Theodor Birt
Alexander der Große und das Weltgriechentum
Theodor Birt

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Das Perserreich

Wir schlagen ein neues Blatt auf im Bilderbuch der Welt. Die Steppen und Hochländer Asiens sollen sich uns auftun, weit über den Euphrat hinweg bis nach Pamir und zu den Mündungen des Indus Der Zug gegen Persien soll beginnen.

In der Zeit des Xerxes und Themistokles war die Angst vor Persien groß gewesen. Jetzt predigten die Stimmungmacher bei den Griechen, der Großkönig sei im Grunde leicht zu besiegen, und die Überlegenheit der griechischen Kriegskunst sprang in der Tat in die Augen. Unvergessen blieb vor allem der Aufstand des jungen persischen Prinzen Kyrus vom Jahre 401, der sein Heer mit 13 000 griechischen Söldnern verstärkte und so gegen seinen Bruder, den Großkönig, zu Felde zog, bis zum Tigris drang und mit Hilfe dieser Griechen wirklich siegte. Der Prinz selbst fiel in der Schlacht, das Ganze war nur ein Schlag ins Wasser, des Großkönigs Heer aber wagte hernach nicht, die griechischen Hilfstruppen von immer noch 10 000 Leuten abzufangen, und sie führten ihren berühmten Rückzug über Armenien nach Trapezunt sicher aus und ungefährdet. Xenophon beschrieb den Rückzug, und, wie sich von selbst versteht, hat auch Alexander das allgemein beliebte Buch des Xenophon gelesenVgl. Arrian II 7, 8.. Gleichwohl war Alexanders Vorhaben weit schwieriger, als die Schönredner glaubten. Vorderasien ließ sich allerdings bei günstigen Verhältnissen leicht überrumpeln, Persien nicht. Auch die erfolgreichsten Römer wie Kaiser Trajan sind immer nur bis nach Arbela und wenig über den Tigris hinaus gelangt. Jene 10 000 Griechen, von denen Xenophon berichtet, wären bis dahin auch gewiß nicht gelangt, hätten sie nicht unter persischer Führung gestanden. Das asiatische Reich ins Herz zu treffen, d. h. Persien selbst zu unterjochen oder auch nur zu betreten gelang keinem außer Alexander und 800 Jahre später den vorstürmenden Arabern unter der grünen Fahne des Propheten; Omar, der Kalif, war damals der Sieger, aber er hatte es leicht; denn die Länder, die er nahm, waren damals von arabischen Bevölkerungsmassen erfüllt, die seiner kriegerischen Propaganda halfen.

73 Man fragt sich verwundert, was sich die griechischen Hetzredner dachten, wenn sie Griechenland zur Besiegung des Großkönigs aufriefenSo tat es Isokrates in seinem Panegyrikus.. Hätte ein Bandenführer der Republik Athen wie Iphikrates oder der Spartaner Agesilaos wirklich das Wunder vollbracht, den Großkönig zu stürzen und seine Hauptstadt zu nehmen, wie hätte Sparta oder Athen das Riesenreich alsdann verwalten sollen? Ein Taschenkrebs kann keinen Walfisch umspannen. Das Siegen ist für den besser Bewaffneten leicht; schwer, das Eroberte festzuhalten und dauernd zu regieren.

Kolosse sind im Kampf ungelenk und leicht in Nachteil zu setzen; Odysseus blendet den Zyklopen, David besiegt den Goliath. Ein Riesenreich, das annähernd so groß wie Europa, hat es schwer, seine Kraft auf einen Punkt zu sammeln, noch schwerer, seine sämtlichen Grenzen zu schützen.Man denke zum Vergleich an Rußland im Kampf gegen Japan.. Gleichwohl hatte das persische Reich damals Hilfen genug: es war stark bevölkert und konnte sein eigenes Menschenmaterial verschwenden, es strotzte von Reichtum an Gold und Goldeswert und konnte Flotten bauen, fremde Truppen, die käuflichen griechischen Söldner, anwerben in unbegrenzter Zahl; es war geographisch gesichert durch sein eigenes Volumen, die Riesendimensionen, an denen die Phantasie erlahmt, durch hundert Hochgebirgsgürtel und Wüsten, die unter der Tropensonne glühen, Terrainschwierigkeiten, die jedem größeren Heerestransport zu spotten scheinen.

Versuchen wir einen Überblick zu gewinnen. Dies ist nicht leicht; denn es handelt sich um Strecken Asiens, die für den Modernen nahezu unerschlossen sind, und kein Bädeker gibt über sie hinreichend Aufschluß. Man muß sich an die großräumigen Verhältnisse erst gewöhnen. Der Finger gleitet suchend über die Landkarte; das kleine zackige Griechenland läßt er links liegen. Er gleitet, nach Osten zu, wie nichts über Tausende und wieder Tausende von Kilometern hinweg bis nach Afghanistan. Asien, Asien und immer noch Asien! Wie viele leere unbedruckte Stellen auf dem Papier! Uferlose Wüsten. 74 Dazwischen ein paar große Ströme, dicke Gebirgsstränge in Massen. In Griechenland alles eng und kompreß, hier alles zerdehnt ins Unendliche, als gäbe es keinen Horizont; und alles so fremd und unbekannt. In Kanada, Kalifornien, Ohio ist heute ungefähr jeder mit seiner Phantasie zu Hause, ebenso in Mexiko, Bolivia, Chile usf. Ostindien, China und Japan sind uns fast benachbarte Länder geworden; sogar Sibirien in seiner gräßlichen Größe, der unheimliche Versteck für Rußlands Staatsverbrecher, ist heute durch die sibirische Bahn ein Land geworden, das die Geschäftsleute täglich durchqueren. Wie anders das Morgenland, der Teil Asiens, den einst Alexander eroberte! Erst durch den letzten Weltkrieg, den Existenzkampf der Türkei, die diesseits und jenseits der Dardanellen die Hilfe des Deutschen Reiches heranzog, aber wohl auch schon durch den Bau der Bagdadbahn, die Konstantinopel womöglich mit Indien verbinden sollte, ist es uns etwas näher gerückt, und Smyrna, Angora, Armenien, Beirut, Sinai, Tigris und Euphrat, Teheran, Afghanistan, Pamir, all die Namen schwirrten uns seitdem oft um die Ohren.

Aber wir haben dabei zugleich erfahren, wie schwer es für europäische Mächte ist, im Orient politisch umgestaltend einzugreifen, d. h. die Türkei aufzuteilen. Das haben schon die Kreuzzüge des Gottfried von Bouillon und seiner Nachfolger gelehrt; dasselbe lehrten eben jetzt die Friedensverhandlungen in Lausanne des Jahres 1923. Die türkischen Nationalisten haben sich erhoben, und England fühlt sich als sog. Mandatar in IrakIm Vilajet Mossul., am Euphrat, wo es die Petroleumquellen für sich ausbeuten will, keineswegs sicher, Frankreich in Syrien noch weniger; denn Syrien ist von allen Seiten leicht zu fassen, und die Araber grollen.

Es handelt sich also auch in dem Kampf Alexanders mit Darius zunächst um das Machtgebiet der Türkei, das türkische Vorderasien der Gegenwart. Wir erleben es eben jetzt, daß Europa, wie ich sagte, das Unternehmen Alexanders des Großen, dies Vorderasien zu unterjochen, erneut. England und Frankreich dringen dabei im Wettkampf vor. Die Eisenbahn ist die 75 neue Angriffswaffe. Die Durchdringung des Orients durch Eisenbahnen hat begonnen. Nicht nur Ägypten und Palästina wimmeln heut von Europäern; auch Kleinasien und Syrien kann der Reisende jetzt auf dem Schienenweg bis Bagdad durchqueren, und von Jerusalem aus trägt die Hedschasbahn die Mekkapilger bis Medina in Arabien. Der sausende D-Zug spottet der Karawane, aber er ist und bleibt doch nur ein Fremdling, und der Kamelreiter und der auf arabischem Roß schweifende Beduine gehört immer noch wie zu Jesu Zeiten zum Bild des Morgenlandes.

Alle diese Länder, die ich nannte, ohne Persien (denn Persien liegt im Osten fern abgerückt) fließen ineinander über und sind fast nirgends durch natürliche Grenzen getrennt. Ägypten hängt darum kulturell und handelspolitisch mit Syrien und Babylonien eng zusammen, und das Reich der Türken war schon das Reich Nebukadnezars, das all diese Länder verband; das Menschentum vorwiegend semitisch, arabisch. Im Altertum war darum ein ständiger Kampf zwischen den Pharaonen, die vom Nil, und den Königen Assyriens, die vom Tigris her vorbrachen mit dem Anspruch, alles zu haben. Aber Assyrien siegte.

Wer heute aus seinem engen deutschen Gebirgstal kommt und über dem blauen Mittelmeer den Küsten des Orients sich naht, dem wogt die Seele, fremd und schön, von unendlichem Abenteuergefühl. Aber die Enttäuschungen bleiben nicht aus, und das Gemüt wird stille. Man landet in Smyrna oder in Beirut, um in das Innere vorzudringen, vergeht zunächst in anbetender Bewunderung der Herrlichkeit dieser morgenländischen Natur, bis man nur zu bald landeinwärts vordringend sich von der Öde umfangen sieht: die Welt versandet. Der Gegensatz ist groß. Die Küstenparadiese mit ihrer strotzenden Vegetation sind überall nur der Rahmen für unendliche leere Hochlandflächen, die das Innere erfüllen. Nur ein paar üppige Stromgebiete, nur einige märchenhafte Oasen mit Palmwäldern, Fruchtfülle und Blütenpracht verändern das Bild wie 76 Brillantagraffen im härenen heißen Rock der syrisch-arabischen Wüsten. Eine einschläfernde Ermüdung, nein, Gleichmut erfaßt den Reisenden, das Phlegma des Pilgertums. Geduld! ist die Losung des Orients; europäisch das Hasten, asiatisch das Rasten. Aber der Orientale ist dabei zugleich wach und zielbewußt; er liebt den Gewinn, den Raub. Die Geduld besiegt Raum und Zeit; das Fernste rückt sie nahe, und ein Jahr ist für sie wie der Tag, der gestern vergangen ist.

Wer in Jerusalem oder in Damaskus die Globetrotter sieht, dort im modernen Tram zwischen den kalkweißen Häusern die Bazare passiert, um etwa im Viktoriahotel abzusteigen, oder wer gar im Dampfer auf dem See Genezareth fährt, lasse sich nicht täuschen, als lebte er in der Gegenwart. Die Vergangenheit ist es, in der er atmet, sie weht ihm zu aus den fernsten Zeitaltern. Damaskus ist wie Jerusalem und Babel eine der ältesten Städte der Welt; die Gegenwart das Unwirkliche, das Gewesene das, was beharrt. Nicht anders ist in Kleinasien der Eindruck. Wer von Konstantinopel oder Skutari aus die schwelgerisch schöne Küste hinter sich läßt und mit der anatolischen Bahn durch das lydische Land, wo einst König Krösus herrschte, über das Hochplateau Kleinasiens fährt, erlebt dieselben Stimmungsgegensätze: er starrt enttäuscht in die wild-großartig öde Natur und weiß doch, daß es auch hier einst anders war. Ein großartiges Kulturleben verschüttet und in Sand versunken, seit den Zeiten der großen Verwüster und Gottesgeißeln Dschingis-Chan und TimurDschingis Chan brachte i. J. 1219 n. Chr. die Mongolen ins Land, Timur i. J. 1380., und wie Totengerippe, die die Geier am Wege liegen ließen, starren den Wanderer die Baureste, Säulenstümpfe und Quadermassen entgegen, wie unheimliche Rätsel die in steile Felsenwände eingehauenen Inschriften, geschrieben in fremder Schriftform, die ihren Sinn dem Laien verbirgt. Es beginnt das Gebiet der Keilschrift.

Man atmet überall dieselbe asiatische Luft, die Glut und Stille des Orients; diese Stille ist aber Verschwiegenheit. Die Namen wechseln; die Völker verschwinden und kommen neu, aber sie nehmen sofort den Charakter, das Temperament des 77 Landes an, auf dem sie ihre Zelte bauen. Es ist hier immer noch und wird immer sein, wie es gewesen. Wie der Geier über dem Libanon lautlos seine Kreise zieht, so kreist die Erinnerung hier über Zeit und Raum, und tausend Bilder füllen die Seele.

Aber wir streben eilfertig nach Osten weiter, kommen zunächst nach Mesopotamien, in das Land Babylons und Ninives, das einst hochgelobte Land der Paradiesesströme, und die märchenhaften Namen Nimrods und des Ninus und der Semiramis blitzen wie ferne Lichtfunken in uns aus dem Dunkel auf. Aus Armeniens Hochgebirge, vom Ararat her, strömen Euphrat und Tigris mit breiten Wassermassen, Fruchtbarkeit um sich breitend, durch dies Mesopotamien dem Indischen Ozean zu. Der Erzähler muß hier rasten; denn dies ist einst – wie das Pharaonenland – der denkwürdigste Ursitz menschlicher Hochkultur gewesen, und eine Fülle von Gelehrten setzen heute ihr Leben ein, um uns darüber zu belehren. Schon im 4. Jahrtausend vor Christo stand hier das Menschentum schriftkundig und voll Bildungstrieb auf seiner Höhe; heut sieht man freilich nichts als trostlose Steppe und Sumpfland; Verelendung; armselige Dörfer; die Heimat der Malaria und der Erschlaffung. Die Weltreiche der Assyrer, der Babylonier, von hier gingen sie aus, und wir kennen jetzt genau all die Dynastien, die hier einst thronten, die Fülle der Städte, die hier blühten, den ewigen Umsturz, den sie erlebten; Krieg und wieder Krieg, durch die Jahrtausende. Denn die Archäologen halfen, die Vergangenheit ist ausgegraben, ganze StädteDeutsche Ausgrabungen haben ganze Stadtteile von Babylon freigelegt.; die Ruinen reden; Inschriften der Könige; die Riesenbibliothek des Assurbanipal liegt offen vor uns mit den Resten von 220 000 beschriebenen Tontafeln, und was Herodot und die Bibel einst fabelten, ist jetzt zur deutlichen Geschichte geworden. Über Hummarabi, den Babylonier aus dem 3. JahrtausendMan setzt für ihn das Jahr 2250 an., spricht man jetzt mehr als über Alexander den Großen. Sogar sein Porträt ist erhalten; erstaunlicher sein bürgerliches Gesetzbuch, das dem mosaischen Gesetz weit voraufliegt und schon eine hochentwickelte Sittlichkeit oder Regelung des 78 Bürgerlebens voraussetzt; der côde Napoléon jener ZeitenIn manchen Beziehungen scheint es zivilisierter als das mosaische Recht; dies betrifft z. B. die Stellung der Frau.. Zu Welteroberern erhob sich zuerst der mehr stromaufwärts wohnende Stamm der Assyrer; Tiglat Pileser der Erste (um 1110 v. Chr.), Salmanassar (um 850), Sargon (um 721) sind da die großen Königsnamen. Sie gründeten zuerst das vorderasiatische Weltreich, das später in der Türkei wieder auflebte. Sardanapal baute alsdann in Ninive den großartigsten der Paläste. Als das Assyrerreich fiel, Ninive, die prangende Herrscherstadt, zerstört wurde (i. J. 612), um nie wieder bewohnt zu werden, übernahm Babylon dasselbe Weltreich; Nebukadnezar war Babylons berühmtester Herrscher um das Jahr 597Damals verschleppte er Tausende von Juden ins babylonische Exil; das Exil dauerte 60 Jahre.. Diese Babylonier nannten sich jetzt die Chaldäer.

Dies Weltreich hatte aber nur Front nach Westen und blickte nur auf das Mittelmeer; denn nach der See strebt aller Handel; die See ist die bequemste Brücke des Völkerverkehrs. Iran mit Persien lag diesem Weltreich im Rücken; Iran ist das verschlossene Land, und Assyrer und Babylonier haben selten versucht dahin erobernd auszugreifen.

Babylon war das London oder New York jener Zeiten; Wirbel des Welthandels; KolossalbetriebVgl. F. Delitzsch, Handel und Wandel in Babylonien.; zugleich Schauplatz brutalster Üppigkeit, die dazu gehört. Daher das Babel der Bibel. Auch die Juden im babylonischen Exil haben da ohne Frage glänzende Geschäfte gemachtVgl. Speck Handelsgeschichte des Altertums I S. 272: einen großen Umfang erreichte das Geschäft der weitverzweigten Familie der »Kinder Jakobs« (Bit Egibi), einer Familie, deren Stammvater, wie es scheint, schon von Sargon ins Exil geschleppt worden war, die sich dann aber in Babylon niedergelassen hatte., trotz der Klagen Jeremiä. So hat auch noch Alexander die Stadt gesehen. Woher das alles in einem Lande, das heute völlig verkommen, fast städtelos, baumlos und menschenleer, nichts als trostlose Steppe und Morast ist, jeden Anbaus unfähig, wo die Schakale und Wildkatzen in den einsam hohlen Ruinen hausen, die man zu unserer Zeit aus der Tiefe freigelegt und gleichsam aus dem Sumpf gehoben hat? Ein Totenacker der Weltgeschichte; das schattenloseste Land der Erde. Wie ein großer Irrtum liegt nur noch die eine Kalifenstadt Bagdad am Strom, der Ausgangspunkt der Karawanen; in seiner Nähe, in Einsamkeit verloren, die Grabstätten der Nachfolger des Propheten mit ihren Minaretts und goldenen Kuppeln, das Wanderziel der Pilgerzüge der Moslim, 79 aber zugleich der Schlupfwinkel für Räuber und Banditen. Unsere deutschen Marinetruppen kennen das alles; sie haben im letzten Weltkrieg dort in Mesopotamien nahezu drei Jahre lang gegen die Engländer die Euphratwacht gehaltenAn der Stelle des alten Karkemisch; damals geschah die Niederlage der Engländer bei Kut el Amara., auf den Euphrat deutsche Flußkanonenboote gesetzt.

Die Wasserbaukunst hatte schon im 4. Jahrtausend v. Chr. das Wunder getan. Das Volk der Sumerer, so nennt man es, hatte in jener Urzeit das ganze Zweistromland durch umfassende Kanalbauten entsumpft. Es ist dasselbe, was dort auch heute wieder die Engländer planen. Die Ufer der Ströme hatten die Sumerer eingedämmt, die Wassermassen gestaut, den Ackerbau ermöglicht und endlich die Bevölkerung auch schon in Städte gesammelt. Man nimmt an, daß sie nicht Semiten waren. Die Babylonier, aus Arabien zuströmende Semiten, nahmen ihnen hernach das Land weg. Zu diesen gehörten die Chaldäer.

Noch zu Alexanders Zeit war Mesopotamien »der fruchtbarste Acker« ganz Vorderasiens. Das Korn trug auf der schwarzen Erde in weiten Feldern aber hundertfältige Frucht; zahllose Wassergräben liefen hindurch und regulierten die Bewässerung. Im Urwuchs wucherten die Palmen, die wilden Reben rankten sich hoch in ihre Kronen, und die Tauben bevölkerten sie in Unzähligkeit. Doch war der Weinwuchs selten. Viehzucht auf den Weidestrecken; Fischreichtum in den Strömen. Jagdtiere in Fülle, dazu Flammingos, Reiher und Pelikane, die das Wasser lieben, die bunteste Vogelwelt. Man kann Holland vergleichen, das sich durch Deiche gegen die Nordsee sichert. Brechen die Deiche, so sind alle seine Gärten, Weiden und Äcker ein Raub der Flut. So wurde auch die Hochkultur Mesopotamiens nur dem unausgesetzten Kampf mit dem Element verdankt; sie war das Ergebnis bittrer Mühe und des Fleißes.

Daher aber war nun nicht Mesopotamien, sondern vielmehr Indien das eigentlich gelobte Land, das Land der Sehnsucht für die Alten, Indien das schönste Land der Erde, wie die Griechen fabelten, wo alles grandios in Märchenfülle von selber wuchs. Der Weg nach Indien war es, wonach man verlangte.

80 Aber der Weg dorthin ging durch Iran, das undurchdringliche Land, wo die Perser saßen. Wohl dem, der über das Meer dorthin kam! Aber jene Zeit fand den Seeweg nach Indien noch nicht.

Gegen dies Iran zog Alexander zu Felde. Suchen wir es denn endlich auf. Vorderasien liegt hinter uns; Ostasien beginnt hier; es beginnt eine neue Welt. Mit Gebirgen umgürtet, die zum Teil hoch in die Schneeregionen ragen, und von ihnen gleichsam hochgehoben, ist Iran ein Hochplateau und wirkt auf den Reisenden wie ein höheres Stockwerk im Hause Asiens, das er von Westen aus staunend erklimmt. So liegt es hemmend und quer gestreckt wie ein Riesenblock zwischen Mesopotamien und Indien. Weit weg dehnt es sich nach Osten und Nordosten, 2½ Millionen Quadratkilometer im Umfang, fast fünfmal so groß wie Deutschland, bis zum Indus und Jaxartes und den Vorbergen des Himalaja, bis zum Hindukusch und Pamir. In Dreieckform: die schmale Spitze gegen das babylonische Land, die Breitseite gegen den Indus, der aus jenen Hochgebirgen nach Süden strömt, der Grenzfluß, hinter dem sich die Wunder Indiens verbergen.

Es ist das heißeste Land der Welt; in Susa mißt man 57 bis 58 Grad Celsius im SchattenVgl. A. Wirth, Vorderasien und Ägypten, 1916, S. 19.. Wohl dem, der es nicht reitend, sondern im Automobil durchqueren kann, im Äroplan überfliegt oder als Reisender nur die allernächste Strecke von Bagdad bis Teheran zu nehmen braucht! Der Perser sehnt sich nach der Hölle, weil es dort kühler ist; man streitet um den Schatten des Kamels auf Tod und Leben. Eisenbahnen fehlen. Ein Vorkämpfer der deutschen Politik, Herr von Hentig, hat im Verlauf des letzten Weltkriegs in 60 Tagen Persiens nackte Wüsten durchritten; Salzwüsten ohne Ende. Es war ein Martyrium zum VerlechzenWerner von Hentig, Meine Diplomatenfahrt ins verschlossene Land, Berlin 1918..

Heute ist Iran wieder ein selbständiges ReichDas neupersische Reich beginnt i. J. 1501 n. Chr. Etwa 850 Jahre vorher war es verschwunden.. Der Schah von Persien sitzt auf seinem Pfauenthron in Teheran im Norden des Landes, prunkend in Edelsteinen, aber leider völlig machtlos. Es fehlt ein Heer, die Disziplin fehlt im Land, und niemand gehorcht ihm. RussenIn Armenien, Azerbeidja und Georgien sind jetzt Sowjetrepubliken. und Engländer bedrängen seine Grenzen; 81 gleichwohl aber das Land zu okkupieren vermögen sie nicht. Teheran selbst liegt zu Füßen des Elburs, von Gebirgswäldern, prachtvollen Villeggiaturen und Fruchtgärten umgeben. Persien ist ja die Heimat der Orange und des PfirsichsDas Wort Pfirsich kommt von lat. persica. (heute auch des Tabaks, von dem aber das rauchlose Altertum noch nichts wußte). Auch die Seidenzucht blüht dort. Ein vielbesungenes Paradies ist ferner auch Schiras, im Südteil des Landes, das in Rosenhainen geborgen liegt, die wonnige Heimat des Hafis und des Firdusi. Aber Paradiese sind auf Erden selten, und sie pflegen leider nicht groß zu sein. Nur in den langgestreckten Tälern der Randgebirge hat Iran sonst noch schönes Kulturland; das weitere Innere ist wie unter dem Wutblick der Meduse erstarrtes Land und schlimmer als die syrische Wüste. Öde ringsum. Eine Wüste mit Kulturoasen.

Dies Iran wurde nun früh, aber doch erst nach den Zeiten Hammurabis, durch Zuwanderung die Heimat der Perser sowie des Volks der Meder. Während Babylonien semitisch, waren dies ArierDer Name Iran selbst bedeutet das Land der Arier., ein stattlicher Menschenschlag, hochgewachsen und stark, ritterlich und ehrenfest, arbeitsam und schlicht an Sitten, übrigens im Gegensatz zu den dunklen Indern von weißer HautSo schildert sie uns Xenophon (λευκοὺς, Hellenika III 4 19), und so zeigt sie auch das Alexandermosaik. und nicht etwa so lehmfarben im Teint wie manche der Perser, die sich heute bei uns in Europa zeigen.

Von Babylon her waren die Gaben der Kultur früh nach Iran hinübergedrungen. Dafür ist schon das Gesetzbuch Hammurabis ein Zeugnis, das nicht etwa in Babel selbst, sondern in Persien in Steinschrift gefunden worden istSiehe F. Ulmer in »Der alte Orient« IX Heft 1 S. 20. Die Aufstellung der Säule geschah in Susa schon durch einen der Könige von Elam um 1100 v. Chr.. So aber geschah es, daß sich das jungfrische Perservolk bald genug Babylon, ja, das ganze Weltreich Nebukadnezars unterwarf. König Kyros führte den Angriff, eine der sonnigen Gestalten unter den Sultanen des Orients, und sein Name steht daher mit großen Lettern in unsern Geschichtsbüchern. So wie späterhin die Germanen raubsüchtig nicht nur von Rom, sondern auch von der römischen Kultur Besitz ergriffen, so machte es damals das Perservolk. Das Weltreich aber war im Umfang nunmehr verdoppelt, da es vom Mittelmeer und vom Nil nicht nur bis 82 Babel, sondern bis Belutschistan und zum Indus, ja, noch hinaus über den Indus reichte.

Um das Jahr 550 v. Chr. schuf Kyros dies PerserreichEr kam i. J. 560 auf 559 zur Regierung; vgl. J. Prášek in »Der alte Orient« XIII Heft 3.. Nur 200 Jahre vergingen, da wurde schon Alexander geboren, der ausritt, es zu stürzen. 200 Jahre vorher aber, um das Jahr 750, war in Italien schon Rom gegründet worden, die kleine Barbarenstadt auf dem Palatin. Niemand achtete darauf; niemand ahnte, welch neues Kraftzentrum der Menschheit für das folgende Jahrtausend hier entstand.

Was sind Jahrhunderte und Jahrtausende für den Orientalen? Wer unter der Glut der Tropen steht, dem schieben sich traumhaft wie im Lichtspiel die Bilder aller Menschenalter durcheinander, von Mustapha Kemel Pascha zu Hammurabi, von Timur und den Abassiden zu Alexander und Salmanassar, als wäre die große Ewigkeit nur ein Augenblick und ein Augenaufschlag Gottes.

So dachten wohl auch die Leute in Babylon, als jener Kyros kam und durch das leere Strombett des Euphrat siegreich in ihre Stadt eindrang. Sie waren, wie die Ägypter, schon senil zermürbt von dreitausendjährigem Weltgeschehen und blickten altklug und greisenhaft mit müden Augen in das Leben.

Babylon war in Wirklichkeit keine Stadt in unserm Sinne, es war vielmehr eine Provinz, ringsum eingemauert in ein riesiges turmhohes Mauerquadrat mit hundert Toren. Diese Befestigung war Doppelmauer; Gärten und Felder im Innern. Berühmt vor allem der in sieben Stockwerken ansteigende Stufentempel des Marduk, des Stadtgottes, der in gleichem Sinne der Nationalgott der Babylonier war wie Jehova der Gott der Juden. Der Stufentempel war der »Turm zu Babel«. Xerxes zerstörte ihn.

Von der babylonischen Kultur redet man auf Grund der unermeßlichen Funde heute fast noch mehr als vom Reich der Pharaonen; mit Recht; denn wir alle zehren noch von ihr, und sie wurde grundlegend für alle Folgezeit bis heute. Denkwürdig ist schon, daß auch die Juden ans dem babylonischen 83 Exil, das 60 Jahre währte, für Phantasie und religiöse Dichtung wertvolle Anregungen mit zurückbrachten; ich erinnere an die Sintflutsage oder an die Psalmen; Psalmen zu dichten begannen die Juden erst nach dem Exil; in Babel aber gab es schon vorher solche GebetsliederVgl. u. a. J. Jeremias, Das Alte Testament im Lichte des alten Orients, 2. Aufl. 1906. Gegen Delitzsch gerichtet Ed. König, Die moderne Babylonisierung der Bibel, Stuttgart 1922. Ohne Zweifel übertreffen die jüdischen Psalmisten die alten Gebetslieder, die wir aus Babylon haben, bei weitem an poetischer Kraft. Das oben Gesagte wird durch diese Beobachtung aber nicht aufgehoben.. Bedeutsamer für uns aber ist anderes, zum Teil ganz Banales: das Zahlenrechnen, die Rechenkunst des Kaufmanns, Landmessers, des Astronomen; das Maß- und Gewichtsystem in Handel und Wandel; die Zerlegung des Jahres in Monate, des Tages in zwölf Doppelstunden; das sind die zweimal zwölf Stunden, die wir alle heute von unsrer Taschenuhr ablesen; vieles also, wovon Homer noch nichts weiß; weiter der Wert der Sechzigzahl, durch die man die Kreislinie teilt, und der Fünfzahl, die in 60 zwölfmal aufgeht; die Messung der Sternenbahnen; Himmelskunde; Wandelsterne und Tierkreis; Mond- und Sonnenfinsternisse und ihre periodische Wiederkehr. Durch Vermittlung der Griechen, die es wie Schüler übernahmen, aber auch um- und weiterbildeten, ist alles dies schließlich auf uns Spätlinge gekommen, damals geistige Kostbarkeiten, die heute zur täglichen Münze geworden sind. Man möchte sagen: diese Weisheit ist so ewig jung wie die Gestirne selbst, von denen sie handelt, und wie der Gott, der sie bewegt.

Nun aber die Perserkönige. Sie mußten suchen an Pomp, in der Selbstdarstellung den früheren großmächtigen Despoten es mindestens gleichzutun. Residierten sie doch oft selbst in Babylon, in jenem Palast, wo nach der Legende die unsichtbare Hand dem Belsazar das Menetekel an die Wand schrieb.

Es handelt sich um Königskunst. Die Pharaonen bauten nur kolossale Tempel und Grabmäler; babylonisch-persisch dagegen ist der Palastbau; als Stellvertreter des Landesgottes muß der König seines Gottes würdig hausen. In Iran selbst waren Ekbatana und Susa die ResidenzenVgl. Athenäus p. 513 F.: im Winter war es Susa, im Sommer Ekbatana, im Herbst Persepolis, sonst Babylon.. Ein Holzpalast war die altertümliche Königsburg in Ekbatana, von sieben Mauerringen umzogen, deren grell rot, grün, orange bemalte Zinnen in sieben verschiedenen Farben strahlten. Darius und 84 Xerxes fügten einen Neubau hinzu, worin das Staatsarchiv und der Reichsschatz Aufnahme fand. Ekbatana lag gebirgig in der Nähe Teherans. Grandios dagegen die Palastruine von Persepolis im Süden des Landes. Susa war dort im Süden die Hauptstadt; das ganze Persepolis (erst die Griechen brachten diesen Namen auf) nichts als Königsbau mit Dependenzen.

Nur die Baukunst kann Ungeheures gestalten und ganze Völker zu staunender Bewunderung zwingen, während alle andern Künste immer nur einzelne Betrachter befriedigen. Deshalb bauen Könige so gern; es ist das Hochgefühl, Schöpfer zu sein und Massen zu bezwingen; die Schlösser der Allmächtigen wachsen gleichsam zu künstlichen Gebirgen an, die durch harmonische Gliederung die Natur überbieten, in die sie gesetzt sind.Vgl. H. Grimm, Leben Michelangelos III³ S. 215.

In Persepolis klettert der Palast, den König Darius begann, Xerxes noch glänzender fortsetzte, auf drei Niveaus die Gebirgsschrege hinan. Der Reisende, der durch die Einsamkeit daherzieht, sieht mit Überraschung und Entzücken die romantisch großartigen Überreste des Baues; wunderschöne breite Freitreppen führen die Terrassen hinan; alle Marmorquadern von Riesengröße und vollendeter, spiegelnder Politur noch heute. Portale, Fenster und Nischen. An den Toren enorme Stiere und bärtige Sphinxe in assyrischem Stil. Säulengänge; Reliefbilder; alles überbietend die Hundertsäulenhalle von bald 230 Fuß Länge. An der Südwand des Darius dreisprachige Bauinschrift. Alles musterhafte Arbeit, prachtvoll und schön; ein riesenhafter Maßstab herrscht, aber die Harmonie bezwingt die Masse. So reden die Zeugen, die dort warenF. Justi, Gesch. des alten Persien S. 108 f. Übrigens s. Prášek in Der alte Orient XIV 4 S. 34. f..

Schon wer unter diesem Eindruck steht, begreift, warum die Griechen stets nur mit höchstem Respekt auf die persischen Herren blickten. War doch Pausanias, der Spartanerkönig, so geblendet, daß er nur noch in Persertracht herumlief und sich nur noch von persischen Köchen beköstigen ließVgl. Von Homer bis Sokrates S. 169.. Das Perservolk hatte damals einen geistigen Hochstand erreicht, der in vielen Dingen den Griechen, Ägyptern und IndernMan nimmt an, daß in jenen Zeiten nicht Indien auf Persien, sondern vielmehr Persien auf Indien erhebliche geistige Einflüsse ausgeübt hat. durchaus ebenbürtig war.

85 Interessanter noch als der Palastbau sind aber die Porträts der Könige und die ganze Reliefkunst. Und hier merkt man deutlicher den Einfluß assyrisch-babylonischer Vorbilder.

Die Gesichter der assyrischen Könige geben den vollsemitischen Typ nach Art der galizischen Juden, mit starkem Nasengiebel und stiermäßiger Stirn und Augen; überraschend massive, ja, fleischige Gestalten, in fußlangem, kaftanartigem Rock, der geradezu wattiert scheint, langärmelig und mit Taille. Gänzliche Verhüllung der natürlichen Gestalt und der nackten Glieder war Prinzip dieser Semitentracht. Das dick wollige Haar lockig gerollt; der Bart mächtig breit; er wirkt so, als wäre er angehängt. Ganz so erscheint auch Darius, der Perser; sein Bild wirkt wie eine freie Kopie, so daß man glauben möchte, daß diese Herrscher erbliche Perücken trugen und jeder sich den Bart seines Vorgängers angesteckt hat. Nur die Gesichtsbildung des Darius ist geschickt abgeändert, auch trägt er nicht die steile Filzkappe der Assyrer, die man Tiara nennt, sondern eine niedrigere Kappe, man möchte sagen, einen Zylinder, der nobel wie eine Kaiserkrone wirktVgl. G. Hüsing, Der Zagros und seine Völker, Der alte Orient IX Heft 3/4; F. Delitzsch, Assurbanipal und die assyrische Kultur, ebenda XI Heft 1 und Bruno Meißner, Grundzüge der mittel- und neubabylonischen und assyrischen Plastik, ebenda XV Heft 3/4.. Die Kunst des Reliefs bringt es mit sich, daß man die Männer immer nur im Profil sieht; der moderne Betrachter aber denkt: sie scheuen sich, der Nachwelt gerade ins Angesicht zu sehen. Die Augen dieser Despoten glommen gewiß nur zu oft in herrischem Stolz, in Brunst und Blutgier. Alexander der Große sah alle diese Bilder, aber seine Erscheinung war dagegen der Protest. Er, der Nachfolger dieser Großen, ging gerade deshalb mit Betonung bartlos, und warf Krone und Ornat, Hut und Kaftan beiseite. Ja, nackt ließ er sich darstellen von seinen Bildmeistern. Er war denn doch zu sehr Grieche, und mit ihm beginnt ein neuer, menschlicherer Despotentyp.

Aber alles dies sind äußerliche Dinge. Wie stand es nun mit dem Perserreich?

In Babylonien saß eine charakterlose Mischbevölkerung, die durch wiederholte Zuwanderungen entstanden war, kriegsscheu und genußsüchtig, dazu vielsprachig (man denke an die 86 babylonische Sprachverwirrung der Bibel), bis dort schließlich der aramäische Dialekt siegte, dasselbe Aramäisch, das auch in Judäa zur Landessprache wurde. Auch Jesus hat nicht hebräisch, sondern aramäisch gesprochen. Begreiflich, daß Perser und Griechen sich beide gleich sehr zu dieser Bevölkerung in Gegensatz fühlten, daß eine Sympathie, der Rasseninstinkt, beide zueinander zog. Denn beide, Griechen wie Perser, waren nicht Semiten, sondern Indogermanen, und so reichten sie sich über Syrien und Babylon hinweg vielfach geistig die Hand. Nichts war am Perserhof willkommener als griechische Ärzte und Techniker, auch griechische Frauen. Themistokles, aus Athen flüchtig, wurde dort wie ein Fürst behandelt. Einen griechischen Seefahrer sandte Darius aus, um den Indischen Ozean zu erforschenSkylax von Karyanda führte eine Flotte aus dem Indus um Arabien.. Der Kontakt war alt. Perseus, der Griechenheld, sollte gar der Stammvater der Perser sein. Die Griechen kamen gern nach Susa; viele unter ihnen begannen für die monarchische Staatsform sich zu begeistern und machten aus Kyros, dem Perser, eine Idealfigur und Vorbild für alles Herrschertum der ZukunftSo nicht nur Xenophon, sondern gewiß auch ähnlich schon Antisthenes.. Die Zuneigung der Perser zeigte sich dagegen leider nur in Eroberungslust. Unser Joch ist leicht, so dachten sie; solche Untertanen wären in der Tat für ihr Reich ein unschätzbarer Gewinn gewesen, und so entstand jene Erbfeindschaft, die noch immer nicht ausgetragen war und die auch Alexander, den Mazedonen, vorwärts trieb. Derselbe Alexander aber plante nichts Geringeres, als Perser und Griechen dauernd zu versöhnen.

Das Perserreich war ungefähr dasselbe wie das alte Reich Nebukadnezars, nur mit der persischen Etikette. All die Weltreiche, die da aufeinander folgten, waren wie die Schlange, die sich häutet und immer auf derselben Stelle liegen bleibt. Sie bestanden alle aus demselben losen Nebeneinander unterjochter Völkerschaften, die zu schwach und willenlos waren, um selbständig Politik zu treiben. So also auch unter den Königen Persiens. Nationalaufstände wie in dem kleinen Palästina waren selten; Erschütterungen gab es sonst nur, wenn die Reichsbeamten 87 sich in ihren Provinzen zu selbständigen Herren zu machen versuchten.

War es nicht möglich, das lose Völkerbündel fester zu schnüren? Erst Roms Kaiser haben die Riesenaufgabe, aus den zusammeneroberten Ländermassen einen Einheitsstaat zu schaffen, wirklich zu lösen vermocht. Aber schon Darius, derselbe, der gegen Hellas den Perserkrieg eröffnete, versuchte dasselbe und erwies sich dadurch als kluger Staatsmann und Organisator von Bedeutung. Stromschiffahrt und Karawanenzüge genügten nicht, um so weite Gebiete, 32 Satrapien von verschiedner Nationalität, zu verwalten. Wie man heute die völkerverbindenden Eisenbahnen hindurchschlägt, so schuf Darius die ersten Heerstraßen, Landstraßen. Über Brücken und Gebirgspässe schwingt sich die Straße geradlinig und kühn vordringend und durchstößt selbst den Bauch der Felsen, um ihr Ziel zu finden. Das hat das Römerreich später den Persern abgelerntVgl. W. Riepl, Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf die Römer, Leipzig 1913.. Wie die Bagdadbahn, nur noch weiter durchgeführt, lief des Darius Königsstraße vom Mittelmeer über Arbela am Tigris bis nach Ekbatana hindurch. Sie diente dem Heer, sie diente der Post. Der Reisewagen entstand; zahlreiche Stationen mit Pferdewechsel; die Meilenmessung (man maß nach ParasangenEine Parasange ist 5 Kilometer.). So wurden die königlichen Fermane an die Statthalterschaften gebracht. Die Aufsichtsbehörden, die die Satrapen jährlich kontrollierten, kamen dahergefahren. Diese Satrapen waren Vizekönige. Reichstruppen standen ihnen mittelbar oder unmittelbar zur Verfügung, die in den Zitadellen der Hauptstädte stationiert waren.

Dazu kommt die Einführung des Reichsgeldes, einer Einheitsgoldmünze, der Dareike, die sich nach Darius nennt und bald auch den griechischen Geldmarkt stark beeinflußte.Gleichwohl geschahen Zahlungen weniger in Münze als in Wertstücken, Gefäßen aus Edelmetall; s. Strabo p. 735 nach Polyklet Fr. 4 S. 131 (Müller).. Die Finanzwirtschaft war vortrefflich; das amtliche Schreib- und Rechnungswesen wohlgeordnet. Nie hören wir von Not und stets nur von der Geldkraft der Könige. Dabei waren die Tribute nicht drückend, man berechnet ihren Gesamtertrag auf jährlich mehr als 660 Millionen deutscher Goldmark. Nach dem 88 damaligen Metallwert können wir Milliarden für Millionen setzen.

Gleichwohl blieb das Ländergefüge immer noch allzu lose. Es fehlte eins, das Kolonisieren. Der Perser war nicht wanderlustig. In Kleinasien, in Syrien entwickelte sich kein Persertum. Man lernte nirgends persisch sprechen. Als offizielle Reichssprache diente das aus Nebukadnezars Zeiten beibehaltene Aramäische; doch war die Verwaltung vielsprachigVgl. Buch Esdra IV (= II) 14, 14.; das königliche Bureau richtete an die Griechen seine Erlasse griechisch usf.Vgl. Xenophon Hellen. VII 1, wo der Perser den Thebanern den Brief des Perserkönigs vorliest; an Dolmetscher wird da nicht gedacht. Daß Griechen persisch sprechen lernten, war selten; an einem gewissen Laomedon wird hervorgehoben, daß er δίγλωσσος ἐς τὰ βαρβαρικὰ γράμματα war; s. Arrian 3, 6, 6..

Aber auch der Großkönig selber bereiste seine Provinzen offenbar zu selten – und auch das war ungünstig, außer wenn es Krieg gab – und begnügte sich nur zu oft, von der Residenz aus seine Satrapen zu kontrollierenVgl. Xenophon Oekon. 4, 8.. Die Reichseinheit beruhte aber lediglich auf Personalunion, und seine Völker mußten ihn mit Augen sehen in seiner Majestät, um ihn wirklich zu fürchten oder zu lieben und für ihn in den Kampf zu gehen.

Die Griechen, diese Republikaner, blickten auf die Hofhaltung des Darius und Xerxes, jener Herren, die sich aus ihrer Höhe »König der Könige« und »König von Gottes Gnaden«So die große Inschrift des Darius: »Ahuramazda, der große Gott, hat den Darius zum König gemacht; . . . durch seine Gnade ist er König.« nannten, mit kindlich neugierigem Staunen, wie wir von der Traumherrlichkeit am Hof der alten Kalifen oder der indischen Maharadscha hören. Goldgewirkte Stoffe, zu Sträußen verbundene Diamanten, womöglich in der Größe des Kohi-Nor. Im Turban birnenförmige Perlen und schwarze Reiherfedern. Opernhaft. Der Sultan von tausend Schranzen und Eunuchen umgeben, der Harem voll Kebsen.

In der Tat hatte die alte biedere Sitte der Perser nicht standgehalten. Babel wirkte, das Sodom der Üppigkeit. Der Luxus, der keine Grenzen sieht, zerbricht leicht die Muskeln der Seele. Menschenexemplare aus der unteren Schicht des Perservolks lernen wir freilich nie kennen; in den Satrapen aber, die der persische Adel stellte, begegnen wir Grandseigneurs, listig, ja tückisch und welterfahren, geübt im Schachspiel der großen Politik und dabei Freunde maßlosen Prunkes. So nun auch 89 Darius und Xerxes selber. Hören wir einiges von dem, was uns Herodot und andere berichten.

Beim Thronwechsel ging es immer noch altmodisch her; da mußte sich der neue König den alten Ornat anziehen lassen, den einst Kyros getragen, und durfte nur trockne Feigen essen und Essig in Milch; eine Erinnerung an frühere frugale Zeiten. Es ist so, wie der alte Romulus, der Gründer Roms, nur Rüben aß. Sonst aber lebte man anders; wir erhalten den Speisezettel, der alle Fleischsorten nennt. Es waren Massenspeisungen; aber nur Fleisch, nichts Vegetarisches.

Man schildert uns den Tageslauf.Athenäus p. 514 A. Ohne Schlummerlied geht es nicht; also müssen nachts zunächst 300 Weiber dem König Musik machen; hoffentlich haben sie am Tag vorher sich ausgeschlafen. Dann kommt der Morgen. »Steh auf, großer König, und denk' an die Geschäfte«, mit dieser Mahnung wird er dann von den Pagen gewecktPlutarch, Ad principem ineruditum p. 780 C.. Das war Vorschrift. Das Publikum draußen erwartet, daß er den Palast verläßt. Spalier wird gebildet; Geißelträger scheuchen die Unberufenen zurück, und die Leibgarde stellt sich vor dem Tor auf (in den Reliefs des Palastes zu Persepolis sieht man sie so abgebildet). Der König erscheint; da müssen alle ihre Hände im Ärmel verstecken, und die übliche Prozession zum Frühgottesdienst beginnt. Die Perser sind Feueranbeter. Voran schreiten die Opfertiere, dann der mit vier Schimmeln bespannte heilige Wagen des Sonnengottes Ahuramazda. Der Gott ist unsichtbar und der Wagen leer; um so sichtbarer das heilige Feuer, das offen im Gefäß hinterher getragen wird. Dann erscheint der König der Könige selbst im Zug, hoch im Kriegswagen mit seinem Wagenlenker, pagodenhaft, in Scharlachhosen; die Tiara mit dem funkelnden Diadem umwunden. Die Leibwache schließt sich an; 200 ledige Pferde folgen hinterher, aus dem königlichen Marstall, in Goldgeschirr und gestreiften Schabracken. Endlich persisches Militär zu Fuß, zu Roß mit den Offizieren, in Reihen zu je 100 Mann, sowie auswärtiges Kriegsvolk in seinen fremdartigen TrachtenVgl. Xenophon, Cyropädie VIII 3, 9 ff.; Justi Gesch. des alten Persien S. 41.. So hatte das Volk, das indes auf den Dächern stand, etwas zu 90 sehen; aber immer nur das Volk in der Residenz. Nie ging der König zu Fuß, außer im Palast selbst; aber auch da nur auf Teppichen, die kein anderer betreten durfteAthenäus p. 514 A.. Will er Audienz erteilen, so trägt er den zylinderförmigen Hut, auch Ohrgehänge, in der Linken einen langen Stab, in der Rechten eine Blume. So setzt er sich auf den Thron, der auf einer Estrade steht; ein Baldachin darüber. Ein Diener trägt den Sonnenschirm, ein anderer den Fliegenwedel, ein dritter das Flakon mit Parfümerien; denn die Göttlichkeit des Königs erkennt man am Wohlgeruch; aber auch die Majestät selbst will stets Wohlgerüche riechen; denn wer weiß, welchen Dunst die Leute verbreiten, die da vor ihn treten? Hohes Personal, Vesire, Finanzräte, Intendanten der Kornspeicher u. a. umgeben den König. Die Griechen, die zugegen, sahen im Audienzsaal mit Staunen unerhörte Meisterwerke der Goldschmiedekunst: ganze Platanen aus Gold sowie einen goldenen Rebstock, dessen Trauben aus Rubin, Smaragd und andern EdelsteinenAthenäus p. 539 D.. 5000 Talente Bargeld, die sich stets am Kopfende des Lagers der Majestät bereit fanden, nannte man das Kopfkissen des KönigsChares bei Athen p. 514 F..

Sollte Alexander einmal im selben Saal Audienz erteilen, wie würde er sich zu dem allen verhalten?

Und wie zum Trunk? Dem Perser war der Weintrunk tägliches Bedürfnis; auch alle Beratungen geschahen zur Abendstunde beim WeinPlutarch Symposiaka p. 714 A.. Den König freut es, seine Gäste bezecht zu sehen; er selbst aber muß stets den Rausch vermeiden, es sei denn, daß heiliger Festtag istAn den Festtagen des Mithras; Athenäus p. 434 A.. Ein gediegenes Essen aber muß voraufgehen, und das waren tägliche Volksspeisungen im größten Stil. Viele Menschen wurden draußen vor dem Palast beköstigt, so daß das Straßenpublikum zusehen konnte. Auch die Leibwache speist mit draußen, und das Essen ersetzt ihren SoldAthenäus p. 145 B ff.. Im Innern sind zwei durch einen Vorhang getrennte Säle; in dem einen speist der König höchstselbst allein, zuweilen auch mit seiner Königin und den Prinzen. Auf seinem herrschaftlichen Tisch steht immer auch für seine nächsten Diener und Hunde das Essen bereitPlutarch Symposiaka p. 703 E.; im andern Saal die auserwählten Gäste. Ist 91 abgegessen, ruft endlich der Eunuch durch den Vorhang zwölf der Gäste zum Wein; aber die Herren bekommen eine geringere Marke zu trinken und müssen, echt orientalisch, am Boden hocken. Erst wenn sie im Rausch sind, dürfen sie gehen. Der persische Wein war heiß und köpfte rasch. Auch Alexander sollte dies erfahren.

Im übrigen brachte die Jagd Abwechselung. In den königlichen Parks wurden Löwen und anderes reißendes Wild gejagt. Jagd und Krieg, das war das eigentliche Leben.

So lebten jene Könige; an Erbprinzen fehlte es vorläufig nicht, und über zwei Jahrhunderte setzte die Dynastie sich fort.

Nennen wir noch einige Namen. Am längsten regierte Artaxerxes Mnemon (404–361), der 94 Jahre alt wurde, aber auch die meisten Erschütterungen erlebte. Die Randstaaten des Reichs im Westen drohten schon öfter abzubröckeln; jetzt ging Ägypten verloren, und auch in Kleinasien wagte der Vasallenfürst Mausolos, ein hellenisierter Barbar, der königlichen Autorität zu spotten, gründete in Karien ein eigenes kleines Reich und schmückte seine Hauptstadt Halikarnaß mit Kunstwerken, die wir noch heute bewundern. Sein Grabmal, das Mausoleum, das Vorbild aller Mausoleen der neueren Zeiten, hat des Mausolos Namen verewigt.

Eine Furie war des Mnemon Mutter, die alte Königin Parysatis, die blutgierig gegen Verwandte und Staatsdiener wütete, sie unter den grausamsten Martern, wie sie nur ein Orientale ausdenkt, umbrachte. Man redet von der Muldenstrafe, der Krippenstrafe; wir wollen sie nicht schildern. So war auch Mnemons Nachfolger, König Ochus oder der dritte Artaxerxes, ein Mann des Schreckens, Mörder seiner Brüder; durch planvollen Mord sicherte er sich den Thron. Aber er verstand zu herrschen und das Verlorene wieder einzubringen; das betraf Ägypten sowohl wie das Reich des Mausolos; auch die rebellierende Stadt Sidon, die als Seehafen für die persische Kriegsflotte unentbehrlich, warf er nieder mit bestem Erfolg. So hob sich unter des Ochus Regiment (361–336) Persiens Ansehen im Westen wieder bedeutend; das Reich war ohne Zweifel wieder so stark 92 wie unter Darius, es umfaßte das Mittelmeer wieder von Osten und Süden, und die Phönizier in Sidon und Tyrus, auch Cypern, die Insel, auch die cilicischen Küstenplätze stellten dem König wieder Kriegsflotten in starken Verbänden, sobald er gebot. Die griechische See war auf das wirksamste bedroht. An Geld fehlte es ihm nicht, dem Gegner auch durch Steigerung des Soldes soviel Soldatenmaterial zu entziehen, wie er wollte; denn die griechischen Söldner waren käuflich.

Der junge Alexander sah und erlebte, als er noch nicht König war, diese neue Stärkung der persischen Westfront. Sollte er gegen König Ochus zu kämpfen haben? Am Perserhof aber machte Bagoas, der Oberkämmerer, der Eunuch, alles. Bagoas tötete den Großkönig Ochus durch Gift. Er kreierte statt seiner den jungen Darius, den wir Darius III. nennen, einen Verwandten des Königshauses, zum König, und zwar im selben Jahre 336, als Philipp, der Mazedone, von seinem Leibwächter ermordet wurde.

Dieser Darius, Codomannus zubenannt, war kein direkter Abkomme des Ochus, und es ließ sich an seinem Thronrecht zweifeln. Die Mordbefehle des Ochus und der Parysatis hatten mit der großen persischen Dynastie nur allzu gründlich aufgeräumt. Auf alle Fälle schien er ein stattlicher, auch tapferer Herr und seines Namens würdig. Ein Schimmer des Edelsinns, der Idealität umfließt ihn; ihm fehlte das Brutale, der Terror, mit dem Ochus sich umgeben. Als Vorsteher des Postwesens im Riesenreich hatte er sich bisher bewährt, hatte in dieser Eigenschaft früh eine genaue Kenntnis der Reichsländer und ihrer Verbindungen gewonnen. Dann war er Satrap in Armenien gewesen und hatte dort kriegstüchtig das Bergvolk der Kardusier bekämpft.

Nun war er König. Aber er erkannte die Herrschgier des tückischen Kastraten, der ihm den Thron verschafft, und zwang den Bagoas Gift zu nehmen: ein Zeichen energischer Entschlossenheit. Von Babylon aus begann er zu regieren. Er hatte ein Persien übernommen, das, wie wir sahen, durch Ochus wieder auf der Höhe der Macht war.

93 Und gegen dies Persien begann nun Alexander seinen Feldzug; er tat es zunächst im Namen des Griechentums. Vergeltung wollte er üben für alle Übergriffe und alle Frevel, die Persien einst und noch in jüngster Zeit an Hellas begangen. Aber er wollte mehr. Der Falke wollte den Geier aus seinem Horst werfen. Dieser Darius war ja nur die Kreatur des Eunuchen, und seine Legitimität ließ sich anfechten. Die persische Dynastie existierte also nicht mehr. Warum sollte er sich nicht an dieses Menschen Stelle setzen? 94

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