Theodor Birt
Alexander der Große und das Weltgriechentum
Theodor Birt

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In Indien

Indien! Noch heute ist jeder stolz, der dies Land gesehen. So war es auch für die Griechen das Traumland, das gelobte Land, das schönste der LänderSo Diodor 2, 16., das abenteuerliche Land der Wunder. Man dachte, es sei riesengroß und umfasse ein Drittel der ErdePlinius nat. hist. 6, 59.; die Bewohner schwarz wie die Neger Afrikas, aber schöner. Dazu die Tiere so fremdartig, die Pflanzenwelt so wunderbar, und die köstlichsten Waren, Edelsteine, aber auch Pfeffer und Ingwer kamen durch die Karawanen von dort auf langen Reisen bis nach Tyrus und Sidon und so auf die griechischen Märkte. Die Bibel meldet davon: von Ophir kommen die Kostbarkeiten nach Tyrus; Ophir ist Indien; das östlichste Ostland, das noch niemand betreten hatte. Dort hinten wogte das Meer, das die ganze Erdenwelt abschließt und aus dem die Sonne tagtäglich emporstieg seit Ewigkeit, und an jedem Morgen war der Ozean dort deshalb siedend heiß bei Sonnenaufgang. Herodot, der Vater der Geschichte, hatte den Griechen schon vor hundert Jahren hierüber allerlei aufgetischt, ebenso der Grieche Ktesias, der in Susa Hofarzt Artaxerxes des Zweiten war. Aber alles das war von Hörensagen. Die Griechen, die an den Königshof in Susa kamen, trafen dort ohne Frage gelegentlich mit wirklichen Indern zusammen und ließen sich allerlei aufbinden; denn auch der Inder neigt zur Phantasie und zur Fabel. Man fabelte vom Einhorn, von Zwergvölkern oder Pygmäen, von großohrigen Leuten, die unter ihren Ohren schliefen u. a. m. Die Perser selbst dagegen wußten besser Bescheid; denn sie standen in ständigem Grenzverkehr über den Indus seit langem.

Die Einwohner im Norden Vorderindiens, zwischen Indus und Ganges, sind die Hindus. Der Fluß Indus selbst hat von ihnen seinen Namen, ebenso das Land Hindustan, das von den genannten Strömen umfaßt wirdDie Inder selbst nennen ihr Land Jambudvîpa; s. Lefmann, Gesch. des alten Indiens S. 567.. Sie gehören zur weißen Rasse, sind Indogermanen, besonders den Persern, ihren Nachbarn, sprachverwandt und rassenverwandt. Erst im Südteil der 191 großen Halbinsel, im Dekan, saßen, durch das querlaufende Vindhiagebirge abgetrennt, die nicht zu den Hindus gehörigen schwarzen Inder, die Neger Ostasiens, mit denen man damals noch kaum in Berührung kam.

Heute soll Vorderindien, das in Englands Händen ist, an 290 Millionen Einwohner, also nur etwa 100 Millionen weniger Menschen als unser Europa zählen. Auch schon zu Alexanders Zeit ist es überaus volkreich gewesen. Persiens Einfluß hat daher nie tief bis ins Innere vordringen können. Nur das zunächst liegende Flußgebiet des Indus war gleichsam das Schubfach im verschlossenen Sekretär, das sich öffnen ließ.

Alexander hatte im voraufgehenden Herbst und Winter im Hindukusch und im Gebiet des Kabulflusses streitbare Gebirgsvölker und ihre Burgen, vor allem die Festung Aornos bezwungen, die den Gebirgspaß beherrschte und den Durchzug nach Indien sperrte. Schon da hatten seine Mazedonen gegen indische Söldner zu fechten. Im Frühling, im März, des Jahres 326 rückte er weiter vor und stieg in langwierigem Marsch aus gewaltiger Höhe in das sich senkende eigentliche Indusland hinab, das das Penschab oder Penjab, das Land der fünf Ströme hieß im Hinblick auf die mächtigen Nebenflüsse wie den Hydaspes.

Von der Himmelsstiege des Himalaja strömt der Indus mit brausenden Wassern zwischen himmelhohen Bergen hindurch und stürzt so weite Strecken das Stufenland hinab. Wie man einen Lotosstengel zerbricht, so zerbricht er die Felsenrücken. Dort oben, wo unter den Schneegipfeln die ewigen Schatzkammern der Götter der Hindu sind, entspringt er. Dort oben lauern alle Schrecken, das Gewaltige, Dämonische, das die Haare sträuben macht. Je mehr aber die Strecken sich senken, je milder und wonniger atmet die Natur, und die Fülle des Segens, überwältigend üppig und mannigfaltig, empfing den König und sein Heer, als er sich nach langen Märschen seinem nächsten Ziel, der Indusbrücke, nahte; dazu das herrlichste Klima; tropische Schwüle lag nur über den sumpfigen Niederungen.

192 Die Donau, den Nil hatte Alexander gesehen, den Euphrat und Tigris, den Oxus und Jaxartes. Dieser Indus war gewaltiger als sie alle; er überbot selbst den Nil; denn der Nil pilgert völlig ungesellig und einsam ohne alle Nebenflüsse durch das ägyptische Reich daher. Der Indus dagegen hat Zuflüsse in Überfülle; er ist der Herr des Fünfstromlandes, indes fünf gleichstarke Ströme, alle aus Osten, sich in ihn stürzen, Bergessöhne wie er selbst, die aus den Hochschluchten des Himalaja fallen.

Würde Alexander zu kämpfen haben? Das eigentlich begehrenswerte Gebiet war das Penschab, das nur östlich vom Strom lag; der Indus war also Grenzfluß, und wer in jenes Land wollte, mußte ihn überschreiten. Daher waren Hephästion und Perdikkas vorausgesandt worden, um die erwähnte Brücke über den Strom zu schlagen. Alexander zog hinüber.

Er wußte, die Hindus waren starke Recken; reich, mutig und stolz dazu; sie selbst rühmten sich deß; ihre Heldenkinder wuchsen wie die jungen Löwen heran, und ihre Könige glichen dem blitzbewehrten Gott IndraLefmann S. 187.. Aber sie bildeten keine einheitliche Macht; das Land war in etliche Gebiete zerspalten, die zumeist unter ehrgeizigen Königen standen und sich unausgesetzt befehdeten.

Alexander machte sich also keine Sorge. Er dachte friedlich zu verhandeln und allein schon durch seinen Namen und seine Macht – ein Heer, das schließlich zu 100 000 Köpfen anwuchs – zu imponieren, andernfalls sich in die Streitenden zu mischen, so wie es Julius Cäsar bei der Eroberung Galliens machte. Die Zwietracht des Feindes ist der beste Verbündete. An der Indusbrücke gab er seinen marschmüden Truppen zunächst 30 Tage Rast. Da gab es Zeit und Muße zu kundschaften, die Augen aufzutun, Eindrücke zu sammeln. Dolmetscher halfen.

Nirgends ein Steinbau; die Häuser und Paläste alle aus Holz; die Tempel Höhlentempel. Die Menschen auf den Straßen in leichte weiße Baumwollstoffe gekleidet, Frauen wie Männer, unter dem SonnenschirmSchon Nearch Fr. 10 bezeugt die Sonnenschirme.; in den Ohren Ohrgehänge; Perlenschmuck. In Griechenland spannen damals die lieben 193 Frauen noch immer Wolle für die Volksbekleidung: wie anders hier! Hier wuchs das Linnen auf den Bäumen! In den Gebüschen und Wiesen die buntfarbigste Blumenpracht. Blütenkränze überall, auf den Altären, in den Haaren, als Wimpel an den Mastbäumen. Selbst die Männer gehen mit einer Blume in der Hand. Dazu der Baumwuchs des Landes, wuchtig, grandios und echt tropisch: jene enormen Wipfelbildungen, wenn die Bäume aus ihren hohen Ästen steil und senkrecht stammdicke Absenker in die Erde treiben und so wie naturgewachsene Säulenhallen dastehen, die ein ganzes Stadtvolk unter sich versammeln könnten. Man schrieb sich damals sorglich auf, was man neues sah: Bananen und Pfefferstrauch und Baumwolle und Sandel und Ebenholz; dazu das Zuckerrohr, der Zucker, den kein Grieche kannte, und der Reis (ὄρυζον). Man lernte, daß man aus Reis und Zucker ein alkoholisches Getränk brauen könne, den ArrakLenz, Botanik der Alten S. 228..

Und weiter die Büffelherden und Gazellen. Der brünstige Elefant brach krachend durchs Gestrüpp; im Geäst züngelten die Schlangen, großleibig und bunter, als man sie je gesehen. In den Dschungeln der Löwe; der Tiger fehlteNearch Fr. 12; anders Plinius 6, 73.; den gab es nicht hier, sondern am Ganges, in Bengalen. Nichts interessanter als die Jagd mit den Tigerhunden. Dies waren angeblich Mischlinge, von Tiger und Hund gezeugt. Man führte sie dem Alexander vor, wie sie auf den Löwen losgingen und ihn in Wut zerfleischtenPlin. 8, 149.. Nichts erregender als solcher Tierkampf: die losgelassene Bestie im Urzustand. Die Fauna erinnerte vielfach an Ägypten, und die Mazedonen, schwach in der Geographie, wie sie waren, bildeten sich deshalb ein, dies Indien müsse unmittelbar mit Afrika zusammenhängen. Alexander selbst trug sich mit dem Plan, auf dem Hydaspes direkt nach Ägypten zu gelangenNearch Fr. 5; vgl. 8 u. 28.. Die Tiere wußte man nun also auch deutlich zu benennen; für die Pflanzenwelt fand man dagegen vielfach keine Namen vor und wußte sie ihnen nicht selbst zu gebenPlin. 12, 25., so unverlegen man sonst war; denn die Namen der Städte, Flüsse und Menschen wandelte man eigenmächtig 194 und oft völlig entstellend in das Griechische umDies bespricht ausdrücklich Aristobul Fr. 22. Das betrifft auch die Namen des Taxiles und des Kalanos; s. Diodor 17, 86, 7 u. Plutarch, Alex. 64., da das Barbarische unaussprechlich schien.

Manche Gelehrte meinen heut, die Inder hätten damals noch keine Schrift gekannt; aber die Offiziere Alexanders reden ausdrücklich von den Briefen, die sie sahen und die die Inder auf Leinwand schriebenNearch Fr. 7. Nach Bühler wurde das semitische, aramäische Alphabet im Dekan sogar schon im 8. Jhd. v. Chr. eingeführt (so Vincent Smith, in The imperial Gazetteer of India, The Indian empire vol. II, Oxford 1909, S. 322). Von Buddha, der vor Alexander lebte, erzählte die Legende also nicht mit Unrecht, daß er in die Schreibstube gebracht wurde und sich da als schriftkundig auswies (Lefmann S. 580). Daß sich keine altindischen Inschriften gefunden haben, liegt daran, daß man alle Bauten und Monumente aus Holz herstellte; sie sind mit dem Baumaterial untergegangen. Vgl. noch Strabo S. 717 u. 719 und The Cambridge History of India a. a. O. S. 482 f.. Wie konnte es auch anders sein? Schon allein die Entwicklung des Städtewesens zeugt für eine alte Kultur, ja, Hochkultur.

Die Häuser, so geht der Bericht weiter, stellte man – wie noch heute in Siam – über der Erde erhöht auf Balken, damit nicht Reptilien hineinkröchenNearch Fr. 15.. Die ganzen Städte aber waren aus Holz, die Ringmauern aus Erde und Lehm. Der große Holzreichtum war für das alles der Grundγήϊνον τεῖχος Arrian VI 10, 3. Genauer gesprochen gilt der Unterschied, daß die Städte, die am Wasser lagen, aus Holzwerk bestanden; Lehmziegel hätten gegen die Überschwemmungen nicht standgehalten; dagegen baute man die hochgelegenen Städte aus Lehm. Die Stadt Pataliputra, die sich am Ganges weitläufig über zirka 10 Meilen erstreckte, war in Holzpalisaden eingefaßt. Vgl. The Cambridge History of India I S. 460.. Alexander aber wird das mit Genugtuung gesehen haben. Holzwände und Erdwälle sind leichter zu brechen als Stein.

Auch zum Nachthimmel erhob sich der Blick; man bemerkte, wie anders hier die wohlbekannten Sternbilder sich stellten, und astronomische Beobachtungen wurden gebuchtPlinius 2, 184.; und am Tag sah man mit Staunen, daß man keinen Schatten warf, da die Sonne im Zenit stand; auch das wurde notiertOnesikritos Fr. 24.. Die Beobachtung war freilich nicht ganz zutreffend; man war nur in nächster Nähe des Aequators.

Aber das Staunen und Bewundern genügte nicht. Alexander gab auch auf anderes acht. Da war eine Feigensorte, die im Heer üble Dysenterie bewirkte; Alexander ordnete an: von der Feige darf nicht gegessen werdenHierzu und zum Folgenden Theophrast de plantis IV 4.. Auch sonst gab es giftiges Gestrüpp, und er befahl, wo dies wuchs, die Pferde an der Hand zu führen. Auch der indische Weizen und Gerste bekam den Pferden anfangs nicht; aber sie gewöhnten sich. Hafer fehlte. Dazu die giftigen Schlangen. Indische Ärzte ließ sich Alexander kommen und behielt sie um sich; war ein Mann von der Schlange gebissen, mußte er ins Königszelt kommenNearch Fr. 14.. Denn der Biß galt für tödlich, und nur Inder wußten zu helfen. Die Sorge des Königs um seine Soldaten war groß, gerade hier im unbekanntesten der Länder. Als bedeutende militärische 195 Verstärkungen aus Mazedonien eintrafen, kam auch eine Ladung mit von 100 Talent, das sind gut zweieinhalbtausend Kilogramm Medikamente, die er hatte kommen lassen und nun unter seine Truppen verteilteDiodor 17, 95, 4..

Die Religion des Buddha war damals erst etwa 150 Jahre alt und noch wenig verbreitetBuddhas Tod wird zirka ins Jahr 480 v. Chr. gesetzt.. Am Ganges ist der Buddhismus entsprungen; an den Indus waren noch keine Proselyten gelangt. Wohl aber bekam Alexander im weiteren Verlauf mit den Brahmanen zu tun, die gelegentlich als Volksführer die Inder zur Abwehr hetzten. Mit ihnen machte er kurzen Prozeß, wenn er sie griff. Bedeutsamer dagegen schienen ihm diejenigen Brahmanen, Gymnosophisten genanntStrabo S. 714 f., die da nackt, wie es das Klima gestattete, in Einsiedeleien lebten, als berufene Träger der indischen Philosophie galten und eine Weisheit predigten, die der Lehre der griechischen Cyniker und des Diogenes von Sinope nächstverwandt warDiogenes kam in Indien geradezu zu Ehren; s. Onesikritos Frg. 10 aus Strabo p. 715.. Alexander reizte der Kontrast. Er hatte gern dem Diogenes gelauscht und hatte sogar hier in Indien unter seinen älteren Offizieren einen erklärten Anhänger seiner Lehre, den Onesikritus, den Vater seines Jugendlehrers Philiskus; durch den ließ er sich berichten, was da die indischen Weisen predigten: es war die ihm wohlbekannte Predigt von der Nichtigkeit alles Besitzes und der Abtötung aller Bedürfnisse. Wozu erobern, was du doch verlierst, wenn du aus dem Leben gehst? und was willst du hier bei uns Indiern?

Den Griechen schienen diese Gegensätze, die vortrefflich zur Debatte taugten, unendlich interessant, und man machte sich geradezu Gespräche zurecht, die Alexander mit den Brahmanen geführt haben sollte. Ein Brahmane aber, Kalanos genannt, schloß sich sogar dem Hoflager Alexanders dauernd an.

Auch späterhin haben bei den Griechen und Römern alle Moralisten, die nur auf das Individuum und nicht auf den Staat achtgaben, Alexander als den Eroberer verworfen, und gerade im Hinblick auf seinen Kriegsgang in Indien traf ihn der Vorwurf sinnloser Unersättlichkeit. Von Kindesbeinen an, 196 heißt es, war er der Räuber und der Schrecken der Menschheit. Alle Riegel der Welt durchstößt er und kann kein Ende finden. Ein Begleiter erzählt ihm, der Philosoph Demokrit behaupte, daß es nicht nur eine, daß es unzählige Welten gebe. »Und ich habe noch nicht die eine gewonnen!« Solche Aussprüche wurden ihm angedichtet. Er ist die Bestie, die mehr tot beißt, als sie verzehren und verdauen kann!Vgl. Seneca De benef. I 13, 4; Epist. 119, 7 u. 94, 62. Valerius Maximus VIII 14, 2; Aelian Var. hist. 4, 29.

Für uns klingt das höchst unverständig. Denn wir Modernen haben die Staatsmänner als solche zu verstehen und nach ihren Zielen zu würdigen gelernt. Die Achtsamkeit der alten Griechen richtete sich dagegen immer nur auf ihre Kriegskunst und daneben auf ihre Privatmoral, auf ihren Vorrat an Lastern und Tugenden. Daher wird auch von Alexander immer nur so geredet, als wäre er sich Selbstzweck gewesen und in ihm nichts gewesen als der bohrende Trieb, berühmt, bewundert zu sein in allen Zeiten! Nein, er war Diener einer Idee, denn er war Staatsmann, das ist immer wieder zu betonen; uns Heutigen braucht das kaum noch gesagt zu werden. Zweck des Weltreichs, das er erneut, ist das Glück der für immer befriedeten Völker, der friedliche Austausch der Kulturen, Bereicherung der Massen im besten Sinne des Wortes. Der Krieg ist nur der Bahnbrecher für dies Glück.

So hat er auch für den Austausch der Religionen die Schleusen geöffnet; denn er duldete, er achtete sie alle; und ein Ineinanderfließen, ein großes Lernen im Triebe nach Seligkeit begann. Wer hat den rechten Schlüssel zum Himmelstor, zum Tor des verlorenen Paradieses? Wir werden noch davon hören.

Jetzt stand Alexander am Indus und forderte Unterwerfung. Auch hier aber hat er als Staatsmann nur die Folgerungen aus seiner Stellung gezogen. Er war des Darius Nachfolger, und zwar nicht nur des letzten Darius, des schwächlichen, sondern auch des ersten Darius, des großen; daher der Leitgedanke: das Perserreich soll, um lebensfähig zu sein, so, wie es unter diesem ersten Darius gewesen, weiter bestehen; Indien, d. h. das Penschab (denn nur um dieses handelt es sich), war zwar 197 dem letzten Darius verloren gegangen; einen Satrapen Indiens gab es nicht mehr, und in der Schlacht bei Gaugamela sah Alexander nur solche indische Truppen, die vom Westufer des Indus stammten, gegen sich aufgestellt. Unter Xerxes und seinem Vater, den mächtigeren Großkönigen, aber war das anders gewesen. Alle früheren Provinzen mußten nun also wieder ans Reich. Für diese Reichsidee hatte Alexander schon am Oxus und Jaxartes und im Hindukusch gefochten; für sie wollte er jetzt auch über den Indus gehenDaß schon Darius, des Hystaspes Sohn, einen beträchtlichen Teil des Penschab beherrscht hat, wird auch von Smith und von Jackson vorausgesetzt; s. The Cambridge History of India vol. I S. 337. Wie hätte Darius auch die Flußfahrt auf dem Indus ausführen, die Flottenunternehmung des Skylax ins Werk setzen können, ohne das linke Flußufer des Indus gesichert und fest in der Hand zu haben? Anders urteilt H. Enders, »Geographischer Horizont und Politik bei Alexander dem Großen«, Würzburg 1924. Ich kann ihm nicht beipflichten.. Und der erste der indischen Souveräne, denen er begegnete, der König von Taxila unterwarf sich auch tatsächlich gleich; ja, schon bei den voraufgehenden Kämpfen hatte er dem Alexander Hilfe gewährt. Dieser Fürst, er hieß Omphis, stand eben in der Tradition und erkannte seine Tributpflicht an.

Wahrscheinlich hatte die indische Provinz sogar schon zum alten Assyrerreich gehört, in jedem Fall, wie gesagt, schon zum Reich des Darius I. und des Xerxes, und es wäre ein Aufgeben berechtigter Ansprüche gewesen, hätte sich Alexander zurückgehalten.

Warum aber war den persischen Herren diese Provinz so wichtig erschienen? Weil sie die reichste war. Durch den Besitz dieser Provinz bekam man den Handel mit indischen Exportwaren in die Hand; und wer da fragt, woher der Goldreichtum stammt, mit dem sie auf ihrem Throne prunkten und ihren Reichsschatz speisten, woher das Gold, aus dem sie ihre Dareiken prägten, so ist die Antwort: Indien vor allemÜber den Goldertrag Indiens redet Herodot III 89; 94; 106; Curtius VIII 9, 18; Arrian Ind. 15; ferner Plinius n. hist. 6, 67 u. 33, 66; über Ceylon 6, 81. Dazu kommen noch die Plin. 6, 74 erwähnten auri et argenti metalla und an der Indusmündung die beiden Inseln, die nach den Wertmetallen Chryse und Argyre heißen, wozu Plinius 6, 80 bemerkt: fertiles metallis, ut credo; nam quod aliqui tradidere aureum argenteumque his solum esse haud facile crediderim. Nach Megasthenes kam Gold aus der Gegend von Kaschmir (Landschaft Derdae); vgl. The Cambridge History of India vol. I, Ancient India (1921) S. 405. Außerdem wurde durch die Ganderer nördlich der Indusquellen das ausgescharrte Gold aus Tibet geholt; vgl. F. Justi Geschichte des alten Persiens S. 96; E. Speck, Handelsgeschichte des Altertums I S. 170.. Ausdrücklich wird es uns gesagt: es ist die Provinz, die da des Goldes in Fülle liefert, Schwemmgold im Alluvialboden; dazu die Edelsteine; dazu die Perlen. Das war das Märchenhafte: märchenhaft auch für die Inder selbst. In den großen Epen der Hindus ist ja auch alles aus Gold bis zu dem Wagensitz, Zügel, Achsen und Rädern der Gespanne, wenn Götter und Helden daherfahren. Das war gewiß nach dem Leben geschildert, und nicht anders stand es bei den Königen selbst, denen hier Alexander begegnete; denn für das Volk und seine Dichter sind die 198 Könige die Abbilder der Götter. Im übrigen steht fest, daß die indische Satrapie dem ersten Darius jährlich 360 Talente Goldstaub = 1 Million englische Pfund, zahlteVgl. The Cambridge History of India vol. I, Ancient India (1921) S. 335; Smith, The imperial Gazetteer of India, The Indian empire vol. II, Oxford 1909 S. 270 ff.; Speck I S. 284. Über die goldgrabenden Ameisen oder Murmeltiere O. Keller, Die antike Tierwelt I S. 184..

Alexander war radikal in allem. Kämpfte er einmal hier, so wollte er auch das Reich Darius des Ersten ganz wiederherstellen. Auch hernach werden wir sehen, wie er bewußt auf den Spuren dieses großen Organisators ging und dessen Programm wieder aufnahm.

In der Tat ließ sich die Besitzergreifung nun doch nicht ohne schwere Kämpfe verwirklichen. Jener König Omphis war zwar dienstpflichtig geworden und stellte dem Alexander eben jetzt Streitkräfte, vor allem die ersten auf Schlachtenkampf dressierten Elefanten zur Verfügung. Anders aber sein feindseliger Nachbar, der junge König Poros, der im weiten Stromgebiet hinter dem zweiten der Flüsse, dem Hydaspes, ein Reich beherrschte, das über 300 Städte zählte. Und es kam zu einer großen Schlacht. Am Hydaspes selbst wurde die Schlacht geschlagen, eine der Sensationen nicht nur aus kriegstechnischen Gründen, sondern auch, weil Alexander selbst sie geschildert hat, und seine Schilderung liegt uns noch vor. Für die Kriegsgeschichte ist hier das Neue, daß zum erstenmal Elefanten in Masse eingreifen. Sie waren damals so viel wie die Tanks im letzten Weltkrieg. In einem Türmchen sitzen auf jedem Tiere die Pfeilschützen; der Kornak vorne aber lenkt das Tier, das sich seiner Macht und seines Zwecks bewußt ist.

Diesseits des Stroms lagert Alexander; der Gegner Poros am Ostufer ihm gegenüber; dessen Macht ist bedrohlich; denn er hat 200 Elefanten. Wie sollte Alexander über das Wasser? Sein Heer war jetzt fast so bunt zusammengesetzt wie die persischen Heere, die er besiegt hatte, da auch Baktrer, Inder, ja, kosakisches Reitervolk mitgekommen waren; aber die nützten gegen die Elefanten nichts.

Es war um den 20. Juni. Die Zeit der tropischen Regen hatte eingesetzt. Der Feind verhindert jeden Brückenbau; da überlistet ihn Alexander durch ein Manöver bei Nacht. Er 199 erzählt uns den ganzen Hergang selbst kurz und bündigPlutarch Alex. 60. Dafür, diesen Brief für unecht zu halten, wie Kaerst es tut, fehlt in Wirklichkeit ein hinlänglicher Grund. Die Punkte, in denen die Schlachtbeschreibung des Ptolemäus abweicht, sind geringfügig und erklären sich daraus, daß Alexanders Brief ja kein amtliches Bulletin war, sondern eine rasch hingeworfene Meldung an einen Befreundeten. Wer hätte denn auch den Brief, der mit genauester Ortskenntnis und die Hauptsachen der Handlung prachtvoll erfassend abgefaßt ist, fälschen sollen? Übrigens war auch Ptolemäus im Detail nicht unfehlbar; denn er schrieb spät, und wir wissen nicht, ob die von ihm benutzten Ephemeriden (s. unten S. 267, Anm. "Daß Ptolemäus die königlichen Ephemeriden...") für das Detail zuverlässiger waren als die Briefe des Königs. Endlich sehen, wie immer wieder zu sagen ist, gefälschte Briefe anders aus als dieser. Brieffälschungen pflegen sich schon durch den Geruch nach der Rhetorenschule zu verraten. – Seitdem ich die Alexanderbriefe als echt behandle, sehe ich, daß auch andere Gelehrte dieselbe Ansicht vertreten, ohne freilich auf mich Bezug zu nehmen.. Eine Nacht ohne Mondschein. Im Stockdunkeln führt er einen Teil seines Heeres, es sind 12 000 Mann bester Truppen, möglichst geräuschlos stromaufwärts, das Ufer entlang; jeden Kommandoschrei übertönt der brausende Regen. Den anderen Teil des Heeres hatte er unter des Kraterus Führung in der alten Position, dem Feind gegenüber, stehen lassen, und Poros gibt nur auf diesen acht. Gegen Morgen setzt Alexander auf Flößen unbemerkt über den Strom, kommt aber nur bis zu einer großen Flußinsel. Da erfolgt ein furchtbares Ungewitter mit tosendem Donner, und etliche Leute werden vom Blitz erschlagen. Alexanders Bericht verweilt mit keinem Wort bei dem Chaos, das da entstand, auch nicht bei der Enttäuschung, auf einer Insel statt auf dem jenseitigen Ufer gelandet zu sein. Inzwischen ist der Hydaspes mit reißendem Hochwasser mächtig geschwollen, und um dies Ufer endlich zu erreichen, muß man die Flöße preisgeben und zu Fuß durch den wilden Strom, fast bis an den Hals im Wasser. Wieder sind es nur andere Zeugen, nicht Alexander, die uns von der Verzweiflung melden, die da einriß: alles aufgelöst, erschöpft, nach Atem ringend. Eine völlige Neuordnung war nötig. »Dann ritt ich voran«, so ungefähr fährt der königliche Berichterstatter fort, »um auszuspähen, was der Feind tun wird. Wirklich schickt mir Poros 1000 Reiter und 60 Streitwagen entgegen, die aber überwältigt werden (die Wagen blieben im Morast stecken und wurden so erbeutet). Dann rückt der König selbst mit der ganzen Macht heran. In Erkenntnis der feindlichen Übermacht und in Furcht vor den Elefanten (vor denen die Pferde scheuen) werfe ich mich auf seinen linken Flügel, Könos auf den rechten. Die feindlichen Massen werden so in die Mitte zusammengetrieben, so daß sie ihre eigenen Elefanten bedrängen. Ein großes Handgemenge folgt, und in knapp acht Stunden ermattete der Feind.«

Das ist alles, und so pflegte also Alexander über seine großartigsten Siege zu berichten. Wer ihn kennen will, muß hierauf acht geben. Alle Prahlsucht und Selbsthervorhebung fehlt, auch 200 jede Sucht nach Effekt. Ihn interessiert nur das Operative. Das Genauere mochten die Skribenten von Beruf dem Publikum mitteilen. Nicht nur ermattet, sondern völlig besiegt war der Feind.

Das Schlachtfeld hatte der indische König gewählt; es liegt bei dem heutigen Karri in Ausdehnung von fünf Meilen; sandiger, trockner Boden und daher für Wagenkampf geeignet. Denn 3000 Streitwagen hatte Poros auf seinen beiden Flügeln stehen, jeder Wagen mit vier Rossen bespannt und mit sechs Mann besetzt; die Mitte der Front aber hatten die 200 Elefanten inne, hinter denen 30 000 Mann Fußvolk standen. Des Poros Reiterei dagegen war schwach. Zwischen den Elefanten war immer ein 100 Fuß breiter Abstand gelassen. Der größte und klügste von ihnen trug den tapferen König selber. Die furchtbaren Tiere durchbrachen auch wirklich mit pfeifendem Gebrüll Alexanders Infanterie unter dem Getöse der indischen Handpauken. Mit dem Rüssel griffen sie sich die Krieger und hoben sie hochSo der Bericht. Dies soll jedoch, nach Brehm, in Wirklichkeit nie vorkommen.. Aber Alexanders seitliche Angriffe, wobei er berittene Pfeilschützen zuerst einsetzte, sicherten von vornherein die Entscheidung; denn gegen seine Kavallerie wußten jene Streitwagen nichts auszurichten. Als endlich alles sich um die Elefanten und zwischen ihnen zusammendrängte, wurden die Inder selbst von den wildgewordenen Bestien niedergestampft. Die Kornaks waren durch Speerwurf und Pfeile heruntergeschossen worden.

König Poros hatte tapfer mitgefochten. Er sah seine Streitwagen unbrauchbar ohne Lenker, seine Elefanten durch Wunden in Wut umgetrieben. Er selbst war schon an der Schulter verwundet, aber er floh nicht, wo alles floh: von Feinden umringt, kämpfte er noch allein, bis ihn die Kräfte verließen. Alexander sah es und schickte einen Unterhändler zu ihm, einen Inder, der ihn aufforderte, sich zu ergeben. Von Durst gequält, stieg Poros vom Tier, das sich in die Knie legte, herab, ließ sich Wasser bringen und dann zu Fuß zum Alexander führen. Der ritt ihm entgegen und sah bewundernd einen 201 Mann von Riesengröße vor sich, in stolzer Haltung und ausgezeichnet durch Schönheit. Wäre Alexander vom Pferd gestiegen, er hätte vor ihm als Zwerg gestanden. »Wie soll ich mit dir verfahren?« fragte Alexander. Poros versetzte nur: »königlich«. »Nichts weiter?« sagte Alexander erstaunt. »Im Wort königlich liegt alles«, war die Antwort. Alexander handelte danach; er gab den verwundeten Gegner in ärztliche Pflege, vor allem beließ er ihn in seinem Königtum, ja, er erweiterte noch sein Herrschergebiet; als Vasall und königlicher Satrap sollte Poros weiter darin herrschen. Und Poros bewährte sich in allem weiteren als Freund und Helfer.

Eine religiöse Feier mit Festspielen, auch Reiterturnieren, krönte den Sieg. Um sich aber das Land zu sichern, baute der Sieger als Militärkolonien zwei Festungen am selben Strom, in denen mazedonische Garnisonen liegen sollten. Deren eine nannte er Bukephala seinem Leibroß zu Ehren. Wir wissen nicht, ob er das edle Tier noch in dieser letzten Schlacht geritten. Es war verendet. Durch die Welt hatte es seinen Herrn von Sieg zu Sieg geführt und verdiente auch nach der Vorstellung der Inder diese Ehrung, die den siegbringenden Königsrenner heilig hieltenLefmann S. 336 ff. über das Roßopfer der Könige bei den Indern..

Die weitere Besetzung des Penschab ging dann rasch genug vonstatten; die Völker, die sich nicht gleich unterwürfig zeigten, wurden schonungslos blutig niedergeworfen, und so überschritt Alexander einen der Ströme nach dem andern, bis er an den fünften, den Hyphasis, kam. Auch unmittelbar hinter dem Hyphasis lag wieder begehrenswertes Land. Aber seine Gedanken schweiften weiter; denn auch über den Ganges und das Fabelland, das er durchströmt, erhielt Alexander damals endlich genaue Berichte. Das Gangesland, weit reicher noch, üppiger noch als das Indusland sollte es sein; und lag es denn wirklich als die ultima Thule des Ostens am Rand der Welt, hinter dem nur noch der unheimliche Ozean, Wasser und Wasser und Himmel und das Nichts? Lockte es ihn nicht dies zu ergründen und einmal spähend an der Mündung des Ganges zu 202 stehen, so wie es den Julius Cäsar lockte bis zu den Quellen des Nil zu dringen? Aber Alexander hörte auch, daß dort am Ganges das mächtigste indische Königtum bestehe, von gewaltiger Kampfkraft unter der streitbaren Nanda-Dynastie von Magadha, die allein 3000 Elefanten in die Schlacht führteDie Griechen nennen das Volk von Magadha am Ganges die Prasier. Der König der Prasier Agrammes ist gleich indisch Dhara-Nanda. Daher wird bei Justin 15, 4, 16 der Name Nandrus gelesen. Alexander erfuhr, der König habe eine Armee von 20 000 Reitern, 200 000 Mann Fußvolk, 2000 Wagen, 3–4000 Elefanten. Vgl. The Cambridge History of India I S. 469., Benares die Hauptstadt. Sollte ihn das nicht aufregen? Er war nicht so kurzsichtig, sich nicht klarzumachen, daß bei einem so gewaltigen Nachbarn die soeben erworbene indische Provinz auf die Dauer nicht haltbar sei. Eine solche Macht in solcher Nähe war eine ständige Bedrohung, und es mußte, wenn nicht jetzt, so irgendwann später mit ihr unbedingt zu einem Konflikt kommen. Das war der Hauptgrund, weshalb es Alexander unmittelbar weiter bis zum Ganges triebEs gilt hier eben der Satz, den Arrian V 24, 8 ausgezeichnet so formuliert: »Alexander war der Ansicht, ein Ende könne das Kriegführen nicht nehmen, solange noch irgendeine feindliche Macht übrig sei«, οὐδὲ ἐφαίνετο αὐτῷ πέρας τι τοῦ πολέμου ἔστε ὑπελείπετό τι πολέμιον. Von dem Plan Alexanders, durch die Wüste bis zum Ganges vorzugehen, redet derselbe Arrian freilich V 25, 1 nur sehr andeutend, deutlich nur die andern Zeugen. Daß aber auch Arrian hieran denkt, scheint mir a. a. O. die Erwähnung des großen Elefantenreichtums des Prasierkönigs zu verraten. So läßt denn Arrian V 26, 1 Alexander auch ausdrücklich selbst vom Ganges reden als dem äußersten seiner Ziele. So gewiß diese eingelegte Alexanderrede allerlei enthält, was der damaligen Situation schlecht entspricht (s. Niese), also ungeschickt zurechtgemacht ist, so setzte Arrian doch eben, als er sie abfaßte, tatsächlich voraus, daß Alexander den Plan zum Ganges in sich trug, und das kann er nur seinen Quellen entnommen haben. – Daß Alexander, als er am Hyphasis stand, oder auch schon vorher, über das Reich der Nandadynastie und ihre bedrohliche Macht unterrichtet worden ist, versteht sich von selbst. Es frägt sich also nur, welche Entschlüsse er darauf hat fassen müssen, worüber oben gesprochen ist. Freilich zeigt der Bau der Schiffe auf dem Indus, daß er von vornherein auch die Fahrt stromabwärts auf dem Indus in Aussicht genommen hatte. Aber dieser Plan eilte nicht, zumal es dafür sehr viele und auch seetüchtige Schiffe zu bauen galt; die Arbeit daran war gewiß noch lange nicht fertig.. In der Tat waren kaum zehn Jahre vergangen, da rückte vom Ganges der Machthaber Androkottos (indisch: Chandraputra) wirklich heran und besetzte das Penschab, ja rückte siegreich bis nach Afghanistan. Alexander lebte nicht mehr, um ihn abzuwehren.

Jenes Gangesland aber war zugleich, wie schon erwähnt ist, das Land des Buddha. Wäre Alexander dorthin gelangt, nicht zwar der Buddha selber, der indische Weltheiland, aber doch seine Verkünder wären ihm dort entgegengetreten wie am Indus die Brahmanen. Wie fremdartig für ihn, den Mann, der gleichsam nichts als Tatkraft und Wille war, diese Religion des absoluten Nichtwollens und Verzichtens, der Selbstaufhebung und des Hinaussehnens aus der Welt der Taten in das erlösende Unbewußte!

Der Buddhismus verträgt sich nicht mit Eroberung und Kriegsgeschrei; er kann wohl Blumen welken, aber kein Blutvergießen sehen. Damals aber hatte er den gewaltig kriegerischen Geist der Hindus noch keineswegs entnervt und gebrochen.

Vorwärts! Alexander gab den Befehl, den Hyphasis zu überschreiten. Da geschah das Unerwartetste. Das Heer gehorchte nicht. Die Mißgelaunten rotteten sich zusammen, und der Aufruhr ging durch die Zeltgassen. Wieweit Alexander seine Pläne offenbart hatte, kann man nicht wissen. Aber einstimmig hieß 203 es: wir marschieren nicht. Es war wie bei Christoph Columbus, wo auf der endlosen Seefahrt die Mannschaft ebenfalls »Umkehren!« schrie; denn sie sahen kein Land und kein Ende. Überdruß, Müdigkeit, Erschöpfung, Heimweh: vielleicht war es eine lang schon vorbereitete, lang verhaltene Stimmung, die jetzt losbrach, unter dem massiven tropischen RegenDaß die ungünstigen Witterungsverhältnisse von Einfluß waren, hebt Niese hervor, der zugleich zeigt, wie unsachgemäß die Reden erfunden sind, die da Arrian einlegt.. Wer mochte in der Nässe noch Schlachten schlagen? Man hatte genug gesiegt. Bis hierher und nicht weiter!

Jedoch scheint mir, daß zur Erklärung dieses höchst auffälligen und ganz unerhörten Stimmungsumschlags das Gesagte noch keineswegs genügt. Das Entscheidende war offenbar folgendes: die Offiziere waren bisher anstandslos mitgegangen, solange es sich nur um die Wiederherstellung des Gesamtumfangs des Perserreichs Darius des Ersten handelte. Jetzt wollte Alexander zum ersten Male aus Gründen, die die meisten nicht verstanden, darüber hinausgehen. Er brach, so schien es, mit seinem eignen Grundsatz. Die Offiziere sagten: quod non.

Alexander war beredt und konnte durch Wort und Gebärde die Herzen wohl mächtig ergreifen. Er sprach beweglich zum Heer. Aber umsonst; es verfing nicht. Auch seine Offiziere versagten. »Wir wollen nicht!« Dabei blieb es. Für Alexander ein Schlag, wie er ihn noch nicht erlebt. Er konnte nicht tun, was er wollte. Umkehren? seinem Heer gehorchen? Umkehren war ein Wort, das er nicht kannte. Er grollte und schmollte drei Tage und schloß sich ab, zähneknirschend. Niemand sah ihn: wie ein Liebhaber, dem die Geliebte zum erstenmal nicht zu Willen ist.

Das Heer aber blieb bei seinem Willen, auch als er sich wieder zeigte. Da brachte er am Fluß ein Schlachtopfer, und der Priester mußte nachforschen, ob sich bei der Eingeweideschau für den weiteren Vormarsch nicht etwa ungünstige Vorzeichen ergäben. Natürlich fielen diese ungünstig aus; Alexander wollte es so, und der Herrische konnte sich nun sagen, daß er nicht seinen Soldaten, sondern der Stimme eines Gottes nachgegeben. Er beschloß umzukehren.

204 Zwölf mächtige, 50 Fuß hohe Altäre baute er jenseits des HyphasisPlinius n. hist. 6, 62., in der Form breiter Festungstürme, aus Haustein, das einzige Baudenkmal, das er seinen Kriegstaten gesetzt hat; sie sollten der Nachwelt die Stelle zeigen, bis zu der er auf seinem Zug durch die Welt gelangt war. Auf der Inschrift aber stand nichts weiter als ein Dank für die geleitenden GötterSo Arrian V 29, 1. Einen erdichteten Wortlaut der Inschrift gibt Philostrat, Apollon. v. Tyana 2, 43.. Kaum je hat wohl ein Grieche dies Denkmal wieder aufsuchen können; auf den Landkarten aber wurde es hinfort stets sorglich verzeichnet. Noch im Mittelalter sind in dem Kartenbild der sog. Peutingerschen Tafel zwei Altäre eingetragen worden mit dem Vermerk: »Hier traf den Alexander das Schicksalswort: wie weit willst du noch, Alexander? (hic Alexander responsum accepit: usque quo, Alexandre?).«

Ob die großartigen Steinbauten nicht aber auf die Inder Eindruck machten? Vielleicht sind sie eben durch sie angeregt worden, in Zukunft gleichfalls zum monumentalen Steinbau überzugehenDer Rämatempel von Gop hat z. B. die Turmform, von der bei Arrian die Rede ist; s. Lefmann S. 550. Die älteste Stupa, nur 22 Fuß hoch, aus Backstein, gehört freilich schon etwa dem Jahre 450 v. Chr. an; im Innern ist der Sarg des Buddha selbst gefunden; alle andern bisher nachgewiesenen Stupas dagegen sind wesentlich jünger; s. Smith The imperial Gazetteer of India, The Indian empire vol. II, Oxford 1909 S. 102. Vgl. noch The Cambridge History of India I S. 616 f..

Alexander kehrte zum Indus zurück. Mitte September hörte die Regenperiode auf. Jetzt konnte er zu einer andern Unternehmung ausholen, durch die er alles bisherige überbot. Er hatte sie lange vorbereitet, die Ausfahrt zur Entdeckung der Südsee, zur Erschließung des Indischen Ozeans für den griechischen Handel, für den Welthandel, und sie ist wie der Edelstein im Golde seines Ruhmeskranzes, als wären alle bisherigen Kriege für sie nur das Vorspiel gewesen. Kriege sind nicht Selbstzweck; sie sind nur die Eisbrecher, die die Ströme des Kulturlebens der Völker freilegen.

Die indischen Waren sollten nicht mehr bloß durch schwerfällige Karawanen, sie sollten auf dem direkten Wasserweg von Indiens Westküste bis in den Euphrat nach Babylon laufen können. Bisher kannte der so seetüchtige Grieche nur das engbrüstige Mittelmeer, diesen Tümpel, der nicht einmal Flut und Ebbe hat. Aber auch die Babylonier, die Ägypter hatten die Aufgabe bisher nicht gelöst. Alexander folgte vielmehr dem Vorbild des ersten Darius, und er bewegte sich also auch jetzt 205 wieder bewußt auf den Spuren dieses seines Vorbildes und seiner indischen Politik. Einen griechischen Seemann, Skylax mit Namen, hatte jener Darius vor etwa 150 Jahren für die Aufgabe gewonnen, und Skylax fand den Seeweg; er brauchte dazu 30 Monate. Ein menschheitliches Problem war damit anscheinend gelöst, die praktische und wissenschaftliche Nutzbarmachung aber blieb aus. Es galt die Aufgabe noch einmal und besser zu lösen, und der König Asiens hatte jetzt selbst die Führung.

Er hatte alles auf das genaueste durchdacht. Gewiß aber trieb ihn auch eine romantische Sehnsucht und wirkte mit. Unermeßlich wie das Luftmeer ist die rollende offne See, und die Seele weitet sich, die sich darin verliert, und fühlt sich kühn wie von Schwingen getragen über dem Bodenlosen. Er wollte ihn einmal selbst befahren, jenen Ozean, von dem bisher nur die Fabel meldete, über dem die heimatlosen Winde jagten und in dessen wogender Umfassung alle Kontinente, Asien, Europa, Afrika, lediglich als Inseln ruhten wie Sizilien im kleinen Mittelmeer.

Eine Flotte von zirka 2000 Schiffen – Schiffstypen aller Arten – fuhr den Indus hinab. Die Schiffe waren großenteils zu dem Zweck neu gebaut. Der Admiral der gesamten Flotte hieß Nearch. Die Bemannung hatte Alexander weither von den Mittelmeerküsten kommen lassen. Welch ein Aufwand! Zu einer feierlichen Handlung aber wurde die Abfahrt erhoben. Vom hohen Heck aus schüttete Alexander ein Weinopfer aus goldener Schale in die Flut, indem er andächtig alle die Flußgötter bei Namen zur Hilfe rief; aber auch dem Ammon, seinem göttlichen Vater, galt die Spende. Dann bliesen die Posaunen; alle Ruder der 2000 Schiffe griffen gleichzeitig aus und schaufelten im Takt das Wasser, ein wunderbares Rauschen, indes auf jedem Schiff die Stimme des Taktrufers erscholl, die den gleichmäßigen Ruderschlag sicherte. Und so begann die Flotte dahinzugleiten, ein majestätischer Aufzug ohne Ende, zwischen Felsen und Wäldern, deren Echo den Schall zurückwarf. Die 206 Ufer voll neugierig gaffenden Indervolks, die da staunten und staunten. Sogar die Kavalleriepferde wurden zu Schiff transportiert; das hatte man hierzulande noch nie gesehen.

An den Ufern, rechts und links, wurde die Flotte vom Heer, das jetzt 100 000 Mann stark war, begleitet, so daß man stets miteinander in Fühlung blieb. Das Heer hatte das umliegende Gebiet zu okkupieren, die widerstrebenden Bevölkerungen zu unterwerfen. Alexander blieb, solange es ging, auf dem Wasser. Er konnte von seinem langen Ritt durch die Welt endlich einmal ausruhen. Dabei umgab ihn ein Stab von Ortskundigen und von griechischen Gelehrten, und man machte topographische Aufnahmen nach bestem Vermögen und erging sich in geographischen Hypothesen oft recht abenteuerlicher Art. Als Alexander im Indus die ersten Krokodile sah, redete er sich ein, die Nilquellen müßten hier in Indien sein. Der Obersteuermann seines königlichen Schiffs aber war Onesikritus, den ich schon nannte. Hoffentlich hat der Mann sein Handwerk als Steuermann verstanden; im übrigen war er ein Schwindler, der sich späterhin über das hier Erlebte in den dreistesten Fabeleien erging. Ob Alexander ihn nicht durchschaute? Aber dieser Mann war zugleich Cyniker, Verehrer des Diogenes, also Kosmopolit und Verächter des Nationalismus. Alexander war es auch. Darum hat er auf ihn Wert gelegt.

Die Flußfahrt aber währte lange. Das Indusgebiet erstreckte sich noch weit hinab. Die Landschaft wurde flach, und je öder und unschöner, je weiter man kam. Langweilte man sich, so gab es Regatten, Wettsegeln mit Ehrenpreisen; um dabei die Schiffsgruppen zu unterscheiden, verfiel man darauf, die Segel bunt zu färben, und das Buntfärben der Baumwollstoffe (linum), das es bisher nicht gab, soll danach erst in Übung gekommen seinPlinius 19, 22..

Aber auch sonst gab es hundert Verzögerungen: Havarien in den Stromschnellen, vor allem unablässige Kämpfe mit der trotzenden Anwohnerschaft. Waren Gebiete genommen, wurden nach bewährter Methode Kastelle gebaut, auch neue Städte 207 gegründet. Die Strommündung und der Ozean, den man suchte, lag noch fern – es hat schließlich volle sieben Monate gedauert, bis ihn Alexander erreichteNur 5 Monate nach Plinius 6, 60. –, da wurde er selbst noch einmal in die Kämpfe hineingerissen. Er tat es mit derselben Wucht wie immer. Es waren die letzten großartigen Gefechte seines Lebens. Auch einen Eilmarsch durch wüste Strecken, 92 Kilometer in 24 Stunden500 Stadien Tag und Nacht., gab es da wieder, und es gab auch wieder eine Schicksalsstunde. Er wäre fast des Todes gewesen. Seine Kühnheit ging bis zur Raserei. Man kann sagen, er stand täglich auf der Schwelle des Jenseits; es war diesmal ein unbegreifliches Wunder, daß er am Leben blieb.

Es handelte sich um das streitbare Volk der Maller. Der Feldzug gegen sie war schon halb erledigt; der Rest der Verteidiger warf sich in eine Stadt, deren Namen wir nicht erfahren. Alexander nahm die Unterstadt; es galt jetzt nur noch die Zitadelle zu stürmen. Er befahl: »Sturmleitern her!« Die Leitern kamen nicht; seine Mazedonen waren ihm zu langsam. Da reißt er einem Kerl die Leiter weg, legt sie selbst an die steile Mauer, steigt hinauf, deckt sich mit dem Schild, wirft, um sich schlagend, feindliche Soldaten herunter. Nur Peukestes und Leonnatus und ein dritter Offizier, Abreas, sind ihm gefolgt. Als weitere Mazedonen heraufwollen, bricht die Leiter. Was wird geschehen? Auf der Mauer ist er in seiner glänzenden Rüstung das sicherste Ziel für die Pfeilschützen. Soll er zurück? Er springt vielmehr allein mitten unter die Feinde, ins Innere der Burg, auf Tod und Leben. Da wirft sich gleich alles auf ihn. Er deckt sich den Rücken, hart an die Mauer gelehnt, haut, er allein, mit dem Schwert den ersten, den zweiten, den dritten nieder, auch den feindlichen Heerführer; Steinblöcke greift er und schleudert sie in die Masse. Die weicht zurück, aber aus der Ferne hageln auf ihn die Geschosse. Da kommt schon Leonnatus zur Hilfe und die zwei andern. Aber Abreas fällt sogleich; ein Pfeil drang ihm ins Gesicht. Da trifft ein Pfeil auch den König; durch den Küraß bohrt er sich in die Brust, an der Brustwarze. 208 Nach einigen war Alexander schon vorher von einer Keule am Kopf getroffen und betäubt. Das Blut fließt; trotzdem steht er noch, wehrt sich noch, bis ihn das Bewußtsein verläßt und er vornüber auf seinen Schild fällt. Seine zwei Genossen decken ihn; aber auch sie werden getroffen, und alles scheint verloren, als es endlich den Mazedonen draußen, denen die Leitern versagten, trotzdem gelingt, über die Mauer zu kommen. Sie sahen den König; er ist tot, ging das Geheul; da wurde unter den Indern ein furchtbares Blutbad angerichtet.

Auf dem Schild trug man den Leblosen hinaus. Aber er lebte; er begann zu sprechen; da kam der Wundarzt und zog den Pfeil aus der Wunde, indem er sie durch Schnitt erweiterte. Erneuter Blutverlust, erneute Ohnmacht.

Die Todesnachricht drang indes in das große Heerlager, das sich weitab am Fluß befand. Die Erregung, die Verzweiflung der Masse war da unbeschreiblich, Wehklage und Angstschrei: »führerlos, ratlos, in der Fremde verloren, was wird aus uns und wer soll uns helfen?« Als es hieß, der König lebt, glaubte es keiner. Auf dem Schiff wurde Alexander zum Lager befördert. Ein schattengebendes Zelt verdeckte ihn den Augen. Alexander befahl durch Wink, das Zelt zu entfernen, und seine Mazedonen sahen ihn schon aus der Ferne. Lebte er wirklich? Als das Schiff anlegte, streckte er grüßend die Hand. Da erst löste sich die Spannung, ein unermeßlicher Jubelschrei brach am Ufer los, die Tränen stürzten den Leuten aus den Augen, und alles warf die Hände hoch, zum Himmel. Dann stieg er gar zu Pferd, bis er unter der Menge war, stieg ab und trat stumm mitten unter sie, und alles suchte seine Hand, seine Knie, sein Gewand zu berühren. Unter Heilrufen warf man Blumen über ihn. Das war das Heer, dem er unlängst gezürnt. Die alte Liebe war wieder da. Als aber seine Freunde ihm vorhielten, ein König dürfe sich nicht so toll in Gefahr stürzen, machte er ein schief Gesicht; er mochte das nicht hören.

Als Alexander endlich in das Mündungsgebiet des Indus kam, war seine Wunde längst ausgeheilt. Sein Körper hatte 209 auch das glänzend überstanden. Der wasserreiche Strom spaltet sich dort in zwei Arme und bildet ein Delta, größer als das Delta des Nil. Alexander aber hatte, was er wollte. Er fuhr forschend erst den einen, dann den andern Stromesarm hinab und dann beidemal hinaus in die offene See. Große Bestürzung, als schon auf dem Indus Ebbe und Flut einsetzte; die Ebbe schlürfte das Wasser unter den Schiffen weg, und sie lagen auf dem Trocknen. Die Ratlosigkeit und Verzweiflung der Schiffsleute wird uns ergötzlich geschildert. Dann schlugen die blauen Wogen des Indischen Ozeans am Bug des Königsschiffes hoch; Alexander genoß den erhabenen Eindruck und senkte andächtig in feierlicher Stunde vom Schiffsrand aus ein reiches Opfer in die Tiefe, dem Gott der Meere zu Ehren. Dieser Gott war Poseidon. Poseidon, der bisher nur das kleine Mittelmeer regiert, war jetzt zum Herrn des Weltmeers geworden. Hoffentlich wurde die feierliche Handlung nicht durch Thunfische gestört. Man erzählte das Lächerliche, daß ganze Rudel von Thunfischen heranschwammen, als Alexander zuerst ins Meer stach; in Schlachtordnung ließ er seine Flotte gegen sie anfahrenPlinius 9, 5..

Übrigens wurden an geeigneten Stellen gleich Hafenstationen vorbereitet, Schiffswerften gebaut, am Rand der Küste Brunnen gegraben, damit, wenn der geplante Überseeverkehr einsetzte, Handelsschiffe hier anlegen und süßes Wasser finden könnten.

Der Herbst des Jahres 325 kam, und die Flotte sollte nun in See gehen, um den Wasserweg zum Euphrat zu finden. Aber nicht Alexander, sondern Nearch führte sie. Der Mann stammte von der Pirateninsel Kreta und war zu dem Wagnis gleich bereit: »Gott mit uns! ich tu's!« Aber die Schiffsmannschaften hatten Angst; es ging ins unbekannte, nie befahrene Meer, unheimlich wie die heutigen Südpolexpeditionen. Alexander aber verstand die Seelen zu lenken; er trug selbst in Gegenwart der Matrosen dem Nearch allerlei Sorgen und Bedenken vor. Das gab diesem Anlaß, seine Zuversicht laut zu äußern und zu begründen: alles sei auf das beste vorbereitet und das bekannte Glück Alexanders werde mit ihnen sein. Das wirkte.

210 In der Tat, das Glück war mit Nearch, aber diesmal nicht mit Alexander. Auch was nun folgte, ist beispiellos in der antiken Geschichte; es war Entdeckungsfahrt und Heimfahrt zugleich. Babylon das gemeinsame Ziel; Alexander führte sein Heer zu Lande dorthin. Die Entdeckungsfahrt gelang; die Heimkehr Alexanders dagegen war tragisch und an unerhörten Opfern reich.

Da dem Altertum der Kompaß fehlte, war die Seefahrt gezwungen, stets nur an den Küsten entlang zu tasten. Nearch hielt sich also bei seiner Fahrt immer in Sicht der persischen Südküste. Alexander aber wollte die Fahrt zu Lande begleiten. Er hatte schon Truppen und die Elefanten vorausgeschickt. Der Rest des Heeres sollte auf drei Straßen getrennt das Ziel suchen. Er selbst aber führte seinen Heeresteil nun auch an der Südküste entlang; er tat es, obschon er vor den Gefahren, die ihm drohten, gewarnt war; aber die Pflicht gebot, mit der Flotte für den Fall, daß sie Proviant oder Hilfe brauchte, immer in Fühlung zu bleiben. Funkenspruch gab es freilich nicht; aber es war doch möglich gelegentlich durch Boten zu verkehren. Durch bisher noch nicht berührte Distrikte, die seine Autorität anerkennen sollten, ging der Marsch, und er fand nur geringe Widerstände. Dann aber öffneten sich ihm die wasserlosen Wüsten des gräßlichen Landes Gedrosien, die Wüsten, die der Tod alles Lebens sind. Es war wie der Rückzug Napoleons von Moskau, aber nicht der Frost, sondern die dörrende Hitze war hier der Mörder. Ein Massentod. So weit möglich, gab es nur Nachtmärsche; am Tage ruhte alles, im Verdursten, in Sehnsucht nach Schlaf, der den Tod bringt. So ging es Woche für Woche, 60 Tage. Der Himmel brennt, die Luft ätzt, der Boden glüht. Durch die Adern rinnt es wie Feuer. Man reckt die Hände nach Gewitterwolken, lechzt nach Regen, Regen, Donner und Blitz. Es sengt im Hirn. Da glaubt man auf einmal in der Ferne Palmen zu sehen, Mauern und Zinnen, und jubelt auf: eine Oase! Aber es war Spuk; die Fata morgana narrt die Pilger, und alles verschwimmt in nichts wie 211 eine Schneeflocke in der Sonnenglut. Dann wühlt man vor Schmerz die Hände in den glühenden Sand. Woher der Trug? Allah ist Allah, ruft der Moslim heute; nur Allah weiß es.

So ging es auch damals; am schlimmsten war es, wenn gar die Führer den Weg verloren, der durch Flugsand verweht war. Alexander ritt selbst aus, bis er die Küste fand und an ihr sich neu orientierte. Als er endlich in fruchtbarere Gegenden kam, hatte er angeblich den vierten Teil seines Heeres verloren. Vor allem litt jedenfalls der zahlreiche Troß; auch Weiber und Kinder waren mit im Zuge. Die Lasttiere blieben im Sande stecken, die Wagen erst recht. Man schlachtete die Tiere, um zu leben. Alexander tat, als bemerkte er es nicht. Was mochte er denken? Über unzählige blutgetränkte Felder war er geritten; jetzt flogen die Sandwolken der Wüste hinter ihm auf, und die Gebeine der Verhungerten bleichten in der SonneAus Reisebeschreibungen habe ich mich hier einiger Wendungen bedient, um die Qualen des Wüstenmarsches einigermaßen zuverlässig zu schildern. Übrigens findet man bei Sven Hedin, Zu Land nach Indien, II S. 200 ff. Genaueres über Alexanders Heereszug durch Belutschistan..

Welch Aufatmen, als man endlich zur Stadt Pura, wo sich ein altes Königsschloß befand, und gar weiter in die Landschaft Carmanien kam! Da war man auf einmal in üppigen Gefilden und konnte sich gründlich erholen, ja, schwelgen in Wohlleben. Die Toten waren dahinten. Der Lebende hat recht. Dort trafen auch die andern detachierten Heeresteile ein, und die üblichen Festfeiern folgten; Alexander schuldete sie seinen Truppen. Ob er selbst sie ohne Reue feierte? Es war das erstemal, daß er die Schwierigkeiten eines Unternehmens falsch berechnet hatte, und ihn befiel nun die Angst um die Flotte und um Nearch. War auch dies Unternehmen verfehlt? Das Sandmeer brachte Verderben; würde das wirkliche Meer gnädiger sein?

Aber Nearch hatte indes alle Gefahren sicher überwunden. Er führte dabei ein Schiffstagebuch oder Logbuch mit genauesten topographischen Feststellungen, das er alsbald herausgab und von dem wir einen wertvollen Auszug besitzen. Jeder Kapitän hat damals nach Nearchs Leitbuch dieselbe Fahrt wieder unternehmen können. 75 Tage hatte er gebraucht, da Monsumstürme über ihn kamen und anfangs ein längeres Stilliegen nötig machten. Nachts wurde immer an Land gegangen; man 212 fand da aber zumeist nur kärglich Proviant und schlechtes Trinkwasser, vor allem nirgends Öl, das im Süden die Butter ersetzt. Küstenbewohner primitivsten Kulturstandes traf man an, die noch kein Eisen kannten, mit Steinwaffen sich behalfen. Das Hauptabenteuer waren die Walfische, die grenzenlosen Schrecken erregten, wirkliche Wale, größer als die griechischen Fahrzeuge selbst; sie schienen groß wie Inseln. Brausend kamen sie dicht heran, Wellenberge erzeugend, Wasserfontänen spritzend; Angstschrei auf Deck: »wir sind des Todes!« Aber Nearch benahm sich geschickt und tapfer. Das ganze Altertum hat von diesem Erlebnis mit Staunen gelesen. Als sich die Flotte dann endlich Arabien näherte, glaubte man, es röche schon von weitem nach Zimmet; aber es war Täuschung; es wuchs gar kein Zimmet in ArabienPlinius n. hist. 12, 86..

Bei der Insel Ormuz am Eingang des Persischen Meerbusens unterbrach Nearch die Fahrt, verließ die Flotte und betrat ohne die Mannschaft das Festland. Da kam jemand daher, der ihm beiläufig meldete, Alexander stehe nur fünf Tagemärsche entfernt. Gleich danach hörte auch Alexander, Nearch sei gesehen worden, nur er, nicht die Flotte. Aber Tage vergehen, und Nearch zeigt sich nicht. Alle Boten, die Alexander nach ihm ausgeschickt, kommen vergebens zurück. Vor Wut und Kummer läßt er da den Mann, der zuerst die Meldung gebracht hatte, in Ketten legen: »er hat mich belogen!«, schickt jedoch gleichwohl nochmals Leute zu Wagen aus, und diese begegnen wirklich dem Gesuchten, wollen aber an ihm vorüber; denn niemand erkennt Nearch wieder, so wüst entstellt war er, abgezehrt und bleich, mit schrecklich verwildertem Haar und Bart und wie mit Salzkruste bedeckt; das war das Geschenk des Ozeans. Da gibt Nearch sich zu erkennen, und Eilboten laufen voraus, dem König zu melden: er kommt! Aber die Boten wissen von Nearchs Flotte nichts zu melden. Da ist Alexander schwer betrübt.

Nearch kommt an, tritt zu ihm ein. Alexander erstarrt über seinen Anblick, ergreift seine Hand, führt ihn seitab und schluchzt und findet lange die Sprache nicht vor Tränen. Dann erst kann 213 er nach der Flotte fragen: »zerschellt? verloren? wo ging sie zugrunde?« Nearch selbst erzählt uns die Szene. Als dieser meldet: »alles heil und gesund«, weint Alexander noch heftiger vor freudiger Überraschung, und als er dann den Bericht gehört hat, ruft er aus: »das ist mir lieber, ich schwör' es beim Zeus, als alle meine Siege!«

So war er, pathetisch und von stärksten Affekten hin und her geworfen, eine Seele, die immer hoch ging; immer Flut, nie Ebbe.

Danach setzte Nearch seine Flottenfahrt bis zum Euphrat fort. Unter den vielen hohen Offizieren, die der König hernach mit dem goldnen Kranz ehrte, war auch er, übrigens auch jener Onesikritus, der Cyniker. Der Kranz vertrat den Orden pour le mérite. Alexander aber wählte zunächst Susa zur Residenz, wo er Roxane, seine Königin fand.

Das große Programm der Wiederherstellung des Weltreichs Darius des Ersten war nun voll und ganz durchgeführt, die Kriege wirklich zu Ende, die zehn Jahre erfüllten. Sogleich wurde Apelles, der Maler, wieder in Tätigkeit gesetzt; er mußte das berühmte allegorische Gemälde entwerfen, das Alexander triumphierend auf dem Siegeswagen zeigte; hinter dem Wagen aber schritt der Kriegsgott Ares, der verhaßteÜber Ares vgl. oben S. 127 Anm. "Bei Arrian wird I 14, 7..."., selbst als Gefangener einher, die Hände schmählich auf dem Rücken gebundenSiehe Plinius 35, 93 u. 27. Daß das Gemälde damals entstanden sein muß, ist klar.. Der Sinn ist klar: Alexander hatte den Krieg selbst nunmehr in Fesseln geschlagen; er plante vorläufig keine weiteren Kämpfe.

Jetzt also galt es zu zeigen, daß sein bisheriges Lebenswerk nicht vergebens war, und das neu geschaffene Reich in Frieden zu regieren. Im großen Völkerfrieden mußten ungeahnte Glücksgüter erstehen, und die Hand, die all das Blut vergossen, sollte fruchtbar werden wie ein Saatfeld.

Alexander ging rüstig ans Werk. Aber die Enttäuschungen sollten nicht ausbleiben, und er hatte kaum noch zwei Jahre zu leben. Das Jahr 325 war zu Ende gegangen. Sehen wir, wie eigenartig er sein Werk begann; er tat es ohne Hast, als würde die Parze nie müde werden, seinen goldenen Lebensfaden zu spinnen. 214

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