Karl Bleibtreu
Der Aufgang des Abendlandes
Karl Bleibtreu

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III

Zerrann Nebelspuk, wendet man sich mit frischer Andacht der Sonne zu, hier heißt es nicht mehr: Wo faß ich euch, ihr schwankenden Gestalten! Hier steht jeder am rechten Platz, nichts schwankt im Reich der Ordnung, wo selbst das Sichtbare in fortwährender Geisterschlacht ein ineinander verschlungenes psychisches Ringen intelligibler Zweckmäßigkeit darstellt, mit dem Leben selber identisch, wo nur scheinheilig weichliche »Humanität« eine wohlwollend strenge Gerechtigkeit verkennt. Wäre die physische Erscheinungs- eine Wirrwelt oder Hölle, so wäre dies dem Christentum abgelauschte Wähnen metaphysisch belanglos, doch so ist es nicht, sondern sie bejaht für den Unbeirrten, daß sie zweckdienlich sei für Psycheschulung. Ich bin, weil ich denke, ich denke, weil ich bin, so löst sich auch hier Doppelkausalität in Einheit auf, daß Sein und Denken das nämliche sind. Das Leben denkt fortwährend an seine Erhaltung, worunter Schulze etwas rein Materielles versteht, aber etwas Psychisches meint, nämlich Erhaltung seines Ich. Leben ist nur Erleben, d. h. ein psychischer Prozeß, Denken gesteigertes Leben, höchstes Denken höchstes Lebensgefühl, in solchem Sinne denkt auch die Natur. Dies unbewußte Denkfühlen überschreiten bereits die höchsten Tierwesen, am wenigsten entdecken wir davon beim Anthropoiden. Der Gorilla packt und zerbeißt den Gewehrlauf, aus dem der Schuß kam, worin der Darwinist fälschlich Überlegung erkennt, der Tiger denkt logischer, wenn er den Jäger selber packt, als Urheber des Schusses. Daß der Gorilla sein Bett zur ebenen Erde macht, verrät durchaus keinen menschlichen Trieb, denn viele Urmenschen schliefen sicher auf Bäumen, um sich vor Raubzeug zu schützen. Warum baut sich denn der Schimpanse noch Nester? Der Gorilla schläft nur deshalb nicht im Gezweig, weil es sein Gewicht nicht aushält, wie ihn schon sicher bittere Probe belehrte. Was soll er also im Urwald anders anfangen, als sich unten am Stamm anlehnen, will er der Ruhe pflegen? Man macht also aus einem gewöhnlichen Muß, dessen Ausübung nicht entfernt die verwickelte Überlegung anderer Tierhandlungen erfordert, einen zur Menschwerdung hinstrebenden Vernunftschluß.

Überall regiert das Individuelle von Fall zu Fall, die frommen und weisen Neger auf Fernando Po, die sich jede kirchliche Mission verbitten und doch die freiwillig übernommene Jesuslehre zur Beschämung europäischer Beobachter wirklich praktizieren, hatten diese psychische Anlage seit Anbeginn. Die kannibalischen Negerstämme, die ihren grausamen Sultan als Gott anbeten, ohne sich um den amtlich anerkannten obersten Kriegsherrn in den Wolken zu kümmern, sind so geblieben seit ihrer ersten Ansiedlung. Die Buschmänner änderten auf ihrer weiten Wanderung nach dem Veldt nichts von ihrem Charakter, ihren Sitten und ihren Künsten. Ihre Nachbarn, die Kaffern, bleiben allzeit kunstfremde Barbaren. Nichts evolutioniert sich, auch nicht der teutsche Schulmeister, über den Haeckel spottet wie über Orden und Titelwesen, der aber recht gern wie der darauf erpichte Virchow sich »Herr Geheimrat« anreden und mit Orden spicken ließ wie der Ordensliebhaber Helmholtz, der auch kein Kostverächter von Nobilitierung war. Haeckel ist selber ein Typ des von Allbelehrung strotzenden Oberlehrers nach dem Muster jenes Austauschprofessors, der seine Aula-Festreden zum Feststrauß für Amerika zusammenband mit dem herrlichen Titel »Vom Weltreich deutschen Geistes«, dessen Sonne leider in beiden Hemisphären untersank. Aufdringliche Schulmeisterdressur sich als Hochkultur aufschwatzen zu lassen verbat sich das Ausland, das außerdem Nietzsche und Haeckel als echte Koeffizienten neudeutscher Gewaltethik auffaßte. Alldeutsche Professoren »verstehen die Welt nicht mehr« wie Hebbels Meister Anton und glauben sich in einer Wirrwelt, wir erkennen dagegen im allgemeinen europäischen Verstandesbankrott nur eine klare Moral, wie St. Just vom Terreur sagte, Hindurchblitzen unerschütterlicher Klarwelt. Meist glauben nur Wirrköpfe an Wirrwelt, man soll den Teufel nicht an die Wand malen, Glaube an unvernünftige Wirrwelt ist selbst ein Stück Chaos und hilft die Klarwelt mit schwarzem Flor verhängen. Wo die Psyche als Regentin in die Natur einzieht, kann alle Wirrnis nur als Nichtwissen erledigt sein. Hemmnis, Missetat, Bosheit, Tod sind Karmas Notwendigkeitsfäden im großen Gewebe, das die Unsichtbaren wie Penelope auftrennen und erneuern als Gobelin des Lebens, wo unzählbare Psychestrahlen sich zu Farbenharmonie vereinen.

Der Materialismus ist nichts als Rückschraubung des Denkens, das Griechische ergriff gleichfalls zuerst den Stoff, dann die Kraft, dann statt blindwillkürlichen Wirbels das Planvolle. Den größten Schritt tat Empedokles, indem er Newtons Anziehung und Abstoßung als Bewegungsursache vorwegnahm, doch als Attribute einer Weltpsyche: Eros und Anteros. Bestimmte Kategorien des Denkens stellen sich unabweisbar ein, es ließ sich nicht vermeiden, daß die klaren Hellenen den Lebensinhalt als fließend empfanden, dagegen einige als Allinhalt die Ruhe. Innerhalb des Sichtbaren gibt es notwendig auch im Denken nur fließende Bewegung, doch »in Gott« nur Ruhe. Plato ließ die Ideen aufmarschieren, hielt aber Einzelwesen für gleichgültigen Massenabdruck des Ideentextes, solche Zwiespältigkeit machte den Racker Staat zum Maß aller Dinge wie im Mittelalter die Kirche, Niedergang des Denkens richtet sich immer häuslich in Respublica ein. Ähnliche Milieuwallungen bringen ähnliche Denksymptome hervor, Wiederkehr des Gleichen auch Wiedergeburt der Denkweise. Das Bahnbrechende in Plato sehen wir darin, daß er das Sichtbare als Sinnbild auffaßte, doch indem er als Staatslehrer das Recht des »guten Bürgers« auf Eigenwuchs beschnitt, unterwarf er das Individuelle teils dem Abstrakten teils dem Materieschein. In ihm und Aristoteles, dem Stammvater alles Positivismus, in dessen imperialistisch-praktischem Massenstaat Welt der einzelne nur den vom Imperatorgott geprägten Formen zu dienen hat, erkennen wir schon die gleiche Denkart, die mit Leibniz' Ordnung eines Grand Monarque, teils in Versailler Taxusgärten, teils in Mordbrennereien harmonisch durchgeführt, zu Kants Unteroffizier-Imperativen und zur Staatsvergötterung bis zum Weltkrieg verführte. Auf altruistisch maskierten Staatsmaterialismus folgte in der Antike spöttische oder ernste Abkehr von so praktisch stilisiertem Weltbild. Zyniker, Epikuräer, Stoiker verzichteten auf jede Weltanschauung, deren bloße Vergesellschaftung durchaus der heutigen glich. Nach ehrlicher Verzweiflung des Materialismus in Lucrez begann neuer Aufblick in spirituelle Formen, heutige Bemühungen von Okkultismus und Spiritismus, durch popularisierte Handgreiflichkeit den Stoffkult auszurotten, gleichen dem Rütteln der Gnostiker an den Materieschranken. Bald darauf brach das große Erdbeben des Christentums herein, und obschon eine 1912 in London auftauchende Romanprophezeiung über neuerscheinendes Christkind und plötzlich seelenüberströmende Altruismuswelle sich jämmerlich blamierte, wird die alte Weissagung über Christi Wiederkehr »nach tausend Jahren und nicht mehr tausend« vielleicht in gewissem Sinne wahr werden. Denn kausalnotwendig zerstört der Materialismus sich selber und macht der äußersten Radikalideologie Platz. Llouys »Aphrodite« wälzt sich in der »großen griechischen Sinnlichkeit«, die freilich nur auf afrikanischem Boden sich derart naiv ausbildete, doch weder Rom noch Hellas kannten so bestiale Wirrwelt, ehe nicht der greuliche Völkerbrei der Rassenvermischung seit Caracalla jeden sittlichen Halt wegschwemmte. Nach dem machtwütigen Nationalismus die entnervende Internationale der »alle gleichbegabten Rassen« (Virchow), die erweiterte Lügenform der Gleichmacherei. Ihr Janusgesicht zeigt teils gröbste Entsittlichung (in zäsarischer Antike Vermischung aller Kulte zum gleichen Priapusdienst), teils christlichen Pazifismus der Sklavenverbrüderung. Ob heute neue Christusbewegung wieder den Geist an den Buchstaben, die freie Psyche an einen sozialistischen Kirchenkanon verkuppeln wird, läßt sich nicht voraussehen.

Brunos Selbst- und Weltbefreiung rang umsonst gegen Aristoteles, den Kirchenvater der Scholastik, die Jesuiten als richtige Aristoteliker ließen nur noch Form als Religion gelten, und Descartes als graue Eminenz eines nur scheinbar autoritätsfeindlichen Rationalismus hätte Richelieus Staatsbeirat werden können, denn alle Neigung zum Maschinellen führt wie bei Hobbes zur Heiligsprechung des Absolutismus. Bei den Engländern galt seit Bacon, dessen Credo seinem angeblichen Rosenkreuzertum widerspricht, sogenannte Erfahrung als Norm bürgerlicher Eingemeindung. Sieht z. B. ein Seher die Aura, die Masse nicht, so ist er abnorm, daher seine Erfahrung unwahr, von so naivem Philistertum kam englisches Denken nie wirklich los. Wenn Kant die Erfahrung als subjektiv beseitigt, so rechnen doch seine falschen Imperative den Gemeinbegriff als einzigen Nennwert, und Hegel »Selbstbewegung des Geistes« erstrebt auch wenig anderes als Aristoteles »Entelechie«. Wenn alles Subjektive Null, ist Einzelpsyche nur Entlehnung von der Allgemeinheit, die sich als Wirklichkeitsvernunft bewegt! Ohne uns weitläufig darüber zu verbreiten, wie sinnlos man geistige Mannigfaltigkeit in bindende Formeln zwängt, genügt schon der empirische Augenschein, daß allzeit nur die Einzelpsyche kulturell und geschichtlich den Ton angab. Wie kann sie vom Massenmilieu etwas entlehnen, was dort nie vorhanden war! Das italienische Volk nennt einen Verrückten »originale«, jede Psyche ist ein Original, solange sie sich nicht von Massenhörigkeit verdummen läßt, oft zeigen Kinder originelles Denken. Karma ist nur weltgesetzliche Anerkennung des besonderen Wesensrechts auf Lebensarbeit, man muß Akteure den Massenstatisten vorziehen, nicht ethische Gemeinplätze in die Masse hineinschreien, sondern Individualität als ihren eigenen Imperativ erkennen, der seinen ihm vorgeschriebenen Weg geht. Ihre Abhängigkeit vom Karma aber stellt daher nicht ihrer sonstigen Unabhängigkeit einen übergroßen Freibrief aus, Eigenwesen ist kein Eigengewächs von Selbständigkeitsgelüsten, sondern borgt sein Recht nur vom Unsichtbaren, sonst hinge es in der Luft wie eine wuchernde Orchidee, die gierig Materiestämme umklammert.

Am 6. Januar 1818 sprach Napoleon zu Gourgaud gelassen das große Wort: »Was ist Elektrizität, was Magnetismus? Da liegt das große Geheimnis. Ich glaube, der Mensch ist ein Produkt aus Strömungen der Atmosphäre, das Hirn fängt sie auf und erhält so Leben. Die Seele besteht aus Ätherbewegung, nach dem Tode treten wir in den Weltraum zurück und werden von andern Gehirnen aufgesogen«. Wir sind geneigt, dies dahin auszubauen, daß dauernde Speisung des Psychischen aus dem Äther erfolgt. Stoffbildung und Stoffwechsel sind rein chemische Vorgänge, Scheidungen in Kohlen-Sauer-Stickstoff machen diese wie den Harn zu Zerfallsymptomen eines sonst einheitlichen Naturkörpers. Warum zerfällt er nicht gleich, sondern bewahrt durch irgend etwas – Ostwald nennt es Energetik – dauernden Gleichstand, der aber plötzlich (Tod) aufhört? Bezeichnenderweise gibt es für Weltmechanistik kein sichtbares Ebenbild, bei so pausenloser Anspannung müßte die Betriebskraft doch endlich mal verbraucht werden, wer bedient die Maschine, funktioniert sie immer ohne Betriebsstörung? Streiken die Elemente nicht gelegentlich wie Kometen, die es müde sind, ihr geregeltes Pensum abzuschnurren? Die kleinste Arbeitsniederlegung, um sich mal einen Feiertag zu gönnen, würde sofort die Räder in Unordnung bringen. Ein unerschöpfliches Reservoir läßt sich psychisch, doch nicht physisch vorstellen. Wäre dauernde Vermehrung der Weltkraft möglich, wie Mayer gelegentlich meint, um den sonst undenkbaren Gleichstand durch Verbrauchsersatz zu behaupten? Dieser Zufluß könnte nur durch Mehrung des Psychischen erfolgen, das durch ununterbrochenen Karmakampf sich verstärkt und vergrößert, denn Physisches als Konstante (Helmholtz) mehrt und mindert sich nicht. Stofflose Elektronen können sich als Partikel der Ätherseele in größeren Mengen projizieren, während der sichtbare Stoff immer karg bemessen bleibt.

Beim freien Spiel und Tanz der Elektronen, welche die Wirrin eine Klarwelt »röntgen«, tagt eine andere substantielle Ausdehnung als die starre Spinozas, die alle Wesen in marionettenhafter Hörigkeit hält: Der alte Götze von Zion- und Peterskirche, nur als reglose Mumie ins Leere entrückt. Nur Jesus wurde einer Gottseele gerecht, die nicht bloß Dinge in sich aufsaugt, sondern werktätig in alle Wesen hineinfunkt, sich nicht bloß herablassend spiegelt, sondern alles kindhaft an sich zieht. Allgott ist ein Nominalbegriff, es kommt nur auf die Ausdeutung an. Spinozas Zebaoth ist ein insolventes Abstraktum, das den Menschen versklavt, als saß er auf der Bundeslade, während Brunos begeisterte Alliebe eine mitfühlende Weltseele voraussetzt. Obschon die Klaristen von Buddha nichts wissen und ahnungslos das alte Lied von Willensermüdung herleiern, gehen wir doch darin halb und teilweise mit ihnen eins, indem sich uns immer wieder das Problem aufdrängt: sind Reinkarnierungskampf und Ätherauflösung (Nirwan) nicht ethisch gleichwertig, unterbricht Lebensabtötung nicht den notwendigen Prozeß der Wiedergeburten und muß deshalb dem Karma mißfällig sein, dem vorzugreifen sie sich erkühnt, steht heroisches Leiden nicht höher als Nirwana-Genügen? Gewiß verfängt nicht der stolze Einwand, man habe heute mehr Kenntnisse als Buddha oder die Griechen, als ob reiche Zufügung von Ornament, Stukkatur, Kachelöfen die Gebäudestruktur änderte, die man heute unbewußt immer noch indischem oder griechischem Bauplan nachzeichnet. Doch die durchaus verschiedene Inspiration Brunos, den Mayer gleichfalls hochmütig abtut, knüpft unbewußt an Jesus an. Wenn Buddhas Anleitung Glück verbürgt, so nennt Bruno sein von Alliebe erfülltes Herz selig, obschon er wahrlich nicht buddhistischer Vorschrift folgte, nur eins wünschte er sich noch in einem herrlichen Sonett: Bekennertod in Flammen. Er ward ihm, und wir erschauern vor diesem geheimisvollem Beweis, daß angebliche Wirr weit jedem so viel Klarwelt bringt, als ihm erwünscht. Christliche Märtyrer befiel einst massenweise die gleiche Sehnsucht nach Bekennertod; daß jeder Märtyrer tausend Proselyten machte, begreift man als notwendig: Solche sichtbare Nichtachtung des Ichlebens überzeugt die Masse von der Gewißheit des Unsichtbaren. Deshalb legen wir Gewicht auf Giordanos gewaltiges Wort, als er sein beim Verlesen des Urteils vom Henker niedergebeugtes Haupt erhob: »Wohl mit mehr Angst fällt ihr das Urteil, als ich es vernehme«. Die Inschrift seines Denkmals hat viele erschüttert: »Hier, wo der Scheiterhaufen brannte, dem Giordano das dankbare von ihm vorausgeschaute Jahrhundert« Doch das 19. irrte sehr mit dieser Anbiederung, hat nicht die geringste Beziehung zu Bruno, wir finden die Geringachtung, mit der Steiner, Mayer, Chamberlain über ihn weggehen, höchst symptomatisch. Chamberlain stellt Brunos »Nach-Innenschauen« Leonardos »Nach-Außenschauen« entgegen. Tatsächlich ergänzen Bruno und Leonardo einander, letzterer schaute von außen nach innen, ersterer von innen nach außen, denn man wird sein heliozentrisches Schauen doch wohl auf die Welt gerichtet finden! Man glaubt ihm Schlimmes nachzusagen, daß er, der Kirchenfeind, von Luther nichts hielt. Als ob der scharfe Erkenner jüdischen Geistes (dem deshalb jüdische Freigeister tragikomisch Giordanobünde stiften!) nicht im Judenfeind Luther den gleichen semitischen Hierararchenwahn und in dessen auf die Spitzetreiben des »Glaubens« statt der »Werke« einen noch giftigeren Teufelsbraten des sacrifizio dell intelletto gerochen hätte! Das Anti-Bruno-Geschwätz ficht uns um so weniger an, als man damit nur einen Kotau vor der nüchternen Moderne macht, die in Inspiration des großen Denker-Dichters (Brunos Dialoge sind Gestaltung wie die Platos) wissenschaftlicher Haltung vermißt. Daß Bruno ewige Transformation der Seelenmonade und damit verbundenen Gerechtigkeitsausgleich lehrte, begrüßen wir als Beweis, daß echtes Denken immer die gleiche Linie findet. Daß aber Bruno als Einziger neben Sokrates die Blutzeugenschaft antrat, sollte doch die kleinen Ankläffer mit mehr Pathos der Distanz erfüllen. Goethe und Schopenhauer, die ihn mehrfach plagiierten, wußten besser, was sie an ihm hatten, dagegen schenken wir Dühring seine Anklage gegen Spinoza, daß er Bruno plagiiert und verballhornt habe. Die Anregung fiel auf so fremden Boden, daß man ebensowohl die Offenbarung Johanni mit der Kabbala vergleichen könnte. Wer sich aber gut mit seinem Fortsetzer vertragen hätte, war Jesus von Nazareth.

Wille zum Heldentod ist aggressiv, Leid und Heldentum in Not und Tod atmen keine unweltliche Stimmung, gerade weil sie mit Jesus sich freuen »Ich habe die Welt überwunden«. Daß Jesus die Kreuzigung auf sich nahm, wird dies nicht göttliche Weltethik dem Streben nach Ruhm vorziehen? Gewährt zielvolle Bewegung (Arbeit) nicht auch Zufriedenheit, wie Asoka von sich aussagte? Steht das Tor zu ewiger Ruhe wirklich offen, setzt nicht in höheren »Sphären sicher neues abgeklärteres Streben ein? Lebensverzicht läßt sich auch durch selbstischen Überdruß erzielen, Wunsch nach Grabesruhe ist vielen Materialisten vertraut, ist dies ein ethisches Ziel? Obschon gegen den falschen Vorwurf des Quietismus gewappnet, nicht ohne Erfordernis von Heldensinn in Selbstüberwindung, leitet Buddhismus doch auch nur zum Affetto universale hin, den Brunos Eroici Furori mit einen andern Anlauf erreichen. Zwar heißt es Buddha verkennen, wenn man ihn Heraklit gleichsetzt, ihm ist Fließen der Dinge nicht reine Unbeständigkeit, beständig bleibt ihm das Psychische in Durchbrechung von Ich und Materie. Doch er redet manchmal so inkonsequent, seine Nachfolger verfuhren umgekehrt so konsequent, daß die Klaristen ihn als Todfeind alles Eigenwesens verstehen. »Eigen« ist aber schwer definierbar, als Gegensatz zu Unendlich nur negativer Grenzbegriff. Will man Unendlichkeit als Nicht-Räumlichkeit, Ewigkeit als Nicht-Zeitlichkeit umschreiben, so reißt das Denkvermögen, ein begrenztes All wäre erst recht zum Verrücktwerden, da man dann ein Außer-All suchen müßte und tatsächlich ein All ohne Unbegrenztheit Selbstwiderspruch wäre. Ist »Eigen« das Nicht-Ewige, Zeitliche, Endliche? Gleichfalls unfaßbar, man bildet sich nur ein, daß man sich als tot vorstellen könne, und doch baut sich das Sichtbare durchweg auf dieser sterbenden Endlichkeit auf, die wir objektiv täglich um uns schauen, sie aber subjektiv für uns nicht fassen können. Selbsterkennen heißt allerdings mystisch Selbstvergessen, wo bleibt dann das Eigenwesen? Wohl aber darf man fragen, ob Heilige so viel zu vergessen hatten wie ein Genie und ob Asoka nicht mehr Heilswerke vollbrachte als alle Heiligen zusammen. In diesem Sinne war Buddha selber ein großes Eigenwesen und Jesus als Menschheitsvertreter (»des Menschen Sohn«) erst recht. Wo will man aber mit der Bezeichnung einhalten? Ist nicht auch Schulze ein Eigener, der seine Eigenheiten hat? Ist Stirners »der Einzige und sein Eigentum« nicht eine Warnung, daß das Eigene, sobald man es allzu isoliert empfindet, zu anarchischer Loslösung von jedem sonstigen psychischen Verbände führt? Das wäre die richtige Wirrwelt; wer sich aber auf Uberzeit und Überraum als Korrelaten des Unsichtbaren einstellt und hineinfühlend (Bergson) sich außerhalb sichtbarer Stofflichkeit versetzt, dem bleibt wie bei Buddhas 4. Schauung nur wort- und begrifflose Empfindung. Das relativ Eigene wird bei Veränderung der Bewußtseinsschwelle ins Unsichtbare untergetaucht. Wirrwelt kann es nur geben in Scheinmetaphysik des Pantheismus, auf den sich auch de Sades Teufelsfratzen berufen. Im Theater statt des Bösewichts den Autor mit faulen Äpfeln zu bewerfen wäre das Nächstliegende, doch das Böse in der Natur gehört zur dramatischen Ökonomie der Weltbühne. Gott ist nicht verantwortlich für den Tigerbiß, der Tiger hat seinen eigenen zureichenden Grund, um den Wildschaden der Wälder zu mäßigen. Warum Kontraste nötig wie lieben und Tod, das überlasse man gefälligst dem Autor dieser sichtbaren Klarwelt, deren unsichtbare Kulissenumrahmung erst recht keine Wirrwelt duldet. Dem Pseudoklaristen schreiben wir ins Stammbuch: »Wer die verborgenen Kräfte nicht erkennt, durch welche die Natur ihr Werk vollbringt, wird durch die Werke der Natur gebunden«. (Bagghavad Githa.)

Anthroposophie ist nur Umwandlung uralten Kirchenwahns. Im christlichen Eros galt Jesus höchstens als Hauptaktionär, denn hündische Hoffart als treuer Diener seines Herrn brüstete sich in Origines. »Erst kommt Gott, dann kommen wir«, Augustin meint verblümt, Gottes Erniedrigung durch Menschwerdung solle uns vergöttern. »Der Welt Zweck war allein wegen Israel?« Luther, nicht faul, dient darauf: »Wir Christen sind's, wegen deren Gott die Welt verschont.« Denn sonst: »was ginge uns solcher Gott an, welchen Nutzen hätten wir davon?« Die haarsträubende Blasphemie des teuren Gottesmanns, der die Lady Patroneß Maria nur auf die Straße warf, um für Christi Autokratie unter Abdankung Gottvaters Platz zu machen, entweihte das Gebet zur Bettelei: »Wer so bettelt und unverschämt anhält, tut recht«, wie der Lazzaroni sein Heiligenbild ohrfeigt, wenn sein Treffer nicht herauskommt. »Engel sollen Henker sein für die Ketzer«, spricht so Torquemada? Nein, Luther. Die Räudigkeit gottsträflichen Größenwahns reinigt der Taufe »köstlich Zuckerwasser, in das Gott selbst sich eingemengt«, als Johannes badete, was manch frummer Johannes der Säufer wohl brauchen kann. »Wir bedürfen einen willkürlichen Gott« (Lavater), dem man die Akten des Karmagerichts erpresserisch unterschlägt. Dafür sei ihm allein die Ehre, deshalb ist er so kitzlig im Ehrenpunkt wie ein Korpsstudent, verteidigt sich mit Gotteslästerungsparagraphen, so avanciert ein christlicher Staatsanwalt zum himmlischen Marschallstab. Ob also auf theologischem oder Steinerschem holperigen Steinweg, die Kutsche anthropomorphischen Größenwahns rollt stets mit gleichem Geräusch durchs Himmelstor ihrer Einbildung.


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