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Der Theaterhut

Verehrte gnädige Frau! Der Absender dieser Zeilen ist der Ihnen unbekannte Herr, der gestern bei einer Erstaufführung im »Neuen Theater« die Ehre hatte, hinter Ihnen in der zweiten Reihe der Loge zu sitzen, deren Vorderrand Sie mit Ihrer Anmut und Schönheit so entzückend garniert haben. Gestatten Sie mir, Ihnen über die Eindrücke dieses denkwürdigen Theaterabends einen kurzen kritischen Bericht zu unterbreiten –

In den ersten drei Szenen also hatte ich einen wirklich ungetrübten Genuß. Die Bühne war in ihrer ganzen Ausdehnung frei vor meine Blicke gebreitet, und von meinem erhöhten Logenstuhl aus konnte ich alles überschauen, wie von einer wolkenfreien Aussichtswarte. Die Möglichkeit dieses freudigen Genießens wurde mir dadurch geboten, daß Sie, meine verehrteste Gnädige, noch nicht anwesend waren. Sie beliebten, erst bei Beginn der vierten Szene im Theater zu erscheinen und durch das Knarren der Logentür, das Rauschen Ihrer Kleider und das Rücken der Sessel aus den Reihen der gespannt aufhorchenden Zuschauer einige leise Proteste hervorzurufen. Ich für mein Teil bin galant genug gewesen, um die Notwendigkeit Ihres späteren Erscheinens voll zu begreifen. Wenn man einen so schönen erdbeerfarbenen Theatermantel hat, den man erst vorn in der Loge von der Schulter nimmt, um ihn mit lässiger Eleganz auf die Stuhllehne gleiten zu lassen, so ist man selbstverständlich verpflichtet, zu spät zu kommen, um die Aufmerksamkeit auf dieses Schaustück hinzulenken. Ich habe es auch keineswegs rücksichtslos gefunden, daß Sie, immer noch vor mir stehend, mit bedächtiger Langsamkeit aus Ihrem Perlenpompadour zunächst das Opernglas, die Bonbonniere und das Spitzentaschentuch herausnahmen und alles mit geschultem Ordnungssinn auf die Logenbrüstung vor sich hinlegten, ehe Sie sich entschließen konnten, Ihren Platz einzunehmen. Aber endlich saßen Sie doch! Und nun hätte ich vielleicht wieder die Vorgänge auf der Bühne verfolgen können, wenn nicht meine schöne Aussicht plötzlich wie durch einen schwarzen Nebelwall versperrt gewesen wäre, als hätte sich ein riesiger Fremdkörper zwischen mich und die Bühne geschoben –

Sie erraten sicherlich, daß dieser Fremdkörper der schwarze Samthut war, den Sie auf Ihr kapriziöses Köpfchen aufgestülpt hatten, und der auf einem Bau von Schleifen, Blumen und Tüllwolken sich in die Höhe streckte, als wenn er mit dem Straßburger Münster in unlauteren Wettbewerb treten wollte. Ich war in den ersten drei Szenen schon so nahe daran gewesen, zu der Bühne und dem neuen Stück in vertrauliche Beziehungen zu treten. Ihr Hut hat es nicht mehr gestattet – denn »eine Würde, eine Höhe entfernte die Vertraulichkeit«! Ich machte wiederholt den Versuch, ein wenig nach rechts zu rücken, um durch die schmale Lücke zwischen Ihnen und Ihrem Gatten wie durch eine Schießscharte auf die Szene zu schauen, aber gerade in solchen Augenblicken hatten Sie die liebenswürdige Caprice, sich ebenfalls nach rechts zu neigen, und wie zwei Menschen, die sich auf der Straße einander ausweichen wollen und beide immer nach der gleichen Richtung hin sich bewegen, so sind auch unsere Köpfe stets nach der gleichen Richtung gependelt – Vergeblich blieb mein Bemühen, vom Bühnenbild noch irgend einen, wenn auch noch so bescheidenen Ausschnitt zu erhaschen. Ich versuchte schließlich eine Gewaltmaßregel und stand auf, um über Ihren Hut hinweg mich vorzubeugen, aber ich hatte meine Rechnung ohne seine steil emporstrebenden Reiherfedern gemacht, die mich neckisch am Augenlid kitzelten. Sie haben so vieles, meine Gnädigste, was in die Augen sticht – mußten Sie auch noch Ihre Aigretten zu diesem Zweck in Bewegung setzen?

Ich gebe zu, daß das Stück zum Sterben langweilig war und daß ich somit nicht viel verloren habe. Aber man will sich im Theater doch wenigstens mit Hilfe des Autors und der Schauspieler langweilen! Das ist das Mindeste, was man als Zuschauer beanspruchen kann. Mir aber wurde jeder Verkehr mit dem Kunstwerk durch die üppigen Dimensionen Ihres Federhuts unmöglich gemacht. Ich stand den ganzen Abend hindurch im Zeichen des Verkehrshindernisses – und ich dachte an den Schmerzensruf Melchthals: »Sterben ist nichts, doch leben und nicht sehen, das ist ein Unglück!«

Mußte es sein? Ist es eine Notwendigkeit für die Damen, ihre höchsten Hüte im Theater auszustellen? Und würde es das Maß erlaubter Ansprüche übersteigen, wenn man von unsern verehrten Mitbürgerinnen erwartet und erwünscht, daß sie die Hüte draußen in der Garderobe ablegen, oder sie gänzlich verbannen und durch einen luftigen Theaterschleier ersetzen? Das ist also die große Frage, die mich seit meinem gestrigen Theaterbesuch beschäftigt, und die ich nicht bloß an Sie, sondern auch noch an einige andre Damen der Gesellschaft in einem Rundschreiben richte. Ich bin ein ganz wohlerzogener Europäer, der gern alles erträgt, was schöne Frauen sich in den Kopf setzen. Aber was sie sich auf den Kopf setzen, geht wirklich bisweilen über das Maß des Erträglichen hinaus – und darum bitte ich Sie herzlichst, meine Frage nicht unwirsch in den Papierkorb zu werfen, sondern sie einer reiflichen Erwägung würdig zu halten und mich mit Ihrer Antwort bald zu erfreuen.

Inzwischen drücke ich auf Ihre kleine Hand die wenigen Küsse, die darauf Platz haben, und bleibe in aufrichtiger Verehrung Ihr

Logennachbar.

*

Rohrpostantwort.

Wie? – Wirklich? Hab' ich recht gelesen?
Ist's ernst gemeint? Ist's Übermut?
Ein Himmnis ist für Sie gewesen,
Ein »Nebelwall« mein neuer Hut?
Ein Nichts, aus Tüll und Samt gewoben.
Darauf der Blick bewundernd ruht,
Ein Launenspiel, zur Kunst erhoben –
Ein Herbstgedicht ist dieser Hut.
Sie hätten gestern nichts gesehen?
So klagen Sie mit Zornesglut.
Ich kann die Klage nicht verstehen!
Genug, Sie sahen meinen Hut.
Um froh ein Kunstwerk zu betrachten
Geh'n ins Theater Sie – nun gut!
Sie fanden gestern, was Sie dachten –
Denn dieses Kunstwerk war mein Hut.
Und schied er Sie vom Bühnenspiele,
So zähmen Sie Ihr heißes Blut!
Ein Stück wie gestern gibt es viele,
Doch einzig ist mein neuer Hut.
Constanze M –

*

Sehr geehrter Herr!

Ihr Rundschreiben ist nicht bloß mir, sondern auch einigen befreundeten Damen zugestellt worden, die ebenso wie ich im Westen Berlins wohnen, wo er am westlichsten ist. Ich habe sofort eine Protestversammlung zu Miericke einberufen – Sie kennen ja die berühmte Konditorei in der Tauenzienstraße – und dort haben wir im Hinterzimmer bei Apfelkuchen und Schlagsahne den Inhalt Ihres Schreibens mit erschöpfender Gründlichkeit durchberaten. Ich kann es Ihnen leider nicht verschweigen, daß sich unsere Versammlung zu einem Entrüstungsmeeting gestaltet hat. Viele erregte und zornflammende Reden wurden gehalten, die ich Ihnen aus Schonung nicht sämtlich mitteilen will. Erlauben Sie mir, Sie nur mit den bedeutungsvollsten rhetorischen Kundgebungen bekannt zu machen:

Isolde Merz: Meine verehrten Freundinnen! Ich muß euch bekennen, daß ich in dem Rundschreiben, über das wir heute beraten, nur einen erneuten Beweis für die beispiellose Anmaßung der Männer erblicke. Offenbar gehört der Absender zu der Gruppe der Antifeministen, die den Frauen ihre natürlichsten Rechte verkürzen wollen. Was denn? Wir sollen auf unsere schönen Theaterhüte deshalb verzichten, weil irgend ein hinter uns sitzender Unbekannter nicht genug von der Bühne sehen kann? Ja, meine verehrten Freundinnen, wann hätten wir jemals ähnliche Ansprüche zu erheben gewagt? Wer von uns hat nicht schon im Parkett hinter einem Mann gesessen, der zu den sogenannten Sitzriesen gehört! Ist es uns deshalb eingefallen, ihn im Zwischenakt zu fragen, ob er nicht freundlichst seinen Kopf in der Garderobe abgeben will? Von uns aber verlangt man's. Denn Hut und Kopf ist in der Tat bei jeder Dame, die Geschmack und Kunstsinn besitzt, zu einer ästhetischen Einheit zusammengewachsen – und in diesem Sinne wage ich die Behauptung: Wer uns unsern Hut nehmen will, der nimmt uns unsern Kopf – Ich habe gesprochen. (Allseitige Zustimmung.)

Hildegard Pfeil: Ich kann mich unsrer verehrten Freundin Isolde nur voll und ganz anschließen. Ich will den Tatbestand, über den unser ungenannter Gönner sich beklagt, durchaus nicht in Abrede stellen. Jawohl, unsre Hüte sind auf Befehl der Mode in diesem Herbst von ansehnlicher Höhe und werden noch manchem den Blick auf die Bühne versperren. Aber geht man ins Theater nur, um zu sehen? Man besucht es auch, um gesehen zu werden. Heute noch, wie zu Goethes Tagen, geben wir uns und unsern Putz zum besten und spielen ohne Gage mit. Wir leben in dem Zeitalter der dekorativen Siege. Für die glanzvolle Ausstattung der Bühne hat der Direktor zu sorgen; für die glanzvolle Ausstattung des Zuschauerraums aber sorgen wir. Und dazu brauchen wir unsre Hüte, ohne die unsre ganze Erscheinung so unvollständig wäre wie ein Dom ohne Kuppel oder wie eine Blume ohne Kelch. Und wenn in unsrer nörgelsüchtigen Zeit auch alles verkleinert wird, unsre Hüte werden wir nicht verkleinern lassen, meine Damen! Darin rechne ich auf Ihre allseitige Unterstützung.

Lilli Volkmar: Meiner Ansicht nach genügt es nicht, durch Worte gegen die abenteuerlichen Zumutungen zu kämpfen, die uns gestellt worden sind. Wir müssen uns zu einer ernstlichen Gegenwehr rüsten. Der Weg dazu ist uns durch unsre kämpfenden Genossinnen vorgezeichnet worden. Es ist die Waffe des Massenstreiks, die wir schärfen und bereit halten müssen. Wir stehen und fallen mit unsern Hüten. Und will man diese aus dem Theater verbannen, so müssen auch wir fort bleiben. Der liebenswürdige Herr, der uns mit seinem Rundschreiben beehrt hat, mag dann ungehindert sämtliche Logen allein garnieren. Er wird dann alles Schöne auf der Bühne sehen, aber nichts Schönes mehr im Zuschauerraum; und ich glaube, daß man mir den Vorwurf der Selbstüberschätzung nicht machen wird, wenn ich behaupte, daß das Theater ohne Damen auch sehr bald das Theater ohne Männer sein wird –

Die Rednerin wurde einmütig beglückwünscht, und ich selbst bin mit der ehrenvollen Mission betraut worden, Ihnen das Sitzungsprotokoll zu überreichen. Ich hoffe, daß Sie in Ihrer Wohnung irgend einen Spiegel haben, hinter den Sie es nicht stecken werden. Trotzdem aber verbleibe ich mit geziemender Hochachtung

Käthe Goldbach.

*

Streng vertraulich.
Werter Herr Doktor!

Als alter Hausarzt der Kommerzienrätin Gundermann habe ich die freundschaftliche Mission übernommen, Ihr Zirkular zu beantworten und dem Zorn meiner hochverehrten Freundin möglichst beredte Worte zu leihen. Ich übe zum erstenmal einen Verrat an der Freundschaft und bekenne Ihnen ganz vertraulich: Sie haben recht, vollkommen recht. Aber eben deshalb haben Sie unrecht! Denn schönen Frauen gegenüber haben wir immer unrecht, wenn wir ihnen widersprechen – und ganz besonders dann, wenn wir recht haben!

Es scheint mir übrigens, daß Sie die Bedeutung des neuen Winterhutes in einem Frauenleben viel zu gering angeschlagen haben. Gestatten Sie, daß ich Sie an die Aussprüche von zwei Frauenkennern erinnere. Alphonse Karr hat einmal gesagt: »Wenn zwei Frauen sich auf der Straße begegnen, so brauchen sie dazu drei Hüte: Einen, den jede von ihnen trägt, und einen dritten, über den sie sich unterhalten.« Von einem andern, etwas boshafteren Spötter stammt der Satz: »So mancher Frauenhut, der um eine Idee zu groß ist, sitzt auf einem Kopf, der um mehrere Ideen zu klein ist.«

Ich wage es nicht, selbst unter vier Augen mit Ihnen, mich einem so ketzerischen Herrn anzuschließen, aber ich rate, sich demütig den gegebenen Tatsachen zu unterwerfen. Lassen Sie unsern Frauen ohne Neid und Streit das zierliche Schmuckwerk und selbst die anspruchsvollen Überflüssigkeiten, an denen sich ihr Herz nun einmal erfreut – und glauben Sie es einem ergrauten Beobachter, daß man bei schönen Frauen schließlich lernt, über vieles hinwegzusehen – sogar über ihre Hüte! Und damit lassen Sie uns die Akten über diese Streitfrage schließen.

Herzlichst Ihr
Sanitätsrat Huschke.


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