Theodor Birt
Alexander der Große und das Weltgriechentum
Theodor Birt

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Das zweite Kriegsjahr (333 v. Chr.)

Das zweite Kriegsjahr, das Jahr 333 begann. Die Beurlaubten kehrten aus Mazedonien zurück, und auch Verstärkungen kamen nach Gordium. Gewiß brannte Alexander darauf, jetzt endlich den Darius zu suchen und gegen Babel zu ziehen. Er hatte alle Hochachtung vor diesem Gegner verloren; denn Darius hatte, um Alexander loszuwerden, einen 112 Meuchelmörder dingen wollen. Die üble Sache spielte, als Alexander noch im Winterfeldzug an der Südküste stand. Zum Glück wurde von Parmenio des Darius griechisch geschriebener Brief abgefangen, in dem Darius sich an einen der höchsten mazedonischen Reiteroffiziere (der Mann hieß gleichfalls Alexander) mit dem schmählichen Antrag, den Mord rasch zu vollziehen, wandte, indem er ihm Berge Goldes, ja, den mazedonischen Thron versprach. Der Brief gelangte wohlgemerkt nicht an den Adressaten, und dieser wurde darum zunächst nur in Haft gesetzt; denn die Schuld des Mannes schien dem Alexander nicht hinlänglich erwiesen, und er sah deshalb von seiner Hinrichtung abErst drei Jahre später haben Alexanders Soldaten diesen Alexander, den Lynkesten, als wäre er schuldig, getötet; siehe Curtius VII 1.

Dariusvase

Dariusvase

Darius im Rat der Großen des Perserreichs, darunter Ablieferung von Tributen. Von einer tarentinischen Prachtvase aus Canosa im Nationalmuseum zu Neapel um 400 v. Chr. Nach Furtwängler und Reichhold, Griechische Vasenmalerei, Tafel 88.

Der Vormarsch nach Osten aber geschah nicht; denn Alexander war um Memnon, dessen Gegenaktion im Westen eben jetzt begann, in ernstlicher Sorge, und er beschränkte seine eigenen Unternehmungen deshalb von Gordium aus auf das zunächst umliegende Gebiet, als er zu seinem Staunen hörte, daß Memnon gestorben sei. Gestorben? Es klang wie ein Wunder. Dieser gefährlichste Gegner, der ihm im Rücken stand, war plötzlich weggeräumt, die Fessel gefallen, die Alexanders Füße hemmte, und jeder erkannte, daß das Glück, das sonst so launische, sich ihn zum Liebling erwählt hatte.Beim Kriegsplan wird dann von Parmenio des Königs Glück geradezu mit in Rechnung gesetzt; vgl. Curtius III 13, 4: felicitati regis sui confisus.

Das Glück war für die Griechen Person; es wurde als Göttin Tyche verehrt, und von jetzt an, seit Alexanders Lebzeiten, verdrängte die Vorstellung vom Walten dieser Tyche die unheimlichen Parzen und den dunklen Ratschluß des Schicksals, den Zeus verwaltet, aus der Redeweise der Alltagsmenschen, aber auch der Schriftsteller, die sich mit Weltgeschichte befaßten. Ja, Glück zu haben, ein Günstling des Zufalls zu sein galt hinfort als Ehrentitel der Könige, als ihre Tugend. Felix nannte sich Sulla, der römische Despot, mit Stolz, und man blickte mit Andacht zu solchen Bevorzugten auf.

Memnon aber, der gefürchtete, hatte nicht nur seine überlegene Kriegsflotte, er hatte auch ein starkes Landheer auf Schiffe genommen, um gegen Mazedonien vorzugehen, und 113 damit begonnen, die griechischen Inseln Chios und Lesbos zu erobern. Auf Lesbos erkrankte er schwer und starb. Die Perserflotte stieß danach allerdings noch bis zu der kleinen Insel Tenedos vor, die vor Troja lag, die schon Homer erwähnt und die im letzten Weltkrieg auch die Engländer wieder zur Flottenbasis wählten, um die Dardanellen zu forcieren und Konstantinopel zu nehmen. Aber die ganze persische Unternehmung verlief gleichwohl im Sande, da Darius zu ihr das Vertrauen verlor und Memnons Landheer, das aus trefflichen griechischen Söldnern bestand, nunmehr für sich in Anspruch nahm; es wurde nach Mesopotamien abtransportiert.

Alexander aber holte sofort erobernd weiter aus, zunächst im inneren Hochland KleinasiensPaphlagonien im Norden unterwarf sich ihm durch Vertrag, ohne daß er diese Provinz betrat; in Kappadozien ging er erobernd vor. Damit war die Marschrichtung nach Osten gegeben., dann im erneuten Vorstoß zur Südküste. Denn er hörte, daß Darius endlich die Schlacht anbieten wolle, ja, persönlich den Vormarsch gegen Cilicien rüste. Ehe das schwere Reptil des Perserheeres sich in Bewegung setzte, hatte es freilich noch gute Wege.

Das persische Militärwesen beruhte auf dem Lehnswesen: nur wer Bodenbesitz hat, ist verpflichtet, sich und seine Söhne zum Heeresdienst zu stellen. Die Aushebungen in den weiten Ländern, vor allem in Iran und in Armenien, dauerten lange, aber Darius hatte doch nun endlich zum mindesten 400 000 Mann beisammen – ein buntes Durcheinander von Trachten und Bewaffnungsarten –, die um Babylon in den üppigsten Quartieren lagen. An physischem Mut fehlte es ihm keineswegs, aber er war ein Mann der langsamen Überlegung und hörte gern den Rat anderer. Auch der Anschlag, Alexander ermorden zu lassen, ist ihm gewiß von seinen Ratgebern aufgedrängt worden. So wurde denn auch jetzt in seinem Hauptquartier beraten und beraten. Erfahrene Männer rieten, ruhig dort stehen zu bleiben und des Gegners Vormarsch vielmehr am Euphrat zu erwarten; denn das dortige Land, endlos flach wie eine Tischplatte, eignete sich zur Entfaltung der persischen Übermacht und zu Reitergefechten wie kein anderes.

114 Darius aber dachte denn doch anders; seine Ehre erforderte, daß er sich endlich in dem gefährdeten Reichsteil, in Kleinasien, zeigte, daß er den Feind im Offensivstoß aus dem Lande warf, und er rüstete den Ausmarsch.

Um ihm zuvorzukommen, warf sich Alexander wieder an die Südküste, nach Cilicien. Dabei mußte er zum zweitenmal den Taurus übersteigen. Der schwierige Paß war von Persern besetzt und leicht zu verteidigen, aber beim Nachtangriff Alexanders liefen die Perser davon, und Alexander pries wieder sein liebes Glück. In der engen, tiefen Bergschlucht, durch die er marschierte, wäre er sonst mit Steinwürfen aus der Höhe einfach zugedeckt worden.

Cilicien liegt der Insel Cypern gegenüber und ist der letzte Strich der Südküste Kleinasiens, der schon auf Syrien zuführt, eine Küstenebene, die am Strand schmal wie ein Korridor zwischen den steilen Kulissen des Taurusgebirges und dem offenen Mittelmeer verläuft. In Tarsus, der Hauptstadt Ciliciens, die jedem als die Heimatstadt des Apostels Paulus bekannt ist, lag noch persische Besatzung. Wie immer drang Alexander in raschem Tempo vor, kämpfte auch wieder in den unzugänglichen Bergen mit dem trotzigen cilicischen Bergvolk, stets persönlich am Kampf beteiligt, als er hörte, daß die persische Besatzung Tarsus räumen, aber die Stadt vorher in Brand stecken wolle. Um sie zu retten, schickte er Parmenio dorthin; so melden die einenCurtius III 4, 15.; die andere Überlieferung sagt, daß er selbst mit seinem Reiterkorps und Leichtbewaffneten im Parforceritt herbeieilte. Da erkrankte er. War es ein Schlaganfall? Die Ärzte verzweifelten. Es war die erste schwere Warnung.

Ich folge der glaubwürdigsten ÜberlieferungNur Aristobul erwähnte von dem Bad im Kydnos nichts, sondern berichtete nur, der König sei an Überanstrengung erkrankt. Das ist ein Gedächtnismangel des hochbetagten Mannes, der etwa 20 oder 30 Jahre später schrieb. Wir werden bei Aristobul dem Übergehen des Anlasses einer Katastrophe noch einmal begegnen, S. 182, Anm. "So Aristobul bei Arrian IV 8, 9,...". Daß Alexander an bloßer Überanstrengung so schwer erkrankte, ist schon an und für sich ganz unwahrscheinlich; denn er hat zehn weitere Jahre noch ganz andere Strapazen ohne Schaden durchgemacht. Daß die Geschichte, die vom Arzt Philippus erzählt, auf den Augenzeugen Kallisthenes zurückgeht, habe ich in meiner Anmerkung über Hephästion wahrscheinlich gemacht (oben S. 97, Anm. "Daß Hephästion von vornherein..."). Über die Zuverlässigkeit des Kallisthenes wird auch noch weiterhin zu reden sein.. Alexander näherte sich der Stadt Tarsus, sei es nach jenem Parforceritt oder nach sonstiger Überanstrengung, in der asiatischen Glühhitze des Juli- oder Augustmonats. Da sah er den Kydnosfluß, der kristallklar, aber eisig von der Schneeschmelze des Hochgebirgs, auch im Sommer tiefes Wasser führt. Sein 115 Temperament ging mit ihm durch. In Schweiß gebadet warf er sich ins Wasser. Naturbad. Angesichts seines Heeres hatte er die Kleider abgeworfen; die Leute sollten sehen, daß er es nicht besser haben wollte als der gemeinste Mann. Das Wasser war tief genug zum Schwimmen.

Was nun folgt, wirkt wie eine Tragödie. Kaum im Fluß, verliert er das Bewußtsein, schlagartig. Er sinkt. Man rennt, man rettet. Er ist tot, hieß es. Die Glückgöttin hatte sich abgewandt, und die Parzen zerrten an seinem Lebensfaden. Das Entsetzen war namenlos. Den braven Mazedonen stürzten die Tränen; so liebten sie ihren König. Gleich aber ging auch die Angst um, der Schreckgedanke: wir sind herrenlos, Mazedonien ohne König; er ist tot, ohne Sohn und Erben; und Darius droht; wir müssen zurück; wer aber soll uns führen?

Militärärzte genug gab es im Heer, auch mehr als einen bewährten Leibarzt. Das Bewußtsein kehrt dem König wieder, aber ein heftiges, heiß zerstörendes Fieber wirft ihn um. Die Ärzte erklären kein Mittel zu wissen, um es zu brechen, bis doch einer unter ihnen, Philippus, die Heilung verspricht; er verspricht selbst ein Mittel zu bereiten; denn jeder Arzt war damals Pharmazeut und sein eigner Apotheker. Daß der berühmte Arzt Hippokrates und seine Nachkommen in Mazedoniens Hauptstadt Pella wirkten, habe ich früher erwähnt; von ihnen war dieser Philippus ein SchülerDies scheint selbstverständlich; er war von Herkunft Akarnane., ein älterer Mann, der Alexander schon als Kind beaufsichtigt hatte und seine Natur kannte. Aber Parmenio, der angesehene Feldherr, warf sich auffallenderweise dazwischen; Parmenio war damals abwesend; aber ein Brief von ihm warnt den Kranken, dieser Philippus bringe Gift; er sei von Darius bestochenAuf die Version bei Seneca De ira II 23 ist nichts zu geben, wonach vielmehr Olympias, die Mutter, den Arzt bei Alexander verdächtigte. Die Version ist aufgebracht worden, um Parmenio zu entlasten. Lucian im Somnium sive Gallus 25 besagt, daß sich Alexander über den Ruhm Parmenios ärgerte.. Alle Hoffnung schien danach umsonst. Verschwörung? Parmenio hatte schon einmal solchen Mordanschlag aufgedeckt, er war erster Vertrauensmann des Königs, und der Konflikt war da. Der Konflikt war in Alexanders Seele geworfen. Wem sollte er glauben? und wer von beiden wollte seinen Tod?

Philippus trat ans Krankenbett und brachte seinen Trank 116 mit dem Bemerken, erst in einigen Tagen könne er wirken. Alexander zögerte nicht, nahm die Schale, und während er mit der andern Hand seinem Arzt den Brief Parmenios reichte, trank er sie rasch und ohne Besinnen leer. Es war ein großer Augenblick, und edle Worte wurden gesprochen, Worte der Treue und Männerfreundschaft. Parmenio war immer noch von Tarsus abwesend. Das Mittel aber half, das Fieber wich, die Genesung kam. Philippus war der Retter und der Jubel groß.

Seitdem blieb ohne Frage im hintersten Winkel der Seele Alexanders ein Verdacht sitzen: hatte Parmenio wirklich seinen Tod gewollt? Aber er erstickte solche Gedanken. Er war damals noch vollkommen vertrauensselig. Alleinstehend unter all seinen Generälen, bedurfte er dringend des unumstößlich festen Glaubens an sie, um seinen großen Zielen nachgehen zu können. Mißtrauen war Lähmung, und er selbst war ohne Tücke; er konnte nicht an Tücke seiner Vertrauten glauben. So erklärt sich, daß er vorläufig noch unbedingt an Parmenio festhielt.

Bei den alten Historikern wird zur Erklärung des Verhaltens Parmenios nichts beigebracht, als daß er mit dem Arzt Philippus persönlich überworfen gewesen sei. Damit wird sein Verhalten zwar motiviert, aber nicht gerechtfertigt. Wer um solchen Umstandes willen seinen König dem Tod aussetzt, dem liegt eben nichts an der Rettung des Königs, und er wird indirekt zum Mörder. Ein Mann in dem Alter und in der verantwortlichen Stellung Parmenios mußte sich hierüber klar sein. Die Sache erscheint um so schlimmer, da sich Parmenio in seinem Brief zu einer dreisten Lüge herbeiließ. Seine Verdächtigung war glatt erfunden.

Alexander war anders als sein Vater, und er mochte nicht allzu gern an ihn erinnert sein. Vielleicht waren beide gleich begabt, in einem aber übertraf er ihn; er kannte keine List, Hinterhalt und Lüge im Männerverkehr, die erbärmlich kleinen Mittel des Diplomaten. Er sagte es später selbst in den Zeiten der Enttäuschungen: »ich sage stets die Wahrheit und verlange 117 es auch von andern«Arrian VII 5, 2., und hat all seine Erfolge auf geradem Wege durch Freundlichkeit und Drohung erzielt. Die Freundlichkeit dankte man ihm, denn sie war echt. Die Drohung warf die Leute auf die Knie. Schon wenn er im Gefecht auftauchte, war beim Feind die Bestürzung großVgl. z. B. Arrian I 21, 5: ὡς δὲ καὶ Ἀλέξανδρος ἐπεφάνη... ἔφευγον. Ebenso Arrian II 22, 4 zur See.. So faszinierend war sein Blick, sein kurzes Wort im Gespräch und in der Ansprache an die Mannschaft. Seine Mazedonen konnten von ihm sagen, wie Davids Kriegsknechte von ihrem König sagten: du bist, als wenn unser Zehntausend wären2. Samuelis 18, 3..

In Tarsus hatte er krank gelegen. Als er endlich aufbrach, war es nicht zum Kampfe. In der benachbarten Stadt Soloi feierte er zunächst ein Dankfest: Dank dem Gott der Ärzte Äskulap, Dank seinem Leibarzt Philippus; das schuldete er sich und seinem Heer. Es war eine Begehung größten Stils, mit Opferspeisung der Massen, Prozession und Fackellauf, in dem er selbst mitlief und die Fackel schwenkte; dazu Wettkämpfe auf dem Sportfeld, endlich aber auch Konzert und Theater. Was wurde gespielt? Wir wüßten gern das Programm. Welche Dramen? Sicher Tragödien. Alexanders Kunstinteressen waren lebhaft und ausgedehnt, das sehen wir hier wieder und noch oft; ob er freilich immer den besten Geschmack zeigte, ist eine andere FrageZu seinen Gunsten spricht, daß er sich die Texte aller drei Tragiker, anscheinend vollständig, ins Feld schicken ließ (Plutarch Alex. c. 8). Diese waren also schon als Klassiker anerkannt, und Alexander sah von den Werken der späteren Tragiker wie Theodektes ab, dem doch Aristoteles seine Beachtung schenkte.. In seinem Troß aber fanden sich die besten Schauspieler und Solisten, die Griechenland aufzuweisen hatte. Leider spielten keine Frauen. Das ist bekannt. Der Betrieb dieser musischen KünstlerSie nannten sich die dionysischen Techniten oder Dionysokolakes. war genossenschaftlich organisiert, und sie folgten dem großen Abenteurer Alexander in den fernen Orient mit Ehrgeiz und mit Vorteil; denn sie wurden gut bezahlt.

Für Alexander aber war es eine gedämpfte Freude trotz der Feier, die er seinem Heere gönnte. Denn der Herbst nahte schon wieder, und was hatte er in diesem zweiten Kriegsjahr erreicht? Nur Kleinasien war jetzt größtenteils in seinen Händen, und er hatte, um die gewonnenen Gebiete zu verwalten, sogleich mit Umsicht Zivil- und Militärbehörden, wie er sie brauchte, eingesetzt, indem er das bisherige persische Verwaltungssystem 118 verbesserte; so entzog er den von ihm eingesetzten neuen Satrapen, um dem Mißbrauch vorzubeugen, vor allem die Finanzdinge. Die eingelaufenen Gelder sollten durch besondere Beamte direkt in den königlichen Staatsschatz überführt werden. Alle Vertrauensposten besetzte er vorläufig nicht mit Griechen, sondern mit Männern des mazedonischen Kriegsadels. Die Auswahl war verantwortungsvoll; aber es gab unter ihnen offenbar viel brauchbare Leute. Alles das aber, sagte er sich, war wenig. Die Krankheit hatte ihm so viel Zeit geraubt, und die große Entscheidung blieb immer noch aus. Er wollte an den Feind.

Aber die Entscheidung kam rascher als er ahnte.

Darius hatte von Alexanders Krankheit gehört. Das war ein günstiger Umstand, den er benutzen wollte. Man schwatzte sogar, die Krankheit des Mazedonen sei nur geheuchelt; in Wirklichkeit ängstige er sich vor dem großmächtigen Gebieter Asiens und verkrieche sich feige unter den Schutz des Taurus. So war die Riesenarmee des Darius tatsächlich schon im Marsch. Ich unterlasse es, den glänzenden Aufzug zu schildern; das heilige Feuer auf beweglichem Altar fehlte nicht im Zuge, der mit weißen Rossen bespannte Wagen des Sonnengottes und aller Pomp, ohne den ein Sultan Babylons und Susas nicht denkbar war. Ein Übermut herrschte bei den Persern, und Darius selbst strotzte von Machtgefühl. So also war der Feind schon in nächster Nähe, als Alexander seinerseits eben in anderer Richtung abzog, Kleinasien verließ und nach Syrien vordrang: Richtung Damaskus. Er wollte jetzt endlich den Kontinent Großasiens betreten, um Darius am Euphrat zu suchen.

Cilicien glich, wie ich sagte, einem schmalen Korridor; derselbe hatte nach Osten und in der Richtung auf Babylon und Syrien zwei nahe beieinanderliegende Tore, die durch einen Gebirgsstock (das Amânusgebirge) voneinander getrennt waren. Wer das eine Tor passierte, konnte den nicht sehen, der durch das andere zog. Durch das südliche Tor war Alexander soeben nach Osten durchgebrochen; den Parmenio hatte er schon vorher 119 diesen Paß sichern lassen. Gleich darnach aber wälzte sich des Darius Heer durch das nördliche Tor, um Alexander in Cilicien zu suchen. Denn Darius wähnte seinen Gegner noch dort. Die beiden Heere waren sich dabei nicht nahe gekommen; kein Hallo und Getöse, kein Wachtfeuer verriet eins dem andern, und auf einmal stand Darius im Rücken Alexanders. Eine unerhörte Situation. Alexander war von seiner Rückzugslinie völlig abgeschnitten. Aber auch Darius war vollständig überrascht, den Gegner hinter sich statt vor sich zu haben, und mußte, in Marschbewegung nach Westen, seine Front jetzt sofort nach Osten kehren. Dies geschah bei Issus, welche Stadt er kampflos dem Alexander wegnahm.

Die Strandebene Ciliciens ist auch dort noch ziemlich schmal und für die Entfaltung der Übermacht sehr ungünstig. Die Front konnte sich nicht ausweiten; Umgehungsversuche erschwerte das Gebirge erheblich. Angeblich ballte sich dort unter des Darius Führung eine Menschenmasse von 600 000 Mann zusammen.

Alexander wollte das Unglaubliche noch immer nicht glauben: in einem starken Ruderboot schickte er Kundschafter aus, die den Meeresstrand entlang ruderten; die bestätigten ihm: der ersehnte Feind steht wirklich da, nahe genug! Er war froh, wie erlöst. Jetzt galt es durchzubrechen. Aber er wußte, daß er siegen würde.

Darius hatte am Fluß Pinarus seine Kampftruppen aufgestellt. Daß Alexander durchzubrechen versuchen würde, glaubte er anfangs gar nicht. Vielmehr wollte er selbst eine Offensivschlacht liefern, denn dazu war er ja herangekommen, und stellte deshalb einen Teil seiner besten Mannschaft vor dem Fluß auf, um, wenn der Feind sich ruhig hielt, seinerseits vorzugehen und unter dem Schutz dieser Mannschaft seine weiteren Truppen über den Pinarus zu bringenNur so erklärt sich das scheinbar Unerklärliche dieser Aufstellung; was Schubert S. 25 u. f. ausführt, befriedigt nicht. Die Zwecke, die bei Arrian dem Darius untergeschoben werden, sind natürlich ohne Autorität, da niemand auf Alexanders Seite, auch Ptolemäus nicht wissen konnte, was des Darius Absicht war. Wir haben also freie Hand, unserseits eine Erklärung zu suchen.. Aber Alexander marschierte zu rasch heran; er übernahm sofort seinerseits die Offensive. Während des Marsches verbreiterte er seine Front allmählich, so daß schon eine Schlachtordnung 120 entstand, eine großartige taktische Leistung, und ging vom Marsch nach einer kurzen Atempause unmittelbar zum Angriff über. Sogleich zog der Perser seine Vortruppen hinter den Fluß zurück.

Eine Atempause. Sie war nötigIn bezug auf die Stelle bei Arrian II 10, 3 irrt Schubert Beiträge zur Kritik der Alexanderhistoriker, Leipzig 1922, S. 26 bis 32. Schubert bestreitet, daß Alexander mit einem Reiterangriff begann, weil dort die Phalanx erwähnt ist, die Alexander langsam heranführt. Aber φάλαγξ hat ja zwei Bedeutungen, Schlachtordnung im allgemeinen und die Truppe der Hopliten im besonderen, und klärlich steht das Wort dort nur in dem ersteren, weiteren Sinn ganz so wie auch III 9, 3 und sonst. Es sind dort zwei Stadien des Vorgehens zu unterscheiden: vor Beginn des Angriffs führt Alexander im langsamen Schritt (βάδην) die Gesamtarmee persönlich vorwärts und reitet daher im Zentrum an der Spitze der »Phalanx«; sobald es zum Angriff geht, und das geschah erst nach der erwähnten Pause, reitet er zum rechten Flügel, der seinem besonderen Kommando untersteht, hinüber, und der Reiterangriff, den Arrian ebenda sogleich erwähnt, findet statt. Ein Mann von der Stellung des Königs hat eben zwei Pflichten, die sich ablösen, die Gesamtführung und die Teilführung. – Dieselbe Pause muß übrigens auch dazu gedient haben, die thessalischen Reiter vom rechten zum linken Flügel zu schicken (Schubert sagt S. 33 mit Unrecht, Alexander sei gleich vom Anmarsch zum Angriff übergegangen). Das Manöver geschah also angesichts des Feindes. Daher ließ Alexander diese Reiterei den Umweg hinter den Schlachtreihen machen; der Feind sollte den Hergang nicht sehen. Dies ist alles ohne Anstoß.. Denn es galt noch einmal festzustellen, wie die Stimmung im Heer war. War Alexander seiner Leute gewiß? Wie leicht konnte eine Panik entstehen! Denn alles wußte, daß man wie im Sack steckte und von der Heimat völlig abgeschnitten war. Er ritt auf schnaubendem Roß die Front entlang und sprach schneidig und laut zu jedem Gruppenführer und Offizier, um ihren Geist zu heben, nannte jeden bei Namen, erinnerte sie an das, was sie früher geleistet: »Wißt ihr noch?« Die Antwort war das Geschrei: »Rasch auf den Feind!« So scholl es von allen Seiten.

Parmenio befehligte hart am Meeresstrand den linken Flügel. Im Zentrum stand die schwere mazedonische Phalanx. Alexander selbst dagegen führte den rechten Flügel, der sich an das schroffe Gebirge lehnte, und trieb wie immer zuerst nur diesen rechten Flügel, die Kavallerie, zum Angriff vor. Ein Pfeilregen empfing ihn, während er mitten unter seinen Junkern über den Fluß setzte, und es entwickelte sich eine Reiterschlacht wie am Granikus. Wo stand Darius selbst, der König? Er fand ihn zunächst nicht; aber eine Gier erfaßte ihn, sich auf ihn zu stürzen, ihn im Zweikampf zu erledigen. Es war der Darius, der gegen Alexander den Meuchelmord geplant hatteDaß Alexander den Darius in der Schlacht zu treffen suchte, war selbstverständlich (s. oben S. 102 f.), und wir würden es annehmen, auch wenn Kallisthenes es nicht berichtet hätte. Daß er aber nicht gleich beim ersten Angriff auf ihn stieß, ergibt der Umstand, daß Darius im Mitteltreffen stand. Darius stand dort aber jedenfalls von Reiterei umgeben; sonst wäre er auf seinem Wagen isoliert und wehrlos gewesen. Seine Infanterie konnte ihn nicht sichern. Die Sache erfordert also, daß die berittenen vornehmen Perser, deren Namen uns aufgezählt werden, den König wirklich so umgaben, wie Curtius III, 11 es darstellt. Ihr Tod muß also bei Verteidigung des Darius erfolgt sein. Bei Arrian steht die Aufzählung dieser Toten zusammenhanglos nachgetragen. Er konnte aus seiner Quelle (d. h. aus Strabo, der ihm nur Auszüge aus den Quellen gab) nicht mehr deutlich erkennen, in welcher Aktion sie gefallen waren. Mir scheint nur ein solcher Hergang denkbar, wie ich ihn im Text angegeben; d. h. jene Männer haben, als Alexander gegen das persische Zentrum einschwenkte, den Darius gedeckt und verteidigt, der dann den Wagen wendete und floh. Vorkämpfer war Oxathres, des Darius Bruder..

Alexander war schon am rechten Schenkel verwundet, hatte, so scheint es, auch den Helm verlorenAuf dem pompejanischen Mosaik, das die Schlacht bei Issus darstellt, sehen wir Alexander ohne Helm; also hatte er ihn verloren.. Aber den, den er suchte, fand er nicht. Denn Darius, der stattliche Herr, stand führend nicht Alexander gegenüber, sondern seitab im Mitteltreffen, übrigens königlich angetan, mit seinem Riesenbogen auf dem hohen Streitwagen: ein peinliche Aufgabe, als wäre er eine glänzende Puppe. Die Streitwagen waren hoch, so daß der König einen Schemel oder Gestell brauchte, um hinaufzusteigenSiehe Athenäus.. Der Bogen war die Königswaffe. Wir wissen nicht, ob er auch wirklich höchstselbst den Pfeil abgeschossen hat. Zum Zweikampf war er jedenfalls schlecht befähigt, weil der Wagen 121 ihn festhielt. Eine Kohorte der vornehmsten Männer, alle zu Roß, deckte ihn. Wie sich von selbst versteht, führte Darius das höchste Kommando, und alle Befehle gingen von ihm aus; im Auge der Masse aber war er mehr: ein hochragendes Symbol, wie es die Standarte in den Schlachten der Neuzeit ist. So lange er hochstand, war auf Sieg zu hoffen.

Und man hoffte nicht ohne Grund auf Sieg. Denn Alexanders Fußvolk im Zentrum und Parmenio mit seinem linken Flügel, die nun auch über den Fluß wollten, kamen nicht voran. Des Darius griechische Söldner fochten hier im Gegenstoß und taten ihr Bestes; es war ein Kampf wütenden Ehrgeizes zwischen Griechen und Mazedonen, wer der Stärkere und Gewandtere wäre.

Da schwenkte Alexander rechtzeitig ein und faßte das schon siegreiche feindliche Fußvolk in der Flanke. Als Darius dies sah, wandte er den Wagen und jagte fluchtartig nach hinten, wo das für den Kampf unverwendbare Volk seiner Reserven stand. Das war das Verhängnis. Der König war verschwunden. Das bedeutete für alles, was persisch war, sofort Abbrechen des Kampfes. Es begann die allgemeine Flucht; dann wurden auch jene Söldner mitgerissen: ein furchtbares Chaos in der Enge. Weithin über Haufen von Feindesleichen stampften die nachsetzenden Mazedonen. Ptolemäus erzählte das ausdrücklich, Alexanders Feldherr, der spätere König Ägyptens; er war dabei und konnte den Eindruck nicht vergessen.

Alexander aber suchte immer noch den Darius. Er sah ihn. Sein Bukephalus war schneller als des Darius Wagen. Die vornehmsten persischen Herren, die ihren König hatten verteidigen wollen, fielen jetzt oder waren schon gefallen, darunter auch der Satrap Ägyptens. Unverletzt blieb Oxathres, des Darius Bruder. Darius aber sprang vom Wagen, warf sich zu Pferd, ließ den Bogen und alle königlichen Abzeichen fallen und verschwand unkenntlich und als gewöhnlicher Reitersmann, von wenigen gefolgt, im Gebirge. Alexander hatte das 122 Nachsehen; aber er wollte ihn durch die Welt verfolgen, bis er ihn faßte.

So verlief die Schlacht bei Issus. Die meisten Opfer hatte die Flucht gefordert. Die Saat der Toten war ungeheuer. Man staunt immer wieder, wenn man von dieser haltlosen Flucht hört und welch äußerliche Umstände genügten, um den Sieg zu wenden und eine Großmacht wie die persische auf die Knie zu werfen. Man kämpft für den Sultan; ist er nicht da, läuft man nach Hause. Die Orientalen sind eben keine Preußen. Wie Spreu im Wind stob alles auseinander. Kein Rückzug; niemand sammelte; jede Führung fehlte. Darius war schon jenseits des Gebirges; nur geringe Streitkräfte fanden sich wieder zu ihm. Er stahl sich weg wie einer, der zu schanden geworden ist, weil er nicht seinen Mann gestanden.

Er hatte in wenig Stunden viel verloren. Es war noch gar nicht zu überschauen: mehr als die Hälfte seines Weltreichs, seinen Kriegsschatz, der in Damaskus lag, unzählbare Körbe voll gemünzten Goldes; auf dem Schlachtfeld selbst das üppige Feldlager, den glänzenden Troß, vor allem sein lustschloßartiges Zelt mit den königlichen Frauen und seinem einzigen Sohn, die er alle schmählich in Feindes Hand gelassen hatte.

Und dagegen Alexanders Gewinn. Es war, als hätte er mit dem Hammer eine Spiegelscheibe eingeschlagen, daß die Scherben flogen. Er konnte den ganzen Laden ausrauben. Das ganze Asien lag nunmehr vor ihm offen.

Begreiflich, daß er bester Laune war. Alle, die sich ausgezeichnet, wurden glänzend belohnt, der nahen Stadt Soloi, in der er vor kurzem seine Genesungsfeier begangen, die Zahlung des noch ausstehenden Tributs erlassen. Bald brachte Parmenio, der schon über den Libanon stieg, aus Damaskus den Kriegsschatz des Darius. Auch das war ein Ereignis; denn Alexander brauchte ihn; er hatte eine offene Hand; die Geldmassen kamen sofort in Kurs, und es ergoß sich ein Überfluß an Geld über das kleine Griechenland, das im Hintergrund all dieser Dinge lag, wie er noch nicht dagewesenSiehe Athenäus p. 231 E..

123 Parmenio aber brachte aus Damaskus noch mehr, zunächst eine Anzahl von Griechen, Leute aus Theben und Athen, die er dort aufgegriffen und die sich als Hasser Mazedoniens und als Gesandte ihrer Städte in des Darius Gefolge umgetrieben hatten. Nun zitterten sie für ihr Leben. Alexander aber hatte an ihrer Angst genug, winkte ab und ließ sie frei; nur einen Spartaner befahl er in Haft zu halten.

Aber Alexander fand jetzt endlich auch ein Weib. Wer war es? Die Fügungen spielen oft wunderbar. Es war die junge Witwe Memnons, seines Gegners, jenes Mannes, der noch kürzlich in des Darius Dienst gegen Mazedonien ausfuhr. Barsine hieß sie. Parmenio hatte sie in Damaskus gefunden und festgenommen und führte das schöne Weib, rein persisches Blut, aber vollständig griechisch erzogen, seinem König zu. Alexander hatte jetzt Rast zur Liebe. Doch hielt er, während sonst königliche Hochzeiten ein Nationalfest waren, das Beilager in aller Stille; denn diese Barsine war unebenbürtig, und sie war Perserin und als Perserin bei seinen Mazedonen mißliebig.

Den lebenslustigen Griechen schien Alexanders Keuschheit und Zurückhaltung im Geschlechtsverkehr auffällig. Es wird uns ausdrücklich gesagt: es war dies das erstemal, daß er eine Frau berührte. Wie viele Weiber, auch edle Frauen, mögen nach seinem Blick verlangt haben! Er duldete sie nicht im Lager. Wie oft bekam er Anträge erotischer Art auch in brieflichen Angeboten! Man wollte schöne Personen, auch Knaben für ihn kaufen. Briefe voll Verachtung und glühenden Zornes schrieb er zurückPlutarch Alexander c. 22.. Als er hörte, zwei mazedonische Herren hätten Griechenfrauen geschändet, befahl er dem Parmenio sofort sie zu töten.

Barsine gebar dem Alexander den Sohn, den er Herakles nannte. Ein Ehrenname. Herakles, der Heros, galt offiziell als Stammvater des mazedonischen Königshauses. Aber der Junge war ein Bastard und in Mazedonien nicht erbfolgeberechtigt.

124 Darius verlangte indes dringend nach seinen Frauen, nach seinem Sohn, und ein schriftlicher Verkehr der Könige begann. Wir kennen zum Teil den Wortlaut. Er geht hoch auf Stelzen, fast wie im Theaterstück. Man merkt immer wieder, daß wir uns in jenem Orient bewegen, wo ein Sardanapal und Nebukadnezar herrschten. Ein gegenseitiges Übertrotzen. Eine Gesandtschaft überbrachte den Brief des Darius, in dem er die Auslieferung seiner Familienangehörigen gegen hohe Geldzahlung mehr verlangte als erbat, übrigens Frieden und Freundschaft anbot, falls Alexander nach Mazedonien zurückginge. Sich selbst bezeichnete Darius in der Akte als König, bei Alexanders Namen unterdrückte er den Titel. Alexanders Antwort liegt wörtlich vor; sie ist nicht minder hochfahrend, aber äußerst wirksam im Stil, ein Manifest, das er damals ohne Frage auch veröffentlicht hat, damit die ganze Welt es las. Denn sein Kriegsunternehmen wird darin noch einmal ausführlich motiviert, und die Auffassung bleibt immer dieselbe: es ist ein Rachekrieg; es ist ein Krieg Griechenlands und Alexander Führer der Griechen. Zwischen Griechen und Mazedonen ist politisch kein Unterschied. In großem Aufbau und weitschichtigem Vordersatz werden alle Frevel, die Persien je begangen, aufgezählt, bis dann die Folgerung drohend herausspringt. Was die Frauen betrifft, so möge Darius selbst kommen, sie sich zu holen; ihm solle kein Leid geschehen. Weiter heißt es: »Schreibe hinfort nicht an mich, als ob du mit mir gleichstündest, sondern als an den Herrn deines Reiches. Bist du anders gesonnen, so werde ich die Beleidigung zu strafen wissen.« Das Bedeutsamste aber ist, daß Alexander hier öffentlich das Recht des Darius auf den Perserthron auch vom persischen Standpunkt aus bestreitet: denn Darius sei widerrechtlich und nur durch Mord auf den Thron gelangt. Das war für die Ohren der Perser bestimmt: Persien selbst muß fordern, daß Darius falle.

Der Schriftwechsel zwischen den Königen ging noch weiter. Zum zweitenmal kam Darius auf seine Frauen zurück und versprach für ihre Freigabe jetzt das höchste Lösegeld. Alexander 125 aber gab nicht nach. Warum nicht? und was wollte er mit den Frauen? Sie würden vielleicht noch einmal seiner Politik dienen; jedenfalls aber gönnte er seinem Gegner, den er verachtete, jede Schmach und jede Herzkränkung. Das war es. Indes mochte Darius beruhigt sein; denn es war ein ritterlicher Mann, der ihm die Herzkränkung antat.

Es handelte sich um des Darius ehrwürdige Mutter; Sisygambis war ihr Name; um des Darius Gattin, zwei Töchter und den Sohn, der noch ein Knäblein war. Kehren wir noch einmal zur Schlacht bei Issus zurück.

Als die hohen Frauen (sie waren von andern vornehmen Perserinnen umgeben) von dem Ausgang der Schlacht hörten und der plündernde Feind ihrem königlichen Zelt sich nahte, schrien sie auf, ein Wehgeschrei, das nicht endete. Denn sie hielten Darius für tot. Sein königlicher Schmuck war auf dem Schlachtfeld gefunden worden. Es war schon Abend, Alexander, obschon verwundet, beim festlichen Mahle (es galt das Bibelwort: sie aßen und tranken und waren fröhlich), als er die jammernden Frauenstimmen hörte. Es ergreift ihn, und sofort sendet er einen höheren Offizier zu ihnen, um sie aufzuklären: Darius sei nicht tot. Die Frauen fürchten, man käme, um sie zu erdrosseln, und sträuben sich, den Offizier vorzulassen. Dann flehen sie auf den Knien um ihr Leben, bis sie endlich die beruhigende Kunde erhalten und wissen: ihnen wird nichts geschehen.

Am folgenden Tag ehrte Alexander die Königinmutter, indem er sie bat, sich frei zu bewegen und die Bestattung der gefallenen vornehmen Perser mit all dem Aufwand, der ihr erforderlich schien, selbst zu veranstalten. Die junge Gattin des Darius, die schönste der Frauen, zu sehen, vermied er. Wir lesen noch, wie er später in einem Brief beteuert, sie nie gesehen zu haben. Er fürchtete ihre Schönheit und wollte ihr nicht nahe treten; denn sie war die Gattin eines andern. Aus jener Zeit stammt gewiß auch die Äußerung von ihm, die schönen Perserinnen seien wie AugenschmerzPlutarch c. 21; diese Bezeichnung war übrigens auch sonst üblich und von Alexander nur aufgegriffen.; d. h. ihre Schönheit blendet wie greller Glanz, der in das Dunkel schlägt.

126 Nur bei Sisygambis ließ Alexander seinen Besuch ansagen und trat zu ihr ein, aber nicht allein; sein Jugendfreund Hephästion ist mit ihm. Hephästion war hochgewachsen und der schönere. Sisygambis huldigte ihm, als wäre er der König. Der Eunuch klärte sie auf, und sie erschrak. Das gab eine bewegte Szene. Alexander aber war liebenswürdig und sagte, auf Hephästion weisend: »auch dieser ist Alexander«, d. h. er ist mein zweites Ich, und du durftest uns beide verwechseln.

Alexander ließ in den ersten Jahren diesen seinen Jugendfreund nicht in die Schlacht, als fürchtete er für ihn das Los des Patroklos. Nur zur Repräsentation oder zu seiner Vertretung, wo er selbst abwesend, verwendete er ihnSiehe oben S. 97, Anm. "Daß Hephästion von vornherein...".. Schön aber ist sein Verhältnis zu älteren Frauen, wie wir es hier sehen und wie er vor einem Jahre der karischen Fürstin Ada eine mütterliche Stellung gewährte. Es ist, als vermißte er seine Mutter Olympias, die er nie wiedersehen sollte.

Schließlich hob Sisygambis ihr Enkelkind, das Söhnchen des Darius, hoch, Alexander nahm es freundlich auf den Arm und das Kind schlang furchtlos die Händchen um seinen Hals.

Eine Genreszene: Alexander mit dem Knaben, wie der Hermes des Praxiteles. Den modernen Kritikern scheint die Szene zu hübsch, um sie glaubhaft zu finden. Aber warum? Sie ist hinreichend gut bezeugtAlexander bezeugt selbst, wie ich sagte, daß er des Darius Gattin nie gesehen habe. Damit ist aber nicht gesagt, daß er die Sisygambis nicht sprach. Im Gegenteil stimmen die Historiker, die uns die Sisygambis-Szene bieten, mit Alexanders eigenem Zeugnis trefflich überein, da sie des Darius Gattin von dieser Szene sorglich ausschließen. Mutmaßlich las man sie bei Klitarch; dieser aber benutzte den Kallisthenes. Aristobul ließ sie sich anscheinend entgehen. Vom Kallisthenes endlich aber steht zwar fest, daß er den Alexander in seinem Geschichtswerk verherrlichte, daß er aber ganze Szenen frei erfunden hätte, dafür fehlt jeder Beweis. Übrigens war es, menschlich betrachtet, selbstverständlich und, politisch betrachtet, notwendig, daß Alexander Sisygambis aufsuchte, und die Geschichte hat sachlich nichts Bedenkliches. und der Hergang so natürlich wie möglich.

Man hat Alexanders ritterliches Verhalten gegen die Frauen stets bewundert; aber es war zugleich zweckmäßig und diente seinen Plänen; denn es scheint kaum nötig zu sagen, daß er sich nicht nur die Hochschätzung dieser Frauen, daß er sich auch die Sympathie ganz Persiens gewinnen wollte. Von vornherein, seit der Leichenbestattung nach der Granikusschlacht, sehen wir sein Verhalten auf den Gewinn dieser Sympathien eingestellt. Dabei muß man wissen, was im Morgenland die Königinmutter damals bedeutete und heute noch bedeutetMan denke nur an Atossa und Parysatis; daher erwähnt auch Horaz in der Ode I 35, 11 »die Mütter der Könige« bei den Barbaren als Trägerinnen des Schicksals; s. übrigens O. Keller, Die antike Tierwelt I S. 52, der die Stellung der großen Göttermutter zu Zeus vergleicht.. Das Wort der Altsultanin gilt da gewöhnlich mehr als das des wirklichen Regenten, ihres Sohnes, selbst. Hatte Alexander also das Herz 127 der Sisygambis gewonnen, so war der Gewinn groß. Und die Doppelnatur seiner Weltpläne tritt uns schon hier entgegen: Sicherung und Ausbreitung der griechischen Kultur über die Ökumene bis nach Baktrien und bis nach Karthago hin, und daneben persisches Großkönigtum, das sich auf Persien selber stützt und bis nach Indien reicht. Er glaubte beide Pläne vereinen zu können; es sollte gleichsam eine Ehe des Persertums und Griechentums werden, aber eine Ehe unter Ebenbürtigen.

Auf dem Schlachtfeld selbst endlich aber errichtete Alexander ein Denkmal seiner Frömmigkeit. Denn er fühlte sich unter des Gottes besonderer Hut, der ihm die Kraft zu siegen, der ihm zugleich auch das Glück verliehen: ein Bevorzugter des Himmels. Er rühmte sein Glück, aber der banalen Göttin Tyche zu huldigen überließ er anderen. Er errichtete vielmehr am Ort drei Altäre, dem Zeus, dem Herakles und der Athene. Der Kriegsgott Ares fehlt; denn nur die Berserker und Barbaren verehrten noch diesen wilden GottBei Arrian wird I 14, 7 u. V 10, 3 nur im Kriegsgeschrei bei der Attacke Enyalios angerufen; sonst fehlt Ares gänzlich, nicht nur bei Arrian, sondern in der ganzen Alexander-Überlieferung.. Athene ist hier die Kriegswalterin, die den Sieg auf der Hand trägt, Herakles der vergötterte Ahn des Königshauses, Zeus aber der Verwalter des Schicksals, der so im Himmel herrscht, wie jetzt Alexander zeitweilig der Herr auf Erden geworden istVgl. Anthologia Planudea 120: γᾶν ὑπ᾽ ἐμοὶ τίϑεμαι. Ζεῦ, σὺ δ᾽ Ὄλυμπον ἔχε.. Zeus, dem Allvater, fühlte der schwungvoll kühn phantastische Mann sich nah und näher. »Göttern kann man nicht vergelten, schön ist's, ihnen gleich zu sein«, sagt auch unser deutscher Dichter. Alexanders innerste Gedanken sollten sich bald offenbaren; er fühlte sich als Kind des Wunders und überirdisch begnadet, gefeit in allen Gefahren wie Gott Dionys, als der gegen Indien zog: der Schnee schmolz weg unter seinen Füßen, die Berge wichen, das Meer trat zurück. War er nicht seinesgleichen?

Er war wie Dionys der Zeussohn und Gottessohn. 128

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