« klang es an verschiedenen Punkten im Saale, und die Erwartung der Zuhörer war auf das Höchste gespannt.

»Wie heißt der gemeinte Jude?« frug Rudolph.

»Machol Ben Baruch!«

»Ah, – ah, – paßt auf!« schwirrte es durch den Zuhörerraum.

»Mithin habt Ihr doch die Verbindung mit dem Juden wegen besagter Handelsgeschäfte gesucht?« forschte der König.

»Nein! Der Jude brachte mir Kundschaft aus Worms, – wie hätte ich sonst Tag und Stunde wissen können, wann die Krämer ausfahren?«

Bei den Worten brannten plötzlich alle Gesichter der Wormser in heller Zornesgluth. Längst war der Verrath augenscheinlich und ein Gegenstand unermüdlichen Forschens gewesen. Man konnte jedoch den Frevler nicht entdecken. Jetzt lag es am Tage, und eine Bewegung verhaltener Entrüstung ging durch den Saal.

»Schaffet den Juden Machol Ben Baruch zur Stelle,« gebot der König.

Zwei Stadtknechte verließen unter dumpfem Getöse der Zuhörer den Saal. Rudolph hob mahnend seinen Stab. Die Stille kehrte zurück, aber eine drohende Gewitterschwüle war geblieben.

»Abgesehen von der fälschlich vorgeworfenen Wucherei, gestehe ich die ganze Anklage zu,« fuhr Bertolf weiter. »Was die Wormser betrachten als Straßenraub, Landfriedensbruch und Todtschlag, sind die ganz natürlichen und selbstverständlichen Folgen einer gerechten Fehde gewesen. Den Feind zu schädigen, ist Kriegsbrauch, – den widersetzlichen Feind nieder geschlagen zu haben, darf keinen Gegenstand der Anklage bilden. Bei allen Fehden fließt Blut, – meine Fehde mit Worms war eine rechtliche und gesetzlich angesagte. Meinen biederen Nachbar, den guten Ritter Baldemar von Auerberg, fand ich gekränkt in seiner Ehre, an seinem Recht, und da ihm Worms hartnäckig sein Recht verweigerte, Baldemar selbst aber lahm und nicht streitbar ist, so übernahm ich für ihn gegen die übermüthige Stadt die Wahrung seiner Ehre und seines Rechtes. Dazu war ich befugt nach den Standesrechten des Adels. Indem ich Fehde erhob für einen wehrlosen, in seinem guten Rechte unterdrückten Standesgenossen, blieb ich vollkommen in den Schranken der Gesetze, – habe die Ehre des Adels behauptet gegen den stolzen Trotz hochfahrender Stadtleute.«

Beifälliges Kopfnicken des anwesenden Landadels begleitete diese Worte, ein Umstand, welcher dem Kaiser nicht entging. Bereits galt er für einen Gönner der Städte und für keinen besonderen Freund des Adels; denn Erstere begabte er mit Freiheiten und förderte in aller Weise das emporstrebende Bürgerthum. Den Raubrittern hingegen war er ein strenger Richter, bestrafte deren Gewaltthätigkeiten mit dem Tode und zerstörte ihre Burgen. Diese umlaufende Ansicht über den Habsburger mußte eine Verurtheilung Bertolfs neuerdings bestätigen, ihm einen Theil des Adels entfremden und auch die Reichsfürsten steifen in ihrer argwöhnischen Widersetzlichkeit gegen den starken, Ordnung schaffenden Arm des Kaisers.

Rudolph kannte diese Stimmung jenes Theiles des hohen und niederen Adels genau, der sich der Reichsordnung nicht fügen wollte. Deßhalb bedurfte es der ganzen Kraft des Habsburgers, das Ansehen der Gesetze wider die herkömmliche Selbsthülfe des Adels zu wahren, und auch seiner Klugheit, damit nicht aus glimmenden Funken des Mißvergnügens ein verheerender Brand erwachse.

»Mag nun Euer Spruch fallen, wie er will, Herr König, – mir gilt dies gleich!« schloß Bertolf. »Ich habe das Bewußtsein, nach Recht und Ehre gehandelt zu haben, wie es dem Edelmann ziemt, der immer Richter gewesen in eigener Sache, – ein Brauch, den sogar der gestrenge Kaiser Friedrich Rothbart gut geheißen. Wenn genannter Kaiser die Bedingung machte, daß eine Fehde wenigstens drei Tage vorher angesagt werden mußte, so habe ich derselben genügt, wie der Bürgermeister selbst bezeugte.«

Die Unerschrockenheit und Kühnheit des Angeklagten, der sogar eine kaiserliche Verfügung zu seiner Rechtfertigung anrief, erweckte laute Beifallsäußerungen der Adeligen und brachte auf die Wormser einen überraschenden, fast verblüffenden Eindruck hervor.

Herr Rudolph verlor nicht einen Augenblick die sichere und strenge Ruhe.

»Die Bestimmung Unseres Vorfahren am Reiche, jede Fehde drei Tage vorher anzuzeigen, besteht allerdings,« sprach er. »Ebenso besteht die von Kaiser Friedrich anerkannte Erlaubtheit der Selbsthülfe, oder des Faustrechtes. Allein Friedrich war gezwungen, einer althergebrachten Sitte, wurzelnd im Boden des Heidenthums, ein Zugeständniß zu machen. Als jedoch unser Herr Jesus Christus im Reiche kräftiger zu walten und die letzten Spuren heidnischer Vorzeit zu besiegen begann, da wurde das Bedürfniß laut und bei allen rechten Christen allgemein, einem Herkommen aus der Heidenzeit, nämlich dem Rechte des Stärkeren, strengstens zu wehren. Darum haben fünfzig Jahre später, das heißt, fünfzig Jahre nach erwähnter Bestimmung Friedrichs, die Fürsten auf dem Reichstage zu Mainz das Recht der Selbsthülfe bei schwerer Strafe verboten und verfügt, daß männiglich im Reiche vor dem zuständigen Richter solle Recht nehmen. Und dieses Gesetz des Reichstages zu Mainz war für Euch maßgebend.«

»Meinestheils fand ich das uralte, aus der Heidenzeit stammende Herkommen der Adelsehre entsprechender,« versetzte Bertolf.

»Theilt ihr die Gesinnung eures Vaters?« frug der Kaiser die Söhne des Angeklagten.

»Ja, – natürlich, – versteht sich!« antworteten einstimmig die wilden Falken.

»Seid ihr geständig,« frug der Monarch weiter, »mit eurem Vater die Bürger von Worms befehdet, beraubt und im Kampfe getödtet zu haben?«

»Wir sind geständig.«

»Fraget nicht nach Dingen, die sich von selbst verstehen,« rief kühn der Aelteste. »In allen Stücken halten wir es mit dem Vater; denn auch in unseren Adern fließt das Blut preußischer Withinge. Schwertrecht gilt und Manneskraft, und nur eine Schranke, – die Ehre!«

Ein Gemurmel des Staunens lief durch den Saal.

»Allerdings der Ausdruck preußischer Denkungsart, – nur ist der Begriff von ›Ehre‹ kein deutscher, sondern eben wieder ein preußischer,« sprach in fast strafendem Tone der Habsburger. »Den Preußen galt von jeher einzig das Recht des Stärkeren, daher die fortlaufenden Ueberfälle unserer Nordmarken, die ewigen Raubzüge der Preußen und die Bedrängnisse der Deutschen durch besagte Reichsfeinde. Aecht preußisch war es auch, die wehrlosen Mönche von Lorsch zu berauben und planmäßig auszuplündern. – Vogt,« – wandte er sich an Greifenstein, »erfüllt Eure Pflicht!«

Der Aufgerufene trat heran, von ingrimmigen Blicken Bertolfs empfangen. In lebhaften Farben schilderte er die Ungerechtigkeiten, Gewaltthaten und Quälereien des Vogtes gegen das Kloster. Die Einlagerung der Hunde und Waffenknechte, das rohe Betragen der Letzteren und deren boshafte Peinigung der Mönche rief allgemeine Entrüstung hervor.

»Mit den Stiftsgütern schaltete der Klostervogt nach Belieben, oder vielmehr, wie ein beharrlicher Räuber,« fuhr Greifenstein fort. »Eigenmächtig vergab er Pachthöfe, jagte Zinsbauern davon, die ihm nicht gefielen, erpreßte unerhörte Abgaben von den Eigenleuten, ohne deren Rechte und Freiheiten im mindesten zu achten, – ja, er schämte sich nicht einmal, das Eigen der Armen anzutasten. Wie auf eigenem Grund und Boden schaltete er auf den Stiftsgütern und riß Alles an sich. So hatte er, im Laufe der Jahre, durch fortgesetzte Uebergriffe fast sämmtliche Einkünfte des Klosters an sich gebracht, so daß die Mönche in bittere Noth geriethen und ohne die Almosen der Gläubigen verhungert wären. – – Aus allen diesen Gründen erhebe ich, Graf Sighard von Starkenburg und Schirmvogt des Klosters Lorsch, Klage wider Bertolf, heische Recht und Schadenersatz.«

»Hiegegen lege ich Verwahrung ein!« rief Bertolf. »Ihr besitzt keineswegs die Eigenschaft, als Kläger wider mich auftreten zu können; denn Vogt von Lorsch und Graf von Starkenburg bin ich und bleibe ich, bis zum rechtmäßig gefällten Spruche. Kaiser Friedrich gab Starkenburg meinem Geschlechte als Erblehen, – ich wahre mein Recht!«

»Ihr seid in arger Täuschung befangen!« sprach der Kaiser. »Doppelt habt Ihr das Reichslehen verwirkt, – einmal durch schnöden Mißbrauch Eures Amtes, und dann durch die Acht, die Eure Weigerung, vor Unserem Landvogte zu erscheinen, Euch zugezogen. – – Außerdem hat Euer schändliches Verfahren gegen Lorsch den Ehrenmantel Euch von den Schultern gerissen, den Ihr so meisterhaft in der Fehde gegen Worms umgehängt. Euer Schinden und Schatzen und Berauben gottgeweihter Männer ist unvereinbar mit der Gesinnung eines ehrenhaften Edelmannes. Ihr habt gehandelt an Lorsch, wie ein ehrloser Wucherer und habsüchtiger Tyrann.«

Die Worte trafen sehr empfindlich den Angeklagten. Eine so heftige Gemüthsbewegung kam über ihn, daß er mit dem Fuße den Boden stampfte, wild die Fäuste ballte, und einige Augenblicke unentschlossen vor sich hinstarrte. Dann warf er stolz den Kopf nach dem Nacken und sah aus unheimlich funkelnden Augen auf den Habsburger.

»Tastet meine Ehre nicht an, Herr König!« sprach er, empörten Gemüthes. »Indem ich die Einkünfte von Lorsch an mich zog, habe ich wider Ehre nicht gefrevelt, sondern mannhaft und klug gehandelt, – sobald man von meinem Standpunkte die Sache anschaut. Ein Preuße bin ich, – kein Deutscher, – und der Sitte meiner Väter bin ich treu geblieben, was abermals nicht ehrlos gescholten werden darf. Die Gesinnung aber der Preußen gegen Pfaffen, Mönche und Klöster ist reichsbekannt. Bis auf den heutigen Tag hassen die Preußen jenes Licht, das von römischen Pfaffen getragen wird. Fest halten die Preußen am Väterglauben, an ihren Göttern, und kämpfen mannhaft seit vielen Jahren, bis auf den heutigen Tag, wider die gepanzerten Halbmönche, die Kreuzritter. Vorübergehend bezwungen, erheben die Preußen immer wieder den Schild, übergeben neu erbaute Klöster den Flammen, erschlagen Mönche und Pfaffen, und vernichten gründlich die junge Saat des ihnen verhaßten Christenthums. Niemand darf ein Volk schmähen, wenn es beharrlich den eingedrungenen Feind befehdet, – wenn es in Treue Vätersitte und Väterglauben bewahrt. Auch ich habe beide bewahrt, – Vätersitte und Väterglauben. Obwohl mein Geschlecht, durch eine besondere Fügung, mitten in das Reich verpflanzt wurde, sind wir dennoch keine Deutschen geworden, sondern Preußen geblieben. Darum lebte ungeschwächt fort in uns der Haß gegen die römische Kirche und die Verachtung gegen die Einrichtungen und Lehren derselben. In den fastenden, betenden und sich casteienden Mönchen von Lorsch fanden wir wahnwitzige Thoren, – in der Herrschaft der römischen Pfaffen sahen wir ein schmähliches Joch, dem sich ein freier Mann niemals unterwerfen darf.«

Die längst gährende Entrüstung der Zuhörer brach hier in ein stürmisches Getöse aus.

»Da hört den Ketzer, – den Heiden, – den Preußen! In's Feuer mit dem Antichrist, – an Galgen mit dem Raubpreußen!«

Rudolph erhob seinen Stab. Der Sturm schwieg.

»Mäßigt Eure Sprache!« gebot er dem Angeklagten. »Ich werde Euch nicht gestatten, das christliche Gefühl zu beleidigen. – Zum Anderen redet Ihr falsch und verdreht die Lage der Dinge,« fuhr der Kaiser fort. »Nach Gottes heiligem Willen soll nicht Finsterniß herrschen auf Erden, sondern Licht. Die gräulichen Sitten Eures Volkes, der Götzenwahn, die beliebige Abschlachtung der Kinder, die Menschenopfer, die grausame Ermordung von Sklaven und Knechten bei Beerdigungen der Freien, – die Vielweiberei, nebst anderen Schändlichkeiten und barbarischen Gewohnheiten des Heidenthums, sollen aufhören. Darum sandte unsere heilige Kirche Glaubensboten nach Preußen. Sie wurden ermordet und erlangten die Palme des Martyriums. Fromme Glaubensboten und Träger christlicher Gesittung zu ermorden, ist keine edle That, sondern ein Werk der Finsterniß, die sich empört wider das Licht. Ihr schmäht zwar jenes Licht, das von römischen Waffen getragen wird, wie Ihr sagt, – allein Ihr schmäht, was Ihr nicht kennt, oder aus Herzensbosheit haßt. Jenes Licht ist nicht von Rom, sondern vom Himmel, – nämlich Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist jenes Licht, und Licht sind seine göttlichen Lehren, deren wachsamer Hüter allerdings der Papst und deren Verkünder und Träger die Geistlichen sind. Und diesem Lichte,« fuhr der Habsburger fort, wobei vor den Augen aller Zuhörer ein hehrer Glanz die geheiligte Majestät des Kaisers umstrahlte, – »nämlich Jesus Christus, verdankt das deutsche Reich all seine Größe, Macht und Herrlichkeit. Ueber alle Völker der Erde hat Gott die deutsche Nation erhoben, weil kein anderes Volk die Lehren Christi so lebhaft, so kräftig, mit so tiefem Gemüthe und ganzer Seele aufgenommen, wie eben das deutsche Volk. Und was im deutschen Volke liegt an Geistesadel, an Frommheit, an Tugend, an Rechtschaffenheit, an Heldenmuth, an Arbeitsamkeit, an Kunstsinn, an Glück, an Wohlfahrt, – Alles dies entsprang im Grunde einer einzigen Quelle, nämlich Jesus Christus, dem Heilande der Welt, der da herrscht und waltet im heiligen Reiche durch seine göttlichen Lehren und Gnadenmittel. Und wie ein Menschenleib todt ist ohne Geist, ein todter Leib aber der Fäulniß anheimfällt, so würde auch der Reichskörper dem Tode, dem Verderben, der Fäulniß anheimfallen, wenn er das Licht und das Leben verließe, nämlich unseren Herrn Jesus Christus und seine himmlischen Lehren. Wie aber das heilige Reich groß, mächtig und herrlich ist durch die Herrschaft Christi, so soll es auch die Marken des Reiches Gottes auf Erden nach Kräften erweitern, die Finsterniß austilgen und dem Lichte Raum schaffen. Wenn darum des Reiches starker Arm wehrlose Glaubensboten schirmte und die Frevel barbarischer Preußen strafte, so handelte es im Geiste seiner Aufgabe, die völkerbeglückende Herrschaft unseres Herrn Christus zu verbreiten und der grausamen Tyrannei des Götzenwahnes ein Ende zu machen.«

Hier unterbrach ein Beifallssturm den Redner; denn was der Kaiser sagte, erfüllte lebendig und überzeugungsvoll alle Herzen.

»Ich will das Recht Eurer Vertheidigung nicht beschränken,« schloß Rudolph; »aber ich mahne Euch ernstlich, das christliche Bewußtsein nicht grob zu verletzen und die höchsten Güter der Deutschen nicht zu verunglimpfen.«

»Jegliche Kränkung lag mir ferne,« entgegnete Bertolf. »Wollte nur meinen Standpunkt klar stellen, demzufolge meine Handlungsweise an Lorsch nicht ehrlos gewesen. Nicht auf schnöden Gewinn, nicht auf judenmäßiges Zusammenscharren von Reichthümern war es abgesehen, sondern auf weit Höheres. Mannhaft ist es, empor zu streben, – aufwärts zu steigen auf den Stufen gegebener Verhältnisse. Auch Ihr seid vor wenigen Jahren noch Graf gewesen, – heute seid Ihr deutscher König und römischer Kaiser. Wollte auch der Graf von Starkenburg nicht König werden, wie der Graf von Habsburg, so besaß er doch den kühnen Muth, die Gründung eines Fürstenhauses zu versuchen. Dahin zielte mein ganzes Verfahren wider Lorsch. Offen gestehe ich, die Vernichtung des Klosters und die Verwandlung der Kirchengüter in Fürstengut beabsichtigt zu haben. Religiöse Bedenken hinderten mich nicht, – der Ehre vergab ich nichts; denn ich bin ein Preuße und lege nicht den deutschen Maßstab an das Ehrgefühl. Mein Plan wäre sicher gelungen, würden die Verhältnisse im Reiche durch Eure Thronbesteigung nicht plötzlich verändert worden sein.«

Ein Schweigen der Verwunderung und des Staunens folgte Bertolfs Rede. Die Rechtfertigung war in ihrer Begründung so neu, so unerhört und deutscher Denkweise so fremd, daß viele Zuhörer einen Irrsinnigen zu vernehmen glaubten.

Noch währte die Pause der Stille, als der Jude Machol Ben Baruch eintrat, von den Stadtknechten vor den König geleitet. Schrecken malte sich in seinem Gesichte, der ihn jedoch nicht verhinderte, die Umgebung des Monarchen zu mustern. Bis zur Erde beugte er sein Haupt, verharrte einige Augenblicke in dieser demüthigen Stellung, und als er sich wieder aufrichtete, wagte er scheinbar nicht, eine natürliche Haltung anzunehmen; denn Kopf und Nacken blieben gebückt und die Hände lagen gekreuzt über der Brust.

»Stehet gerade, Mann, und sehet mir frei in's Auge!« gebot Rudolph, dem jede Kriecherei verhaßt war.

Machol gehorchte dem Befehle, vermochte es aber nicht, den scharfen Blick des Habsburgers zu ertragen.

Bürgermeister Hartmann trat heran.

»Herr König!« begann er, »abermals stehe ich hier, Klage zu erheben wider den Juden Machol Ben Baruch, angesessen allhie zu Worms. Besagter Jude, wie er Euch vor Augen steht, hat in unserer Fehde mit Bertolf von Starkenburg dem Feinde Kundschaft getragen, ihm die Ausfahrt der Kaufleute und anderer Bürger verrathen, somit die Wohlthaten des Schutzes und Stadtfriedens, die er und die anderen Juden in Worms genießen, mit schnödem Undank vergolten. Ich heische Recht wider ihn und Bestrafung des Verräthers.«

Als Herr Hartmann zu sprechen anfing, wandte Machol den Kopf nach ihm, und so meisterhaft wußte er die Maske der Ueberraschung und selbstbewußter Unschuld anzulegen, daß jeder Beobachter sofort die Schuldlosigkeit des Angeklagten würde erkannt haben.

»Gott meiner Väter, – was sind das für Worte?« rief er bestürzt aus. »Ich sollte verrathen haben die gute Stadt Worms, darin ich lebte in Frieden und nachging meinen Geschäften? Herr meines Lebens, – nein, – solch ein Verruchter bin ich nicht, – wahrhaftig nicht! Irgend ein Sohn Belials hat gelogen wider mich, – hat verläumdet meinen guten Ruf, – hat erweckt Abscheu und Haß der edlen Bürgerschaft wider mich, – ja, wider mich, den Unschuldigen! Gemacht hat er aus Machol Ben Baruch einen Bösewicht, einen Schurken, – ja, einen Nachkommen Absalons, der verrieth David, seinen Vater, der zog sein Schwert wider den Gesalbten des Herrn. Beim Gott Abrahams, – rein bin ich von solchem Frevel! Erlogen ist die Anklage, – erfunden von Lucifer, dem Vater der Lüge. Wo sind die Beweise wider mich? – Sehen, hören möchte ich sie! Wo sind die Zeugen? Ja, – sehen möchte ich sie und ihnen fluchen.«

»Schaue mich an, Jude!« sprach Bertolf. »Zeuge Deines Verrathes bin ich, und auch meine Söhne sind Zeugen. Hast Du mir nicht Kundschaft gebracht, über Tag und Stunde der Ausfahrt wormser Kaufleute und anderer Bürger? Wagst Du es, zu läugnen?«

Der Jude betrachtete Bertolf mit dem Ausdrucke höchster Verwunderung. Er sah ihn an, wie einen Irrsinnigen und bewegte bedauernd den Kopf.

»Nun, – was soll ich sagen? Bei dem Manne muß es nicht gar richtig sein da oben,« – und er tupfte die Stirne. »Ich soll Euch verrathen haben die Ausfahrt meiner Gönner und Wohlthäter, – die Ausfahrt wormser Kaufleute?«

»Nicht einmal, – wohl zehnmal bist Du bei mir gewesen in Starkenburg mit Kundschaft.«

»Ja, – bin bei Euch gewesen in Starkenburg wohl zehnmal, – aber in Geschäften. Hab' Euch verkauft gute Rosse und dafür eingestrichen gutes Geld, – das ist wahr! Was Ihr dagegen sagt von Kundschaft, das ist nicht wahr.«

»Verdammter Jude, Du unterstehst Dich, einen Edelmann der Lüge zu zeihen?« brauste der Geächtete auf.

»Allerdings, – was Ihr sagt von Kundschaft, ist wahrhaftig gelogen!« behauptete dreist der Hebräer.

Kaum war das Wort den Lippen entflohen, als die wuchtige Faust des ergrimmten Bertolf niederfuhr, und der Jude laut aufschrie.

»Waih, – geschlagen hat er mich, – geschlagen einen unschuldigen Mann! Recht und Gerechtigkeit, – geschlagen hat er mich vor dem Angesichte des Herrn Königs! Strafe zahle er, wie geschrieben steht im Gesetz, – drei Schillinge Strafe! Und mir zahle er die Pön; denn mich hat er geschlagen!«

Die Mißhandlung des Juden erweckte keineswegs die Teilnahme der Zuhörer; denn alle Herzen waren erbittert über den ertappten Verräther.

»Recht und Gerechtigkeit!« kreischte Machol weiter. »Das Strafgeld fordere ich, – drei schwere wormser Schillinge nach dem Gesetz! Gott meiner Väter, – zu mißhandeln einen schuldlosen Mann, der sich vertheidigt vor Gericht! Bin ich unter Philistern und Canaanitern, die geschlagen meine Väter?«

»Ein Waffenknecht stelle sich zwischen beide Angeklagte!« gebot Rudolph.

»Allergnädigster Herr König, Recht verlange ich, mein gutes Recht, – meine drei schwere wormser silberne Schillinge; denn geschlagen hat er mich.«

»Vorläufig ist von Anderem die Rede,« sprach der Kaiser, und an die Schöppen sich wendend, fuhr er fort: »Wie steht es mit dem Rechtsgang in Betreff der Zeugen? Können Bertolf und dessen Söhne nach hiesigem Rechte zugelassen werden?«

»Nein!« lautete die einstimmige Antwort.

Ein Schöppe erhob sich und sprach: »Nach gemeinem Recht, das auch allhie gilt in Worms, dürfen nur unbescholtene, ehrliche Leute Zeugniß geben, nicht aber Diebe, Räuber und Ehrlose Optimus quisque in pago vel civitate in testimonium assumatur, et cui ille, contra quem testimoniare debet, nullum crimen possit indicere. Capit. lib. III, c. 32.

Bertolf biß wüthend die Lippen. Nicht einmal gegen einen Juden hatte sein Wort Beweiskraft, – eine Schmach für den hochfahrenden Mann, qualvoller als der Tod.

Rudolph hatte inzwischen die beiden Angeklagten beobachtet. Die Gemüthserschütterung des Preußen entging ihm ebensowenig, wie Machols geriebene Schlauheit.

»Ist Niemand hier, der Zeugniß in der Sache geben kann?« frug er mit lauter Stimme.

Sighard erhob sich.

»Ein Umstand, den ich verbürgen und durch einen guten Zeugen beweisen kann, spricht sehr gegen den Juden. Ich schickte meinen Knappen Heidolf mit einem Briefe an den Grafen von Starkenburg, die mit Worms eingegangene Waffenbruderschaft ihm zu melden. Zu Starkenburg begegnete Heidolf dem Pferdehändler Machol, der eben aus der Kammer des Grafen in die Kemnate herabstieg. Den Grafen fand mein Knappe in Gesellschaft des ehemaligen Ritters Hans von Steinberg, eines streitsüchtigen Mannes und Waffengesellen Bertolfs. Steinberg ließ mir nun durch Heidolf sagen, ich hätte morgen schon in der Frühe Gelegenheit, bei der Carlseiche im Lorscher Walde meine Bruderschaft und Treue gegen Worms zu bewähren, möchte mich also zum Streite einstellen. Ich folgte der Einladung und befreite wirklich den Goldschmied Veit von hier aus den Händen der Starkenburger, die ihn bereits aufgehoben hatten. Schon damals war Veit und mir aufgefallen, wie der Graf so schnelle und genaue Kunde von des Goldschmieds Ausfahrt haben konnte.«

»Weil der Jude es mir gemeldet hatte,« rief der Angeklagte dazwischen.

»Dies scheint in der That die einzig mögliche Lösung des Räthsels zu sein,« schloß Greifenstein.

»Es liegt am hellen Tage, – der Jude ist schuldig!« rief eine Stimme aus der Menge.

»Er ist schuldig, – man kann's ja mit Händen greifen!«

»Aufs Rad mit dem Verräther!«

»Schleift den Schurken!«

»An den Galgen mit dem Buben!«

Während so die empörten Wormser ihre Ueberzeugung äußerten und zugleich ihrem Zorne Luft machten, krümmte Machol die Glieder und hob flehend die Hände.

»Herr, Gott Abrahams, sei Du mein Helfer und Retter in der Noth! Du starker Gott, – Du allwissender und gerechter Gott! Willst Du, Herr, zertreten lassen einen schuldlosen Wurm, der sich ohnmächtig krümmt unter den Füßen seiner Widersacher? Gott meiner Väter, – ich weiß, erretten wirst Du mich aus den Schlingen, die gelegt Deinem Knechte ein Sohn Belials! – – Ja, – freilich, gewesen bin ich an jenem Tage zu Starkenburg, – begegnet bin ich dem Knappen, das ist wahr! Doch Kundschaft habe ich nicht getragen dem Grafen, sondern angeboten zum Kaufe meine Rosse.«

Ein wildes Getöse unterbrach den Juden.

»Gelogen! Kundschaft hat er getragen.«

»An den Galgen mit dem Verräther!«

»Alle Juden sind Spitzbuben!«

»Aus der Stadt mit den Schelmen!«

Rudolph hob seinen Stab. Der Lärm verstummte.

»Recht und Gerechtigkeit!« wimmerte Machol. »Wie kann sich wehren ein armer Mann, – ein schwacher Jüd, – wehren gegen die Gewalt der Mächtigen? Recht und Gerechtigkeit, – einen Fürsprecher fordere ich, wie es bestimmt das Gesetz.«

»Die Forderung ist berechtigt,« versetzte der Kaiser. »Wählet selbst den Fürsprecher.«

Machol wandte sich nach der Bank, auf welcher die drei Rechtsgelehrten saßen.

»Magister Markwart, um Gottes willen, erhebet Euch, – stehet ein für meine Unschuld! Beschützet mit dem Schilde Eurer Weisheit mich hartbedrängten Mann! Und was kann geben ein armer Jüd seinem Freunde, seinem Wohlthäter, seinem Retter, – das wird geben der arme Jüd für sein Leben.«

Markwart erhob sich, trat einige Schritte vor, verbeugte sich vor dem Monarchen und begann die Vertheidigung. Sie war kurz, aber schlagend und schloß mit den Worten: »Abgesehen davon, daß dem Angeklagten das delictum criminale nicht nachgewiesen werden kann und die Klage überhaupt, in Folge des Mangels jeglichen rechtsgültigen Zeugenbeweises, hinfällig geworden, möchte ich noch auf einen schwer wiegenden Umstand hinweisen. Von einem Straßenräuber, Landfriedensbrecher und Kirchendieb darf wohl angenommen werden, daß er ohne Gewissensbedenken einen schuldlosen Mann, dazu einen verächtlichen Juden, falsch anklage; – von der Stadt Worms aber kann nicht angenommen werden, daß sie einen Juden, lediglich auf die unbeweisbare Anklage des Bösewichtes Bertolf, an Leib und Leben strafe. Warum kann dies nicht angenommen werden? Weil die Stadt Worms, mit den übrigen Städten der Eidgenossenschaft, gerade den Juden Schutz, Frieden und Gerechtigkeit gelobte. In dem Bundesbriefe, den alle Städte am Rhein, von Cöln bis Basel, hier im Jahre 1254 errichteten, heißt es ausdrücklich: – ›Verum universi, religiosi, laici et Judaei hac tuitione perfrui se gaudeant, et in tranquillitate sanctae pacis valeant permanere Foedus pacis 13. Jul. 1254. .‹ – Verdollmetscht heißt dies: Alle insgesammt, Geistliche, Laien und Juden, mögen in Frieden diesen Schutz genießen und in heiliger Friedensruhe beharren. Demzufolge heischen von Worms verpfändete Ehre und feierlich gelobter Schutz für den Juden Machol Ben Baruch Gerechtigkeit, sohin im vorliegenden Falle Freisprechung.«

Diese Rede Markwarts rief allgemeine Mißbilligung und lautes Murren hervor. Von der Schuld des Juden überzeugt, zürnte man dem wohlwollenden Bemühen des Fürsprechers für den Verräther. – Hiezu kam eine lebhafte Abneigung, die sich auf alle Juden überhaupt erstreckte, und deren tiefste, unaustilgbare Ursache in dem unvereinbaren Gegensatze zwischen dem deutschen Volkscharakter und jenem der Juden lag. Obwohl die Hebräer nicht arbeiteten, sondern vom Handel, namentlich von Geldgeschäften und Wucher lebten, gelangten sie doch zu großen Reichthümern, in Folge ihrer Freiheiten von allen sittlichen Hindernissen und Gewissensbedenken, die Christen zu übervortheilen und zu betrügen. Wucher aber galt den Deutschen für schändlich und ehrlos, und im Juden erkannten sie gleichsam den personifizirten Wucher. Obschon ausgeschlossen von allen öffentlichen Aemtern, gelangten die Hebräer dennoch zu großem Einflusse, selbst zu einer gewissen Macht im Reiche; denn ihr Geld brachte alle Schichten der Gesellschaft, bis hinauf zum höchsten Adel, in Abhängigkeit von ihnen. Als Finanzpächter findet man sie bei Königen, Fürsten und Prälaten, in überaus einflußreichen Wirkungskreisen, welche sie zum Verderben des deutschen Volkes und zum steten Wachsthum ihrer Reichthümer geschickt auszunützen verstanden. Aebte und Bischöfe mußten ihnen sogar Kirchengüter, heilige Gewänder, Kelche, Reliquien, Meßbücher und ähnliche Dinge verpfänden. Und die zähe Beharrlichkeit, womit die Juden ihre Ziele verfolgten, die Geschicklichkeit, mit der sie Fürsten goldene Ketten schmiedeten, sowie die unerbittliche Herzlosigkeit, womit sie Bauern und Bürger durch schlau angelegte wucherische Umtriebe um alle Habe brachten, waren ebenso viele Quellen des Zornes und Hasses der Deutschen gegen ihre Bedrücker und Aussauger. Alle diese feindseligen Gefühle wurden jetzt durch Machols Verrath mächtig erregt. Eine namenlose Erbitterung erfaßte alle Gemüther, und der Saal wiederhallte von Ausbrüchen des Unmuthes.

»Ist das Gerechtigkeit, einen offenbaren Schurken rein zu waschen?«

»Verrathen hat uns der Jude, und wir sollen die giftige Schlange am eigenen Busen schirmen?«

»Der Jude schwöre den Reinigungseid!«

»Ei, – was, Reinigungseid! Hat er nicht durch Verrath den Treueid gebrochen?«

»Was liegt dem Spitzbuben an einem Meineide mehr?«

»Aus der Stadt mit allen Juden!«

»Fort aus dem ganzen Reiche mit den ehrlosen Wucherern, mit den Blutsaugern!«

»Wie lange sollen wir uns noch von diesem fremden Volke betrügen und schatzen lassen?«

»Eine Narrheit ist's, raubgierige Wölfe zu schirmen!«

»Peitscht sie aus den Reichsmarken!«

Immer höher loderten die Flammen des Zornes. Der Habsburger sah beobachtend in das Getöse, ohne den Sturm zu beschwören; denn es hatte das Volk ein Recht, bei gerichtlichen Verhandlungen sein gewonnenes Urtheil zu äußern. Nicht selten wurde sogar, in zweifelhaften Fällen, die Volksstimmung entscheidend für den Richter und dessen Spruch. Gegenwärtig stand ohnehin der Kaiser auf Seite des Volkes, – er glaubte an Machols Schuld. Dennoch gestattete er diesem Glauben ebensowenig Einfluß auf sein richterliches Walten, wie dem Drängen der Menge. Seinen Stab erhebend, gebot er Ruhe.

»Schöppen,« sprach er, nach eingetretener Stille, »was haltet ihr in der Sache für Recht?«

Die Urtheilshelfer erhoben sich von ihren Bänken und traten flüchtig zusammen.

»Machol Ben Baruch,« verkündete mit lauter Stimme der Aelteste, »kann nicht überwiesen und muß freigesprochen werden.«

Mit verhaltenem Groll vernahmen die Wormser den Wahrspruch der Schöppen.

Den Juden ergriff eine fast wilde Freude.

»Dank sei dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, ja, Dank, – es giebt noch Gerechtigkeit auf Erden!« rief er aus. »Entschlüpft, – glücklich entronnen ist die wehrlose Taube den tödtlichen Krallen des Geiers. Gerettet ist das unschuldige Lamm aus dem Rachen des Wolfes! – – Ausgießen möge der Gott meiner Väter die Fülle seines Segens auf Alle, die mich erlöst aus großer Bedrängniß! Und was Gott, der Gerechte, hat angedroht in seinem Zorne allen Lügnern und allen, die geben falsches Zeugniß, – das möge kommen über Jene, die verderben wollten mich unschuldigen Mann,« – schloß er mit einer Handbewegung nach Bertolf und dessen Söhnen.

»Hund von einem Juden!« stieß der Geächtete grimmig hervor. »Du heuchlerischer, verlogener Schurke, – Du wagst es, mich Lügner zu heißen? Niederträchtiger Bube, reif für Galgen und Rad, – mich schmähst Du mit Unrecht, was Du bist in Wahrheit: – ein tückischer Lügner, ein meineidiger Verräther!«

»Nun,« – versetzte Machol nicht ohne Hohn, »wenn bellt der Wolf wider das Schaf, – wenn aufreißt seinen Rachen der Wolf wider das schwache Lamm, – ganz natürlich ist das! Aber, Dank, Lob und Preis sei dem Gott meiner Väter, – wir haben einen starken und gerechten König, und mehr Ketten im Reiche, als wüthende Hunde!«

Bertolf gewahrte das triumphirende, höhnische Lächeln des Juden, und wurde leichenblaß, während seine Glieder bebten vor Wuth.

Auf den Kaiser brachte Machols Benehmen den ungünstigsten Eindruck hervor; dagegen fand er im Zorne Bertolfs das Auflodern eines rohen Gemüthes gegen den bewußten Heuchler und Bösewicht.

»Machol Ben Baruch,« hob Rudolph nach einigem Sinnen und bei gespanntester Aufmerksamkeit der Wormser an, »mir sind noch einige Umstände unklar. Ihr behauptet, in Starkenburg wohl zehn Mal gewesen zu sein, nicht aber, um dem Grafen Kundschaft zu bringen, sondern in Geschäften wegen der Rosse.«

»So ist es, allergnädigster Herr König, – so ist es!«

»In diesem Falle müßte aber Bertolf ganz erstaunlich viele Rosse von Euch gekauft haben.«

»Wie viele Rosse er hat gekauft, – ganz genau kann ich es sagen meinem höchst gerechten Herrn König! Gekauft hat der Graf von Starkenburg von mir zwei und vierzig gute, starke, tadellose Rosse.«

Rudolph bewegte ungläubig das Haupt.

»Was sollte der Graf mit zwei und vierzig Rossen? Das ist nicht möglich!«

»Herr meines Lebens, – wie sollte ich armer Jüd es wagen, zu belügen meinen allergnädigsten Herrn? Zwei und vierzig auserlesene Schlachtrosse, welche brauchte der Graf für seine Waffenknechte, die er geworben zum Streite gegen Worms; – ja, – dazu brauchte er aus meinem Geschäft die guten, tadellosen Schlachtrosse!«

»Demnach habt Ihr dem Grafen Schlachtrosse geliefert zum Kampfe wider Worms.«

Machol schrack heftig zusammen.

Diese plötzliche Wendung versetzte die Wormser in nicht geringe Ueberraschung.

»Aha, – hört, – gebet Acht, – der Schelm wird gefangen!« flüsterte es erwartungsvoll durch den Saal.

»Dem Feinde Kundschaft gebracht zu haben,« fuhr der Kaiser fort, »habt Ihr geläugnet, – konntet dessen auch nicht überführt werden. Dagegen seid Ihr eines weit größeren Frevels geständig, nämlich dem Feinde durch Lieferung von Schlachtrossen die Mittel zum Kampfe verschafft zu haben.«

»Gott meiner Väter stehe mir bei!« jammerte Machol. »Wie kann begehen ein Mensch Frevel, von denen er nichts weiß? Was soll ich gethan haben Unrechtes, wenn ich handelte mit Rossen, wie es bringt mein Geschäft?«

»Euch Juden ist Geldgewinn und Geschäft allerdings das Höchste,« sprach strenge der König. »Würdet Ihr auch mit Euren Wuchergeschäften und Halsabschneidereien das ganze christliche Volk verderben, – sollten auch Eure Geschäfte laut aufschreien wider alles Recht, – was kümmert das Euch! Handel und Geschäft entschuldigt nach jüdischem Ermessen Alles, sollte auch dabei das ganze Reich zu Grunde gehen.«

»Allergnädigster, – allergerechtester Herr König, – höret mit Erbarmen Euren Knecht! Nein, – verkauft habe ich nicht dem Grafen meine Waare, weil er gewesen ein Feind von Worms, – weil er zog in den Streit gegen Worms, – wahrhaftig nicht!«

»Sondern?«

»Sondern, – allergnädigster Herr König, weil ich armer Jüd verdienen will das tägliche Brod, und weil der Graf war ein Liebhaber meiner Rosse.«

»Schöppen,« wandte sich Rudolph an die Urtheilshelfer, »findet ihr in vorliegendem Falle die Merkmale des Verrathes?«

»Ja!« antworteten ohne Zögern und mit Einstimmigkeit die Gefragten.

Der Aelteste erhob sich.

»Wenn bei Fehden der Stadt ein Bürger oder Eingesessener den Feind durch Kundschaft, Waffen, Schlachtrosse oder andere Hilfsmittel unterstützt, so ist er ein Verräther.«

»Welche Strafe verhängt das Stadtrecht über gemeinten Frevel?« frug der König weiter.

»Alle Mörder, oder die den Pflug berauben, oder Mühlen, oder Kirchen, oder Kirchhöfe, oder Verräther, oder Mordbrenner, oder die mordliche Botschaft zu ihrem Frommen werben, die soll man alle radbrechen Bei Lehmann, S. 288.

»Machol Ben Baruch, höret Euren Spruch!« sagte in feierlicher Strenge der Kaiser, indem er sich erhob; denn stehend wurde das Urtheil gesprochen. »Des Verrathes überführt und geständig, sollt Ihr am dritten Tage von heute durch Galgen und Rad gerichtet werden.«

Der Jude stieß einen Schrei hervor und brach zusammen. Stadtknechte trugen den Bewußtlosen hinaus.

Bertolf schien die eigene Lage vergessen zu haben, so ausschließlich fesselte ihn die Verhandlung gegen Machol. Und so heftig war seine Wuth gegen den Juden, daß er ihm einen Fußtritt versetzte, als dieser ohnmächtig neben ihm hinsank. Nun folgte sein Blick, glühend von Haß und Schadenfreude, dem Verurteilten, bis er unter dem Eingange verschwand.

Nachdem sich die Thüre hinter dem unglücklichen Juden und dessen Trägern geschlossen, wandte sich der Kaiser an die Preußen.

»Ihr habt zu wiederholten Malen das Leben verwirkt,« hob er an. »Wie Ihr so eben gehört aus dem Munde des Schöppen, steht nach gemeinem Landrecht die Todesstrafe durch Galgen und Rad auf Beraubung des Pfluges und der Kirchen. Ihr seid geständig, das Kloster Lorsch, dessen Zinsbauern und Eigenleute, fortgesetzt beraubt und in ihren Rechten unterdrückt zu haben. Zum Anderen seid Ihr der Acht verfallen und des Lebens verlustig durch Eure Weigerung, Recht zu nehmen von dem Landvogte, beharrend in höchst strafwürdiger Selbsthilfe. Endlich seid Ihr und Eure Söhne des Todes schuldig durch Straßenraub, Landfriedensbruch und blutige, mit Todtschlag verbundene Fehde gegen Worms. Das Landfriedensgesetz, auf dem Reichstage zu Mainz von Kaiser Friedrich dem anderen und allen Fürsten beschlossen und öffentlich bekannt gemacht, besagt ausdrücklich: – ›Nothwehr ausgenommen, soll Jeder sein Recht vor dem Richter suchen, bei Verlust aller eigenen Ansprüche und doppeltem Schadenersatze. Mit zwei Zeugen bewiesener Landfriedensbruch zieht die Acht nach sich; war Todtschlag damit verbunden, so geht es an Leib und Ehre.‹ – Wir aber, von Gott berufen, zur Wahrung des Rechtes und der Ordnung im heiligen Reiche, zur Bestrafung der Missethäter und zum Schutze aller Glieder des heiligen Reiches, sind Willens, Unsere Pflicht zu thun.«

Diese Worte, mit lauter Stimme und Nachdruck gesprochen, galten ebenso den Angeklagten, wie dem gegenwärtigen Adel, zur Warnung und Aufklärung.

Jetzt schwieg Rudolph, den Angeklagten zur Erwiederung Frist gewährend. Allein Bertolf und dessen Söhne beharrten in trotzigem Schweigen.

Der Kaiser erhob sich zum Spruche.

»Sämmtliches eigene Gut des geächteten Grafen Bertolf von Starkenburg scheiden Wir in drei gleiche Theile; hievon erhält als Schadenersatz die Stadt Worms zwei Theile, das Kloster Lorsch einen Theil. Die Angeklagten aber, nämlich Bertolf und dessen drei Söhne, sollen am dritten Tage von heute durch den Strang gerichtet werden.«

Selbst die Todesstrafe brach nicht den starren Trotz der Preußen. Von Bewaffneten umringt, verließen sie festen Schrittes den Saal.

Der Kaiser stieg von seinem Stuhle, und der Zug verließ in derselben Ordnung, wie er gekommen, den Saal, während die Menge begeistert rief: »Heil unserem Könige! Lange lebe Kaiser Rudolph, der Vater des Volkes! Heil dem Schirmherrn des Rechtes!«

Und diese Begeisterung für den strenge und gerecht waltenden Herrscher verbreitete sich mit Blitzesschnelligkeit über den ganzen Wormsgau. Das rasche Verfahren gegen den gesetzlosen und gefürchteten Grafen von Starkenburg flößte auch den Schwachen und Wehrlosen Vertrauen ein. Nach vielen Jahren der Unsicherheit und Verwirrung, gab es wieder einen Herrscher im Reiche, welcher die gesellschaftliche Ordnung schirmte und mit unerbittlicher Gerechtigkeit die Gewaltthätigen strafte.

Am freudigsten begrüßten jene Bauern an der Bergstraße Bertolfs jähen Sturz, welche seit langer Zeit unter dessen eiserner Faust geschmachtet und die bedauernswerthen Opfer seiner Raubsucht und Tyrannei gewesen.

»Nun kommen wieder glückliche, frohe Tage!« jubelten die Erlösten. »Rudolph von Habsburg hat den argen Landschaden ausgetilgt. Heil dem frommen Habsburger! Gott segne und erhalte ihn, der uns errettet aus der Zwingherrschaft des grimmen Preußen!«


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