Karl Bleibtreu
Der Aufgang des Abendlandes
Karl Bleibtreu

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III

Wenden wir nun das Gesetz der Wiedergeburt »nicht derselbe und doch kein anderer« an, so muß nochmals gewarnt werden vor der Buddhas Meinung zuwiderlaufenden Verdrehung in Gjellerups Roman »Weltwanderer«, als ob genau die gleichen Personen nur in etwas anderem Kostüm in gleicher Gruppenbeziehung untereinander ihr früheres Schicksal nachäfften. Das widerspricht der Kausalität, da die hinterlassenen Handlungen jedes Einzellebens notwendig auf das Nachfolgende verändernd abfärben. Nichtsdestoweniger wird für Tieferblickende eine innerliche Identität der auseinanderfolgenden Iche bemerkbar, die sich mit buddhistischer Wegleugnung des Selbst nicht verträgt. Wie steht es mit Buddha selber, da die Buddhas doch als zweifellos Buddhaselbste sich reinkarnieren? Lehrt nicht die Blavatzky, daß besondere Rüstzeuge des Schicksals wie Alexander und Napoleon sich, wenn die Zeit erfüllt, reinkarnieren müssen, und wird nicht gleiches überhaupt vom Genie vorausgesetzt? Ein Naturgesetz kennt keine Ausnahmen, gleiches muß für jeden unbekannten Durchschnittsmenschen gelten, nur daß uns für dessen Wesen und Handlungen alle Merkmale der Beobachtung fehlen. Auch er besitzt eine, obschon schwach ausgeprägte, Persönlichkeit und begeht Dinge, die sich astral vererben, nicht auf seine leiblichen Nachkommen, denen sein Karma oft nicht anhaftet oder nur äußerlich. Die »Wiederkehr« selber, die auch der Alleszermalmer Nietzsche als Tatsache anerkannte, drängte sich seit ältesten Zeiten auf, und die halbwahre Vererbungstheorie als Übersetzung einer psychischen Tatsache ist nur ein faßliches Sinnbild einer größeren und verwickeiteren Transzendentalerscheinung.

Wir können die Wiederkehr der Karmavererbung nur an bedeutenden Persönlichkeiten studieren und wählen wir hier ein bestimmtes Beispiel, das wir vor Augen haben, ohne es durch Namen zu verdeutlichen. Der halbgeniale A wird als ganzgenialer B wiedergeboren, B als umstrittener C. Ein Oberflächlicher würde frischweg erklären, dies sei Fiktion, er sehe im Äußeren und Innern, Milieulebenslauf und Werkform der drei keine Ähnlichkeit. Ein Besserwissender würde indessen bekennen, daß hier Ähnlichkeit in der Verschiedenheit bemerkbar sei, derart, daß bei B bestimmte Anhalte (z.B. Lektüre der Mutter während der Schwangerschaft) zu A hinüberführen und B auch wirklich mehrfach mit A verglichen wurde, ähnlich C im Verhältnis zu B. Dies bezieht sich auf geistige Strukturen und Impulse. Physisches Äußere scheint bei den drei verschieden, doch erkennt ein Tieferprüfender selbst hier Zeichen der Ähnlichkeit in Anlage und Aufbau. So äußert sich z.B. die Sinnlichkeit anscheinend verschieden, bei B alles sublimierter und vornehmer, doch offenbar nur gemäß seinem bevorzugten Milieu, der Grundtrieb souveränen Wegsetzens über bürgerliche Moral bei allen gleich nebst Auflehnung gegen Familienpflichten, obwohl in sehr verschiedener Form. Das besondere Temperament, schwankend zwischen wohlwollender Offenheit des Idealisten und krankhaft gesteigertem schwarzgalligem Mißtrauen realistischer Erfahrung, deckt sich bei allen drei. Schwächere Abarten dieser heftigen Temperamente kommen natürlich auch sonst vor, doch die besondere Eigenart der drei wiederholte sich bisher nie, verknüpft mit revolutionären Haß gegen die Gesellschaft. Ist nun der Ausnahmecharakter der drei gänzlich identisch, so scheint Ausdrucksform ihrer Werke verschieden, besonders bei A und B. Aber auch hier liegt nur Verschiedenheit der äußeren Lebensstände vor, infolgedessen A eine für seine Zeit und Rasse passende Form wählte, B eine andere seiner eigenen Zeitströmung. Doch das Polemische, die Neigung zu rhetorischem Disputieren und Herausfordern findet sich deutlich bei B wie bei A und C, während umgekehrt der düstere Propagandist A zeitweise in überschwenglicher Schwärmerei schwelgte und bei beiden die Leidenschaft die gleiche sexual-platonische Ekstase zeigt. Die wahre geistige Identität ist also so groß wie die charakterologische, während C geistig eine Mischung von A und B bedeutet, äußerlich umfassender in Formen und Wissen, scheinbar in mancher Ausdrucksweise verschieden und dennoch der nämliche. Die A und B gemachten Vorwürfe, manchmal richtig, doch größtenteils oberflächlich borniert, trafen genau so C. Dieselbe glühende Phantasie, derselbe zersetzende Verstand paaren sich bei allen drei, die Phantasie bei A am schwächsten, auch bei B und C mehr reflektiv als sinnlich gestaltend. Allen gemeinsam begeisterte Hingabe ans Transzendentale, gleiche Entwicklung von natürlichem Wohlwollen zu kalter Menschenverachtung durch bittere Weltkenntnis, was gleichmäßig ihren Gegnern zu verläumderischen Zerrbildern Anlaß gibt. Die beißende Ironie und gallige Satire bei B und C ist nur Umsetzung düsterer Bitterkeit bei A, immer Gleichheit bei schwacher Verwandlung, allgemeine erstaunliche Identität. Dagegen gleichen ihre äußeren Milieubedingungen und ihr Lebenslauf sich anscheinend nicht, aber auch dies ist Schein. Zunächst fällt auf, daß alle drei jeder in besonders bedeutende historische Phasen fielen, die nur zeitlich sich unterscheiden, sonst absolut gleich, wobei merkwürdigerweise Phase 3 geradeso eine verstärkte Mischung von Phase 1 und 2, wie C eine wunderliche Mischung von A und B. Diese drei innerlich identischen Zeitläufte (Manwantara, Zusammenbruch der alten Gesellschaft durch Krieg und Revolution) paßten aber allein fürs Wesen von A, B, C. Bei solcher überraschender Identität des Milieu in höherem Sinne wäre also belanglos, ob das äußerliche soziale Milieu der drei Revenants wirklich verschieden wäre. Aber ist dem so? Leider können wir nicht deutlich werden, weil man sonst erraten könnte, wer mit den drei gemeint, und das wünschen wir aus Gründen nicht. Dazu kommt, daß A und B genau, wenn auch nicht immer richtig, in ihrem Erdenwallen bekannt, C nicht oder zu wenig. Des letzteren persönliches Milieu würde, wenn richtig bekannt, wieder als Mischung aus dem von A und B erscheinen, sinnreiche Verschmelzung äußerlich entgegengesetzter Bedingungen. Das bezieht sich sogar auf äußere Würdigung und Weltgeltung, die weder derjenigen von A noch B quantitativ gleich und dennoch qualitativ die nämliche ist. Die Widersacher von A waren auch die von B, die von C in wenig veränderter Form die von A und B, denn diese Verfolger werden geradeso wiedergeboren wie die für A und B Begeisterten, nur mit dem Unterschied, daß jenen bei Lebzeiten ein Teil des großen Haufens anhing, während der andere sie grimmig befehdete und beschimpfte. Bei C blieb das Maß der Anhänger und Beschimpfer viel kleiner, dafür die Lobpreisung durch einzelne Erkenner noch maßloser. Die persönliche Verfolgung blieb ziemlich aus wie umgekehrt das weltweite Aufsehen. Denn es spielt bei Obigem auch das Temperament der verschiedenen Rassen mit, der A und B angehörten. Wir erwähnten noch nicht, daß A, B, C jeder einer anderen Nation entstammten: um so beweiskräftiger für Karmavererbung ihre geistige und Charakter-Identität. A hatte übrigens anscheinend noch einen präexistenten Vorläufer in der Nation von B, von gleicher revolutionärer Bitterkeit bis zu genialem Irrsinn, dessen geistige Art mehr in B und C als in A zum Wiederdurchbruch kam. Dieser Vorläufer, den wir diesmal mit richtigem Namen S nennen wollen, stand an wirklicher Bedeutung hoch über A, obschon minder berühmt.

A schwärmte für die Nation B, in der er als B wiedererstand, B hielt viel von Nation C, in der er dann wiederkam. Jeder haßte mehr oder minder die eigene Nation, wie denn C sich allzeit nach Nation B zurücksehnte, gegen die B sich aufgelehnt hatte. A wünschte notorisch der Nation B anzugehören, B pries Nation C für geeigneter, ihn zu verstehen. Beider Wunsch erfüllte sich, doch A wurde als B nicht glücklicher, und B als C lernte alle Unarten der ohne wirkliche Kenntnis gewünschten Nation C kennen. Wenn C wünschen würde, zu Nation B heimzukehren, so würde er nur das frühere Schauspiel des B wiederholen in nur rassemäßig veränderter Auflage. Die Beziehung der drei untereinander entbehrte nicht mal handgreiflicher Berührung ihrer Lebensaufenthalte. B, der unverhohlene Vorliebe für das zur Rassengruppe A Gehörige verriet, sah sich unversehens an zwei fremde Orte versetzt, wo einst A hauste, und gedachte des A, als er buchstäblich in dessen Fußstapfen wandelte, mit so leidenschaftlicher Inbrunst, als wäre A sein Doppelgänger – was ja ganz richtig war. Ähnlich fühlte sich C, als er B geistig kennenlernte, elektrisch durchzuckt mit unbeschreiblicher Empfindung, als schaue er sich selbst im Spiegel, auch erwachte in ihm an vaterländischen Orten des B deutliche Erinnerung, daß er dies alles schon mal gesehen habe. Es wäre wertvoll, nachzugehen, wie der oben angedeutete S in Weltstadtverderbnis nach Natur und schlichten Verhältnissen schmachtete, was ihm im A gewährt wurde (beider äußere Herkunft gleich plebejisch), auf den die Händel des S übergingen, während dessen intime Privattragödie mehr auf B abfärbte. Man darf wohl kaum als Zufall betrachten, daß A, B, C durch Schicksalsfügung ohne eigenes Zutun lange nach gleicher südlicher Zone verschlagen wurden in wichtigen Epochen ihres Lebens. Übrigens darf nicht vergessen werden, daß B, so sehr sein späteres Milieu von dem des A abstach, als Knabe in fast gleicher Misere aufwuchs und wenigstens seine pekuniären Verhältnisse trotz sonst glänzender Stellung noch lange unsichere und bedrängte blieben. Bei C waltete auch hier wieder Mischung der Daseinsbedingungen von A und B.

Wenn B von A allerlei Schmutz erbte, so verfolgte ihn deshalb ein Karmafluch und wir vermuten, daß dunkle Flecken in A's Erdenwallen sich bei B wiederholten, obwohl in vornehmerer Form. Dagegen hinterließ er umgekehrt – nicht A, der in Schmerz und Schmutz nur indirekt Großes wirkte – viel erhebende Handlungen und gute »Werke«, büßte bitter und tilgte so Teile der Karmaschuld gründlich. Infolge dieser besseren Erbschaft entfaltete C, obschon nach Menschenbegriffen in der Hauptsache mit weit mehr Grund verbittert als A und B, die sich fälschlich als Verkannte fühlten, ungebrochene Widerstandskraft bis in weit höheres Alter, vom Karma begünstigt in einem viel wichtigeren Lebensfaktor, in welchem A und B das schlimmste Fiasko machten. Könnten also A und B ihre Wiedergeburt als C betrachten wie etwas Fremdes, so würden sie urteilen, C sei sicher glücklicher als sie, obschon die Welt, wenn sie von A, B, C alles richtig wüßte, schwerlich dieser Meinung wäre. Denn die Welt, d.h. der Pöbel, mißt nur mit äußerlichen Maßstäben und stimmt mit Dühring (»der Wert des Lebens«) überein, daß andauernde Unterdrückung durch Sachfeinde, »die Schmach, die Unwert dem Verdienst erweist,« was ja auch Hamlet zu den ärgsten Übeln zählt, kurz das Los des sog. verkannten Genies eine besonders schwere Prüfung sei, was dem A und B erspart blieb. (Der eitle Mime Barnay nennt als seine Vorstellung des größten Unglücks »erfolglose Arbeit«.) Es ist fraglich, wie das reizbare Selbstgefühl von A und B die tragische Demütigung durch dauernde Ungerechtigkeit ertragen hätten, wahrscheinlich hätte es sie zuletzt gebrochen und schaffensunfähig gemacht, was nicht im Plan ihres Karma lag. Die Tugend, die jemand gleichwohl dem B zusprach, daß er trotz so viel Anfeindung rüstig weiter schuf, trat bei C unendlich stärker hervor. Hier zeigt er sich als idealere Natur, die schon durchs Schaffen befriedigt wird und lernt, gelassen jede Enttäuschung zu tragen, gestützt auf anderweitiges Seelenglück, nicht zufällig, nicht ohne eigenes Verdienst, obwohl dankbar als Geschenk der Vorsehung begrüßt. Doch diese Vorsehung schenkt nichts umsonst, Karmakausalität regelt jeden Lebensumstand nach Fug und Recht, denn es sind Leiden und verborgene Tugenden von B, die sich in C belohnen. Wer am meisten litt, ob der halbgeniale A oder das Genie B oder der fragmentarische C, dem sein Karma absichtlich kein Ausreifen gestattete, wäre schwer zu entscheiden. Bewußtseinsstände bleiben in Lust und Unlust ziemlich auf gleichem Nullpunkt der Abwägung, es kommt nur auf Bereicherung der Erfahrung an.

Die unheimliche Dreieinigkeit dieser Identität »nicht derselbe und doch kein anderer« verdichtet sich noch bei schärferem Zusehen. Laut esoterischer Mystik werden beim einzelnen auch die Menschengruppen wiedergeboren, die ihm in Präexistenz nahestanden, Freund und Feind, Opfer und Henker. Wenn Schatten in A's Leben ähnlich über B lagerten, so erging natürlich auch Wiedergeburt von Personen, die gegen sie oder gegen die sie sündigten. Freilich verschärfte sich widerliche häusliche Misere des A bei B zu vornehmerer Tragödie, doch den Unterschied verursachte eben nur das Milieu, nicht der gleiche wirkliche Kern der Konflikte. Eine Hysterikerin, die bei A eine bestimmende Rolle spielte, konnte beim B nichts ausrichten, von ihm abgeschüttelt. Dieser Femme superieure würde man auch bei C begegnen und noch anderen Ähnlichkeiten, in der Hauptsache aber verkehrt sich bei ihm der Schatten in laicht, wobei vermutlich auch ein einstiges Opfer des B verdiente Karmabelohnung erhielt. Hat man sich mal in diese mystische Bahn begeben, so scheinen selbst Namen bedeutungsvoll. In A's und B's Jugend erinnerten zwei Orte, wohlgemerkt in ganz verschiedenen Ländern, an etwas Lebenbestimmendes, wovon deren Wirken seinen Ausgang nahm, beide Ortsnamen von drei Silben sind völlig gleich mit Ausnahme eines eingeschobenen Buchstabens. Das Wappen des B trug ein Motto, das dem Sinne nach genau dem Namen des C gleicht. B hatte »eine Leidenschaft für den Namen ...«, C keineswegs, doch dieser Vorname bekam zweimal in seinem Leben Bedeutung. Ebenso wiederholt sich ein südlicher Familienname, der den B anging, im Leben des C genau. Auch dessen Vater hatte den gleichen Vornamen wie B und gehörte zweifellos zur gleichen Menschengruppe, seine Mutter hatte viel Ähnliches mit B's Mutter, der keinen Vater, wie A keine Mutter kannte. Wenn aber A und B dies für einen besonders hinderlichen Karmafluch hielten, so mag vielleicht C für sich anderer Meinung gewesen sein. Es gewinnt den Anschein, daß bei so allgemeiner Identität auch Kleinigkeiten nicht zufällig sein können und daß vermutlich ein Sterbender – auf die Todesstunde legen die Inder besonderen Wert – die Macht hat, über sein künftiges Milieu teilweise zu bestimmen. Was er für Verbesserung seiner Lage zur Vermeidung von Leid und Schuld wünscht, wird ihm in der Wiedergeburt – ohne daß sich damit sein Los wesentlich ändert, denn nur Verblendung hält Form für Norm. Was sich allein ändert im Guten und Bösen, geschieht als Kausalfolge seiner früheren Handlungen.

Wird man aber nach Durchdenken obiger Beispiele noch Buddha beipflichten, daß es gar kein Selbst gebe? Man muß immer festhalten, daß Ich nur eine Form von Selbst. So zeigen z. B. A, B, C gleichmäßigen Bekennermut der Wahrheitsliebe, also ursprüngliche Tapferkeit, aber A und C zwang ihr schwaches Milieu öfters Anfälle physischer Furchtsamkeit auf, während dem B seine Lebensstellung die Kraft gab, rücksichtslos kühn sich auszuleben. Nun verstrickt zwar alles sich Ausleben in seelische und materielle Gefahren, aber wem es sein Schicksal verweigert, trägt ein Joch des Unbefriedigtseins, das ihn seelisch niederdrückt. Wenn A daran zugrunde ging, C nicht, so verdankt es C der stolzen trotzigen Mutausbildung des B. Jede Art von physischem Mut im Weltkampf ist nur Milieusache, nur der moralische Mut, gleichbedeutend mit Idealismus, ist das Wirkliche und Bedeutungsvolle. Man könnte eine Tabelle aufstellen, welche Eigenschaften dem Ich und welche dem Selbst angehören. Das Selbst von A, B, C gleich heldenhaft und idealistisch, das Ich dagegen sehr verschieden an physischem Mut, wobei C wieder Mischung von A und B. Es scheint sogar, als ob auch die Ausdrucksform, in der sich Genialität entladet, nur Milieusache wäre. Napoleon und Friedrich behaupteten, sie seien zum Schriftsteller geboren, empfanden ursprünglich Abneigung gegen alles Militärische, Bismarck gegen alles Diplomatische, wir können ihn uns in anderem Milieu etwa als einen höheren Treitschke denken. Unser B mißachtete manchmal seinen Genieberuf und seufzte nach kriegerischer Aktivität, welchen Zug er schärfer ausgeprägt auf C vererbte, der möglichenfalls seinen »Beruf verfehlte« und unter anderen Umständen ganz etwas anderes hätte »werden« sollen. Man »wird« eben nur, was die Kausalität will, und da jede echte Genialität innerlich universal und unteilbar, so kann sie sich im vielfachsten Wechsel ausdrücken. In Leonardo steckten zugleich die kleineren Möglichkeiten eines Vauban, Lesseps, Watt, Fulton, Zeppelin oder die größeren eines Kepler, Helmholtz und Giordano. Daß die Wiederkehr bestimmter Genietyps schon manchem sich aufdrängte, der von Karmalehre nichts wußte, darüber sehe man Gutzkows »Briefe eines Narren«, wo Rousseau, Jean Paul, Byron und – Bettina v. Arnim als Identitätskette verknüpft. Die unsinnige Anziehung von Paul und Bettina zeigt aber, wie sehr man strengerer Denkdisziplin und tieferen Wissens bedarf, um Reinkarnierung zu erforschen.

Voraussichtlich fordert diese Auseinandersetzung wohlfeiles Gespöttel und hämische Kommentare heraus, wenn Neugier die veranschaulichten Beispiele wörtlich beim Namen sucht. Da würde man um so mehr straucheln, als eins der drei Glieder für Nachforschende nur ein unbekanntes X sein könnte. Man kann indessen einwenden, daß Identität von Geist, Charakter und dem dadurch bedingten Schicksal vorliegen möge, dagegen Identität konkreter Einzelheiten nur Einbildung, Zusammensuchung täuschender Zufälligkeiten sei. Gewiß, es öffnen sich da mancherlei dunkle Wege. So wurde z. B. ein größerer als unser B 200 Jahre früher in gleiche Nation unter gleichem Milieu geboren und starb genau im gleichen Alter. Bei beiden das 24. Lebensjahr von besonderer Bedeutung, zögernde Werbung um und unglückliche Ehe mit einer geistig hervorragenden Frau von erschreckender Ähnlichkeit, revolutionäre Haltung, Familienzwist, edelste Anlage bei überstolzem, leidenschaftlichem Temperament gleich, auch viel in geistiger Struktur ähnlich. Bei physischem Defekt, zwar verschieden, doch als Verkrüppelung reizbare Abnormität verursachend, persönliche Verschiedenheit nur in Punkt Erotik, wobei angenommen werden könnte, daß jener große Präexistente sich Eigenschaften des B wünschen mochte. Daß selbst die Stammsitze beider sich ziemlich nahe lagen, daß sie wichtige Lebenszeiten im gleichen Süden verlebten wie auch A und C, könnte man als Zufall betrachten, aber nicht, wenn Identität von Wesen und Schicksal so auffallen. Doch wir stolpern über den Stein des Anstoßes, daß dieser größere Präexistente wohl kaum als A zunächst wiedergeboren sei, den man nur mit B, nicht mit jenem älteren Größeren verbinden darf. Und wie stände es gar mit dem früher angedeuteten Zwischenglied S, so entschieden mit A und B vereinbar, doch schwerlich mit jenem Größeren! Natürlich kann man auf den Einfall kommen, daß Reinkarnierung nicht aus einem Stück erfolgt und zum Wiederaufbau Ungewöhnlicher sich ein Doppelich aus zwei Präexistenzen vereinen könnte. Also geraten wir noch tiefer in Mysterium hinein. Zwar wäre Reinkarnierung als B ohne Zwischenglieder jenes Größeren würdig, zumal B tatsächlich von zwei bedeutendsten Beurteilern einst mit jenem verglichen wurde, andererseits hängt aber das Zwischenglied A so unverkennbar mit B zusammen, C für Erkennende so direkt mit B und indirekt mit A wie letzterer mit S, daß man die direkte erlauchte Abstammung des B von jenem größern Ahnen bezweifeln muß: Dieser wäre bei S, A und C von seiner Höhe merklich herabgesunken.

Wir wissen, daß unsere Verschweigung der gemeinten Namen und Personen und anderes dabei, was ein genaueres Kennen unserer eigenen Auffassung voraussetzt, den Ununterrichteten nicht aufklärt und alles Konkrete im Dunkel bleiben muß. Hätte er den Schlüssel, nämlich Erraten der Namen, so würde dem Kundigeren manche Einzelheit klar. Vielleicht erleichtert es das Suchen, daß A und jener größere Präexistente den gleichen Anfangsbuchstaben ihres wirklichen Namens führten, ebenso B und C einen anderen gleichen. (Daß S Anfangsbuchstabe des Pseudonyms ist, unter dem jener Größte schuf, scheint ein unheimlicher Witz der in S verkörperten Weltsatire.) Alle, S inbegriffen, sind Germanokelten, Wiedergeburt erfolgt rassenmäßig.

Und ist nicht obiger Zweifel auch nur Kleingeisterei? Ist höchstes Schaffen nicht bloß günstige Karmafügung, während das gleiche zugrunde liegende Selbst in ungünstigem Milieu nur bruchstückweise zum Vorschein kommt? Zwar halten wir A für das unbedeutendste Glied der Kette in »Werken«, obwohl sein Wirken zu weltgeschichlicher Handlung wurde, doch niemand verkennt in ihm ein düster Elementares, das vielleicht nur eines andern Milieu bedurfte, um in reinerer Form zu schaffen. Er verfiel gleicher Gesellschafts- und Weltstadtvergiftung wie sein Vorgänger S, trotzdem er günstiger in freier Natur aufwuchs, zeigte den gleichen snobistischen Bettelstolz des hochgekommenen Plebejers unter »Vornehmen«. Denn das Wesen bleibt kausal gleich, auch bei Änderung des Anfangsmilieu, ein Aristokraten-Ich des gleichen Selbst prägt den Stolz nur in scheinbar anderer Form aus. Nun setzte aber S mit vermehrter Gewalt eine Seite jenes größten Präexistenten fort, der höchstwahrscheinlich auch wie S ein tragisches Ende nahm: grausamsten Weltschmerz der Menschenverachtung. Könnte dieser Teil sonst kosmischer Gefühle sich nicht vereinzelt in einem Dämon der Weltsatire reinkarniert haben? Das übrige transzendentale Ego hält sich zurück, bis es seinen erhabensten Teil wieder in B hervorbringt, dem aber gleichfalls die Weltsatire anhaftet. Als C sinkt es teilweise ins Milieu von S und A zurück, woraus gleiche abstoßende Eigentümlichkeiten folgern (Anfälle von Verfolgungs- und Größenwahn, aggressive Wut und boshafter Hohn), behält gleichwohl die noblere Erbschaft von B und dessen scheinbar dem A und S widersprechende Eigenschaften (Wohlwollen, Großmut), verbunden mit teilweiser Milieuverbesserung gegenüber S und A und in gewissem Sinne auch gegenüber B. Daraus ergibt sich widerspruchsvolles Leben und Wirken, wobei Glück und Unglück sich scheinbar verschieden von S, A, B mischen, auch das Wirken sich scheinbar unterscheidet, tatsächlich aber die größte Ähnlichkeit obwaltet, indem bei C Elemente von S, A, B verschmolzen. »Nicht derselbe und doch kein anderer.«Nicht nur beim äußeren, auch beim inneren Erfolg, Vollendung wirklicher Leistung, waltet Karma. Goethe ohne sein Milieu wäre nicht der Goethe geworden. Jener literarische Handwerksbursche, der so sensationell auf der Modelandstraße der Unnatur fechtet und dabei ein von ihm angeblich bereistes Indien so beschreibt, als wäre er nie dort gewesen (ein Brahmane predigt Schiller!), jener Charlatan fiktiver Differenzierung unwahrer Güte oder Amoralität schrieb gelassen: »Es gibt kein Glück, es gibt nur Tüchtigkeit.« Das ist ein Königswort, daran soll man weder drehen noch deuteln, eines jener Bekenntnisse, woran man dem ganzen Menschen auf dem Nabel guckt. Vielleicht fühlt er sich moralisch verpflichtet, die Überschwemmung des Gimpelmarktes mit seiner Konterbande für ehrliche Schmugglertüchtigkeit auszugeben. »Glück hat auf die Dauer nur der Tüchtige,« warf sich ja auch Moltkes strategischer Dusel in die Brust. War kein Glück, daß lauter Trottel oder Schlimmeres ihm in die Hände spielten? Gibt es kein Glück in den Karten, wo der beste Spieler nichts gegen bessere Trümpfe vermag? Weit richtiger klingt: es gibt weder Glück noch Tüchtigkeit, es gibt nur Karma.

Untersuchen wir den Einwand, Vergleich von Einzelheiten erkünstele zufällige Übereinstimmung: Hat in einem Weltbild absoluter Kausalität überhaupt der Zufall Raum? Nein. Die von uns angeführten Einzelheiten bis auf Ähnlichkeit von Nebenpersonen und Ortsnamen wären selbst dann auffällig, wenn sonst keine innere Identität nachweisbar wäre. Da aber letztere über jeden Zweifel sichtbar ist, so darf man alle übrigen Indizien unmöglich für zufällig halten. Entweder ist die von der Urweisheit gewußte und noch heute von 600 Millionen Menschen religiös geglaubte Wiedergeburt leerer Wahn – und dann ginge auch die Kausalität in die Brüche – oder unser Beispiel hat zum erstenmal die Grundlagen der Wiedergeburt veranschaulicht. Wer unserer Entschleierung nicht zu folgen vermag, dem rufen wir das Jesuswort ins Gedächtnis: Wer den Propheten nicht glaubt, wird auch nicht glauben, wenn die Toten auferstehen.


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