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Eine heikele Frage und deren Lösung.

Die Mönche hatten gerade die kleinen Horen gesungen, als Sighard den Propst zu sprechen wünschte. Mit wachsender Unruhe, zuletzt mit den Zeichen des Schreckens, vernahm Burkhard die Kunde.

»Mein Gott, – mein Gott, – was habt Ihr gethan?« rief der bestürzte Propst. »In welche Gefahr bringt Ihr Eure Seele und dieses ohnehin schwer bedrängte Stift!«

»Ich glaubte, nach Recht und Pflicht zu handeln, ehrwürdiger Vater!«

»Keine Frage, – bona fide habt Ihr gehandelt, und dieser wichtige Umstand verringert ohne Zweifel Eure Schuld. – Im Uebrigen ein höchst bedenklicher und heikeler Casus! Reichsbeamte ist der Graf; denn er übt, nach kaiserlicher Vollmacht, den Blutbann im Gebiete des Stiftes. Auch ist er des Königs Lehensmann; denn er trägt Starkenburg als Erbgrafschaft vom Scepter zu Lehen. Diesen Ministerialen des Kaisers habt Ihr befehdet, im Reichsburgfrieden vergewaltigt, dessen Mannen erschlagen, – – und ich soll gutheißen oder verdammen, was Ihr gethan? Soll entscheiden, ob der Graf, bis zum Spruche des Kaisers, in Haft bleibe oder nicht? – Mein Sohn, die Erfüllung Eures Wunsches dünkt mir gefährlich und wirrnißvoll für unser Kloster. Ueberleget doch, – fällt die Entscheidung für Bertolfs Freilassung, dann zürnt uns Worms, die ganze Landschaft wird uns gram, weil wir nach strengem Rechte eingestanden für einen offenkundigen Straßenräuber, Tyrannen und Mörder. Entscheidet der Convent gegen Bertolf, dann möchten wir in Widerspruch gerathen mit hochwichtigen Lehensbestimmungen. Kaiser Rudolph wird uns zürnen und seine Ungnade unser Kloster empfinden lassen.«

»Ich erkenne die Unklugheit meiner Bitte, ehrwürdiger Vater! Nicht entfernt will ich ein Kloster gefährden, dem ich so viele geistigen und leiblichen Wohlthaten verdanke. Demzufolge nehme ich hiermit meine Bitte zurück, und werde auf eigene Faust handeln.«

»Was gedenkt Ihr zu thun?«

»Den Gefangenen und dessen Söhne dem kaiserlichen Landvogte in Worms auszuliefern.«

»Auch dies scheint mir bedenklich, mein Sohn! Eure Handlungsweise könnte unschwer als Anmaßung, sogar als gesetzwidriger Eingriff in die Rechte Anderer betrachtet werden, da Ihr hiezu keine Vollmachten vom Reiche besitzt. – Mir selbst ist diese verwickelte Frage nicht ganz klar. Deßhalb werde ich sofort den Convent zusammenrufen, den Rath der Brüder zu hören. Bis dahin geduldet Euch. Seit einigen Tagen haben wir einen edlen Herrn zu Gast, Pilgram geheißen, – der sich wiederholt nach Euch erkundigte. Diesen sucht auf und verkehrt mit ihm, indeß wir den vorliegenden Casus nach allen Seiten gründlich erwägen.«

Burkhard hastete selber durch die langen Gänge des Gebäudes nach der Stelle, wo das Seil zum Glöcklein hing. Er faßte den Strang und rief die Mönche nach dem Capitelsaal. Und die ängstliche Besorgniß, welche den Propst beherrschte, schien sich auch, durch Vermittelung des Seiles, dem Glöcklein mitzutheilen; denn es weinte und wimmerte, wie ein Feuerglöcklein.

Bei dem Zeichen öffneten sich die stillen Zellen, und die schweigsamen Norbertiner wandelten nach dem Capitelsaale. Wieder kniete der Propst auf der Altarstufe und sprach laut die üblichen Gebete. Dann erhoben sich Alle von den Knieen und nahmen ihre Plätze ein. Während Burkhard den Gegenstand vortrug, saßen die Mönche ohne Bewegung, die Augen gesenkt und aufmerksam dem Berichte folgend.

»Nun bitte ich, ehrwürdige Brüder,« schloß der Propst, »den Casus gründlich zu erwägen und ohne Ansehen der Person, weder zu Gunsten Sighards, noch zu Ungunsten Bertolfs, einzig nach Recht und gesetzlichen Bestimmungen zu entscheiden.«

Da begann unter den gelehrten Magistern eine lebhafte Verhandlung. Ellenlange Gesetzesbestimmungen, ganze Artikel des canonischen Rechtes, Beschlüsse der Reichstage, Verordnungen der Kaiser, bis hinab zu Carl, dem Großen, nebst anderen Beweisen vielseitiger Gelehrsamkeit, wurden zu Tage gefördert. Merkwürdigerweise neigten sich die Ansichten der rechtsgelehrten Mönche mehr und mehr zu Gunsten ihres gefangenen Quälers und Tyrannen Bertolf. Sighards Verurtheilung schien unausbleiblich, obschon die Richter ohne Ausnahme dessen moralische Schuldlosigkeit hervorhoben und nach den Regeln der spitzfindigsten Casuistik bewiesen. Andere hingegen, die keine Magister und Gesetzesgelehrten, sondern schlichte, fromme Männer waren, konnten nicht fassen und begreifen, wie ein Landfriedensbrecher und Raubmörder, ein Mensch, der kein Recht achtete, dazu in einer Fehde, die er selber angesagt, – nun als unterliegender und höchst strafbarer Frevler dennoch triumphiren sollte. Diese ungelehrten, einfachen Mönche traten lebhaft ein für Sighard, indem sie den gesetzeskundigen Magistern zu Leibe gingen mit Bibelsprüchen. So ergab sich ein hitziger Kampf, der schließlich auf ganz unerwartete Weise entschieden wurde.

Während nämlich die Norbertiner in der Rüstung glänzender Gelahrtheit und mit dem Schwerte biblischer Wahrheit wacker stritten, kamen Sighard und Pilgram den Gang herauf. Sie vernahmen den Lärm und blieben vor der Thüre als Zuhörer stehen. Lange standen sie da, und Pilgram folgte der Verhandlung mit großem Interesse.

»Da innen sitzen starke Canonisten und Gesetzesgelehrte,« sprach er, ein feines Lächeln in den Zügen. »Wie unerbittlich und scharfsinnig sie das Recht deuten! Auch hier gilt der Spruch: › Summum jus summa injuria, – das höchste Recht mag sich zum größten Unrecht wenden.« – – Weiß Gott, die Mönche würden in ihrer weisen Einfalt Dich am Ende dazu verurtheilen, den Schurken Bertolf frei zu geben, ihm gar Abbitte zu leisten! Wir müssen dem Turniere uns beigesellen und jenen Brüdern helfend beispringen, welche mit klugem Verstande und gesundem Rechtsgefühl für Dich kämpfen.«

Er öffnete die Thüre und betrat mit Greifenstein den Saal. Augenblicklich verstummte der Lärm. Die Mönche betrachteten verwundert den Fremden, von dessen bescheidener Art sie eine solche Mißachtung der Hausordnung und des Anstandes nicht entfernt erwartet hätten. Nur Magister Ermenold zeigte keine Ueberraschung, vielmehr leuchtete sein Angesicht in hoher Freude. Beinahe hätte er sogar die Disciplin verletzt und sich, vor geschlossener Berathung, vom Sitze erhoben, dem eingedrungenen Gaste zu huldigen.

»Verzeiht, ehrwürdige Brüder, wenn ich unberufen hereinbreche in euren Kreis!« hob der Fremde an. »Wie Herr Sighard mir kundgethan, liegt eine wichtige Frage eurer Weisheit zur Entscheidung vor. Zugleich bewies mir das lebhafte Waffengetöse großen Eifer und starke Wehr an Gelehrsamkeit, zur Lösung schwieriger Fragen. Dagegen überraschte es mich, daß gerade die gewandtesten Kämpen Lust zeigten, mit scharfer Lanze gegen den guten Ritter Sighard anzurennen. Meinestheils bin ich zwar kein Rechtsgelehrter, – doch aber ein alter Degen, der von Reichsgesetzen und Pflichten des Ritterthums Einiges versteht. Demzufolge trete ich auf die Seite Greifensteins und behaupte, indem er den Landfriedensbrecher und Straßenräuber Bertolf bekämpfte, dazu den Kirchendieb und Tyrannen in der eigenen Zwingburg überwand und unschädlich machte, that besagter Greifenstein als guter Ritter einfach seine Pflicht. Nicht einmal König Rudolph, den man lex animata, das lebendige Gesetz, zu nennen beliebt, wird Sighards Handlungsweise rügen, sondern mein Urtheil bestätigen.«

Die Mönche vernahmen mit Staunen diese zuverlässige Sprache des Fremden. Zugleich fiel ihnen die selbstbewußte, fast gebietende Haltung des Gastes auf, dessen hoheitvolles Wesen Achtung und Ehrfurcht einflößte.

»Wir danken, edler Herr,« entgegnete Propst Burkhard, »für Euer wohlmeinendes Eintreten zu Gunsten eines jungen Mannes, den wir Alle hochschätzen und lieben, der sich jedoch von Jugendmuth und Empörung über Bertolfs schwere Vergehen allzuweit fortreißen ließ. Zur gerechten Entscheidung der Frage, dürfen nicht Liebe oder Abneigung maßgebend sein, sondern nur das unbeugsame Recht. Kaiser Rudolph, den man allerdings lex animata nennt, würde ohne Zweifel die Vergewaltigung eines Reichsbeamten im Frieden seines Hauses strafbar finden.«

»Ihr täuschet Euch, ehrwürdiger Propst!« entgegnete Pilgram. »Niemals wird Rudolph von Habsburg einen Vasallen rechtfertigen, der seine Burg zur Räuberhöhle gemacht und das ihm übertragene Amt durch die schmachvollsten und gröbsten Frevel geschändet hat.«

»Gewiß nicht, edler Herr!« bestätigte Burkhard. »Allein der frevelhafte Mißbrauch der Amtsgewalt beraubt deren Inhaber keineswegs der Rechte und Privilegien seines Standes, bevor über ihn ein gesetzlich gültiger Spruch gefällt worden. Der Landrichter hat zwar Bertolf wegen der Wormser Fehde verurtheilt, der Kaiser jedoch den Burggrafen des Lehens und Amtes noch nicht verlustig erklärt. Demnach wird der Kaiser, welcher in allen Stücken nach dem strengen Rechte waltet, nicht die Ansicht Eurer Edlen theilen.«

»Wie der Kaiser denkt in dieser Sache,« erwiderte Pilgram, indem er sich mit unaussprechlicher Hoheit aufrichtete, »weiß ich ganz genau; denn ich bin Rudolph von Habsburg.«

Hätte sich plötzlich vor den Augen der Mönche ein großes Wunder begeben, ihre Ueberraschung konnte nicht grenzenloser sein, als bei den letzten Worten des Gastes. Im ersten Augenblicke verharrten sie unbeweglich, gleichsam von Staunen gelähmt, auf ihren Sitzen. Dann erhoben sie sich und bogen huldigend Haupt und Nacken. Und so tief war die Gemüthsbewegung, daß selbst die gewohnte Selbstbeherrschung und strenge Ascese einen Freudesturm nicht verhindern konnten, welcher eine glühende Röthe über die bleichen Gesichter verbreitete und strahlenden Jubel in den Augen entzündete.

»Allergnädigster Herr und Kaiser!« sprach mit bewegter Stimme der Propst. »Ich vermag es nicht, meine und meiner Brüder gar große Herzensfreude in Worte zu fassen, die wir alle empfinden, ob des unverdienten Glückes und der hohen Ehre, die verkörperte Idee des Rechtes, den obersten Schirmherrn der Kirche Gottes, das Haupt des heiligen Reiches, unseren innigst geliebten Kaiser in unserer Mitte zu sehen. Wie konnten wir ahnen, daß die bescheidene Tracht des einfachen Edelmannes den höchsten Glanz irdischer Macht verbirgt? Allergnädigster Herr, verzeihet in großmüthiger Huld, wenn Unwissende irgendwie sollten verstoßen haben gegen schuldige Aufmerksamkeit und Unterwürfigkeit, wie solche dem höchsten Range gebühren.«

»In diesem Punkte habe ich gar nichts zu verzeihen, ehrwürdiger Propst!« versetzte lächelnd der Kaiser. »Ich liebe es zuweilen, ungekannt und nicht bemerkt, Alles ansehen und beobachten zu können. Dieser Gewohnheit verdanke ich manche Erfahrungen, welche der Kaiser nicht machen würde. Meine Beobachtungen in Lorsch gereichen der strengen Disciplin und frommen Zucht dieses Klosters zur großen Ehre. Dem Ritter Pilgram habt Ihr die Bitte gewährt, einmal mit Euch im Refektorium speisen zu dürfen und so Eure Kost prüfen zu können, – eine Kost, die abtödtender und gaumenverletzender nicht sein könnte. Dem Kaiser hingegen,« fuhr er mit heiterer Laune fort, »würdet Ihr wohl keine Wassersuppe, mit ranzigem Oel geschmelzt, und auch keine Bohnen vorgesetzt haben, zu deren Zermalmung ein ausgezeichnetes Zahnwerk gehört. – Indessen finde ich Tadelnswerthes in anderer Richtung,« – und jetzt nahm das Angesicht des Habsburgers einen strengen Ausdruck an. »Das Walten frommer Mönche gestaltet regelrechte Klöster zu den stärksten Säulen des Reiches, – hievon hat mich die Wallfahrt zu Lorsch abermals überzeugt. Doch Ihr, Propst Burkhard, Ihr und die ganze Brüderschaft habt stille geschwiegen, als ein Bösewicht diese Säule Lorsch untergrub und zu stürzen gedachte. Wer ein würdiges Kloster antastet und bedroht, vergreift sich an einer kostbaren Perle der Königskrone des deutschen Reiches, – verstopft einen gebenedeiten Born, der Leben spendet dem Volke und sittigende Kraft. Und wer den Bösewicht gewähren läßt, nicht sofort den obersten Schirmherrn der Kirche anruft gegen den Frevler, der ist strafbar. Redet nicht, ehrwürdiger Propst! Ich kenne die Gründe Eurer Entschuldigung. Weilte auch der Kaiser fern und lag in heißem Kampfe mit dem rebellischen Böhmen, so enthob Euch dies keineswegs der Pflicht, den kaiserlichen Schirmherrn an seine Pflicht zu mahnen. Darum will ich dieses altehrwürdige Stift unter meinen besonderen Schutz nehmen und ihm einen Untervogt setzen, der nach Recht und Pflicht in Treue schaltet. – Erlaubt, ehrwürdiger Probst, daß ich Euren Stuhl flüchtig in einen Königsthron verwandle!«

Der Monarch ließ sich auf dem Stuhle nieder, in weitem Halbkreise von den erwartungsvollen Mönchen umgeben. Da klangen die schweren Tritte geharnischter Männer durch den Gang. Die Thüre öffnete sich und herein traten Graf Gerold, kaiserlicher Landvogt des Wormsgaues, Ritter Gebhard, der sich nun als Pfalzgraf Eberhard entpuppte, einige Edelleute und die beiden Bürgermeister von Worms, von mehreren Rathsmannen umgeben. Alle erschienen in vollständiger Rüstung, mit Ausnahme der Bürgermeister und Rathsmannen, welche in reichen Gewändern prangten.

Mit wohlwollendem Nicken des Hauptes empfing der Kaiser die üblichen Huldigungen.

»Seid Uns willkommen, Liebe und Getreue, allhie zu Lorsch!« begann Rudolph. »Besonders erfreut sind Wir der Ankunft der Vertreter Unserer weisen Leute und getreuen Bürger von Worms. In dieser Stunde noch reiten Wir nach der Abtei St. Veit und gedenken, morgen Unseren Einzug in Worms zu halten, – wie Pfalzgraf Eberhard Unser Vorhaben bereits wird gemeldet haben. Vor Unserem Einzuge wollen Wir gerne, wie es üblich und Herkommen, zu St. Veit alle Rechte und Freiheiten durch einen königlichen Brief bestätigen, zum Beweise Unserer Huld für eine wackere, zum höchsten Wohlstande aufblühende und dem Reiche treu ergebene Stadt.«

»In Voraus danken wir Euch, gnädiger Herr König, für die verheißene Gnade!« erwiederte Bürgermeister Oppenheim. »Im Namen des Adels und der ganzen Bürgerschaft von Worms heißen wir unseren von Gott und allen rechtschaffenen Leuten innigst geliebten Kaiser willkommen.«

»Dank für diesen Ausdruck treuer Gesinnung und Wohlmeinung!« versetzte Rudolph. »Was Euch und das Walten Eures Amtes betrifft, liebwerther Landvogt,« wandte er sich an den Grafen Gerold, »so hat Uns der gute Ritter und tapfere Degen Greifenstein die Sache leicht gemacht. Er hat nämlich die Veste Starkenburg genommen und den Frevler Bertolf, nebst seinen drei Söhnen, in einen Thurm gesperrt.«

Lebhaftes Erstaunen malte sich bei den Worten in den Zügen Aller.

»Mit Recht seid Ihr nicht wenig überrascht, Edle und Getreue!« fuhr der Habsburger fort. »Sighards kühner Muth und glänzende Tapferkeit verdienen Bewunderung und auch Anerkennung. Indem er die feste, für unbezwingbar geltende Burg nahm, und zwar durch einen fast tollkühnen Handstreich, hat er uns einer zeitraubenden Arbeit überhoben. – Landvogt, Ihr werdet nach Starkenburg reiten, den Verbrecher Bertolf mit seinen drei Söhnen verhaften und vor Unser Gericht zu Worms stellen.«

Der Graf verbeugte sich schweigend.

Die kühne That seines Retters und Beschützers hatte namentlich Herrn Hartmann mit außerordentlicher Freude erfüllt. Sein dankbares Gemüth und seine Bewunderung für den jugendlichen Helden drängten ihn, dessen Verdienste vor dem Kaiser rühmend hervor zu heben, wohl mit der Nebenabsicht, den Edelmann für eine besondere Auszeichnung dem Oberhaupts des Reiches zu empfehlen.

»Verzeiht, allergnädigster Herr, wenn ich hinweise auf die hohen Verdienste des edlen Ritters Sighard, welche er sich um Worms erwarb. Mich selber hat der fromme und starke Degen aus den Klauen des Landfriedensbrechers gerettet, als mich derselbe auf offener Landstraße vergewaltigte. Dann trat er, auf unsere Bitten, in Waffenbruderschaft mit Worms gegen den Raubmörder Bertolf, und es bedarf langer Zeit und langer Rede, um all die kühnen Thaten und die starke Hilfe unseres getreuen Eidgenossen geziemend zu schildern.«

»Wir sind von Allem unterrichtet,« unterbrach ihn der König, als Hartmann Miene machte, in ausführlicher Rede die angedeuteten Schilderungen zu beginnen. »Auch die Verdienste kennen Wir, die sich Greifenstein um das hartbedrängte Kloster Lorsch erworben. Wohlan, – dem Verdienste seine Krone! Ritter Sighard von Greifenstein, tretet vor Uns!«

Der Gerufene gehorchte. Glühenden Angesichtes stand er vor dem Kaiser, dessen Blicke mit väterlichem Wohlwollen auf dem stattlichen Helden ruhten.

»Den Grafen und Schirmvogt Bertolf von Starkenburg, von Herkunft kein Deutscher, sondern ein Preuße, erklären Wir in Folge verübten Straßenraubes und anderer Verbrechen, als ehrlos und aller Lehen und Aemter verlustig. Dagegen halten Wir Dich, Ritter Sighard von Greifenstein, für würdig und fähig, in rechter Treue und Frommheit allen Pflichten eines guten Schirmvogtes des Klosters Lorsch nachzukommen, sowie alle Rechte und Freiheiten genannten Stiftes zu wahren und zu vertreten. – Wir fragen Dich also, ob Du Willens bist, die von Uns Dir angebotene Schirmvogtei, nebst allen hiermit verbundenen Würden und Reichsämtern, zu übernehmen?«

Der Gefragte zögerte einige Augenblicke, bevor er entgegnete: »Obwohl unwürdig, stelle ich meine geringen Kräfte zu Diensten meines Herrn Königs und gedenke, mit Gottes Hilfe, dem Kloster Lorsch ein redlicher Vogt zu sein.«

»Wir fragen Euch, ehrwürdige Brüder, ob Unsere Wahl Euch genehm sei?« wandte sich Rudolph an die Mönche.

»Genehm und höchst erwünscht!« antworteten einstimmig die Norbertiner.

Pfalzgraf Eberhard trat heran, zog Greifensteins Schwert aus der Scheide und übergab es dem Monarchen. Sighard ließ sich vor dem Könige auf ein Knie nieder. Rudolph saß mit überschlagenen Beinen, im XII. und XIII. Jahrhundert ein Zeichen fürstlicher Oberhoheit. Er hielt das Schwert am Griffe, mit senkrecht emporstehender Klinge und sah in ernster Würde auf den vor ihm knieenden Edelmann.

»Kraft Unserer königlichen Gewalt,« begann Rudolph nach einer Pause, »erheben Wir Dich, Sighard von Greifenstein, zum Grafen von Starkenburg und erklären Dich, in Übereinstimmung mit dem ehrwürdigen Convent des Klosters, zum Schutzvogte von Lorsch, heischen von Dir in allen Stücken genaue Pflichterfüllung Deines Amtes, sowie als Unterpfand Deiner unverbrüchlichen Treue den Lehenseid.«

Sighard hob die Rechte zum Schwure und sprach mit fester Stimme: »Ich gelobe meinem Herrn König Rudolph, sowie dessen Nachfolgern am heiligen Reiche, feste Treue für mein ganzes Leben, sonder Trug und Arglist.«

»Gott sei Dank!« sprachen freudig die Mönche.

Graf Sighard erhob sich und trat zur Seite.

»Gerne sind Wir bereit,« fuhr der Habsburger fort, »diesem würdigen, von gottesfürchtigen Mönchen bewohnten Kloster Unsere Huld zu erweisen. Ihr werdet also nicht verfehlen, Propst Burkhard, in Unserer Pfalz zu Worms Euch einzufinden, Eure Wünsche vorzutragen und alle bestehenden Rechte und Freiheiten des Stiftes durch Uns bestätigen zu lassen.«

Der Propst verbeugte sich.

»Nun – auf, nach St. Veit!« sprach der Kaiser, indem er den Sitz verließ.

Es bildete sich rasch ein Zug. Voran schritten paarweise die Mönche, dann folgten die Rathsmannen und die Edelleute, und als Sighard in die Reihe der Letzteren treten wollte, wies ihn der Pfalzgraf an die Seite des Grafen Gerold, in die unmittelbare Nähe des Monarchen. So gelangte der Zug in den äußeren Klosterhof, wo das Gefolge des Landvogtes und der beiden Bürgermeister zu Pferde saß. An Waffen und Gewändern entfalteten die Wormser eine nicht geringe Pracht, und zwei Patrizier, in kostbarer Tracht, trugen das wehende Reichsbanner und die Fahne von Worms.

Bevor Rudolph zu Pferde stieg, verabschiedete er sich in herzlicher Weise von den Mönchen.

Oppenheim nahte Sighard.

»Herr Graf, schenkt uns die Ehre Eurer Gegenwart während der festlichen Tage in Worms. Die ganze Bürgerschaft würde ihren treuen Eidgenossen und starken Helfer in schlimmen Tagen mit der größten Freude begrüßen.«

»Das ist auch mein Wunsch,« sagte Rudolph, »fürchte jedoch,« fügte er scherzend bei, »daß man den König im grauen Rock neben dem glänzenden Helden kaum bemerken wird. – Es ist mein Wille, daß Du morgen schon beim Einzuge gegenwärtig bist.«

Sighard verbeugte sich gehorsam.

Der Habsburger schwang sich in den Sattel und ritt jetzt, unter dem Geläute aller Glocken, mit seinem Gefolge durch das Dorf, dessen Bewohner, nicht wenig überrascht durch das plötzliche Erscheinen des Kaisers, herbeigeeilt waren, durch freudige Zurufe und Hüteschwenken den Monarchen zu begrüßen. Hiebei wurde zugleich die Bewunderung und Verehrung offenbar, die sich Rudolph von Habsburg bereits nach wenigen Regierungsjahren beim Volke erworben. In freudigem Drange, ihre unbegrenzte Hochachtung und Liebe dem frommen Heldenkaiser zu bezeugen, ließen sich die Landleute auf ihre Kniee nieder und huldigten in einer Weise, welche an Vergötterung streifte.

Nach der Abreise Rudolphs, schickte Greifenstein einen Laienbruder mit einem dringenden Auftrage nach Auerberg. Dann stieg er mit dem Landvogt zu Pferde und beide ritten gegen Starkenburg.


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