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Auf einem Kriegsschiffe

Die ängstliche Aufmerksamkeit der ganzen Welt war nach dem Gelben Meer gerichtet, wo die Küstenfestung Port Arthur wie ein düsteres Rätsel in den Ozean hinausstarrte. Alle Leuchtfeuer waren ausgelöscht. Die Bevölkerung hatte sich, so weit sie nicht zum Waffendienst berufen war, aus der bedrohten Hafenstadt entfernt. Wenn der Tag sich neigte, brütete gespenstische Finsternis über der Festung. Nur aus den Bastionen lugten die Mündungen der Geschütze hervor wie Raubtieraugen, und die Bemannung war in jedem Augenblick bereit, einen Regen von Geschossen weit über die Wellen zu streuen. Jeder Tag brachte in diesem schreckensvollen Schauspiel neue Befürchtungen und neue Überraschungen – und man brauchte wahrlich nicht Berta von Suttner zu heißen, um den blutigen Aberwitz eines Völkerduells jetzt mit zusammengeschnürtem Herzen zu empfinden. Aber wie man sich mitten im schneidenden Winterfrost und in dem Nebelgrau des Dezember oft plötzlich an einem verglommenen Frühlingstag mit all seinem Licht- und Farbenzauber erinnert, so stieg mir gerade damals, als wir den Kampf der gepanzerten Schlachtschiffe gegeneinander mit so schmerzlicher Spannung verfolgten, die Erinnerung an einen Besuch empor, den ich einst vor Jahren auf einem Kriegsschiffe gemacht habe. Da lachte der Frieden über den Ländern. Kein Schatten eines Völkerzwistes überwölkte den strahlenden Himmel. Freude und Übermut waren an Bord geladen. Sorglose Feiertagsstimmung leuchtete aus allen Augen, und der Sonnenschein des Südens malte goldne Streifen auf die Panzerplatten des » Jauréguiberry«, an dessen Bord ich zum erstenmal den Bau und die Armatur eines Kriegsschiffes kennen lernen sollte.

*

Es war in dem zauberischen Mittelmeerhafen von Villefranche. Wo ich auch immer an der Riviera mein Standquartier aufgeschlagen hatte – sei es in Beaulieu, in Nizza oder in Monte Carlo – stets war es einer meiner Lieblingsausflüge, den Hafen von Villefranche aufzusuchen. Ich weiß mir nichts Schöneres, als wieder und immer wieder diesen Weg zu durchmessen. Rechts die ragenden Felsen, an welchen Olivenwälder empor klettern und von deren Spitzen uns heitere Landhäuser grüßen. Links das blaue Meer, über das unzählige Sonnenfunken wie silberne Stifte hüpfen. Unmittelbar vor Villefranche eine Anzahl koketter Wohnhäuser, um die sich ein Gürtel von blühenden Gärten schlingt. Über die Gitterpfeiler quellen Mimosen mit ihren prangenden gelben Blumenbüscheln. Durch die Stäbe schlingen sich hier rankende Pelargonien; dort stehen wir bewundernd vor einem Heckenzaun von blühenden Agaven und Kakteen und staunen immer aufs neue über die üppigen, farbenprächtigen Dolden, die aus diesen rauhen Stachelgewächsen hervortreiben. Durch eine Wolke von Orangenblütenduft schreiten wir, wie verzaubert, unserem Wanderziel zu.

Und nun geht's von der hoch gelegenen Landstraße hinunter an den Hafen von Villefranche – Das ist ein etwas unbequemer Weg über viele beulig getretene Stufen und durch hügelige Gassen, die nach dem Muster des trochäischen Versmaßes gebaut sind: Auf eine Hebung folgt immer eine Senkung – Vor den engbrüstigen schmalen Häusern kauern bettelnde Kinder, die natürlich vom Schmutz wie von einer Patina überkrustet sind – denn wir sind in einem jener italienisch-französischen Küstenstädtchen, in welchen grundsätzlich nur ein einziger Körper rein gehalten wird, und das ist der Bahnkörper –

Dann aber unten am Hafen das frohe, lebensprühende, südliche Volksbild, das schier mit der Beweglichkeit einer kinematographischen Aufnahme an uns vorüber wirbelt! Den einzigen Ruhepunkt bilden die Gruppen von Fischern, die vor ihren altersschwachen Häusern hocken, mit der französischen Stummelpfeife im Munde, und die mit der Beschaulichkeit weiser Männer, die auf dem Tandelmarkte irdischer Torheiten nichts mehr zu suchen haben, ihre Netze flicken. Über dem fröhlichen Hafenbilde aber wölbt sich ein schattenloser, tiefblauer Himmel, der sich in den leuchtenden Wellen des Mittelmeeres spiegelt – und der Fremde, der aus der Farbenkargheit und dem Lichtgeiz des Nordens hierher geflüchtet ist, fühlt sich wie von einem Rausch überwältigt.

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Hier pflegt im Frühjahr immer ein Teil des französischen Mittelmeergeschwaders sich vor Anker zu legen. Dann werden zwischen der Schiffsbemannung und der Garnison in Nizza gesellschaftliche Grüße ausgetauscht, und dieser liebenswürdigen kameradschaftlichen Gewohnheit verdanke ich die Erinnerung an ein fröhliches Fest, das ich an Bord des Turmschiffes »Jauréguiberry« erleben durfte. Der französische Admiral hatte nach Nizza eine große Reihe gastlicher Einladungen zu einem » déjeuner dansant" ergehen lassen – und nun flutete das ganze Gesellschaftsleben der Blumenstadt in einer einzigen farbigen Welle nach Villefranche hinüber. In zierlichen Barkassen wurden wir vom Hafen an das Kriegsschiff befördert und kletterten über die schlanke Schiffstreppe an Bord. Der furchtbare Ernst des Schauplatzes war hinter lachendem Schmuckwerk versteckt. Ausgespannte Teppiche, breite Gruppen von Fächerpalmen mit braungeschuppten Stämmen, Blütengewinde und Flaggenschmuck – alles wirkte zu einem farbigen Festbild zusammen. Das Sonnendeck war in einen Tanzsaal verwandelt worden und mit einem leinenen Zelt überwölbt, das sich aus bunten Fahnen und Wimpeln zusammensetzte. An den drehbaren Türmen, die so viele feuerspeiende Schlünde in sich bergen, lehnte die Schiffskapelle, die keine kriegerischen Fanfaren und Märsche, sondern nur heitere, gliederlösende Weisen spielte. Die Offiziere dachten, von den schönen Frauen bezaubert, nur an friedliche Eroberungen, und als die Quadrille heran kam, bewährte sich der Befehlshaber des Schiffes in jedem Sinne des Wortes als Contre-Admiral –

So wogte hinter den Eisenrippen des Panzerschiffes ein festtäglicher Übermut und ruheloses Geplauder. Und wenn man sich dieses improvisierte Gesellschaftsbild in die zaubervolle Mittagsbeleuchtung des Südens gerückt denkt, umspült und umsungen von den blauen Wogen des Mittelmeeres, durchpulst von der warmen Blutwelle französischer Heiterkeit und Anmut, so wird man verstehen, daß es mich noch in der Erinnerung mit den leuchtenden Farben der Freude anlacht. Der Gedanke an einen »Ernstfall«, um diese entsetzliche Mißbildung der Parlamentssprache in Erinnerung zu bringen – wie lag er uns damals so himmelfern! Und ich höre noch die beiden hübschen Französinnen, die plötzlich hinter der Blätterwand der Gewächsgruppen die Lafetten der Schiffskanonen hervorlugen sahen:

» Ah, fi donc!« riefen sie wie aus einem Munde – denn erst jetzt war es ihnen zum Bewußtsein gekommen, daß französische Kriegsschiffe am Ende doch bisweilen eine ernstere Bestimmung haben, als für übermütige Mittagsfeste zu dienen. Und hatten wir uns nicht alle in das Märchenreich des Friedens entrückt gefühlt? Ja, wirklich – hier war der Traum der Poeten lebendig geworden. Aus den Läufen der Geschütze quollen Syringenzweige. Die Instrumente der Zerstörung waren hinter einer Wand von Palmen und Myrtenblüten unsichtbar geworden. Um die gepanzerten Schiffswände schlangen sich Blumenschnüre, und die Luft am Leben hatte in einem Arsenal des Todes ihre Fahne entrollt.

*

An das verzauberte Kriegsschiff, das sich in einen Festsaal verwandelt hatte, mußte ich schwermütig zurückdenken, wenn ich jetzt von dem Kampf der Schlachtflotten im fernen Osten las. Damals war es nicht schwer, sich in die schmeichlerische Täuschung einspinnen zu lassen, als ob wir einer symbolischen Feier beiwohnten, die dem Einzug der Friedensgöttin in die Länder galt. Die Schauplätze des Kampfes waren der Freude wiedergegeben; die Erde war für die Eintracht zurückerobert, und alle die laubumwundenen Pfeiler und Pfosten erschienen wie Triumphpforten der Versöhnung – Durch den Geschützdonner im Gelben Meer war der Friedenstraum, den wir auf einem Kriegsschiff geträumt haben, wieder in unabmeßbare Weite gerückt, und ein brennendes Wehgefühl war zurückgeblieben. Ich weiß es, wir haben diese Empfindung in ihrer vollen Bitterkeit nur in den Anfängen eines Völkerkampfes. Später werden wir alle durch die Logik der Ereignisse, die den Wechsel von Schlag und Gegenschlag als folgerichtig und notwendig erscheinen läßt, in gefühllos rechnende Strategen verwandelt, und zuletzt verfolgen wir den Verlauf eines Krieges mit der kaltherzigen Spannung, mit der wir die wechselvollen Kombinationen einer Schachpartie begleiten. Jetzt aber lag uns noch das ganze Entsetzen des Krieges atembeengend, wie ein Alpdrücken, auf der gequälten Brust – und wir hatten Mühe, es den Schriftgelehrten zu glauben, daß wir uns gleichwohl im zwanzigsten Jahrhundert nach der Geburt Christi befinden.


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