Karl Bleibtreu
Der Aufgang des Abendlandes
Karl Bleibtreu

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IV

Im Essay über »Ausgleichung« (Kompensation) empört sich Emerson über die Kanzelpredigt, der Gute leide in diesem Leben und dem Bösen gehe es gut, wofür dann das Jenseits den Spieß umkehre. Diese sehr verbreitete Auffassung zeugt von Niedrigkeit der Gesinnung und falschem Aufmerken. Denn damit soll gemeint sein, daß materielles Wohlleben der Schlechten nachher durch materielles Wohlsein der Guten im »Himmel« ausgeglichen wird, ein rohweltlicher Realismus, der dabei übersieht, daß der Gute ein meist mit schlechten Handlungen erworbenes »Glück« nicht wünschen kann, daß es ihm aber dafür in idealer Hinsicht gut geht. Auf die Irreligiosität, daß Gott zwecklos Tragödien im Diesseits aufführen und sinnlos den Guten quälen würde, damit er einen ihm ohnehin sichern »Himmel« verdiene, geht Emerson nicht ein. Und zwar aus guten Gründen. Denn das Weltübel läßt sich nun mal nie mit willkürlichem Walten eines persönlichen Gottes zusammenreimen, auf den der frivole Spruch passen würde: »Das einzige, was ihn entschuldigt, ist, daß er nicht existiert«, sondern findet vernünftige Begründung einzig durch das Karmasystem. Dauernde Leiden und Mißerfolge erbittern und verbittern, dienen also selten zur Läuterung und im wirklichen Leben erhält der geduldige Hiob keineswegs von Jehova nachher noch mehr Kamele und Rinder. Schopenhauers Verschrobenheit, das Leben mache sich unerträglich, damit man einsehe, es solle nicht sein, widerspricht jedem Naturgesetz, übrigens finden Glückverwöhnte es recht angenehm. Wenn er Leiden der Tiere mit heranzieht, die sich doch meist des Daseins freuen, so wird ein Skeptiker spotten, ob auch sie der Wiedergeburt teilhaftig werden, ein Kirchenrohling folgern: Das leidende Tier hat keine Seele, also auch keine Unsterblichkeit, der Materialist aber: Der Mensch ist Tier, hat also so wenig Fortdauer wie das Tier. Antwort: selbstredend hat das Tier eine Seele, vielleicht eine reinere, da bei ihm das Ich sich minder vordrängt. Wer Hunden, Katzen, Elefanten oder gar Pferden und Papageien eine Psyche abspricht, ist ein Narr. Nie machte sich der Buddhismus solches menschlichen Größenwahns schuldig. Sie gehen gerade so ins Astrale ein, finden geradeso eine Wiedergeburt, obschon ägyptische Lehre, der vertierte Mensch kehre in Tierleiber zurück, nicht viel Glauben verdient. Warum sollte ein viel duldendes edles Pferd nicht auf höhere Stufe befördert werden? Karmagesetz gilt für alles Geschaffene, auch für die vom Inder als Lebewesen erkannten Planeten. Die Versündigung der Europäerkirche an der Vernunft rächt sich durch die Unmöglichkeit, dem Skeptiker irgendwelche anständige Lösung des Übels = Dilemmas vorzutragen, während ausgleichende Wiedergeburt den so scharf und nüchtern denkenden Asiaten befriedigt. Es war ein Verhängnis der Christenkirche, daß sie nur verschwommen »Auferstehung des Fleisches« in ihren Katechismus aufnehmen durfte, weil wirkliche Auferstehung der Toten durch Wiedergeburt nicht in den sonstigen Kreis des Aberglaubens paßte, der für Getaufte eine Erlösung fauler Sünder durch einmalige Kreuzigung eines einmaligen Gottsohn voraussetzte. Diese unsolide Firma Gott & Co. ohne Kredit bei der Vernunft kann ihre beschränkte Haftpflicht nicht den ungeduldigen Gläubigern der modernen Skepsis entziehen und müßte daher Pleite machen, worüber der Allgott, dessen heiligen Namen sie gesetzwidrig auf ein mit ihm in keiner Verbindung stehendes Kirchengeschäft übertrug, sich nur freuen mag. Leider möchten auch Emersons beredte Tiraden uns beschwindeln, daß bloßes Rechthandeln den äußern Sieg des Schlechten genug kompensiert. Wenige handeln so recht, daß sie es vor zartem Gewissen verantworten können, es handelt sich fast immer nur um relativ Gutes und da bewahrheitet sich das ethische Naturgesetz. Denn es ist meist falsch, daß der Gerechte besonders leide, meist leidet er verdient, weil er nur unserm mangelhaften Wissen gerecht scheint, und daß der Ungerechte immer floriere. Besonders ungerecht scheint er nur unter falscher Perspektive, der Unterschied ist meist relativ: Führe uns nicht in Versuchung! Auch brauchen nur wenige den Ring des Polykrates zu werfen, denn materielles Gedeihen paart sich selten mit andern Glücksgütern wie Gesundheit, Heiterkeit, Liebe, Ehre, Ruhm, von denen jedes mehr wert ist als Banknoten. Anhäufen alles »Glücks« in einer Person würde zu Übermut oder Blasiertheit führen, also Verderben. Da das Karma sich bestrebt, Kausalgerechtigkeit zu veranschaulichen, so staunt man freilich um so mehr über Einzelfälle, wo man umsonst nach Ausgleich sucht, z.B. qualvollen Tod eines gutartigen Jünglings zur Trauer für viele. Sühnt er damit ein präexistentes Schlechtes, für das keinerlei Anzeichen vorlag? Ist das andern durch seinen Tod zugefügte Leid gerecht z.B. wenn einer Witwe ihr einziger Sohn und Ernährer stirbt? Warum kompromittiert sich das Karma so vorm menschlichen Begriffsvermögen, da Hinweis auf Präexistens in gewissen Fällen kaum gültig scheint?

Daß jede Tat (also auch die schlechte?) sich selbst belohne und daß man nicht Unrecht tun könne ohne Unrecht zu leiden, ist Emersonscher Paradoxenschwulst, nicht ohne eine letzte Wahrheit, die aber kein Orakeln verständlich macht, solange man als moralisierender Yankee die Dinge beschaut, mit Dollaroptimismus zahlungsfähiger Moral Widerwärtigkeiten als Ansporn zu mannhafter »Tugend« preist. Daß Tadel gesunder sei als Lob und böswillige Kritik besser als wohlwollende Achtung, sind Redereien eines Menschen, der eher überschätzt wurde, und dem es am »Irrsinn eitler Einbildung« selber nicht fehlte, wie sein Diktator-Dozieren als Präzeptor mundi austönt. »Die Seele will nicht Häßlichkeit und Leid kennen«? (Essay »spirituelle Gesetze.«) Sie sind aber da, ob sie will oder nicht. Liebe erzeuge immer Liebe? Selbst Sexualliebe ist nicht immer gegenseitig, wenn sie sich mit andern Reizungen kreuzt, und der Mob zerreißt den Liebevollen, der ihn aufklären möchte. Wenn die Natur nur handelndes Bewegen liebt und »unsere Wohltätigkeit und Gelehrsamkeit nicht mehr schätzt als unsere Betrügereien und Kriege«, so wäre dies ethischer Nihilismus. Warum sich dann noch mit Rechthandeln plagen! Auch ist paradox, daß kein Mensch je betrogen werde, es sei denn, daß er sich selbst betrüge. Wohl kann man sich selbst betrügen und doch keine Fähigkeit des Betrogenwerdens haben. Emersons blendende, obwohl oft wirre, Beredsamkeit sagt manchmal Richtiges, doch so aphoristisch, daß er sich oft widerspricht. Auf die lächerliche Behauptung »der Eindruck jeder Schrift auf die Öffentlichkeit mißt sich mathematisch nach der Tiefe ihres Denkens« folgt gleich nachher, daß kein Dutzend Plato lesen, nie genug um eine Auflage zu bezahlen, und das soll für Piatos Einfluß genügen? »Ein Mensch wird genau so geschätzt, wie er wert ist. Wenn er weiß, daß er etwas Großes machen kann, so ist er sicher, daß alle Menschen dies anerkennen«? Diese scheußliche täglich widerlegte Fälschung braucht solche Yankeenaivität, um einen Optimismus vorzuzaubern, den Schopenhauer verbrecherisch nannte und den wir mit Buddha belächeln: »närrischer Mensch!« Auch die süßlich metaphorischen Kapitel über Liebe und Freundschaft belustigen als künstliche Weltfremdheit, die, sich kindlich stellt und vorgibt, sie sehe so viel Schönes. Der Essay »Klugheit« klingt dahin aus, daß Wahrheit, Offenheit, Mut, Liebe, Bescheidenheit alle Weltklugheit seien, die Tugend eine Eintrittsgebühr für persönliches Wohlsein. Im gemeinten Sinne ist das wiederum rasende Schwärmerei. Jeden Schuft und jeden Weltkenner ergötzt der Einfall, daß Wahrheit und Offenheit der klügste Trick im Lebensgeschäft seien. Über »Heroismus« schreibt man am fröhlichsten in der Studierstube. Den Kriegshelden leiten fast durchweg Machtmotive oder Berauschung durch fixe Ideen »Pflicht«, »Königstreue«, »Freiheit«. Sittlich ist nur der Mut, die Wahrheit zu bekennen. Wer das in Amerika beim Weltkrieg tat, wurde angepöbelt, eingekerkert, gelyncht. Die Amerikaner sind also ein feiges Volk, das seinen Heroismus in Phrasentrara austobt und die bewaffneten Sendlinge von Wallstreet als Maratonier auslügt. Steht es anderswo anders? Selbstloser Heroismus widerspricht gänzlich der Menschennatur. Wir zweifeln, ob Emerson seine Stimme erhoben und zur Deutschenhetze nicht bloß schweigend die Achseln gezuckt hätte.

Die »Oberseele« ist Phrasenschemen ohne faßliche Substanz, denn Emerson meint nicht etwa ein transzendentales Ego, sondern eine Weltseele, die sich mit einem Ich in Verbindung setzt. Dagegen hätten wir nichts, doch nicht in solcher Formulierung. Die Abhandlung »Zirkel« betont das ewige Werden, das sich in immer weitern Kreisen um den Innenpunkt Gott schwingt. (Bei ihm nicht so scharf ausgedrückt und in Rhetorik vergraben.) Doch Buddha könnte lächeln, daß diese Zirkel eben sein rundes Rad sind, das sich gleichsam um einen toten Winkel dreht, wir unsererseits können das Bild nur annehmen mit umgekehrter Schwingung, nämlich in immer engeren Kreisen. In Emersons Essays über Intellekt, Natur, Kunst, Erfahrung, Charakter, gute Manieren entdecken wir unter Wortreichtum nur Truisms oder einzelne verständige Sätze wie: »Wir erwarten eine neue Ära von neuen Lokomotiven und Luftballons, doch stoßen dabei auf die alten Barrieren.« Der lange Erguß »der Dichter« erzeugt ein kunstfremdes Gelehrtenideal, wonach Goethe als Verfertiger des Helenaaktes gepriesen wird, greisenhafter Allegorik. Es kennzeichnet den Tiefstand der Europäer, daß Emersons, Carlyles, Ruskins feuilletonistische Rhetorik als Denkoffenbarung gefeiert wurde. Selbst hier ist Dekadenz, gemessen an Früherem, auch Herbert Spencer ein trauriger Abfall. Diese Äußerungen über den von deutschen Phrasenseligen verhimmelten Yankeepropheten bedeuten keine Abschweifung, sondern betonen, daß bei Breittreten des Ichgeists und Ichwillens immer nur verwerflicher leicht widerlegbarer Optimismus unklaren Denkens herausschaut. Buddha, dem Leben gegenüber Pessimist, dem Dhamma gegenüber Optimist, behält recht, sobald man seine Seelenverneinung auf das Ich beschränkt und für die befehdete Vedantalehre, die einseitig zu weit ging, doch ein Residuum des Seelenbegriffs im Unbewußten offen läßt. Hier tritt Myers »menschliche Persönlichkeit« als notwendige Ergänzung ein, das subliminale Selbst, und dem Buddha erwächst ein seltsamer Widersacher in der neusten Erweiterung des Spiritismus. Es sähe sogar so aus, als ob damit seine Karmalehre zusammenbreche.

Die durch den Weltkrieg geborene Bewegung in England, siehe Lodges »Raymond«, Wynns »Ruppert lebt«, Hills »psychische Untersuchungen«, Balfours »Ohr des Dyonisus«, Baretts »Schwelle des Unsichtbaren«, Crawfords »Wirklichkeit der psychischen Phänomene«, Connan Doyles »neue Offenbarung«, bringt das Geisterreich überraschend näher. Die Beweiskette ist so stark, daß man wohl oder übel glaubt, was die Geister über ihren Zustand aussagen. Danach leben sie als Astralkörper weiter, nach Belieben in ihrer oder der Erdsphäre in Nähe von Angehörigen und Freunden, denen sie zu helfen sich bestreben. Daß sie unter Verlust alles Rohmaterials (Sexuelles, Mammon, Rangunterschiede) sonst ganz wie vorher als bestimmte Personen fortbestehen, scheint eigentlich so plausibel wie Dantes Jenseitsinsassen, denn man kann sich nicht vorstellen, wie ein unerleuchtetes Ich plötzlich in ganz verschiedene von allem Irdischen losgelöste Sphäre hineinpassen soll. Dies scheint einerseits, richtig verstanden, ein vernichtender Schlag gegen die Vedantavergötterung der Seele, andererseits Entkräftung der Nichtexistenz des Ich. Wie kann etwas Illusion sein, was als Persönlichkeit den Tod überdauert? Natürlich kann man sich eine metaphysische Erklärung dafür denken, und da die Inder alle Erscheinungen des Spiritismus und der Telepathie seit der Urzeit kennen, so darf man nicht eher urteilen, ehe nicht europäische Spiritisten sich mit asiatischen in genaue Verbindung setzten und von letzteren belehren lassen, was Brahmanisten oder Buddhisten oder Schamanisten über die Geisterwelt wissen. Sobald man sich die Sachlage zu eigen machte, daß die Hingeschiedenen ihr vorheriges Dasein fortsetzen, berührt es nicht mehr abstoßend, daß die Spirit-Engländer immer nur von Christus und auch nie von Reinkarnation reden, da sie nach letzterer ja überhaupt nicht gefragt werden. Diese Spirits bleiben eben im Bannkreis ihrer bisherigen christlichen Anschauung, wie umgekehrt der Inder von Buddha und Reinkarnierung reden würde. Auch indische Lehre nimmt ja ein Interregnum zwischen Wiedergeburten an. Wenn jetzt ein englischer Spirit bekundet, daß man aus diesem zeitlich kurzen Zwischenstand in höhere Sphäre aufrücke, so ließe sich dieses höchstens so verstehen, daß es für ein Bruchteil gilt, während die übrigen sich reinkarnieren müssen. Denn wodurch hätten sie Befugnisse und Fähigkeit, sich so bald irdischen Banden zu entziehen, dauert übrigens in höherer Sphäre ihr Ich lustig weiter? Daß es keine Hölle gibt, braucht man nicht zu versichern, doch wäre es Fegefeuer genug für die Masse der gestorbenen Materialisten, wenn sie sich, alles Sinnlich-Körperlichen entkleidet, in eine so fremde Welt versetzt sehen, wo nichts mehr an irdische Torheit und Gemeinheit erinnert und wo sie mit ihrem untergeordneten Verstand nicht auskommen. Indessen scheint plötzliches Absterben sonst allbeherrschender Triebe nicht unnatürlich, denn das Sexuale steckt in den Organen, wie Eunuchen und die meisten Greise wissen, Rang- und Geldgier in den Gesellschaftszuständen, und wo dies alles aufhört, regieren »Hunger und Liebe« nicht mehr. Es scheint Ausgleich genug, daß der höher Geartete sich unbewußt für seine künftige Heimat besser trainierte und sich dort sofort glücklich einbürgert, während der Niedrige anfangs sich wie in ungewohnte Fremde verbannt findet und sich nur schmerzhaft anpassen kann. Seine geringe Fähigkeit, im Immateriellen zu wohnen, bereitet ihn aber sicher nicht für noch höhere Sphären vor. Er wird gleichsam nur einen Vorgeschmack der Wahrheit erhalten und vielleicht in diesem Zwischenstand sich halbwegs wählen dürfen, wie er zur Sühne hernach wieder als Erdenbürger erscheinen wolle. Bei Hervorragenden steht dies wohl weniger im Belieben, sondern sie müssen erneut ihre Erdenrolle spielen, weil sie dort für bestimmte Zwecke gebraucht werden. So ungefähr darf man sich's zurecht legen, wenn man sich damit befreundet, daß sowohl der vorläufige Spiritzustand als spätere Reinkarnierung der Weltvernunft entsprechen. Indessen bedürfen wir viel mehr Beispiele, als Spiritforschung sie bisher lieferte. Auffälligerweise treffen wir nirgends Erzählungen von Geistern, die überschwer auf Erden litten. Mit der Behauptung, Leiden sei Buße für vergangene Schuld oder Erbsünde, kommt man nur aus, wenn man die Augen vor dem Leiden relativ braver Menschen schließt, deren Wesen es unglaubhaft macht, daß ihre Präexistenz sie mit nennenswerter Schuld belud. Sollte sich Buddha diese Lösung etwas bequem gemacht haben? Keinenfalls steht Leid stets in genauem Verhältnis zur Schuld, Gerechtigkeitssinn mag sich damit trösten, daß materielle Unlust den Immateriellen als unerheblich gilt und oft die »Wonne des Leids« bei unheilbar Kranken seelische Lust vorschreibt. Auch gibt es die mögliche Erklärung: übermäßiges zum Tode führendes Leiden, wie das Weltkrieggeschlecht es in verschiedsten Formen erfuhr, entrückt solche Opfer noch viel größern Leiden, die sonst kausal unabwendbar wären, und schafft sie rasch in ein besseres Jenseits hinüber. Wie eine französische Kriegsmeldung so schön sagte: »Die beste taktische Lösung schien der Rückzug«, so scheint hier Rückzug aus dem Diesseits die beste Lösung. Solange die Menschheit sich solchen Auffassungen nicht anbequemt, was das Christentum nur unlogisch versucht und der Buddhismus nicht restlos erfüllt, muß Verzweiflung der Sterbenden und Hinterbliebenen das Diesseits zur Hölle machen. So sehr wir Schopenhauers entnervende Daseinsvergiftung mißbilligen, so empören wir uns doch mit Recht gegen die frevelhafte Schönrederei eines Emerson und Genossen, die ihren persönlichen behaglichen Lebenslauf für das Normale halten und den durchschnittlichen liebenswert mit einer Verkennung der Wirklichkeit aufbauschen, die jeder Erfahrung Hohn spricht. Von außen wie von innen gesehen wird die moralische Weltordnung zwar immer im großen, doch nicht immer im kleinen so erkennbar, wie Buddhas Dhamma es verlangt, und redliche Denker dürfen nicht Verbitterten glitzernde Steine als Brot reichen. Den Heüspfad können nur wenige betreten, selbst christlichen Heiligen wie Franz von Assisi fiel ihr Einsiedeln notwendig schwerer als im weit günstigeren indischen Milieu. Die These, Leid bereite am besten für immaterielles Jenseits vor, versagt zwar oft nicht, doch umgekehrt verteufelt oft die Not erst recht die irdische Schwäche. Auch darf die vorausgesetzte absolute Gerechtigkeit vom Durchschnittsmenschen nicht mehr verlangen als seine Sansaraverstrickung leisten kann. Vom modernen Europäer darf man noch weniger Innerlichkeit erwarten als von irgendeinem früheren Menschen,– subjektiv entschuldigt ihn also die Schlechtigkeit seines Milieu. Tolstoi hatte gut reden, sein gleichmäßig Kunst und Sinnlichkeit hassendes Urchristentum wuchs nur unter barbarischen Muschiks als möglich. Sind Schwächen nicht manchmal Bedingungen von Kräften, wie Sinnlichkeit beim Künstler, der ohne sie nicht sinnlich gestalten könnte? Wer wie Tolstoi vom Kunstwerk Moral heischt, arbeitet dem Philister in die Hände, es ist unwahr, daß Kunst ein ethisches Ideal voraussetze. Bei höchsten Erscheinungen trifft dies zu, doch wäre lächerlich, immer nur das Höchste als Maßstab zu nehmen. Solche Enge führt zur Verwechslung des Schöpferischen mit dem Moralischen, so daß Dante und Milton ihrer Moraltendenz halber zu den Großschöpfern gerechnet werden. Selbst als Allegoriker steht Milton unter den Heiden Shelley und Keats wie dem schlichten Bibelchristen Bunyan, der wenig moralische Bums als Dichterkraft über allen diesen, und wenn der moralinsaure Carlyle ihn über Byron stellt, weil er dessen Ethik nicht versteht, so läßt er sich auslachen. Byrons Kain ist in wunderbarer Jugendfrische so religiös wie eine Hymne der Urzeit, Miltons Paradies nur ein dürrer Kanzelsermon. Tizian und Mozart, bei denen heitere Sinnlichkeit überwiegt, sind geradeso genial wie Buonarotti und Beethoven, und d'Annuzzios virtuose Unsittlichkeit ändert nicht sein Dichtertum. Nun wohl, wie setzt sich Buddha mit dem Ästhetischen auseinander, das noch jeder Philosoph von Plato bis Schopenhauer (obwohl Plato den Künstler aus seinem Musterstaat verbannen wollte) als Kalon-Agathon für eine Wurzel der Idealität hielt, weil wunschloses Anschauen, das wir beim Urmenschen als Urtrieb erkennen, geradezu als Vorstufe des Nirwana zu betrachten wäre? Wenn christliche Askese (Savonarola) die Kunst als lüsternes Teufelswerk verdammte, so hat ihre unfruchtbare »Wollust des Leids« sich damit selbst gerichtet. Doch es macht nachdenklich, daß trotzdem Buddhismus und Christentum die Kunst zu eigenartiger Entfaltung brachten. Der Schaffende steht dem Naturgesetz ewigen Schaffens weit näher als der Moralist, noch in wüster Verirrung stehen ihm Inspiration und Intuition eher zu Gebot als andern. Wie will man ihm mit gewöhnlicher Ethik beikommen, da laut Lamartines Napoleons-Wertung »Genie vor Gott vielleicht die höchste Tugend ist?« Wir bezweifeln nicht, daß Buddhas Weg zum Heil der sozusagen geometrisch gradeste sei, wohl aber, daß sein Weltbild sich mit der höchsten Realität decke. Man wird den Genialen zwar nicht für einen über menschliche Ethik erhabenen Sendung aus »Dewachan« halten, sein Wesen aber fügt sich der Dhammaethik nicht ein, sonst müßte er auf sein Schaffen verzichten, was ihm unmöglich ist. Unter welche Kategorie fällt sein Übel und sein Leid? und da er wie kein anderer seine Persönlichkeit ausbilden muß, so müßte man in ihm den ärgsten Vertreter des Ichs verabscheuen, was nur ein alberner Bettelmönch und gewiß nicht Buddha oder Christus lehren würden. Warum melden sich bisher nur untergeordnete Spiritpersonen, nicht abgeschiedene Geniale, von denen wir Wichtiges vernehmen könnten?

Wir kommen nicht weg über das subliminale eigenste Selbst im Gegensatz zum Ich, dieser Leihgebühr der Materie, und nun führt gar der Spiritismus das ordinäre Wald- und Wiesen-Ich in den Kreis des Jenseits ein. Denn bisher bot dieser Seelenkult nur Beweismittel für Fortdauer des gewöhnlichen Durchschnittsich, was wir freilich für noch naturgemäßer halten als dessen unvermittelte Erhöhung ins Subliminale, das nur im Nirwana ganz frei werden könnte. Die Erlösung der Ichillusion von sich selbst ginge also nicht so glatt vonstatten wie auf dem Heilspfad, den Buddha empfiehlt. Doch Spiritismus als neue Religionsgrundlage – ist er neu, kannten ihn nicht nachweislich schon die Antiken und laut Doyles Nachweis auch die Urchristen? – bedarf sorgfältiger philosophischer Sichtung, um vor verhängnisvoller Überschätzung und Enttäuschung zu bewahren. Paulus warnt vor bösen listigen Geistern, die im Gewande guter Geister uns hintergehen, wobei er augenscheinlich damalige spiritistische Seancen im Auge hat, dies seltsame Phänomen der Hintergehung wird von heutigen Spiritisten erfahrungsgemäß anerkannt. Ist so etwas möglich, was schützt dann vor Irrungen? Wer weiß umgekehrt, ob angebliche Irrgeister immer Unwahrheit sagen, selbst wenn sie uns manchmal in April schicken? Die englischen Spirits, überzeugte Christen, bekennen, daß sie bisher Christus nie zu Gesicht bekamen, und wenn andere Spirits sich spöttisch über Christentum äußern, so mag ein englischer Pastor dies natürlich als untrügliches Zeichen betrügerischer Geister ansehen, ein Buddhist ist vielleicht anderer Meinung darüber! So einfach können die Dinge nicht liegen, daß alles von Menschen Vorausgesetzte sich in der Geisterwelt als objektiv richtig bewährt. Gewiß wäre Doyle befugt, als vereidigter Detektiv den Indizienbeweis für Spirits zu führen, doch das Bedenkliche entging seinem Spürsinn, daß er dort nur Geist von seinem Geiste findet. Alle im Weltkrieg Gefallenen vertraten bisher den gleichen kindischen Standpunkt wie der Jingoimperialist Doyle selber. Nicht als ob man gewagt hätte, uns fröhliches Bekenntnis der Geister vorzusetzen, daß sie für Freiheit und Recht fielen. Doch schweigen sie auffällig über diesen Gegenstand, der ihnen so nahe liegen sollte, kein Beschwörer stellt ihnen die Frage, ob England für Ideale focht. Die Pflicht guter Geister wäre, Lebenden die Augen zu öffnen. Schweigen sie vorsätzlich, so steht's mit Befreiung von Erdlüge nicht gut. Sprachen sie und ihre Anhänger schweigen es tot, dann steht's schlimm mit dem ethischen Einfluß, den man verspürt haben will. Raymond Lodge müßte dem Vater sagen: »Wir hier drüben sehen den Weltkrieg anders an als ihr drunten. Wir Engländer verkehren hier mit deutschen Brüdern und seufzen zusammen über die Lügen, mit denen man uns köderte. Warne unsere Regierungsstreber, daß sie Gott nicht belügen können.« Dann würden zwar sämtliche Jingos den Geist oder dessen Vermittler des Hochverrats zeihen, wir aber die moralische Ordnung der Geisterwelt bewiesen finden. Doch nach bisherigen Proben vermuten wir, daß auch deutsche Gefallene »Gott strafe England« anstimmen würden. Solange solche Verewigte gleiche Ichverstocktheit besitzen wie irdische Angehörige, scheint ihr ethischer Stand wenig geeignet, religiöse Gefühle zu wecken. Raymond meint, überirdische Industrie könne Tabak und Alkohol aus Äthersubstanzen herstellen, was Presseidioten zum Gelächter reizte, doch steht dies ganz im Einklang mit so menschenähnlichem Milieu des Geisterreichs. Ohne subjektive Wahrhaftigkeit zu bestreiten, stellen wir anheim, ob man geistig so wenig vorgeschrittenen Geistern transzendentale Wahrheit zutrauen könne. Vor Pazifisten bekennen sie sich als Pazifisten, biedern Haudegen rufen gewiß die Gefallenen zu: Feste druff für König und Vaterland! Besteht da nicht die Möglichkeit, daß zwischen äußerlich gereinigtem Jenseits und einem Diesseits, dessen verbesserte Kopie solch Astralreich nur vorstellt, gedankenübertragende Wechselbeziehung herrscht? »Beten« und »Liebe« sind theologischer Phrasenbrei, zu dessen Auftischung wir keiner Geister bedürfen, bisher sprach noch kein Jenseitiger ein bedeutendes Wort. Daß die von Medien zitierten Cäsars und Shakespeares wie dumme Jungen reden, wird als Hinterlist maskierter Elementals ausgelegt. Doch wenn laut neuester Geisterrapporte Längstverstorbene überhaupt nicht zu uns reden können, weil schon in höhere Sphäre aufgestiegen, so gewinnen wir wenig durch Verkehr mit lauter mittelmäßigen »Seelen«. Warum erscheinen nicht die »prominenten« Weltkriegtoten Kitchener, Wilson, der Zar und sagen über sich reuig das Nötige aus? Die »neue Offenbarung« kann nur für solche wichtig sein, deren verbildete Blindheit die Selbstverständlichkeit der Fortdauer leugnete. Diese würden sich bis zuletzt widersetzen, die Gläubigen aber sich aus den Kreisen rekrutieren, die sonst jedem Kirchenhumbug anhingen. Den Denker langweilt handgreifliche Vergröberung von intuitiv viel besser Gewußtem. Daß Geisterverkehr nichts fruchtet, wußte schon Jesus, in dessen Zeitalter man daran glaubte und doch in Narrheit verharrte. Wir warten zunächst, was indische Geisterseher von ihrer höheren Warte zu berichten haben und ob sich ein Geist meldet, der einem Denker etwas Entscheidendes zu berichten hat. Bis dahin sind die astralischen nur Spiegelung menschlicher Poltergeister. Wenn ein griechischer Weiser das Universum unverfroren »eine Statue des menschlichen Intellekts« nannte, könnte ja auch Geisterspuk ähnliche Statuen vorstellen. Dies Jenseits fließt zu sehr ins Diesseits über, als daß wir ihm höhere Offenbarung verdanken könnten. Gleichwohl haben wir uns mit ihm abzufinden, die andrängende Masse der Phänomene läßt uns keine andere Wahl. Nach Fallenlassen der nur für Unwissende glaubbaren Schwindeltheorie könnte man das Ganze für Selbsthypnose erklären, wovor sich natürlich alle bekehrten Physiker und Skeptiker ursprünglich durch Vorsichtsmaßregeln hüteten. Das Gedankenübertragungsexperiment, von dem jeder Wissende unzweideutige Proben bekam, erfolgt aber auch ohne jede konkrete Hypnose durch Fernwirkung und flößt dennoch nicht nur wirkliche Vorsätze und Handlungen, sondern sogar sichtbare Halluzinationen ein. Jede Selbsthypnose oder jede Telepathie als Ursache des Spiritismus würde uns, falls man eine Geisterwelt dabei ausschließt, in noch tiefere Geheimnisse stürzen. Nur die Vedantavergötterung der Seele könnte sich darauf berufen, weder Materialismus noch Kirchenchristentum gewinnen etwas durch solche Auslegung und wir raten ihnen, lieber wie Kinder, die immer das gleiche eingelernte Sprüchlein herleiern, bei der Schwindeltheorie zu verharren. Lodge und die ihm gleichgesinnten Physiologen leiden natürlich wie Crookes und Wallace an Gehirnerweichung, auch Doyles Meisterdetektiv Sherlok Holmes ist ein kritikloses Opfer von Einbildungen, denn sonst würden die Geschäfte von Wissenschaft und Kirche gestört und das wäre der Weltuntergang, nicht wahr? Gewiß reden alle nur wie Blinde von der Farbe, die vor telepathischen Sehen die Augen schließen, so steht's auch beim Spiritismus. Doch ob dessen subjektiv einleuchtende Erscheinungen als objektive Realität aufgefaßt werden dürfen? Fortdauer der gewöhnlichen Iche verletzt zu sehr gewisse Grundregeln der Erkenntniskritik. Eher könnten sonstige »Geister«, nicht Verstorbene, die Iche personifizieren in Kontakt mit Selbstvorstellungsfähigkeit des menschlichen Unbewußten. Liegt nicht Analogie dafür vor beim Genie, das aus scheinbarem Nichts ein sichtbares Etwas schafft? Das würde freilich den Materialismus noch viel tödlicher treffen, denn damit würde schlechtweg alles Illusion, Sichtbares und Unsichtbares, als wahres Ding-an-sich bliebe nur übrig selbstherrliche Psyche, deren Vorstellungskraft keine Grenzen kennt und die im organischen Leben als anonymer stiller Partner doch der eigentliche Prinzipal wäre. Da wären wir wieder bei jenem Unnennbaren, dessen Erörterung Buddha verbot, weil unsere praktische Vernunft alles uns Unverständliche mit wohltätigem Schleier deckt, sonst müßte das im Weltprozeß nötige Geschäft menschlicher Lebensfunktionen sich insolvent erklären. In letzter Instanz fallen Vedanta und Buddhismus doch zusammen, da Nirwana auf Selbstbefreiung des Selbst beruht. Späterer Beleuchtung, wenn wir uns europäischem System zuwenden, bleibt aufgespart, beide indische Gedankenkreise zu verknüpfen und innerhalb ihrer dem Spiritismus die richtige Stelle anzuweisen. Wie dieser bisher erschien, kann er nur eine Seite des Transzendentalen bedeuten, nur eine Stufe der Jakobsleiter, die ins Allerheiligste führt. Im Grunde meinte Buddha nur, daß für das illusorische Ich der Seelenbegriff untauglich und alles Spekulieren müßig sei, weil alles jenseits des Bewußtseins unerforschlich bleiben müsse. Dies war sein Amt als praktischer Heilslehrer. Doch lehrte er nicht zugleich, wie der Mensch durch Selbsthypnose gleichsam sein eigentliches Selbst entdecke, d.h. seine wirkliche Seele finde? Indem er streng rationalistisch Ich und Dasein im Wechsel und Werden auflöste, mündet sein Nirwana gleichwohl genau in die Vedanta. Zwischen Upanischaden und buddhistischen Bekenntnissen besteht volle Übereinstimmung der Aussage. Zu guter Letzt kann sich Buddha wirklich nicht dem Einwurf entziehen, daß er selbständige Psyche ganz im Sinne materialistischer Psychologie leugnet und dennoch dem flüchtigen Ich selbständige Befreiungskraft zuweist, sich zu Dauerndem und Positivem zurückzufinden. Nur übersieht die Kritik, daß er dies als rein naturgesetzlich auffaßt, sobald das Ich einmal auf den richtigen Pfad des Heils instradiert sei. Doch warum läßt es sich auf diesen Pfad leiten? Dafür setzt Buddha die Vorbereitung der Wiedergeburten ein, doch auch dies Kausalgesetz bestätigt die Selbstbestimmung eines geheimen Selbst und tastet nicht ständiges »Dasein« einer Seele an, da »Werden« doch nur dem Ich zukommt. Jede als fester Religionskult erstarrte Lehre verfällt dem Fluch, der christlichem Kirchentum den Garaus machte, daß die Anhänger sich willenlos an das Wort binden, einmalige Offenbarung einer Wahrheit. Buddha war für sein Zeitalter und indisches Milieu um so mehr berechtigt, apodiktisch und kanonisch zu lehren, als die Praxis ihm bis heute Recht gibt, d.h. durch ihn bis heute Milliarden Menschen das Heil fanden. Doch die Richtigkeit seiner Mittel beweist noch nicht das Absolute ihrer philosophischen Begründung. Käme er heute wieder und gar als Europäer, so würde er wohl anders sich ausdrücken. Späterer esoterischer Buddhismus der Geheimlehre (Blavatzky) nahm erneut die Vedanta in sich auf und muß betont werden, daß Spiritismus sich noch eher mit Vedanta und am meisten mit christlicher Kirchenanschauung vertrüge, da letztere das Fortbestehen des Ich voraussetzt. Doch gerade dies macht den christlich abgestempelten Spiritismus verdächtig, nicht bezüglich seiner eigenen Ehrlichkeit und anscheinenden Richtigkeit seiner Enthüllungen, sondern bezüglich seiner subjektiven Beschaffenheit. Zu auffällig bleibt hier gegenseitiges Wechselverhältnis von Frage und Antwort, von Spiritaussage und menschlicher Entgegennahme. Wer übt hier Gedankenübertragen, Spirit oder Mensch, oder sind beide nicht zu trennen, so daß die Geisterwelt des Engländers anders wäre als die des Franzosen? Das wäre an sich nicht unnatürlich, würde aber mindestens halbe Subjektivität des Phänomens beweisen.

Moltkes vertraute Nichte versichert, sie habe lange im täglichen Verkehr mit dem Verstorbenen gestanden, der selber oft die Nähe seiner verstorbenen Frau zu spüren glaubte. Vor dem Weltkrieg habe er plötzlich gesagt: »Ich komme nicht mehr, muß weiter reisen.« Auch geht die Sage, zwei Offiziere hätten ihn zur Stunde seines Todes aus dem Generalstabsgebäude treten sehen, die Wache präsentierte. Also ein astraler Spaziergang von Emmaus?! Das deckt sich mit andern Überlieferungen, wonach Leute an der Stelle ihres Wirkens in ihrer Todesstunde sichtbar bemerkt wurden oder Nahestehenden, an die sie beim Sterben dachten, greifbar erschienen. Was soll man dazu sagen? Wo hört hier das Subjektive auf und beginnt das Objektive oder sind beide eins, die Astralspiegelung und der Schauende oder Hörende?

Im überaus geistreichen, daher wenig bekannten Humoristenbuch »Der Professor am Frühstückstisch« des Bostoniers O. W. Holmes stoßen wir auf den gelegentlichen Einfall, Gedanken seien so unzählig wie Blutkörperchen. Daraus könnten wir unsererseits ableiten, daß jeder Gedanke sich als Blutkörper, jeder Blutkörper als Gedanke darstellt und daß sie in Wechselbewegung stehen. Da folgert der Materialist: weil Gedanken aufhören, sobald Blutkörper nicht mehr rollen, so zerstört Tod das Psychische mit dem Physischen. Genau mit gleichem Recht sagen wir: weil die Gedanken sich nicht mehr bewegen, hört die Blutzirkulation auf. Denn es ist absurd, daß Blutzirkulation eine geistige Welt erzeugt, welche Blutmystik wieder nur ins Unbegreifliche führen würde, obendrein physiologisch falsch, dagegen umgekehrt richtig, daß psychische Bewegung vom Gehirn aus die Blutmaschine in Bewegung setzt. Dem Blut kommt nur die Funktion der Ernährung zu für etwas außer ihm Seiendes, nämlich das unsichtbare Gehirnleben. Organisches Nervensystem speist sich mit selbsterzeugtem Blut auf Befehl der Psyche, der Begriff Mechanik reicht selbst hier nicht aus. Auf so schwachen Füßen steht jede Kraftstoffelei, übrig bleibt nur, daß eine apriorische Psyche des Blutes, d.h. der Materialisierung bedarf, um Ichbewußtsein zu bilden. Daß Hirnnerven das Blut bewegen, lehrt die einfachste Empirie: Gemütsbewegung steigert oder hemmt die Herztätigkeit, was aber umgekehrt nur das physische Wohlsein beeinflußt, nicht im geringsten den Stand der Psyche. Daß ein Körper ohne psychische Bewegung lebt, ist ausgeschlossen, dagegen ganz denkbar, daß eine Psyche ohne Körper lebt. Doch wenigstens ihr Ichbewußtsein scheint zweifellos ans Körperliche gebunden, wie kann es also im Spirit ohne Blutzirkulation weiterdauern? Handelt es sich vielleicht um ein Gesetz des Entgegenkommens, in dem Natur oder Allseele ein dem Ich verständliches Sinnbild der Fortdauer darreichen? Das braucht sich keineswegs mit Wirklichkeit jenseits des Ich zu decken. Relativitätstheorie wird auch hier am Platze sein, jede Spiritmanifestierung entspricht dem empfangenden Ich, dem dabei das Unbewußte zeitweilig unvollständig zu Hilfe kommt. Das Weltreich der Illusionen scheint von Realität nicht zu trennen, alles ist Illusion und alles ist Realität, alles subjektiv und alles objektiv, Spirit und Ich sind gleich real, beide illusorisch dem Bewußtsein angepaßt. Doch Flüchtigkeit des Ich als Sinnbild des Selbst und des Spirit als Sinnbild des Jenseits beeinträchtigt nicht, daß hinter Sinnbildern ein Etwas, unter »Werden« ein »Dasein« steckt.


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