Theodor Birt
Alexander der Große und das Weltgriechentum
Theodor Birt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

König Philipp

Nun also Philipp von Mazedonien. Was wir bisher gehört, war wie die wüste Rauf- und Prügelszene in Wagners »Meistersingern«; man sehnt sich, endlich eine Solostimme zu hören.

Es war für die Stadt Theben, es war für Hellas das Verhängnis, daß Philipp, dies begabte Raubtier, als Knabe für drei Jahre nach Theben kam, das eben damals sich Großmacht dünkteZirka 367 v. Chr.. Der Bengel war frühreif, wach und schlau, dazu herzgewinnend und mutmaßlich auch bei Gelde. Dem Epaminondas und Pelopidas sah er da als gelehriger Schüler genau auf die Finger, lernte das neue Kriegswesen, aber auch die Schwächen der Einzelstaaten gründlich kennen, wie schwerfällig ihre Politik, wie brüchig ihre Bündnisse; dazu die Habgier und Käuflichkeit des Durchschnittsbürgertums.

Als er wider alles Erwarten, 23 Jahre alt, die Regierung Mazedoniens übernahm (im Jahre 359), fand der junge Mensch sein Land durch Wirren unter seinen königlichen Verwandten, mehr noch durch den Einbruch barbarischer Nachbarvölker bis zur Ohnmacht geschwächt und kläglich zerstückelt. Für die Herren in Theben und Athen war Mazedonien damals geradezu eine Niete geworden, mit der man nicht mehr rechnete. Philipp aber überblickte mit kaltem Hirn die Lage, und sein Genie begann sofort zu spielen; er organisierte sofort ein Heer als Mustertruppe nach modernstem Vorbild, warf die Barbaren, Illyrier, Päonier, Thraker in raschen Feldzügen oder auch durch Verhandlung aus dem Land und trieb die etlichen Prinzen, die ihm seine Machtstellung bestritten, ins Exil oder brachte sie ums Leben. So war er Alleinherrscher, das Gebiet Mazedoniens überraschend schnell in seinem früheren Umfang wiederhergestellt, an Bodenfläche annähernd so groß wie unsere Provinz Hannover, doppelt so groß wie Thessalien, viermal so groß wie die Gebiete, die damals noch unter Athens Oberhoheit standenDie Bevölkerung Athens und der Inseln, die es besiedelt hatte (Skyros, Imbros, Samos, dazu noch der Chersones), betrug etwa 400 000 Einwohner, ohne die Sklaven, auf einer Bodenfläche von etwa 5000 qkm; unser Königreich Sachsen, jetzt Republik, ist ungefähr dreimal so groß; vgl. E. Speck, Handelsgeschichte des Altertums II S. 397. Thessalien hatte dagegen 16 000 qkm, Mazedonien 30 000. Thessalien kam also unserm Mecklenburger Gebiet, Mazedonien noch nicht unserer Provinz Hannover gleich.. Im Heere hatte er die berühmte 32 mazedonische Phalanx eingeführt, den Kerntruppen die alles überbietende, fast 16 Ellen lange Stoßlanze, die SarissaRichtiger Sarisa geschrieben., in die Hand gegeben. Dabei war er gar nicht einmal rechtmäßiger König. Dies wäre vielmehr sein Neffe Amyntas gewesen. Amyntas war noch Knabe; Philipp sein Vormund; aber Amyntas wagte auch später sein Herrscherrecht dem Onkel gegenüber nie geltend zu machen. Erstaunlich, daß Philipp ihn nicht umbrachte.

Denn der Verwandtenmord grassierte seit langem und durch Generationen in dem Königshaus just so wie in den Königshäusern der alten Germanen; man denke an die Merowinger oder an Shakespeares englische Königsdramen. So hatte man auch Archelaos, den Gönner des Euripides, den intelligentesten der früheren Herrscher, durch Mord beseitigtIm Jahr 399.. Vettern und Stiefbrüder waren ihres Lebens nie sicher. Die Vielweiberei der Könige kam dazu; man hielt es damit wie der Held Gideon im Buch der Richter. Daher eben die vielen Stiefbrüder; daher aber auch die ewige Eifersucht, der Rachedurst der Königinnen. Die Frauen treten hier in Mazedonien dramatisch auf die Bühne, an Blut gewöhnt wie die Gotin Brunhilde oder wie Fredegunde bei den Franken. Auch Olympias, Alexanders Mutters, war solcher Gewaltmensch.

Philipp hatte sein Kronland errettet, das Vaterland wiederhergestellt, und nicht nur der junge Amyntas wird darum in dankbarer Verehrung zu ihm aufgeblickt haben, sondern auch die Männer des Landadels, die wieder sicher auf ihren Höfen saßen, zum Teil hochbegabte und willensstarke Recken und Herrenmenschen, hielten fortan unbedingt zu ihm, trotz aller Selbständigkeit, die dieser Adel dem König gegenüber behauptete. Die Majestät konnte sich hinter kein steifes Zeremoniell verschanzen; völlige Redefreiheitἰσηγορία, Polyb. V 27. herrschte vielmehr in ihrem Verkehr. Jene Herren hießen des Königs Gefährten (ἑταῖροι). Es war Kameradschaft. Freilich dienten die Söhne der Edelherren als Knappen oder Pagen am Hof, wo sie stramm in Zucht gehalten wurden; auf Vergehen stand die Peitsche. Die human erzogenen Griechen berichten uns das mit Schaudern. 33 Ein derbes Leben. Derb oder roh und gänzlich unsentimental. Später rückten die Knaben dann in hohe Stellungen, zum Heermeister oder Statthalter, auf.

Aber auch ganz Griechenland war für den so sympathischen jungen Monarchen, der aus schwierigster Lage sich so rasch hochgehoben, begeistert und voll Bewunderung; und Philipp verneigte sich auf das liebenswürdigste und dankbar für die Anerkennung wie ein guter Schauspieler nach allen Seiten. Es ist nichts praktischer als beliebt zu sein. Er spielte die Sirene, die betört und würgt. In Wirklichkeit war sein Lebensplan schon jetzt in ihm fertig. Eroberung. Er hatte es als Knabe den Thebanern abgelauscht. Er wollte es besser als sie machen; denn er war in viel günstigerer Lage als sie.

Die ganze Balkanhalbinsel wollte er haben, den ganzen Fausthandschuh bis in die Fingerspitzen. Sein Arm war stark, und er konnte damit selbst Persien bedrohen.

Aber gemach. Es galt die kleinen Griechenstaaten einzeln zu schlucken, Bündnisse unter ihnen zu verhindern, freundlich gegen alle zu sein bis auf den einen, dem er gerade zuleibe ging.

Zunächst Stärkung der Hausmacht. Weithin erobernd griff er im Balkangebirge und über den Balkan bis ins heutige Serbien und Albanien aus. Festungen oder Burgen sicherten gleich den neuen Besitz. Die unterjochten Stämme stellten Hilfstruppen, für Gebirgskriege trefflich zu verwenden. Aber auch an den lieben Griechen vergriff er sich schon ohne Besinnen. Sie saßen in ihren festen Mauern an seiner mazedonischen Küste unter dem Athos und Olymp, sowie jenseits des Olymp in Thessalien. Er wußte ihnen beizukommen. Nur nicht mit dem Säbel rasseln! Mit Lüge und Bestechung kämpft sich besser. Er selbst hat über sich geurteilt: nicht seiner siegreichen Schlachten wolle er sich rühmen, denn das Verdienst um sie teile er mit anderen; wohl aber seiner Diplomatie, seiner Kunst der Gesprächsführung, die ihm die größten Erfolge brachte; denn dabei habe ihm keiner geholfenDiodor, Buch 16, Ende.. Was die Lüge 34 im Kampf der Völker vermag, haben wir auch heute erfahren; damals war sie Philipps persönlichste GabeAuch auf der Bühne Athens redete man über sein λογοποιεῖν; s. Antiphanes Fr. 124..

In Thessalien waren Unruhen; freundschaftlich griff er, Ruhe schaffend, als Protektor im Lande ein und behielt dort sogleich einige Plätze besetzt. Welch freundliche Fürsorge! Dann überfiel er die erwähnten griechischen Küstenstädte einzeln. Diese Städte hatten sich dem athenischen Seebund, der sie noch hätte schützen können, eigensinnig entzogen. Denn Athen steckte all sein überschüssiges Geld in seine Kriegsflotte, und diese konnte Schutz gewähren, da sie damals noch ohne alle Nebenbuhler das ganze Inselmeer beherrschte. Plötzlich belagert Philipp Amphipolis; Athen runzelt die Stirn; denn Athen selbst erhob auf den Besitz dieser Stadt Anspruch; Philipp beteuert: »Bei den Göttern, ich nehme sie nur, um sie euch, ihr Teuren, zu überliefern.« Die Athener glaubten das, sandten der Stadt keine Hilfe. Philipp hatte die Beute. Ein Narr gibt heraus, was er hat (i. J. 358).

Und so ging es weiter. Ganz Griechenland erschrak. Unter dem Athos lagen auf der Halbinsel Chalkidike, vom Meer mm spült, 32 Handelsstädte dicht beieinander, Heimstätten alter griechischer Kultur. Philipp beschloß kurzerhand ihre VernichtungVorher schon zerstörte er Methone in Pïerien i. J. 353. und überrumpelte und zerstörte sie sämtlich. Sie existierten nicht mehr. Die stärkste und stolzeste unter ihnen war die Stadt Olynth, einst von Athen kolonisiert. Philipp verstand sie zuvor zu ködern; er spielte den Großmütigen, wendete ihr neues Gebiet zu (es war das Gebiet einer der NachbarstädtePotidäa., die er vor kurzem zerstört hatte), beschenkte die führenden Personen in Olynth mit Geld oder Geldeswert, wie mit Rinderherden, die aus Mazedoniens Weiden herbeigetrieben wurden. Als die Stadt eingeschläfert ist, steht er plötzlich vor ihren Toren, Unterwerfung fordernd. Jetzt rufen die Olynthier nach Athen. Als die athenischen Kriegsschiffe anliefen, war es zu spät. Die Stadt fiel durch schmählichen Verrat und wurde dem Erdboden, auf dem sie stand, gleichgemacht, die Frauen und Kinder auf dem Sklavenmarkt verhandelt (i. J. 348). 35 Würden sich für sie Käufer finden? Gewiß. Sogar reiche Athener kauften sich die jungen Töchter Olynths und prahlten damit, indem sie sie mißbrauchten. Philipp rieb sich indes die Hände und trank einige Schläuche Weins leer vor Vergnügen. Er wußte jetzt, wie's gemacht wird. Die Offiziere, die Kommandanten der belagerten Städte selbst waren von ihm bestochen. Auf ihre Anordnung fuhr sich im Stadttor ein Lastwagen voller Bausteine fest, das Tor war nicht mehr zu schließen, und der Mazedone drang ein; und ähnliches mehrSiehe Frontin III 3, 5, betrifft die Stadt Sane..

Ein Charakterbild Philipps ist schwer zu geben. Diese Mazedonenkönige gleichen in mancher Hinsicht Peter dem Großen, der auch sein Rußland groß machte, indem er sich die Kultur von auswärts holte, von ihr aber nur sehr äußerlich bestrichen wurde. Auch an die Könige von Serbien, die Balkanbewohner, kann man denken, die sich neuerdings ihre Bildung aus Paris holten. Listig und lauernd war Philipp und doch wild impulsiv und der Sklave seiner Instinkte; die Gastlichkeit selbst; er brauchte Leute, muntere Gesellen, und sah ihnen so treuherzig jovial ins Auge. Griechen und wieder Griechen, Gesandte, Mimen, Dichter und sonstige Künstler, Clowns und allerhand Ehrgeizige sonst strömten nach Pella, die es schmeichelte, mit einem wirklichen König auf du und du zu stehen und sich zuzutrinken. Man staunte über die Weinorgien, die Waffentänze, über das wüste Leben sonst; es war geradezu unflätig; »Athleten der Unanständigkeiten« in GunstTheopomp bei Athenäus p. 167 u. 206.. Auch PhilippAthenäus p. 260 B., auch seine GeneräleWie Polysperchon; siehe Athenäus p. 155 C. sprangen da im Tanz mit, wenn sie bezecht waren.

Wir wollen in des Königs Schlafkammer nicht hineinleuchten. Gewisse Dinge sind dazu da, daß man von ihnen schweigt. In Kampf und Strapazen vergingen sonst so viel Tage. Dies Gesaufe war für die Festtage. Man denke sich die Korona toller Kriegsleute, die sich mit dem heißen mazedonischen Rotwein vollschlemmten; sie verlangten ihn, wie die Thrazier, pur, ohne Wasser. Das war strammer Komment, den der sittige Grieche grundsätzlich verwarf. Solche Völlerei bricht alle Schranken.

36 Man staunte, wie ich sagte. Wie brutal und doch, wie bestrickend war dieser Mann! Stattlich an Wuchs, im Wortwechsel schneidig und geschmeidig zugleich, ein Haudegen im Gefecht, der seinen Mann stand, zugleich Intrigant und Held. Dabei für jeden Spaß zu haben. Tragödien ließ er pflichtgemäß im Theater spielen und gab die besten Konzerte für seine feinhörigen Gäste. Er selbst aber lachte gern, und der Parasit und Possenreißer, der mit dem leeren Ranzen an der königlichen Tafel herumlungerte, um Speisenabfälle bettelte und dazu dumme Witze machen mußte, hatte es gut bei ihm. Man schrieb die Witze für die Nachwelt auf; sie sind aber so schwach, daß unsere »Fliegenden Blätter« sich ihrer schämen würdenAthenäus p. 248 D.. In Athen gab es nicht nur Philosophen, sondern auch eine Gilde von Berufswitzbolden, die, wie wir hören, 60 Mitglieder zählteAthenäus p. 614 D.; Philipp schickte Geld, und ihre neuesten Einfälle mußten für ihn gebucht werdenAthenäus p. 260 D.. Solch Sammelheft entsprach dann allerdings ungefähr unsern heutigen Witzblättern oder Bierzeitungen.

Mit dem Geld warf er um sich wie ein echter Hazardspieler. Alle Ministerien vereinigten diese Könige noch in ihrer Person; so war auch Philipp sein eigner Minister des Auswärtigen, sein eigner Kriegs- und Kultusminister, sein eigner Finanzmann. Das gab eine geniale Wirkschaft. Aber die Vergeudung war zweckmäßig. Er brauchte Agenten, Stimmungsmacher in Athen, Theben, Megalopolis, in allen Nestern; also galt es zu schenken, zu schenken; die nötigen Personalien hatte er, Beziehungen überall, und er fand die richtigen Leute; geradezu Jahresgelder zahlte er den Schuften, käuflichen Demagogen, die breite Ellenbogen zu machen und gehörig zu brüllen verstanden, wenn sie sein Lob sangen. Überall entstanden in den Demokratien Parteigruppen der Philippfreunde. Nahm er unversehens irgendeinen Platz mit Gewalt weg, wie die reichen Goldbergwerke bei Amphipolis, so war zunächst die Bestürzung groß. »Wer hätte das gedacht!« stammelte man in Athen. »Hätten wir vorgesorgt, aufgepaßt!« usf.Vgl. z. B. Demosthenes 3. Philippika § 70–71. Aber man blieb untätig, 37 wie hypnotisiert. Denn die Philippfreunde riefen dazwischen: »Nur keine Angst! Uns tut er nichts. Er liebt uns ja so unbeschreiblich, der herrliche!« Faßten die Athener trotzdem irgendeinen Beschluß, der auf Abwehr ging, so geschah es nach langem Gerede vor den Bänken des Volks mit Angabe aller Ziffern an Geld und Kriegsapparat, und Philipp erfuhr durch seine Zuträger gleich alles wie durch Funkentelegraphie. Was er selbst dagegen plante, erfuhr niemand vorher; denn seine Volksversammlung tagte verschlossen in seinem Busen, und seine Worte waren dazu da, seine Gedanken zu verbergen.

So wurde er groß und größer. Je mehr er hatte, je mehr nahm er. Sein Griff wurde immer stärker, und die Griechen, an das Kleine gewöhnt, standen gelähmt und staunten und glaubten so lange nicht an die Wirklichkeit, bis der Hai sie faßte und zwischen die Kinnladen nahm.

Diogenes, der Hundsphilosoph, der vor seinem Fasse lag, wußte, was kommen würde. Er sagte: »wenn ihr mich begrabt, begrabt mich, den Kopf nach untenEr verschmähte also die Leichenverbrennung der Vornehmen..« Warum? »Weil doch nächstens bei uns alles auf dem Kopfe steht«, war seine AntwortDiog. Laert. III 24, 66..

Gewiß, Bestechung vermag viel. Daß sich aber so rasch überall mazedonisch gesinnte Parteien bildeten, hatte gewiß einen tieferen Grund: das sehnsüchtige Verlangen nach Rast und Ruhe, das in den breiten Massen steckte, und die vage Hoffnung, der mächtige König könne einmal irgendwie den allgemeinen Frieden erzwingen. Dazu kam die weltbürgerliche Gesinnung, wie jener Diogenes sie predigte: »jedes Land ist mir Vaterland«Diog. Laert. III 24, 66.. Es war bequem und ausruhend, das zu glauben. Der alte Lokalpatriotismus wurde dadurch langsam entwurzelt, schon damals. Philipp war so beliebt, daß man in Athen sogar schon im krausen mazedonischen Dialekt zu sprechen versuchteμακεδονίζοντες, von den Attikern: Athenäus p. 122 A..

Gleichwohl regte sich, empörte sich doch das Ehrgefühl (wie konnte es anders sein?), das Staatsgewissen. Demosthenes, der Athener, durchschaute Philipp, Demosthenes der Advokat: 38 wie ein Detektiv war er hinter dem Verbrecher: die Knechtung drohte. Ganz unmilitärisch war dieser Mann, der letzte große Wortführer der Freiheit, grollend und ätzend bitter, Verächter des Weins, des Lachens unkundig und ungesellig, ein dürrer Abstinenzler und Antialkoholiker, aber zäher Patriot, dazu geschäftskundig und des Wortes mächtig wie kein anderer. Er hatte es schwer; denn der Volksredner stand jetzt gegen den Despoten. Der eine konnte nur überreden, der andere befehlen. Würde es dem Demosthenes gelingen, Athen, ja, Griechenland zu bewaffnen? und würde es nicht zu spät sein?

Das schreckliche Wort: »Zu spät!«

Demosthenes

Demosthenes

Demosthenes. Metallnachformung der Marmorstatue des Vatikanischen Museums mit richtig ergänzten Händen im Städtischen Museum zu Stettin. Die Marmorstatue im Vatikan ist eine antike Kopie der 280 v. Chr. in Athen dem Redner errichteten Bronzestatue des Polyeuktos. Nach Photographie.

Der Stadt Olynth hatte Athen Hilfe gebracht. Demosthenes hatte das durchgesetzt. Es war zu spät gewesen. Dadurch aber befand sich Athen jetzt mit Philipp wohl oder übel in Kriegszustand. Das war peinlich. Die Zaghaften jammerten: wozu noch Krieg? Ein schmählicher Friedensschluß folgte, der dem König alle bisherigen Eroberungen und Annexionen beließ. Athens Gesandte mußten darum wiederholt nach Pella. Geschickt aber schob Philipp den Abschluß des Friedens, die übliche Eidesleistung, hinaus, um zuvor noch rasch an der nahen Küste einige weitere griechische Häfen wie Abdera und Aenos wegzunehmen (i. J. 346). Athen war wieder völlig düpiert. Schon war Athens Handelsstraße zum Schwarzen Meer bedroht; Philipps Machtbereich ging fast schon bis zum Bosporus, wo Athen von allen Handelsschiffen den Sundzoll erhob. Er begann sich schon eine eigne Kriegsmarine zu schaffen: Kampfschiffe! wie bedrohlich! Wenn er athenische Handelsschiffe zu kapern anfing, was dann?

Ein klägliches Schauspiel war es, wie eben damals am Königshof Gesandte aus allen kleinen Staaten von Hellas zusammenströmten, die dem mazedonischen Herrn ihre Anliegen vortrugen, sich gegenseitig vor ihm beschimpften und ihn zum Schiedsrichter ihrer Differenzen anriefenAeschines II 136.. Und da geschah zugleich das Entscheidende. Der Einmarsch in Hellas wurde ihm freiwillig eröffnet. Der Fuchs sollte als Vertrauensmann in 39 Griechenland Banditenbanden zu vernichten helfen, deren selbst Theben nicht Herr werden konnte. Die Thermopylen waren das einzige Tor Griechenlands. Demosthenes hatte zeitweilig durchgesetzt, daß das Tor militärisch verschlossen blieb. Jetzt zog Philipp hindurch mit Roß und Mann.

Ein genialer Bandenführer Onomarch, aus Phokis, der Landschaft des Parnaß, hatte gottlos frech das heilige Delphi geplündert, die unermeßlichen Tempelschätze im Werke von 10 000 Talenten oder 45 Millionen Mark eingeschmolzen und damit Söldner über Söldner angeworben: die größte Schmach für Hellas; alle heilige Scheu war dahin, der Religionsfrevel beispiellos. Eine Streitmacht kam damit in des Onomarch Hand, so stark, daß sie alles, was sich ihr entgegenstellte, niederwarf. Auch als er starbPhilipp besiegte den Onomarch schließlich in Thessalien i. J. 352., hielten die Banden zusammen. Das währte nun schon zehn Jahre.

Ein Heiliger Bund der Nachbarstaaten, der sog. Amphiktyonen, bestand seit Urzeiten, dessen Aufgabe war, die Unantastbarkeit Delphis, der hochehrwürdigen Weihestätte Apolls, zu sichern, die Prozessionsstraße zu schützen, der heiligen Festspiele zu walten. Der Bund hatte sich völlig ohnmächtig gezeigt. Jetzt wurde von ihm Philipp als Strafvollzieher aufgerufen, und er nahm die Miene des frommen Mannes an. Sein Erfolg war gleich vollkommen (im Juli d. J. 346), und er, der Ausländer, wurde dort jetzt im Herzen von Hellas Vorsitzender des Heiligen Synod, Vorsitzender der delphischen Festspiele. Gegen Theben war er besonders gnädig, indem er ihm griechisches Gebiet zuwies, das es selbst sich nicht hatte erkämpfen können. Das wurde als Schmach empfunden. Die altberühmte Kleinstadt Orchomenos entvölkerte Philipp, Theben zuliebe; denn Theben haßte Orchomenos. Die Bewohner wurden als Sklaven verhandeltVgl. A. Schäfer, Demosthenes II² S. 287.. Auch das blieb unvergessen.

Athen fühlte sich völlig isoliert, und die Angst befiel jetzt die Stadt: wie, wenn der König zum Angriff heranzog? Er stand mit seiner Phalanx so nah, und er zürnte gewiß; denn Demosthenes hatte die phokischen Banditenhaufen zum 40 Widerstand gegen Philipp ermutigt. Man war, heißt es, seekrank vor ErregungAristoteles Rhetor. III 4.. »Wenn er sich doch erhängte!« schrie manSeneca De ira III 23.. Schon setzte Philipp dreist erobernd den Fuß auf die nahe Insel EuböaIm Jahre 343 und 342.. Schon wuchsen auch im Peloponnes, Arkadien, Elis die mazedonischen Parteien an. Er wurde Schutzherr von Olympia, und überall sah man seine verwünschten Porträts in Bronzebildern.

Es war höchste Zeit, sich zur Abwehr zu rüsten, zu kämpfen. Jetzt endlich hörte Athen auf Demosthenes. Dröhnender als je schlug er Alarm und warb auch auf Reisen bis zu den fernen Illyriern unermüdlich aufhetzend Verbündete. Philipp war der neue Xerxes. »Aber Philipp lügt. Eine Herrschaft, die sich auf Lüge gründet, kann nicht bestehen«So schon Olynth. II 9 f.. Das war sein Glaube. Es fragte sich, ob der frivole Gang der Weltgeschichte ihm recht gab.

Philipp ließ den Demosthenes ruhig reden und reisen. Er hatte zuvor unendlich Wichtigeres zu tun, im Westen und Osten, und ließ Athen liegen, wo es lag. Er machte sich zum Herrn von EpirusIm selben Jahr 343 auf 342. als Vormund des dortigen jungen Königs; er kämpfte im Tal der Maritza, um sich die schwelgerisch schönen Gefilde Thraziens, das heutige Rumelien, zu erobernDieser thrakische Krieg währte drei Jahre, 342–340.. Als Herr von Epirus stand er im Westen am Adriatischen Meer, als Herr Thraziens näherte er sich im Osten von der Landseite her schon dem Bosporus und bedrohte den Schlüssel des Pontus, Byzanz (i. J. 340). Die ganze obere Balkanhalbinsel war jetzt endlich sein.

Die Byzantiner schicken Gesandte vor's Tor: sie hätten nichts verschuldet; weshalb er sie belagert? Er erwidert: »ihr seid dumm und gleicht dem, der eine schöne Frau hat und sich wundert, daß man ihr nachstellt«Siehe Stobäus πεδὶ κακίας 18 (ed. Wachsmuth III S. 182)..

Byzanz bedroht! Philipp erdreistet sich so weit. Das ging den athenischen Großkaufleuten nun doch ans Leben. Die Selbsttäuschung ist zu Ende. Die große Entscheidung muß fallen. Unerbittlich Krieg! Es ging jetzt um Griechenlands Schicksal. Athen schickt rechtzeitig Flotte und Mannschaft und entsetzt wirklich Byzanz. Großer Jubel! Philipp muß abziehen. Es gelang. Athen konnte wirklich noch siegen. Es war des Demosthenes Werk.

41 Die Kampfreden, die Demosthenes damals gegen Philipp hielt, heißen die Philippiken. Durchschlagend war die dritte Philippika. »Wehe uns, Mitbürger! Wohin ist der alte Geist der Marathonkämpfer? Ausverkauft ist er wie eine gute Marktware und vom Markt verschwunden. Bestochene sind unter uns. Wir sind zu Tode krank an Verrat und blaß vor Neid jeder, der von Philipp kein Geld bezieht. Daher wird es uns wie Olynth gehen. Aber lieber tot sein als nachgeben! Strafen wir diesen König, den Verbrecher, der gar kein Grieche, nein, ein Barbar des verworfensten Gelichters, ein nichtswürdiger Mazedone ist. Untätig zusehen wollt ihr seinen Raubtaten wie der Bauer dem Hagelschlag, der Bauer, der nur froh ist, wenn es nicht ihn, sondern den andern trifft? Den Göttern Dank: unser Staatsschiff ist noch stark und gesund. Alle Mann an die Riemen! und stramm in den Dienst! Das Schiff wird nicht umschlagen.« Wir hören, daß Philipp sich Nachschriften dieser Reden verschaffte und sie mit Bewunderung lasVgl. Vitae decem orat. p. 845 C.. Der große Gauner sah sich in ihnen entlarvt und wie im Spiegel.

Byzanz war glücklich befreitWir erfahren den Namen des Ingenieurs und Maschinenmeisters Polyeidos, dessen sich Philipp bei der Belagerung bediente; Polyeidos war der Lehrer der Ingenieure Alexanders des Großen, Diades und Charias (siehe Schäfer, Demosthenes II² S. 530).. Auch blockierte Athen energisch die ganze mazedonische Küste, und kein feindliches Schiff konnte mehr auslaufen. Aber Philipp ließ das kalt. Er erkannte, weiter konnte ihm Athen nichts anhaben; denn mit Kriegsschiffen kann man nicht auf dem Lande fechten, und ein Vorstoß ins Herz Mazedoniens war ausgeschlossen. So verschwand er mit seinem Heer plötzlich jenseits des Balkan im fernen Norden (i. J. 340); es gab eine große Diversion an die Donau gegen die fremdvölkischen Szythen. Er wollte, bevor er zur letzten Entscheidung nach Süden zog, sein Reich an der Nordgrenze sichern. Der Mann der Überraschungen: nichts mißlang ihm.

Und schon stand er wieder im nahen Thessalien und rückte in Hellas ein. Er tat es in Sachen des Amphiktyonenbundes; aber das war nur Vorwand.

Er war da, forcierte die Thermopylen, zur Entscheidung drängend, und bedrohte jetzt zunächst Theben. Denn auch Theben war jetzt gegen ihn. Auch da bäumte sich der 42 Griechenstolz endlich gegen ihn auf. Die Thebaner konnten die großen Zeiten des Epaminondas nicht vergessen, als dieser, der bessere Mann, noch die Rolle Philipps spielte. Demosthenes selbst eilte jetzt zur Stelle; denn er war schon immer Vertrauensmann, der Interessenvertreter der Thebaner in Athen gewesenProxenos; vgl. Aeschines, De fals. leg. 141 f., und man hörte auch in Theben auf ihm Freiheit und Ehre! Seine Suada zwang allen Widerspruch nieder. Es galt in der Feldschlacht zu siegen. Ein enthusiastischer Glaube erfaßte alle. Erbfeindschaft war bisher zwischen Athen und Theben gewesen, wer weiß, wie lang? Jetzt standen sie wie Brüder zusammen. Es war wie ein Wunder. Der Zuzug aus andern Städten war gering; aber sie allein würden es schaffen. Sie waren dem Feind numerisch gewachsen: 30 000 Mann standen auf beiden Seiten. Die Priesterin in Delphi ließ Demosthenes töten, weil sie offen zum Landesfeind hielt und die Stimme des delphischen Orakels, auf das alles hörte, zu Philipps Gunsten lenkteVgl. Schäfer Demosthenes II² S. 555..

Es war der Sommer des Jahres 338. Philipp wählte sich das Schlachtfeld; an den Nordhängen des Helikon, des gewaltigen Musenbergs, lag Chäronea im wasserreichen stillen Tal, wo in den Wiesen und Weihern Narzissen und Iris blühten und Lilien und Rosen in Üppigkeit. Die Blumen wurden zerstampft, zertreten, aber auch die letzte Hoffnung Griechenlands.

Man sieht sich nach den Heerführern um. Neben Philipp reitet sein Sohn, der junge Alexander, damals 17jährig; dazu Antipater, ein wohlbewährter Stratege. Auf griechischer Seite ordnen unbekannte Männer die Schlachtreihen, deren Namen man liest, um sie wieder zu vergessen. Das mazedonische Heer ist einheitlich und erprobt, durch Gebirgsvölker aus dem Balkan verstärkt; bei den Griechen stehen nur in Landsmannschaften zerspaltene städtische Milizen unter den Waffen, keine Söldner. Die Bürger selber, alt und jung, langten nach Schwert und Spieß, um für ihre Heimstätten zu kämpfen. Demosthenes selbst stand als gemeiner Hoplit, als Fußkämpfer in schwerem Harnisch mit in der Reihe.

43 Es wurde wacker gefochten, aber die Schlacht ging verloren. Der Bürger gab im Angriff sein letztes her; aber er ermüdete zu früh in den ungewohnten schweren Waffen. Der junge Alexander entschied vorstürmend den Sieg. Die heilige Schar der Thebaner, 300 der vornehmsten Jünglinge, lag erschlagen. Der Schlag genügte. Die Entscheidung war gefallen, und das Schicksal nahm seinen Lauf.

Die ewig denkwürdige Stätte, das Schlachtfeld von Chäronea, wurde von neugierigen Reisenden schon im Altertum viel besucht; so geschieht es auch noch heute. Ein Massengrab der damals Gefallenen hat man neuerdings wirklich gefunden, sogar die Reste der Toten gehoben. Ein hockender Riesenlöwe, aus grauen Marmorblöcken aufgebaut, bezeichnet noch heute den Ort. Es ist ein stummes Denkmal, stumm wie der Tod, da ihm jede Inschrift fehlt; kein Wort der Klage, Weh- und Anklage. Und das Verstummen griff um sich. Auch die Musen auf dem Helikon schwiegen, und das Tal, wo einst der Frühling blühte, liegt heut verödet und versteint, als trauerte es noch immer dem Tode nach, dem Tode der alten Freiheit.

Demosthenes floh, wo alles floh. Er war der Besiegte; er hatte die Schlacht verloren. Im großen Haufen der Fliehenden mußte auch er sich in Laufschritt setzen. Zu sterben wäre ihm besser gewesen. Ein Wunder, daß er nicht verzweifelte. Ein Cato tötete sich selbst; für Demosthenes war die Zeit dazu noch nicht gekommen.

Eine Menge wohlhabender Athener hatte Philipp gefangen genommen, die als gute Bürger ihre Pflicht getan, nun aber doch froh waren, daß sie noch lebten. Philipp nahm sie gnädig mit an seine Tafel; denn mitten auf dem Leichenfeld gab es ein Siegesmahl. Er sprang hoch vor Jubel. Bezecht taumelte er durch die Haufen der Toten: da lagen sie! Er mußte lachen und trällerte wie ein Bänkelsänger, indem er dazu den Takt schlug, des Demosthenes Namen immer vor sich hin. Hätte er ihn gegriffen, wer weiß, was geschehen wäre? »Willst du statt des Agamemnon den Thersites spielen?« rief ein kühner 44 Mensch ihm entrüstet zu. Da änderte er sofort die Haltung. Und in der Tat: er wollte diese Griechen, die nun erledigt waren, nicht weiter reizen; denn er brauchte sie für seine Zukunftspläne.

Theben belegte er freilich mit Besatzung; auch eine Anzahl von Bluturteilen wurde vollstreckt. Darum kam über Athen grenzenlose Bestürzung. Philipp aber dachte nicht daran, diese Riesenfestung zu belagern. Ihm war Athen wie eine alte vornehme Respektsperson, der man nicht wehe tut, wenn sie nur den Mund hält. Er strömte vielmehr von Edelmut über. Sein General Antipater mußte die Leichen der gefallenen Athener in aller Feierlichkeit persönlich von Chäronea nach Athen überführen. Gleichzeitig mit ihm betrat auch der Königssohn Alexander die Stadt. Alexander ist damals in Athen gewesen. Ob er die Stadt später noch einmal betreten hat, ist unsicher. Und Athen bedankte sich: Philipp wurde ebenso wie sein Sohn Ehrenbürger Athens, Philipps Standbild auf dem Markt aufgestellt.

Das waren unerhörte Huldigungen. Hoffte man, daß sie verfingen? Der neue Ehrenbürger Athens ließ sich durch nichts zurückhalten. Er löste vielmehr den athenischen Seebund herrisch auf, und Athens Bedeutung auf See war damit für immer zu Ende. In den Peloponnes rückte Philipp ein; auch da fällt ihm alles zu Füßen. Auch Byzanz am Bosporus unterwarf sich jetzt. So konnte nun an alle der Befehl ergehen. Einen Kongreß in Korinth gab es auf Philipps Befehl, und der Sieger diktierte dort seinen Willen: sämtliche Staaten, ob klein, ob groß, mußten zum dauernden Friedensbund zusammentreten; ewiger Landfriede sollte gelten. Das klang herrlich; aber jede selbständige Politik war ihnen allen damit genommen. Die Hauptsache aber folgte: der Bund war dem König Mazedoniens unterstellt und hatte diesem in allen auswärtigen Kriegen Heeresfolge zu leisten. Wer hiergegen verstieß, sollte der Strafe verfallen. Die Knechtung war fertig. Den ersehnten Landfrieden hatte man nun, aber man war Untertan eines Bastardgriechen gewordenVgl. Polybius III 6. Aristoteles schrieb damals im Dienst Philipps seine sog. δικαιώματα, d. h. Vorschläge zur Wiederherstellung des Territorialbesitzes der griechischen Staaten, wie er früher gewesen. Hierüber H. Nissen im Rhein. Museum 47 S. 161 ff., der freilich die praktisch-politische Tätigkeit des Aristoteles bis zum völlig Unglaubhaften aufbauscht. Daß Aristoteles dem Philipp vom Perserkrieg abriet (Philodem in dem von Sudhaus bearbeiteten Text, Rhein. Mus. 48 S. 557), blieb ohne Wirkung..

45 Nur Sparta allein schloß sich trotzig aus. Philipp zuckte die Achseln und ließ die Stadt, die kaum noch etwas bedeutete, gewähren. Sie war für ihn wie der Bodensatz in der Flasche. Man muß ihn nicht schütteln, dann stört er den Genuß und die Freude nicht.

Der Krieg aber, den Philipp plante, war der Perserkrieg. Der Fausthandschuh der Balkanhalbinsel erhob sich drohend gegen AsienSchon bei Aristophanes, Equit. 1089, träumt der Spießbürger davon, daß Athen einst in Ekbatana herrschen wird.. Wie der Türke an beiden Seiten der Dardanellen geherrscht hat, so wollte es damals der Mazedone. Das üppige Kleinasien, das Land des alten Krösus, lockte ihn mächtig. Den Griechen predigte er den Nationalkrieg: »es ist der Krieg, den ihr längst gewollt«; die Losung: »Rache für das, was einst Xerxes getan« schien immer wirksam und bot sich von selber dar. So würden aber auch die Massen der Landsknechte, die müßig sich umtrieben, endlich Ablenkung und auswärtige Beschäftigung finden. Demosthenes freilich dachte anders; er hatte vielmehr ein Bündnis Athens mit Persien gegen Philipp angestrebtAlexander fand des Demosthenes Briefschaften hernach wirklich in den persischen Archiven, in Sardes; siehe Plutarch, Demosth. 20.. Ihm schien Philipp unendlich hassenswerter. Seine Verwünschungen begleiteten hernach auch Alexanders Siege in Persien, und breite Schichten in Griechenland empfanden wie er.

Es war das Jahr 336. Philipp warf schon Truppenteile zum Angriff über die Dardanellen. Ihn selbst hielt noch seine Tochter zurück. Er vermählte in der alten Königsstadt Ägä seine Tochter Kleopatra, Alexanders Schwester, mit dem jungen König von Epirus, dessen Vormund Philipp bisher gewesen: eine Hochzeit mit geziemendem Gepränge, Theaterspiel und Festgesang. Es fiel auf, daß, als die Figuren der zwölf Götter, schön gewandet und mit Schmuck beladen, in Prozession einhergetragen wurden, auch Philipps Bild sich mitten dazwischen befand, als wäre er Gott und ihresgleichen. Als er sich vormittags zur Festvorstellung zu Fuß ins Theater begab, in schimmernd weißem Talar und unbewaffnet, stand seine Garde wie immer zum Dienst bereit. Doch er winkte ab; er wollte zeigen, daß er sie nicht brauchte, daß er sich sicher fühlte in der Menge der Einheimischen und 46 Fremden. Das Theater war schon von Publikum überfüllt. Gelassen schritt er zwischen Sohn und Schwiegersohn. Da trat in der Enge des Theatereingangs ein Kerl an ihn heranA. Struck, Mazedonische Fahrten II S. 64, glaubt die Stelle in Aegae, wo der Mord geschah, festgestellt zu haben und bringt eine Abbildung. Seine Darlegung aber überzeugt mich nicht. und stach ihn nieder.

Philipp ermordet! Der Mann hatte ein keltisches Schwert.

Es war die Zeit der umstürzenden Überraschungen. Diese war die allerunerwartetste. Der Mörder warf sich auf ein Pferd; seine Mitverschworenen sollten ihn retten. Aber man griff ihn gleich und schlug ihn nieder. Pausanias hieß er.

War es ein Grieche in des Demosthenes Sold? und rächte sich Griechenland so an seinem Unterdrücker? Keineswegs. Eine Dichtung würde so endigen; das wirkliche Leben ist trivialerAnders urteilte freilich Neoptolemus, ein Schauspieler jener Zeit, unter dem ersten Eindruck des Ereignisses: das Geschehene sei tragischer als irgendeine Bühnenszene des Äschylus, Sophokles und Euripides (Stob. Floril. 98, 70).

Der Mensch stand dem König persönlich nahe; denn er war einer der jungen Leute, die persönlich bei Philipp Dienst hatten, d. h. der sogenannten Leibwächter, ja, er war als der Liebling des Königs bekannt. Diese Leibwächter mußten besonders schöne Menschen sein, was zu allerlei Schändlichkeiten Anlaß gab. So hatte sich auch dieser Pausanias in solchem Anlaß durch üble Reden bei seinen Kameraden verhaßt gemacht, war darum in der Trunkenheit von ihnen auf das schmählichste vergewaltigt worden und hatte in heller Wut für die erlittene Schande von seinem König selbst Genugtuung gefordert. Vornehme Mazedonen, die den König persönlich haßten, hetzten ihn überdies dazu auf; ja, auch persische Agenten sollen irgendwie mit im Spiel gewesen sein. Philipp nahm des Pausanias Auftreten leicht; er rechnete nicht mit dem Ehrgefühl des jungen Mannes. Er begütigte ihn umsonst. So fiel er dem Knecht, der sein Freund war, zum OpferDaran, daß etwa Alexander der Urheber der Ermordung seines Vaters war, ist nicht zu denken. Denn die Aussöhnung zwischen Vater und Sohn hatte stattgefunden, und Alexanders Thronfolge mußte gesichert scheinen, da Kleopatra dem Philipp nur eine Tochter geboren hatte. Gewiß war Verwandtenmord im mazedonischen Königshaus üblich, aber doch nicht Vatermord; solchen darf man nicht voraussetzen, wenn nicht zwingende Beweisgründe vorliegen. Man hat gemeint, die Geschichte von dem Leibwächter und seinen Mitverschworenen sei erfunden worden, um Alexanders Schuld zu vertuschen. Aber diese Geschichte ist an sich ganz glaublich und ohne Anstoß. Die Mißhandlung des Pausanias, die beim Trinkgelage geschah, soll von Attalos, dem Schwiegervater Philipps, veranlaßt worden sein. Man fragt also, weshalb Pausanias nicht diesen Attalos, sondern den König niederstach. Die Antwort ist einfach. Pausanias war eben Philipps Leibwächter, konnte sich also räumlich von ihm gar nicht entfernen; Attalos dagegen war damals zumeist vom Hof abwesend, also nicht erreichbar. Überdies bestand zwischen Philipp und diesem schönen Menschen ein Verhältnis intimer Art; er war διὰ τὸ κάλλος φίλος (Diodor 16, 93). Philipp war nicht nur sein Chef. Nach antiker Auffassung hatte der Liebhaber für den Geliebten einzutreten. Pausanias forderte das, Philipp tat es nicht, und so wandte sich das Rachegefühl naturgemäß gegen ihn. Fälschlich wird, wie ich meine, von Beloch, Griech. Geschichte III 1, S. 606, zwischen der Beleidigung des Pausanias und der Ermordung des Königs ein Zeitraum von acht Jahren angesetzt. Wäre Diodors Erzählung so zu verstehen, wie Beloch es will, und die Geschichte hätte dann obendrein nur auf Erfindung beruht, die Alexander entlasten sollte, so wäre sie sehr ungeschickt erfunden gewesen, und niemand hätte an solchen Sachverhalt geglaubt. Wem sollte man im Ernst einreden, daß der Beleidigte so viele Jahre mit der Rache an Philipp gewartet hätte? Nach Diodor war aber doch der Hergang so: es war der genannte Pausanias auf einen zweiten schönen jungen Mann gleichen Namens eifersüchtig geworden; dieser zweite Pausanias suchte i. J. 344 in Anlaß hiervon in der Schlacht und im Kampf für Philipp freiwillig den Tod. Erst als dies bekannt geworden ist, wird jener erste Pausanias auf des Attalos Anstiften schmählich mißhandelt. Dies letztere muß aber sehr viel später geschehen und der Umstand, daß der Tod jenes zweiten Pausanias in der Schlacht ein Freitod gewesen war, muß also erst sehr spät aufgedeckt worden sein; das leidet keinen Zweifel. Denn König Philipp gibt, als der Pausanias, von dem wir handeln, sich nun über die Schmach, die er erlitten, bei ihm beschwert, deshalb darauf kein Gehör, weil Attalos damals schon sein nächster Anverwandter war; dies wurde Attalos aber erst i. J. 337 durch Philipps Heirat mit Kleopatra. Die Mißhandlung des Pausanias kann also keinesfalls vor 337, sie kann auch erst i. J. 336 geschehen sein. Pausanias war damals etwa 26 Jahre alt, er konnte auch da immer noch bei dem König als φίλος διὰ τὸ κάλλος gelten. Die körperliche Schändung aber, die man ihm angetan, war bei diesem Lebensalter noch viel schmachvoller und aufreizender zur Wut und Rache.. Ein unsauberes Gefühl bleibt für den, der davon liest, zurück. Wie anders wirkt sonst der Tyrannenmord! wie anders Julius Cäsars Ende!

Gerade die schöpferisch genialen Naturen wurzeln oft genug in starker Sinnlichkeit, und selbst das erniedrigend Gemeine ist ihnen nicht fremd, aus dem sie ihre urwüchsigen Kräfte ziehen. Kein Zweifel. Philipp aber zählte nicht zu denen, die die Hoheit ihrer Ziele mit in die Höhe reißt und auf die das Glück der 47 Mitmenschen, das sie schaffen, läuternd wirkt. Er stand immer noch mit einem Fuß im Sumpfe.

24 Jahre hatte er regiert; er war nur 47 Jahre alt geworden. Griechenland fuhr aus der Betäubung jählings auf. Es war ein großes Staunen. Sollte es doch noch die alte Freiheit wiederfinden? und wer würde Philipps Nachfolger sein? Im Goldglanz neu aufstrahlender Hoffnung schien auf einmal alles dumpfe Gewölk, das über Hellas hing, sich zu verzehren. Ein blendender Glanz. Ob er nicht täuschte? 48

*


 << zurück weiter >>