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Was sich bei Tische begeben.

Man stieg zum kleinen Saale empor, wo eine lange Tafel für den kaiserlichen Gast, dessen Gefolge, die Bürgermeister und Rathsmannen bereit stand. Ein Mahl begann, dessen Gerichte, als etwas ganz Außerordentliches für jene einfache, jeglicher Schlemmerei abholden Zeit, von dem Chronisten umständlich aufgezeichnet wurden. Nicht weniger als sieben Gänge werden angeführt, lauter Fastenspeisen, um des gerade einfallenden Abstinenztages willen. In kurzen Zwischenpausen erschienen: – Frische Bohnen, in Milch gekocht, – Reiß mit Milch, – Mandeln und Zimmt, – Fische in mannigfaltiger Zubereitung, – Torten verschiedener Art, – gebratene Aale mit trefflicher Brühe, – schließlich Aalpasteten.

Die besten Rheinweine, alte und junge, weiße und rothe, erschienen in silbernen Krügen und wurden aus silbernen Bechern getrunken. Nur vor dem Kaiser stand ein goldener Pokal, von kunstvoller Arbeit, mit weißen, grünen und rothen Edelsteinen gar zierlich geschmückt.

Der Habsburger ließ sich von dem Reize der duftenden Schüsseln nicht verführen. Er hielt strenge an gewohnter Diät, nippte jedoch mehr, als gewöhnlich, vom Weine, ein Umstand, der seine angeborene Neigung zu Scherz und heiterer Laune noch vermehrte. Die fröhlichste Stimmung würzte das Mahl, und den lebhaften Tischverkehr unterbrach oft lautes Lachen, hervorgerufen durch Schwänke und Witze des Monarchen. Erhöht wurde die Munterkeit der Tafelrunde durch einen Vorgang, der zugleich ein schlagendes Licht auf die hochsinnige Biederkeit und schlichte Verkehrsweise jener Zeit wirft.

Der Schluß des Mahles, die Aalpasteten, waren eben aufgetragen worden, und der Wein hatte alle Herzen weit geöffnet. Da erschien plötzlich die Müller-Prisel im Saale. Raschen Schrittes war sie eingetreten, unternehmenden Ernst in den entschlossenen Zügen. Jetzt blieb sie stehen. Ihre Augen kreisten forschend um den Tisch, bis sie auf dem Kaiser ruhten. Mochte nun der Anblick der geheiligten Majestät ihr Scheu einflößen, oder das Bewußtsein ihrer Schuld sie beängstigen, – ihr Muth schien sie zu verlassen, und so blieb sie abwartend in der Nähe des Einganges stehen. Es vergingen einige Minuten, bis sie bemerkt wurde, und jetzt stockte die lebhafte Unterhaltung, und alle Augen wandten sich nach der Unberufenen.

»Das ist ja die Müller-Prisel!« hieß es um den Tisch. »Was mag wohl ihr Begehren sein? Jetzt ist doch keine Zeit, Bürgermeister oder Rathsmannen anzugehen.«

Rudolph erkannte sogleich die Zungenfertige von Lorsch und errieth deren Absicht. Er winkte sie heran, und es begann, zur allgemeinen Ueberraschung, zwischen König und Müllerin ein sehr interessantes Gespräch.

»Da bin ich, Herr König! Abbitten will ich, was meine böse Zunge wider Euch angerichtet hat.«

Rudolph nahm eine strenge Miene an.

»Gefrevelt habt Ihr wider den König? Dies zu hören grämt mich fast. – Wer seid Ihr?«

»Ich bin ja die Müller-Prisel, – kennt Ihr mich denn nicht mehr? Bin bei Euch gesessen zu Lorsch auf das Nazarifest, wo Ihr Euch habt ausgegeben für einen Dienstmann des Königs. Dort hab' ich unrecht geredet und grob wider Euch, was mir viel leid thut. Wie Ihr nun heut' eingeritten seid und ich Euch gesehen hab', da fiel mir's wie Schuppen von den Augen; denn ich merkte nun, wer des Königs Dienstmann eigentlich gewesen. Zugleich ging mir ein großer Schreck durch alle Glieder, dieweil mir die bösen Worte in den Sinn kamen, und ich erkannte, wie eine gar viel schlimme Zunge mir im Munde steckt. Hab' mir auch gleich vorgenommen, Alles zu widerrufen und jede Strafe zu erdulden für mein böses Maul. – – Da bin ich nun, Herr König, und bitte Euch, der Prisel zu verzeihen.«

Bei Grabesstille, mit gespanntester Aufmerksamkeit und nicht ohne Staunen, war die ganze Tafelrunde der Rede Prisels gefolgt. Jetzt ruhten alle Blicke auf dem Habsburger, der in ernster Würde saß.

»Ich erinnere mich, in Lorsch Euch gesehen und gehört zu haben,« sprach er gemessen. »Entsinne mich auch, daß Ihr behauptet habt in Lorsch, mir die reine Wahrheit zu sagen, – keine Schmähungen. – – Ist es nicht so?«

»Wenn man's genau nimmt, hab' ich wohl nicht gelogen, Herr König!«

»Habt Ihr also die Wahrheit gesagt, weßhalb um Verzeihung bitten?«

»Weil grobe Wahrheiten von großen Herren just nicht gern gehört werden,« antwortete schlagfertig Frau Prisel.

»Demnach wäre ich ein Bettelkönig, ein Blutsauger, welcher durch das Reich fährt, Steuern einzutreiben? Ein Nimmersatt, der männiglich an den Bettelstab bringt und der nach Worms kommt, die Mahlsteuer bei Frau Prisel zu erheben?«

Das Erstaunen der Tafelrunde verwandelte sich in einen heftigen Drang, laut aufzulachen, so wunderlich dünkte Allen die That, von Prisels stadtbekannter Zunge. Nebenbei entging den Tischgenossen Rudolphs Heiterkeit nicht, die sich unter der Maske des Ernstes verbarg. Augenscheinlich ergötzte ihn die Derbheit des Weibes, dessen gegenwärtige Betroffenheit ihn höchlich belustigte.

Frau Prisel, ohne Ahnung von der wirklichen Stimmung des Kaisers, senkte schuldbewußt das Haupt und seufzte in aufrichtiger Zerknirschung. Sie glaubte den Monarchen erzürnt und hatte die Empfindung, als seien die Blicke aller Gegenwärtigen mit Verachtung und Grimm auf sie gerichtet. Thränen stürzten aus ihren Augen, sie sank in die Kniee und hob die Hände flehend empor.

»Verzeihung, Herr König, – Barmherzigkeit!« rief sie schluchzend aus. »Ich bekenne vor Gott meine Schuld, meine große Schuld! Ich bereue Alles, – widerrufe Alles! Was ich damals gesagt, war dummes Geschwätz, loses Zeug, böses Gerede, vom leidigen Satan mir eingeblasen. Vor keinem Menschen hab' ich jemals gekniet, – jetzt aber kniee ich vor Euch, Herr König, und bitte um gnädige Verzeihung!«

»Ihr sollt auch vor mir nicht knieen, darum stehet geschwind auf, sintemal ich das Knierutschen vor mir nicht leiden mag.«

Langsam erhob sich die Müllerin.

»Ihr habt zu Lorsch gesagt, Frau Prisel,« fuhr der joviale Monarch fort, »wenn der König meine Rede nicht für Wahrheit nimmt, sondern für Schimpf, so kostet es mich drei Schillinge Pön, und die drei Schillinge will ich noch an meinen armen König hängen. – Verhält sich das wirklich so, Herr Bürgermeister? Darf man in Worms, nach gemeinem Recht, den König für drei Schillinge schmähen?«

»Das verhüte Gott, gnädigster Herr!« antwortete Hartmann, der sofort begriff, wohin der Kaiser ziele. »Allerdings besagt unser Stadtrecht: – Wer Jemanden schilt mit den Worten: Du bist ein Dieb, ein diebischer Bösewicht, ein Lügner, ein Judenhüter und Dergleichen, der zahlt drei Schillinge Pön. Wer hingegen die Majestät des Königs schmäht, dem geht es an Haut und Haare.«

»Hört Ihr, Frau Prisel? Eure scharfe Zunge ist ein schneidiges Messer, das Euch um Haut und Haare bringt.«

»Gerne will ich Haut und Haare lassen, – mir sogar noch von der Zunge die Spitze abschneiden, wenn Ihr nur verzeiht, Herr König, und mir nichts nachtraget.«

»Mir dünkt, es sei doch schade um Eure hübschen Haare. Freilich, Eure Zunge ist ein recht spitziges und gefährliches Ding, das Ihr jedoch, wie ich hoffe, künftig nimmer mißbrauchen werdet.«

»Gewiß nicht, Herr König! Vor Gott und allen Heiligen entsage ich dem Schmähen mein Leben lang!«

»Gut, so will ich Gnade für Recht ergehen lassen und Euch verzeihen, – jedoch unter der Bedingung, daß Ihr alle Stichreden, die Ihr zu Lorsch mir um den Kopf geworfen, vor mir und meinen trauten Tischgenossen hören lasset. Aber, wohlgemerkt, es darf nichts fehlen!«

»Ach Gott, – Herr König, – wie kann ich das?«

»Was Ihr zu Lorsch fertig gebracht, werdet Ihr auch in Worms leisten können.«

»Darf ich meinen Eid brechen? Hab' ich nicht gerade eben vor Gott und allen Heiligen das Schmähen abgeschworen?«

»Schmähungen verlange ich nicht, Frau Prisel, sondern nur eine Buße für begangene Schmähungen. Eure Buße soll darin bestehen, daß Ihr wörtlich und pünktlich Eure Schuld wiederholt. Unter dieser einzigen Bedingung wird Alles vergeben und vergessen.«

Prisel athmete tief auf.

»Das hält hart, – eine gräuliche Buße, mit der eigenen Zunge sich geißeln zu müssen!« sprach sie, unter dem Zwange der Forderung sich krümmend. »Doch, – ich will die gar schwere Buße über mich nehmen.«

»Das Andere darf auch nicht fehlen, nämlich – die funkelnden Augen, – die schneidige Stimme, – die Hände herausfordernd in die Seite gestemmt, – das bitterböse Gesicht, – kurz, Alles genau, wie zu Lorsch, wo ich meinte, es stürze ein Wildbach über mich herein. – – Also, – angefangen!«

Während Alle mit verhaltenem Lachen die Müllerin beobachteten, gerieth diese in eine Art gelinder Verzweiflung. Im Bewußtsein, vor eine höchst peinliche Aufgabe gestellt zu sein und den Scherz erkennend, den man sich mit ihr erlaubte, überkam sie eine heftige Gemüthsbewegung, und diese lenkte sie klug nach einer Richtung, welche in die nothwendige Zänkerlaune versetzte. Wie Vorzeichen nahenden Unwetters, kräuselten Zornesfalten die Glätte ihrer Stirne, die Brauen zogen sich zusammen und zwei dräuende Augen funkelten darunter hervor.

»So, – die Wahrheit wollt Ihr hören?« rief sie mit veränderter Stimme, die Hände in beide Seiten stemmend. »Foppt und stachelt nur die Müller-Prisel, wie es der Dienstmann des Königs zu Lorsch gethan, und haarklein sollt Ihr Alles, was wahr ist, verschlucken müssen. Hat nicht der Presser dreißig Pfenning Steuer auf jedes Mühlrad gelegt? Begehrt er nicht zwölf Pfenning von jeder Hofstätt, – der Schinder? Das ist ihm aber noch nicht genug, dem Blutsauger, – zwanzig Pfenning fordert er von jedem Morgen Rebland und gar sechszig Pfenning von jedem Hofgut, – der Strüpper! Ist das nicht judenmäßig geschatzt und geschunden? Sind wir nur dazu auf der Welt, um ausgebeutet zu werden von dem Bettelkönig, der niemals genug kriegt, – der Nimmersatt? Was fragt er darnach, wenn Niemand aufkommen kann vor Steuern, – der Schröpfer, der Geyer, der Leutfresser, der Isegrim, der Hungerleider!«

Ein schallendes Gelächter unterbrach die Keifende. Das Lachen wollte kein Ende nehmen; denn schon Prisels bitterböses Gesicht und giftig angeschwollene Figur bildeten einen unwiderstehlichen Reiz zur heitersten Laune. Die Rathsmannen lachten, daß ihnen die Thränen aus den Augen liefen. Der Kaiser hielt sich die Hüfte vor Lachen. Frau Prisel hingegen, die ihre Aufgabe gründlich zu lösen trachtete und in ihrer Rolle eben erst recht warm zu werden begann, bewegte heftig die Arme und ihre kreischende Stimme stieg um einige Töne höher.

»Was ist da zu lachen? Alles sollt ihr hören, wie ich's geheißen bin und versprochen hab'. – Was macht der König mit dem heidenmäßigen vielen Geld? Krieg führt er, – das wär' schon recht, wenn er Straßenräubern und Spitzbuben an den Leib ginge. Haben wir nicht einen argen Landschaden im Wormsgau, einen Preuß, der raubt, stiehlt und mordet? Längst sollten die Raben den Preuß am Galgen gefressen haben, thät' unser König nach der Ordnung Krieg führen, – nämlich gegen den Raub- und Mordpreuß. Aber das ist weit gefehlt! Was thut unser König, der Einfaltspinsel? Den Preuß läßt er mitten im Reich gar grimmig hausen, – und er selber, nämlich unser Steuerkönig, fährt am Ende der Welt herum und schlägt sich mit Böhmen und Polacken. Könnt' ich ihm das nur einmal unter die Nase reiben, dem Landstreicher, damit er doch auch wüßt', wozu er da ist, – zu welchem Ende er die vielen Steuern einsackt, der Zöllner, der Schatzer, der Beutelschneider!«

Ein unbändiges Gelächter unterbrach abermals die Strafpredigerin, welche zum Schlusse ihrer Aufgabe gelangt war.

Frau Prisel senkte ihre Arme, das Giftgefunkel ihrer Augen erlosch, das böse Gesicht erhellte gutmüthige Laune und heiter betrachtete sie die Lacher.

»Das habt Ihr gut gemacht!« rief unter Lachen der Habsburger. »Kommen einmal die Zungenturniere in Brauch, – Ihr werdet sicher den ersten Preis erstreiten.«

»Ihr traget mir doch meine Grobheit nicht nach, Herr König?«

»Kein Gedanke! Alles sei vergeben, – wenn anders der redlichen Meinung etwas zu vergeben ist. Aber, Frau Prisel,« fuhr Rudolph ernst fort, »was Ihr zu Lorsch versprochen, müßt Ihr halten, – nämlich für den König beten, der aller frommen Leute Gebet sehr dringend bedarf.«

»Jeden Tag auf den Knieen, – das mögt Ihr glauben!« versicherte sie treuherzig. »Und wenn's Nazarifest wiederum kommt, walle ich extra für meinen König nach Lorsch.«

»Es gilt, Frau Prisel! Wenn so biederbe Seelen bei Gott für den König flehen, dann wird er hienieden walten zum Frommen allgemeiner Wohlfahrt und dereinst sein Heil erlangen. – – Nun kommt näher und haltet Eure Schürze!«

Er nahm vom Tische einen gewaltigen Kuchen und legte denselben in die vorgehaltene Schürze.

»Dazu gebet ihr einen Krug Wein,« gebot Rudolph einem Diener. »Kuchen und Wein genießet frohen Sinnes daheim. – – Und nun, Gott behüte Euch, Frau Prisel!«

Dem bewegten Weibe rannen Thränen über die Wangen.

»Gott und seine Heiligen mögen meinen lieben Herrn König allzeit schirmen!« sagte sie, verbeugte sich und verließ den Saal, eine erheiterte Gesellschaft zurücklassend Der Chronist Lehmann begleitet die Erwähnung dieses Vorganges mit folgender Randglosse: – »Diß Exempel, wiewol es zu unsern Zeiten mehr für ein Fabel als eine Wahrheit möcht gehalten werden, so ists doch von glaubwürdigen Historicis beschrieben, und von Verständigen als ein wahrhafft Exempel alter Teutschen Tugend erkannt und hoch gehalten.« – Hieraus geht hervor, daß die Zerstörung »altteutscher Tugend,« begonnen durch den heidnisch angehauchten Humanismus und weiter geführt durch den gemüthlosen, kalten Protestantismus, bereits vor 270 Jahren bedeutende Fortschritte gemacht hatte..


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