Karl Bleibtreu
Der Aufgang des Abendlandes
Karl Bleibtreu

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II

Träumen ist Erholung von bemühender Zweckhörigkeit des wachen Bewußtseins, das umgekehrt im Bann der Sinneseindrücke träumt, weshalb Buddha sich den »Erwachten« nennt. Die Blitzschnelligkeit, mit der jede Berührung des Seh- oder Gehörnervs im Schlafe sich zu Erdichtungen von Handlungen umbildet, zeigt gerade erst im Traum die Vorstellungskraft ungebunden. Je visionärer sich der Künstler beim Schaffen verhält, desto klarer schaut er, weshalb sich Schaukraft bei buddhistischer Versenkung mit physikalischer Sicherheit einstellt und die »vier Schauungen« ins Unsichtbare projiziert. Den bösen Träumen des Ichs, das sich lauter Zufallsgewalten ausgesetzt sieht und den Alltäglichkeitsgefahren durch Räusche zu entfliehen sucht, stellt Buddha das psychische Erwachen entgegen, das sich nicht dem Naturschein preisgibt. Schon die Veda verkündet: »In der Mitte der Sonne ist das Licht, in der Mitte des Lichts die Wahrheit, in der Mitte der Wahrheit das unvergängliche Wesen«. Vom Monismus des Sichtbaren und Unsichtbaren weiß schon Vischnu Purana: »Die Welt ist nur Vischnus Erscheinung, der mit allem identisch. Wie ein und dieselbe Luft, wenn sie durch die Flöte hindurchgeht, sich nach Noten der Tonleiter unterscheidet, so ist der große Geist seiner Natur nach einzig, obwohl seine Form vielfältig.« Doch der Brahmanismus behauptete dann schon recht theologisch: Wenn ein Böser sich nur zu Krischna bekenne, werde er nicht bestraft, sondern später tugendhaft gemacht werden. Das sieht christlicher Glaubenserlösung verzweifelt ähnlich, gemeint ist freilich Transzendentalevolution durch Wiedergeburten, doch das verwickelt in Optimismen wie Platos wundersamen Satz: »Die Seele, die nie Wahrheit erkannte, kann nie Menschengestalt annehmen.« In welcher Präexistenz soll von Thamas (Dummheit) und Rayas (Begierde) Erfüllter (Bagghavat) die Wahrheit erkannt haben? Die Wahrheit ins Unbewußte jedes Durchschnittsmenschen zu verlegen fällt so bedenklich aus, daß Myers kleinlaut gesteht, sein Subliminales sei unendlich verschieden entwickelt. Natürlich, weil wir ja früher betonten, daß Ober- und Unterbewußtsein ineinander übergehen, letzteres also dem Ich entspricht, mit dem es zusammenhängt. Anthroposophische Anmaßung gab Swedenborg den unglücklichen Satz ein: »Gott ist der unendlich große Mensch.« Dann ist wohl Gott auch ein unendlich großer Elefant (Symbol Buddhas)! Kirchenchristliche Verschrobenheit konnte indessen des schwedischen Sehers Blick wohl trüben, ihn aber nicht von jener Sehbahn ablenken, auf welche jedes wahre Denken optisch eingestellt, und so stoßen wir bei Swedenborg auf manche Enthüllung, die Buddha uns schuldig blieb. Sein Okkultismus tritt aus dem rein Psychologischen ins Kosmische über.

Es sei ein beständiges Gesetz organischer Körper, daß große zusammengesetzte sichtbare Formen aus kleinen einfachen und schließlich unsichtbaren bestehen. Und zwar durch letztere, die sich vollkommener und universaler betätigen. Gerade die allerkleinsten unsichtbaren bieten die beste Vorstellung des Alls als dessen Vertreter. Die Einheiten jedes Organs seien viele kleine Wesensgleiche, so auch bei Empfindungen z. B. Hunger nur Summe zahlreicher kleiner Hungergefühle von Blutkörperchen, die ihrerseits gerade so um ihre Achse rotieren wie die größten Planeten. Die Formen steigen zwar von niedrigsten zu höchsten auf, doch irdisch körperliche seien immer »winkelig«, erst jenseits beginnen kreisförmige, dann spiralförmige, dann wirbelförmige, dann »himmlische« (?) und zuletzt reingeistige. Noch mehr: Im Animalischen Reich entsprechen alle Naturbilder den höchsten spirituellen Erscheinungen. Nun, auch wir erkennen, daß Symbolismus in steter Wechselbeziehung alles Belebte durchdringt, alles Sichtbare ist Bilderschrift, das ist das Motto unserer eigenen Lehre. Alles Sichtbare sei nicht um seiner selbst willen da, sondern als Bericht von unsichtbarer Welt. Man vergesse nicht, daß der schwedische Geisterseher ein bedeutender Physiker war, wie denn ehrliche Naturforschung allzeit eher zur Mystik als zum Materialismus führt. Leider wird er selber ein Beispiel, daß Buddhas Formel »Subjektiv-Objektiv« auf jeden an Materie Gefesselten paßt. Swedenborgs innerstes »inwendiges« Auge sehe das Jenseits klarer als sein körperliches das Diesseits? Welche Täuschung! Indem er Moralgesetze der Innenwelt aufspürte, schon christlich zugestutzt, verfiel er in Schauungen, die sich höchst subjektiv mit christlicher Mythologie bis zum Rande färbten, so daß sein Unbewußtes von Bildern seines Ichmilieu überfloß. Für Gegenwart in der Geisterwelt trenne sich nur sein Intellekt und nicht sein seelischer Wille vom Körper? Was heißt Intellekt? Meint er den Höheren Manas nach indischer Lehre, den letzten sublimierten Grundstoff der sieben Elemente des menschlichen Organismus? Der ist vom seelischen Willen nicht zu scheiden. Die Bibel sei nur allegorisch? Leugnet er Jesu historische Erscheinung? Das liegt ihm, dem Pietisten, doch wahrlich fern. Man mag ihm mißtrauisch um so weniger folgen, als seine subjektive psychophysikalische Sicherheit das objektiv zu schauen meint, was nur seinem eigenen Denkkreis angehört.

Dagegen trifft er sich mit Plato, daß einst Urmenschen besser als wir und näher den Göttern lebten, für welche alle Gegenstände nur Andeutung höheren Sinns gewesen seien. Uns genügt unsere eigene Auffassung der Atlantierrasse und ihrer Vorfahren, worüber später mehr. Indessen entsprechen platonische Ideen wohl kaum buchstäblich den Dingen so, daß ein Mensch organisch gewordene Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit sei! Allerdings leuchtet der reinpsychischen Auslegung des Sichtbargewordenen ein, daß jede Form dem Endzweck gleicht, der ihr aufgeprägt. Bedenklich aber stimmt Swedenborgs Begründung, alles existiere nur »durch Eingebung des Herrn«! Wahrlich nicht, sondern durch göttliche Notwendigkeit. »Ein Knecht des Herrn Jesu Christi« möchte wohl durch kirchliche Allegorien dem verödeten Christentum unter die Arme greifen, doch Vernunftdenken nimmt plötzlich Reißaus von ihm, der es beseitigen möchte, um aus geistiger nur geistliche Symbolik zu machen. Seinen Spirit-Katalog in hebräischem Prophetenton schützt freilich eisern kühle Methodik vor Albernheit, nur Albernen erscheint es so, mit dem Ordnungsschritt einer Soldatenlegion dringen seine platonischen Ideen vor. Emerson hat recht, daß Swedenborg keinen Professorentalar trug wie Plato, dessen »Erinnerung an frühere Zeit, wo wir bei Gott weilten«, indischen Einfluß verrät. Ins Hellenische übersetzt, mußte er aber das Schöne in den Vordergrund stellen und es mit dem Guten als einen Wortbegriff verkoppeln, weil wunschloses Anschauen als Ästhetik dem Griechen am nächsten lag. Vielleicht ist das Ästhetische der eigentliche psychische Urtrieb, Sichtbares in Unsichtbares hinein zu produzieren, die Griechen fanden ihren Olymp erst durch Homer wirklich gegeben, altindische Theosophie sprach sich ästhetisch in Ringveda und Mahabaratta aus. Beim kunstfremden Pietisten Swedenborg fehlt jede solche Anschauung, das Gute ist ihm so wenig das Schöne, daß er in häßlichen Bildern schwelgt.

In seinem bedeutenden Werk »die Zukunft der Natur« leitet Ed. V. Meyer geistreich, obschon gesucht, jedes Philosophensystem von Milieuhörigkeit ab und Driesmans »Keltentum in europäischer Blutmischung« geht so weit: Newtons Gravitationsgesetz entspreche politischem Planetentanz um der Briteninsel unbewegliches Zentrum, Lockes Sensualismus dem merkantilen Realismus, Darwinismus rechtfertige die national-ökonomische Manchesterei, alles unbewußt eingegeben von geschäftsmäßigen Instinkten und – fügen wir hinzu – Nationalbedürfnissen. In paradoxer Übertreibung verbirgt sich hier viel Wahrheit. So nimmt bei Swedenborg die Gesetzmäßigkeit des Ethischen, von Buddha auf feste psychologische Basis gestellt, einen unanständig theologischen Geschmack an, allerdings führt sie den lutherischen Bischofssohn notwendig zum Karmagesetz. Welchen Unsinn aber ein Abendländer darüber denkt, zeigt Emerson: Die Inder dächten Seelenwanderung (verballhornt, muß heißen Seelenwandelung) als Verpflanzung der Seelen in andere Körper durch fremden Willen!! Vielmehr entspringt auch für Swedenborg Wiedergeburt aus eigenem Willen des Selbst, sie ist durch waltende Notwendigkeit »subjektiv-objektiv«.

Des Menschen Neigung ist er selbst: wie er ist, so ist ihm die Welt. Es wäre unnatürlich, wenn Schulze sich aus früherem Kirchengänger und Ketzerbrater nicht heute in einen Häckelianer verwandelte. Angeborener Materialismus der Trottel und Schufte vertrottelt und verschuftet auch jede Religion, sobald sie aus den frommen Händen ihrer Stifter in die unreinen einer besoldeten Priesterschaft überläuft. Die Kirche hat so dämonische Gewohnheitsmacht, daß Swedenborgs starke Seele von ihr angesteckt blieb. Ihm werden alle Ehen im Himmel geschlossen, das Sakrament vollzieht Wunder, die einer besseren Sache würdig wären. Er malt unzählige Höllen mit dem Behagen eines Torquemada, vollzieht Autodafés an Ungläubigen und beschwört Geister, um seinen eigenen Sermonjargon von ihnen zu hören. An ihm frißt christliche Angst, er salbadert wie ein Hetzkaplan, bricht kalt und lieblos den Stab wie ein Jurist hochnotpeinlicher Tortur. Urböses ist ihm unbekehrbar, alles dualistisch gesondert, seine Schematik teilt Seelen ein wie Pflanzensorten, spießt sie auf wie Maikäfer. So unterscheidet ihn scheinbar nichts von Dantes Mittelalter als seine wirklichen telepathischen Hellgesichte. Beweist aber solche halbe Eröffnung des Unsichtbaren, daß man damit gleich ins Allerheiligste dringe? Sein Zelotentum verdirbt alles. Ist ein gedankenloser Experimentator eine Null, so wird man nicht eine Eins, weil man die eigene Moralinsäure dem All aufpfropft. Wer mag Urgeheimnisse schauen, wenn er sich in Pastorenpolemik verwickelt, wozu das ewige Pflichtgerede! Pflichterfüllung ist ein so vager Begriff wie Gewissen, schlägt als äußere Zwecktätigkeit oft in ermüdende Bande. Chamberlain vermißt an Byron »einer der echtesten Dichternaturen« das Pflichtgefühl, als ob das Genie eine andere Pflicht hätte als die gegen sich selbst. Dem Buddhistenchela gebietet Pflicht, die Familie zu verlassen, dem Papst ist Pflicht, kräftig zu exkommunizieren. Wahres Wissen befreit, beschwert nicht mit plumpen Gewichten. Swedenborgs einzige Bedeutung liegt in strenger Durchführung der Gesetzmäßigkeit von Sichtbar und Unsichtbar.

Im seltsamen Drama »Buddha« von Sadakichy HartmannDaß er ein Nepaler Mongole war, diese Entdeckung A. Wirths verfolgt wohl nur den Zweck, den Buddhismus als nichtarisch den lieben Völkischen anrüchig zu machen. Damals lebten nur Arier am Himalaja, der Mongoleneinfall kam ja unendlich später. Wirth meint auch, daß der »Nazarener« Jesus zur nichtjüdischen Sekte der Nasnai gehörte, während es damals gar kein Nazareth gab. Vielleicht altsumerische Sekte? Man kann nur achselzucken: War Jesus kein Jude und Buddha kein Arier, schade für ... Juden und Arier!] (1897 New York) schwört der Erleuchtete seine Lehre ab. Der Sinn soll wohl sein: gleichgültig, ob du Gutes oder Böses tust, dem Leben entrinnst du nicht, hienieden findest du Tod und nicht Nirvana. Das ist nicht nur historische Fälschung – Gotamo starb hochbetagt in freudigem Frieden –, sondern fälscht auch den praktischen Einfluß seines Wirkens. Der verbildete Abendländer kann eben aus dem Sichtbaren nicht heraus wie das Huhn nicht aus dem Kreidezirkel. Noch unerträglicher täuscht Edwins Arnolds »Leuchte Asiens«, ein schon heute verschimmeltes Pedantenepos, vor dem sich Unästhetik und Untheosophie in Begeisterung überschlugen. Hier wird ein Christus-buddha ohne den Purpur des Märtyrertods mit Aberglauben umkleidet, hält Bergpredigten in behäbiger Bequemlichkeit. Diesen Pseudo-Buddha brauchen wir so wenig wie die Kehrseite der indischen Medaille, die mordsüchtige Todesgöttin Kali. Man darf nicht aus den Augen verlieren, daß der Begriff Indisch zu weit gespannt und mit ungeklärten Widersprüchen von Metaphysik und Naturgöttern überladen wird, die lediglich auf Rassenkreuzung oder unvermitteltem Nebeneinander von Ariern, Negroiden, Mongoloiden beruhen. Als Pariah = ständig gelten wahrscheinlich Reste von Lemuriern, Verwandte der Australneger, auch Madrassioten scheinen negroid angehaucht, solche Inder beten die bösen Fetische Schiwa und Kali an. Außer mongolischen und afganischen Islamiten, mongolischen Pseudobuddhisten in Nepal, Parsen-Überbleibseln in Bombay widersprechen sich auch die zwei arischen Haupttyps zwischen Indus und Ganges: Die schwachen spekulativen Hindus im Osten, die kriegerischen Sikhs und Ratschputen im Norden, aus deren Kreis Buddha hervorging. Einheitliches Denken läßt sich da nicht erwarten, fortwährend verwechselt der Europäer populären Tempelbrahmanismus mit Esoterischem und erfährt vom Buddhismus, der heutige Geheimleitung in Tibet hat und so ganz an die Mongolen überging, nur noch auf Ceylon, während die Yainas der Nordstämme nur einen andern Buddha Mahaviras wählten. Mit äußerster Vorsicht muß man sich scheuen, Religion und Philosophie der Inder mit ein paar Einschachtelungen zu erledigen. Wohl münden »das Unerwartete und Unerhoffte« (Heraklit), die Adrasteia moralischer Weltordnung (Plato) ins Raggi-Yog (Magie) ein, doch Sankaras Dogmatisierung der Sutras gleicht schon dem Treiben von Kirchenvätern, als welche hier die Rishi (Urheber der Veden) eingesetzt werden. Von Buddhas Interpreten lasse man sich nicht in dogmatische Fesseln schlagen, wir halten uns allein ans umfangreiche, obschon formal durch endlose Wiederholung abschreckende Redegebäude Buddhas selber, so wie beim Christuswollen nur an die Evangelien. Chamberlains »Arisches Denken« trägt den Unsinn vor, dem Inder sei erst als Greis nach Erledigung aller Lebensgeschäfte das Zurückziehen in Waldeinsiedelei erlaubt. Das wäre ja grausam, die Erlösung soweit hinauszuschieben, während Buddha sie jedem Jüngling offen läßt. Denn seine Ethik schrumpft auf die Glücklehre ein: Geh in den Wald, weihe dich der Betrachtung, das ist der einzige Friede, nach Aufhebung des Lustleids findet sich weiteres von selber. Ertappen wir ihn da aber nicht auf übertriebener Voraussetzung?


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