Theodor Birt
Alexander der Große und das Weltgriechentum
Theodor Birt

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Von Tyrus bis Alexandrien

Es war Winter, als Alexander Syrien, die erste Provinz Großasiens, besetzte; das erstemal, daß in diesem syrischen Lande eine europäische Militärmacht sich gezeigt hat.

Schmählich war es hergegangen, als Parmenio Damaskus nahm; aber da war Alexander nicht selbst zugegen. Der persische Befehlshaber, der Schuft Kophen, verriet die gewaltige Stadt, »das Auge des Orients«, kampflos dem ParmenioVon Verrat spricht ausdrücklich nur Curtius; da aber Damaskus ohne Kampf fiel, so war die Preisgabe dieser wichtigsten Stadt auf alle Fälle Verrat.. Der Mann tat es ohne Vorteil; seine Leute köpften ihn später und sandten sein Haupt dem Darius. Von Alexander hat er keinen Dank geerntet. Tausende von Menschen, beiderlei Geschlechts, die zum eleganten Troß des Darius gehört hatten, strömten, als Kophen die Stadt verließ, voll Angst ihm nach, aus den Toren, richtungslos auf die Felder. Schnee fiel, und die durch ihr Klima verwöhnten Südländer starrten vor Frost. Es waren viele Reiche und Vornehme darunter. Lastträger folgten ihnen; auch die froren erbärmlich, bemächtigten sich der Prachtgewänder und hüllten sich in Purpur und Goldbrokat. Da ritten die mazedonischen Reiter mit Hallo Attacke (Alexander hätte das schwerlich geduldet), und ein entsetzliches Chaos folgte. Alle warfen von sich, was sie trugen, und in Schmutz und Nässe der geschmolzenen Schneemassen lagen und standen auf den Äckern die Kostbarkeiten herum: für den Sold bestimmte Gelder, Purpurröcke, Goldschalen, vergoldetes Pferdegeschirr, Prachtzelte und Reisewagen voll kostbarer Habe. Vieles blieb im Dreck liegen; die Räuber konnten gar nicht alles bergen. Unter den erbeuteten Frauen aber waren u. a. auch die Gattin und drei Töchter des verstorbenen Großkönigs Ochus sowie die Tochter jenes Oxathres, des Bruders des Darius.

Alexander stand jetzt zum erstenmal im Land des veränderten Transportwesens, im Land der Karawanen, er stand im Land der Zedern des Libanon und der Rosen von Saron, der Palmenwälder, die das Wasser lieben, und der Wüsten, die nach Arabien hin sich dehnen, endlich im Land des Voll-Semitismus. Syrer, Phönizier, Araber, Juden, Semiten sie alle; die Sprache 129 aramäisch und fremd. Zuerst hatte er in der Stadt Tarsus semitische Bevölkerung angetroffenTarsus war von Phöniziern einst gegründet, völlig gräzisiert erst unter den Seleuciden; so spät auch kann erst die jüdische Bevölkerung dorthin gekommen sein, der Paulus entstammte..

Die Leute in Jerusalem gaben acht. Ihr kleiner Vasallenstaat war zu unbedeutend, um Schaden fürchten zu müssen. So hinterließ Alexander denn auch bei ihnen kein übles Andenken. Am Anfang der Makkabäerbücher ist ihm ein Denkmal gesetzt, in dem sich der Respekt äußert, den man vor ihm empfand. Wer im Alten Testament, in den Büchern der Richter, der Könige blättert, findet dort all die Namen der Städte und Örter tausendmal genannt, wo Alexander sich jetzt bewegte. Denn die Juden führten Geschichtsbücher oder Annalen ganz so, wie auch die Phönizierstadt Tyrus es tatDer Grieche Menander benutzte und übersetzte die Geschichtsannalen von Tyrus, und Josephus gibt uns Reste daraus., worin die Weltereignisse nach dem engen Lokalinteresse von Tyrus und Jerusalem sich gestalteten. Die tyrischen sind leider nicht erhalten, die jüdischen liegen uns vor.

Schlachten entschieden sich in einem Tag, vom Morgen bis zum Abend; offene Länder waren leicht zu nehmen, und die Landbevölkerungen wehrten sich nicht; Kampf und Aufenthalt brachten dagegen die Städte, von denen dies syrisch-phönizische Gebiet dicht erfüllt war. Das Städtewesen war hier ebenso entwickelt wie in Griechenland. In ihnen herrschte entweder Selbstverwaltung der Bürgerschaften oder, was häufiger, Kleinkönige wie in Tyrus und in Jerusalem, die dann Vasallenkönige des Darius waren.

Hier galt es jetzt die ganze Kraft zu zeigen. Die Städte, gegen die Alexander jetzt zu kämpfen hatte, waren mehr als Darius; denn sie waren in Mauern gepanzert und spröde wie die Amazonen, die noch kein Mann bezwang.

Zunächst freilich ging alles glatt; auch waren Belagerungen in dieser Winterszeit unausführbar. Cyperns Könige ergaben sich dem Alexander bald, ebenso eine Anzahl von KüstenplätzenZum Beispiel Byblos, Marathos und Arados.. Hephästion wurde gelegentlich damit betraut, einen Vasallenkönig dort ab- oder einzusetzenSiehe oben S. 97, Anm. "Daß Hephästion von vornherein...".. Das Wichtigste aber war, Tyrus und Sidon, die Phönizierstädte, zu gewinnen. Während Damaskus und Jerusalem heute noch stehen, sind diese beiden 130 von der Landkarte so gut wie ganz verschwunden, die uralten, hochberühmten Handelshäfen und Königinnen des Meeres, die Kraftquellen der persischen Kriegsmarine.

Schon aus Homer und der Bibel kennt jeder die Phönizier. Die beiden genannten Plätze machten den Großhandel und Transithandel aus Asien in den Okzident seit Jahrhunderten und lieferten als Lehnstaaten, die sonst freieste Bewegung behielten, dem Großkönig gegen gute Bezahlung seine ausgezeichneten Kriegsflotten und Seesoldaten: semitische Hanseaten, geschäftsklug und unternehmend, aber kein Volk der Wissenschaft und geistigen Erfindungen. Daß die Phönizier unser Buchstabenalphabet erfunden hätten, ist ein Mythus, an den freilich die Griechen glaubten. Auf dem Meer sich umzutreiben und fremde Küsten abzujagen, Segeln und Ruderschlag auf schmaler Planke, die so schwankend wie das Glück, Schiffszimmerei und Kampf mit Wind und Wellen war ihr täglich Leben. Das Meer rauschte bis an ihre Stuben, wenn sie daheim, und sie waren dabei reich, strotzend reich geworden, Tyrus und Sidon, und zwar in Konkurrenz miteinander wie Hamburg und Bremen, Venedig und Genua. Afrika lag ihnen wehrlos offen. Am ganzen Nordrand des afrikanischen Kontinents entlang bis nach Gibraltar beherrschten sie den Küstenhandel; ihre größte Gründung KarthagoKarthago soll zur Zeit des Salmanassar i. J. 845 gegründet sein., die Stadt, die mächtiger wurde als Sidon und Tyrus selbst. Während diese MutterstädteSidon hatte Karthago gegründet; als aber Sidon i. J. 680 durch die Assyrer zerstört wurde, lehnte sich Karthago gottesdienstlich und politisch vielmehr an Tyrus an und übertrug seine Pietätspflichten auf diese reichere Stadt. nie erhebliches Landgebiet erwarben, erwarb sich Karthago im Kampf mit Afrikanern und Griechen ein ausgedehntes Reich, in Tunis, Algier, Sizilien, Sardinien, in ständigem Kampf vor allem mit Syrakus, hernach mit den Etruskern und Römern. Das ferne Karthago war die eigentliche Kraftzentrale des Phöniziertums geworden, und Alexanders Weitblick, der die gesamten Weltverhältnisse überschaute, behielt deshalb sein Augenmerk auch auf Karthago gerichtet. Wir werden es sehen.

Gerade jetzt war Sidon erheblich zurückgegangenOchus hatte Sidon vergewaltigt. und Tyrus die überlegene Stadt, die uneinnehmbare. Noch nie hatte sie ein Feind betreten; Nebukadnezar hatte sie 13 Jahre lang 131 vergebens belagertVon 598–585 v. Chr. Daß Alexander der erste war, der Tyrus mit Gewalt nahm, wird uns ausdrücklich gesagt; also kann sie Euagoras von Cypern, dem sich die Stadt zeitweilig beugte, doch nicht durch Eroberung bezwungen haben.. Sidon tat dem Alexander gleich seine Tore auf. Wie würde sich Tyrus verhalten? War es persertreu?

Es war Winter, vielleicht Mitte oder Ende Dezember. Alexander ersuchte den Stadtrat von Tyrus in freundlicher Weise, ihn als Freund einzulassen; er wolle dem Stadtgott Herakles nur ein Opfer bringen. Das war ohne Frage ernst gemeint; die Stadt sollte im mazedonischen Reich so frei dastehen wie Ephesus und andere Handelsplätze, und er wollte ihrem Stadtgott so huldigen, wie er der Diana von Ephesus die Ehre angetan hatte. Der Stadtgott Jerusalems war Jehova, der Sidons Astarte, der in Tyrus Melkart; Melkart aber wurde von der gleichmachenden griechischen Theologie mit Herakles gleichgesetzt. Ein dem Melkart dargebrachtes Opfer bedeutete aber den Anspruch auf die Souveränität; nur das Staatsoberhaupt durfte es vollziehen. Das wußten die Tyrier.

Tyrus, die Inselstadt, lehnte ab mit dem Bemerken, Alexander könne das Opfer draußen am Strand vollziehen; seine Tore stünden keinem fremden Despoten offen. Es trotzte auf seine Lage; denn es lag tatsächlich auf einer kleinen Rundinsel wie ein großes Schwalbennest im Meer, durch einen schmalen Meeresarm vom Festland abgetrennt, wie eine Möwenbrutstätte, die niemand sonst betreten darf.

Die Insel war auffallend klein und das vielgepriesene Tyrus schwerlich viel umfangreicher als etwa das Kolosseum oder der weite Platz vor dem St. Peter in Rom: eine Einpferchung von Menschen; die Häuser himmelhoch; die Wohnungen aber nur Schlafstellen wie Nester oder Kabinen. Seefahrer sind gewohnt sich mit Raum zu behelfen; rundum alles eingeschlossen von ebenso hohen Stadtmauern, die gleich aus dem Strand emporwuchsen; an den Toröffnungen die Kais, die Anlegeplätze für die Schiffe. Auch diese Schiffe hatten damals nur höchstens die Größe unserer Flußdampfer, und kein moderner Dreimaster würde in den Häfen von Tyrus haben umwenden können. Trotzalledem aber ist die Stadt damals ein Hauptstapelplatz für den Welthandel des Orients gewesen, die Kaufherren wie die Fürsten.

132 Die Leute in Jerusalem sahen die Dinge voll Neid und Staunen. Da lesen wir in der Bibel: die Mastbäume ihrer Schiffe sind aus Zedernholz vom Libanon, die Bänke aus Elfenbein, die Segel bunt gestickt; Purpurteppiche auf den Planken. Für ihr Geld werben die Herren sich ihre Schiffsleute aus Kleinasien und Afrika an und handeln mit Zinn und Blei und Silber, Elfenbein und Ebenholz und Sklaven, mit Transitwaren, Edelsteinen und Spezereien aus Arabien. Alles strahlt dort in Pracht: Onyx, Jaspis, Saphir, Smaragd und GoldHesekiel 27, 3 ff. u. 28, 13.. Die Stadtmauer war 150 Fuß hoch und bestand aus großen Steinblöcken, deren Fugen mit Gips verschmiert waren. Aber schon die jüdischen Propheten hatten einst verkündet: Tyrus wird untergehen, eine Jungfrau, die entgürtet und geschändet wirdJesaias 23 u. 24, 8.; die Bewohner werden sich kahl bescheren vor Trauer und Säcke um sich gürten und bitterlich weinen. Die Freude des Paukenschlags hört auf, und der Schall der Harfen hat ein Ende.

Alexander hielt in seinem Kriegsrat vor seinem mazedonischen Generalstab Vortrag. Liebe Männer und Bundesgenossen, redet er sie an. Ohne Tyrus gehe es nicht; er müsse sich, um wirklich Herr des Mittelmeeres zu werdenϑαλασσοκρατεῖν, hier Land und Städte sichern; sonst sei der Zug gegen Ägypten ohne Rückendeckung und gefährdet, noch gefährdeter der Zug gegen Babylon.

Und er ging an das schwere Werk. Der Adler legt seine Klauen nicht ab. Alexanders Belagerung von Tyrus ist so berühmt wie die Einnahme Numantias durch Scipio, die Jerusalems durch Titus, die Antwerpens durch den Herzog Alexander von Parma i. J. 1585, die Schiller so musterhaft beschrieben hat. In all den Fällen war Verteidigung und Angriff gleich erfindungsreich und gleich hartnäckig.

Mehr als ein halbes Jahr, sieben volle Monate lag Alexander vor Tyrus festSiehe Curtius IV 4, 19; im Juli 332 nahm Alexander Tyrus; also hat die Belagerung etwa Ende Dezember begonnen.. Das waren über 200 Tage; ohne städtische Unterkunft, ein Leben in Baracken oder Zelten aus Fell. So lange sah er das trotzige Gemäuer vor sich im Wasser starren, so oft im Westen die Sonne im Mittelmeer wieder und wieder untergehen. Die kurzen Tage längten sich; der Erfolg blieb 133 aus. Er hatte mit einem neuen Gegner zu kämpfen, der Geduld.

Die Handelsherren in Tyrus wurden zu Kämpfern. Anfangs sahen sie mit Hohn und Übermut, dann aber mit Bestürzung zu, wie Alexander durch den Meeresarm einen Damm unter eigner Aufsicht aufschütten ließ, der ihrer Stadt näher und näher kam. Das Verfahren war schon ganz dasselbe, wie wir neuerdings die Insel Sylt durch einen Damm mit dem Festland verbunden haben. Tausend Hände rührten sich; die letzte Kraft wurde aufgewandt, ganze Wälder im Gebirge niedergelegt, Felsenmassen gebrochen. In den Meeresarm, der eng, seicht und schlammig, wurden die Bäume mit ihren vollen Wipfeln versenkt, darüber Steinmassen und Erdschicht, dann wieder Bäume und so fort. Die Tyrier aber kamen, packten die Bäume unter Wasser an ihren Ästen, rissen sie heraus, und der Damm fiel in sich zusammen. Der Wiederaufbau kostete doppelte Zeit und Sorgfalt. Indes ließ Alexander auch Techniker, so viele aufzutreiben waren, aus den umliegenden Städten kommen, um unter der Anleitung seiner IngenieureDiades hieß der Ingenieur, der an erster Stelle die Belagerung leitete; s. H. Diels, Antike Technik² S. 30. Zu dem hier besprochenen Dammbau vgl. oben S. 103 Anm. "Die Stadt Klazomenä...".Geschütze und Holztürme, die auf Rollen liefen, zu bauen. Darüber verging ungefähr der Winter. Zwischendurch zog er einmal landeinwärts bis in den Antilibanon, um dort die aufsässige Bevölkerung zu dämpfen. Solch ein Ritt schaffte Abwechslung; er dauerte nur zehn Tage.

Die Tyrier machten sich immer noch keine Sorgen; sie fingen sich Fische, und das Meer nährte sie, bis Alexander etwa Anfang Februar mit einer gewaltigen Flotte heranfuhr, die ihm bisher gefehlt; die Vasallenkönige von Cypern, von Sidon und andern Küstenstädten hatten ihm nunmehr Galeeren, im ganzen 190 Kampfschiffe gestellt. Da sah man ihn also als Flottenführer und Admiral, und er bot gleich die Seeschlacht an. Er war dabei von einem Gefolge von Königen umgebenArrian II 20, 6.. Die Tyrier aber waren klug, nahmen die Schlacht nicht an; vielmehr durch überraschende Ausfälle zu Wasser und kleine Seegefechte schädigten sie die Flotte, die sich täglich neu um die Stadt legte und sich dabei auf See halten mußte. Eine Dauerblockade war 134 unausführbar; nachts konnte immer Proviant in die Stadt kommen. Leuchtfeuer fehlten, die das Meer nachts erhellten.

Alexander mußte nun trotzalledem versuchen, die hohe Stadtmauer zu brechen, die fest wie Beton schien. Wie Napoleon war er ein Meister des Artilleriekampfes. Hätte er nur Sprengstoffe gehabt! Es dauerte noch ein gutes Jahrtausend und länger, ehe man mit Pulver und Kanonen schoß. Rammwerkzeuge, Stoßwidder aus Eisen mußten heran. Immer zwei Schiffe wurden gekoppelt, auf ihnen über Gebälk eine hohe Brücke aufgestellt, auf die Brücke die Artillerie postiert. Aber von gleitenden Böten aus und auf unruhigem Wasser, wie sollte der Stoß da wirken, brechen? Und wie sollte man damit an die Stadtmauer, die rings sich über dem Strand erhob, herankommen? Die Tyrier schütteten obendrein Steinmassen rings unter der Mauer ins Wasser, und die Schiffe konnten nun erst recht nicht an die Mauer heran. Unsägliche Mühe und Zeit kostete es, unter dem Hagel der feindlichen Geschosse die Steinmassen wieder zu heben. Aber es gelang. Dann aber kam ein Unwetter und warf die gekoppelten Schiffe auseinander; alles stürzte zusammen; die Tyrier höhnten, und sie wußten sich auch sonst zu helfen. Die hölzernen Belagerungstürme schossen sie in Brand. Machten Alexanders Schiffe in der Nähe fest, so durchschnitten tyrische Taucher die Ankertaue; eiserne Ketten mußten da her, um die Anker zu sichern. Ein lustiges Intermezzo war ein Walfisch oder Hai, ein RiesentierEs war wohl ein Pottwal, wie ihn auch Tiglatpileser I im Mittelmeer sah; vgl. Der alte Orient XIII 2 S. 15., das sich in die Meerenge verirrt hatte und halb auf dem Trocknen über dem Wasser lag, um unbeschädigt wieder unterzutauchen. Die Abergläubischen rieten: war es ein Vorzeichen des Siegs oder der Niederlage?

Monate vergingen so, bis Türme und Maschinen endlich wirken konnten und es an der Südseite der Stadt gelang, eine schmale Bresche zu schlagen. Das aber war die Entscheidung. Die Bresche wurde vergrößert und für den folgenden Tag Generalangriff von allen Seiten befohlen. Vom Schiffsdeck aus über Anlegebrücken wurde die Festung erobert. An der Südseite war Admet der erste Offizier, der über die Mauer 135 sprang; er fiel. Alexander aber ihm nach. Bald war Alexander schon kämpfend im Herzen der Stadt, wo der Palast des Stadtkönigs Agemilkos lag; denn die Stadt war klein. Agemilkos aber war in den Tempel geflohen, ebenso die anwesenden karthagischen Gesandten.

So fiel Tyrus doch endlich unter einem Hieb. Ein blutiger Ausgang. Die Wut der Soldaten kannte keine Grenzen. Die Gassen voll Leichen. Gleichwohl gab es noch 30 000 Überlebende, die Alexander in den Sklavenhandel weggabOb ohne Weiber und Kinder? Waren diese wirklich nach Karthago geschafft worden? So Curtius. Arrian sagt II 24, 5nur: ἐπράϑησαν Τυρίων τε καὶ ξένων... μάλιστα εἰς τρισμυρίους. Vielleicht fehlten da also wirklich Frauen und Kinder.. Dann feierte das Heer den Sieg mit Paukenschlag und Schall der Harfen; Alexander war dabei immer noch von seinen Vasallenkönigen umgeben: Prozession und Opfermahl, auch ein Flottenmanöver auf friedlichem Meer im Spiel des Sonnenlichts. Die Stadt selbst lag jetzt menschenleer, aber unzerstört. Von einer Ausraubung, wie die jüdischen Propheten sie verkündeten, hören wir nichts. Im Tempel des Melkart weihte Alexander u. a. die Rammaschine, die in die Mauer die erste Bresche schlug. Auch der Damm blieb bestehen, und als sich neue Bewohner wieder in den leeren Häusern sammelten, zogen sie zu Fuß in die Stadt; Tyrus war keine Insel mehrPlinius nat. hist. 5, 76.. Seine Rolle in der Geschichte aber war ausgespielt.

Das Wichtigste jedoch war die Wirkung auf Griechenland. Denn so lange eine kampffähige Perserflotte bestand, hatte Griechenland gehofft, von dem verhaßten Mazedonien loszukommenArrian III 23 f.; Lesbos und Tenedos waren jetzt von der persischen Besatzung befreit.. Jetzt endlich kamen aus Athen Gesandte, die dem Sieger Alexander huldigten. Ja, die Sportleute aus allen Gauen, die auf der korinthischen Landesenge ihr Fest feierten, sandten ihm jetzt einmütig den goldenen Kranz, die höchste EhrungCurtius IV 5, 11.. Das eben hatte Alexander gewollt. Darum hatte Tyrus fallen müssen.

Schon vor geraumer Zeit hatte er des Darius zweites Sendschreiben empfangen, in welchem Schreiben der Perser ihm die Teilung des Reiches unter Anerkennung des status quo und überdies seine Tochter zur Ehe anbot (diese Tochter hieß Statira, führte also einen griechischen Namen). Das Angebot 136 bedeutete den Frieden; das mazedonische Heer konnte nach Hause ziehen, und Parmenio sagte, als ihn Alexander befragte: »Wäre ich du, ich nähme es an«. Alexander dachte anders. Dies Wort Parmenios aber ist bedeutsam: »wäre ich du«. Hatte schon Kallisthenes es überliefert? Ich halte es für echt, da mehr darin liegt, als die Historiker selbst wahrgenommen haben. Parmenio war in der Armee nächst dem König der einflußreichste Mann; er war wirklich in der Lage, den Fall zu setzen, daß er selbst der König wäre, d. h. daß Alexander selbst irgendwie mit Tode abging, und zu überlegen, was er dann tun würde. Er würde sich sofort mit Darius vertragen. Alexander selbst war immer noch ohne Arg, begriff nicht, was dies »wäre ich du« bedeutete, und gab nur harmlos die Antwort zurück: »Auch ich würde mich mit ihm vertragen, wäre ich du.«

Der Tod lauerte in der Tat auf ihn; wir werden es oft genug sehen, und auch Parmenio sah es. Wer das, was folgt, verstehen will, tut gut, sich von vornherein über diesen Mann, den ersten Paladin Alexanders, klar zu werden. Er war schon Philipps bester Feldherr gewesen und blickte nun auf die brillante Entwicklung des jungen Königs mit Neid; er trug schwer an ihr. Dies sagt uns ausdrücklich Kallisthenes, der AugenzeugeKallisthenes Frg. 37 M. aus Plutarch c. 33: βαρυνόμενον καὶ προφϑονοῦντα.. Als Stratege hat sich Parmenio allerdings gegen Alexander nie aufsässig verhalten und seine Anordnungen stets auf das beste ausgeführt. Er tat es scheinbar loyal, aber doch gegebenenfalls zu seinem eignen höchsten Vorteil; denn sobald Alexander wegstarb, was jeden Tag geschehen konnte, war er es ohne Frage, dem der alleinige Oberbefehl und damit die Herrschaft aller bisher eroberten Länder zufiel; er wäre unter Alexanders Erben, den sog. Epigonen und Diadochenkönigen, die sich hernach wirklich in die Welt teilten, unbedingt der erste gewesen. Ganz ebenso dachte aber offenbar auch sein Sohn Philotas. Daher hat Parmenio seinen jungen König nie davon zurückgehalten, sich tollkühn in Gefahr zu werfen, wie es fast täglich geschah. Er selbst verhielt sich jedenfalls anders im Gefecht, nach dem Grundsatz, daß ein Stratege sich sparen und nicht 137 zugleich Stratiot sein soll. Weder Parmenio noch Philotas haben den Alexander durch eigene Gewalttat beseitigen wollen; das versteht sich; aber sie waren sich darin einig, den Gefahren möglichst freien Spielraum zu geben, denen Alexander sich wissentlich oder auch unwissentlich aussetzte. Daher versuchte Parmenio nach dem Bad im Kydnosfluß die Heilung des erkrankten Königs durch jenen verleumderischen Brief zu hintertreiben; die Krankheit sollte ihr Werk vollendenMan könnte hier einwenden, daß ja Parmenio den Mordplan des Darius, der sich gegen Alexander richtete, doch aufdeckte. Warum ließ er denn damals nicht den Mord geschehen? Die Antwort aber liegt nahe. Zu dieser Tat war jener Lynkeste, der sich gleichfalls Alexander nannte, ausersehen worden, und im Fall des Gelingens hatte Darius diesem Menschen das mazedonische Königtum, die Nachfolge im erledigten Königtum Mazedoniens zugesichert. Ein solcher Nachfolger des bedrohten Alexander paßte dem Parmenio natürlich nicht. Daher zeigte er den abgefangenen Brief des Perserkönigs vor.; daher unterließ es später Philotas, als er von der Verschwörung gegen Alexanders Leben erfuhr, Alexander, wie er mußte, vor der Gefahr zu warnen. Beide töteten nicht selbst, aber wollten der tödlichen Gefahr, die den König bedrohte, nicht im Wege stehen. Die Methode ist durchsichtig. Philotas hat schon gleich nach der Einnahme Gazas, von der wir gleich hören werden, als Alexander verwundet war, sich gegen ihn aufwieglerisch verhalten. Der hochfahrende Mensch, ein ausgezeichneter Reiterführer, bereicherte sich überdies auffallend, trug das zur Schau und spielte den großen Mann. Alexander wollte das damals wiederum nicht wahrnehmen; aber er durchschaute Vater und Sohn doch noch rechtzeitig, und was sie hofften, erfüllte sich nicht.

Es blieb nun noch der Zug nach Ägypten übrig; in Memphis am Nil saß noch ein Satrap des DariusDer ägyptische Satrap hieß Mazakes; sein Vorgänger Sabakes fiel bei Issus.. Auf dem Vormarsch dorthin ließ Alexander Jerusalem besetzen; es geschah geräuschlos; denn das kleine Judäa war die Unterwerfung gewöhnt. Trotzdem aber gab es noch einmal den widerwärtigsten Aufenthalt, eine Belagerung mit allen Schikanen, und das Drama von Tyrus wiederholte sich. Es handelte sich um Gaza, eine feste Seestadt in Jerusalems Nähe. Dies Gaza sperrte sich und trotzte wider alles Erwarten. Ein persertreuer Kastrat führte dort die Verteidigung fanatisch mit rasch angeworbenen arabischen Schützen. Hoch über der Meeresdüne lag das Nest, überdies in hohen Mauern geborgen, auf einem aufgeschütteten Kegel.

In diesem Fall ließ Alexander minieren. Unterirdische Laufgräben halfen. Aber erst, als er aus Tyrus die schwere Artillerie nachkommen ließ, fiel GazaDie Männer in Gaza starben alle; Arrian II 27, 7.. Er selbst saß, als es fiel, 138 schwer verwundet in seinem Zelt; denn bei einem Ausfall hatte er im Handgemenge mit gefochten, er ließ sich nicht warnenHier setzt in der Überlieferung des Kallisthenes eine der Vorausverkündigungen des Sehers Aristander ein; aber auf den Hergang der Dinge hatte sie keinen Einfluß; so ist es bei ihnen fast immer, und ich werde sie im Verfolg kaum noch erwähnen., und ein von einem GeschützKatapulte. geschleuderter Pfeil drang ihm vorn durch seinen Küraß. Es war ein Wunder, daß der Tod nicht eintrat. Der Arzt Philippus half auch hier, und zwar diesmal unverdächtigt.

Alexanders Aufenthalt in Ägypten fiel in den Winter des Jahres 332 auf 331; er brachte endlich Erholung und wurde zu einer Zeit der Friedensarbeit. Der Perser unterwarf sich ihm dort sogleich.

Es war vielleicht noch September, als er mit seiner Kriegsflotte prunkvoll und majestätisch den Nilstrom bis Memphis hinauffuhr. Memphis war die Königsstadt. Auch die nahe Stadt Heliopolis suchte er noch auf. Dagegen scheint es, daß er sich nicht die Zeit nahm, weiter nilaufwärts die gigantischen Wunderbauten Thebens, die Bauten in Luxor und Karnak oder auch nur die von Dendera, die den heutigen Reisenden überwältigen und betäuben, zu sehen. Wohl aber ist ohne Zweifel damals sein Blick auf die berühmten Pyramiden von Gizeh bei Kairo gefallen und auf die Sphinx, den Koloß, der schon damals wie heute halb im Wüstensand verschüttet lag und so weltmüde auf den neuen Ankömmling herabsah, als fragte er: ich sah schon viele Herren; sie sind verweht wie Wüstensand. Wie lange wirst du hier herrschen? Er aber hörte die Frage nicht; er hatte zu Betrachtungen keine Zeit, kritzelte auch seinen Namen nicht auf Obelisken, Statuenschenkel und Tempelsäulen, wie es später die eitlen müßigen Römer taten.

Eine Gauverwaltung und Gesamtverwaltung des Landes, die das Selbstgefühl der reizbaren Ägypter möglichst schonte, richtete er ein. Dies war stille Bureauarbeit. Auch die religiösen Gefühle des seltsamen Volkes, das bekanntlich sogar seine Katzen mumisierte und heilig hielt, hat er gutherzig geschont, insbesondere ihre abergläubische Verehrung des Apisstieres. Gleichwohl wollte er dies Land endgültig den Griechen öffnen, und die alte Losung »Ägypten den Ägyptern« sollte nicht mehr 139 gelten. Für die Griechen kämpfte er immer noch, als wäre er selber Grieche. Jetzt erfüllte er ihre alte Sehnsucht, am Nil kaufmännisch und völkisch Fuß zu fassen; denn durch Jahrhunderte rangen die Griechen danach, das verschlossene Land zu durchdringen. Unter Perikles hatte sich ein ganzes athenisches Heer dort am Nil verblutet.

Jetzt trat dort Alexander an die Küste des Mittelmeers und ersah bei der Pharosinsel den Platz, der zur Anlage eines griechisch-ägyptischen Freihafens taugte wie kein anderer, und er befahl den Bau einer Stadt. Er gründete Alexandrien mit Hilfe des Baumeisters Deinokrates, eine Residenz- und Hafenstadt ganz modernen Charakters, die bald die erste Weltstadt des ganzen Okzidents werden sollte und die auch heute immer noch lebt als Knotenpunkt des Verkehrs für Handel und Wandel und Anlegeplatz der Weltdampfer, die Ägypten aufsuchen oder nach Ceylon weiter wollen. Des Königs genialer Blick ist es gewesen, der den richtigen Platz erkannte. Den Stadtplan hat er selbst entworfen, den Verlauf der zukünftigen Umfassungsmauer ringsum persönlich abgeschritten (wobei er Gerstenmehl streute, um durch weiße Farbe die Linie kenntlich zu machen), endlich die Hauptstraßenzüge und den Zentralplatz mit den anliegenden Gotteshäusern selbst angegeben. Großstädtische, 100 Fuß breite Straßen sollten sich rechtwinklig schneidenStrabo p. 791 f.; Diodor 17, 52.; einer der Tempel wurde der Isis bestimmt, und so fand die ägyptische Isisreligion mit ihrer Erlösungslehre jetzt auch Eingang bei den Griechen.

Nun mochten aus Ionien, Athen, Korinth Händler und Rentner, Männer der Künste und Wissenschaften kommen, so viele Geld verdienen oder weltmännisch im großen Stil leben wollten: hier war endlich ein Emporium in unvergleichlich günstiger Lage, mit reichstem Hinterland, das zugleich das ganze weite Westmeer bis über Sizilien hinaus offen vor sich hatte. Bald wurde dann auch der Leuchtturm auf Pharos, der vorgelagerten Insel, gebaut, der weithinausstrahlend dem Schiffer die Einfahrt in den Hafen auch bei Nachtzeit sichern sollte, der erste 140 Leuchtturm, den die Schiffahrt der Menschheit kennt. Er war das Werk jenes Ptolemäus, der das Land Ägypten nach Alexanders Tod als König übernahm.

Das alles war Friedensarbeit, eine köstliche Rastzeit für Alexander und sein Heer. Aber das Kriegshandwerk rief schon von neuem, und es war hier nicht seines Bleibens. Seine Gedanken schweiften nordwärts, aber auch dem Westen zu. Sollte er sich jetzt gleich auf Babylon stürzen, um den Darius noch einmal zu fassen? oder nicht vielmehr gegen Karthago?

Auch diesen Plan erwog er ernstlich: ein Marsch die Küste Nordafrikas entlang. Denn schon Darius I. hatte dereinst von Karthago gefordert, sich dem persischen Reich zu unterwerfenVgl. Winckler in Helmolts Weltgeschichte III S. 141 u. 179. Auf des Darius Keilinschriften wird Karthago unter den Satrapien seines Reichs geradezu mit aufgezählt (s. F. Justi, Geschichte des alten Persiens S. 57 u. 96), und auch Kambyses plante Karthago zu nehmen (Herodot III 19)., und so stürmten ja auch die Araber, die Feldherrn des Kalifen Omar im Jahre 641 n. Chr., als dieser Ägypten erobert, Kairo gegründet hatte, an Afrikas Küste unmittelbar weiter nach Tripolis, Tunis, Algier und darüber hinaus. Die Entfernungen wurden leicht überwundenSiehe bei Helmolt III S. 302.. Alexander, der Tyrus nahm, sollte Karthago nicht nehmen können? Die Karthager hatten sich wirklich als Feinde gezeigt, und er grollte ihnen; denn sie hatten Tyrus moralisch, vielleicht auch durch Verproviantierung unterstützt, in jedem Fall zum Widerstand angetrieben. Vor allem aber leiteten ihn auch hierbei die Interessen des Griechentums, dessen Retter und Vorfechter er immer noch war. Denn dies Karthago war der Griechen gefährlichster Feind auf der Insel Sizilien; Sizilien damals ein Zentrum der Hochkultur und eine Kornkammer wie Ägypten. Wurde Karthago gestürzt, dann war endlich auch das ganze Westgriechentum gesichert, dann waren Balkanhalbinsel, Kleinasien, Syriens und Ägyptens Küsten, die Cyrenaika, Sizilien, Süditalien, alles ringsum in griechischen Händen; das Griechentum umfaßte das Mittelmeer dann konkurrenzlos. Daß dies tatsächlich Alexanders großer Plan gewesen ist, wurde erst später festgestellt. Jetzt verschob er die Ausführung. Denn Darius lebte noch.

Das für uns Fremdartigste aber war zuvor geschehen, und dabei gilt es noch zu verweilen; ich meine seine Wallfahrt durch 141 die Wüste zum Orakel des Jupiter Ammon. Sie geschah unter starker militärischer Sicherung, ein freudlos beschwerliches Unternehmen, so scheint es, und ruhmlos dazu; aber ein Akt der Frömmigkeit. Ein religiöses Bedürfnis war in ihm, das er hier befriedigen wollte.

Ammonstatue

Ammonstatue

Ammon. Marmorstatue. Kultbild von über 2 Meter Höhe aus Pergamon, jetzt im Ottomanischen Museum zu Konstantinopel. Um 200 v. Chr. Nach Altertümer von Pergamon VII, Tafel 10 Nr. 41.

Das Orakel lag weit landeinwärts in einer Oase der Wüste Sahara (der heutigen Oase Siwah) als abgelegene, einsame Zauberinsel im unermeßlichen Sandmeer, mit märchenhafter Vegetation, quellenreich, fruchtreich, von Öl- und Palmenwäldern überschattet; die Bewohner harmlos unkriegerisch. Der Ruhm des Ortes war der von Mysterien umgebene Tempelkult, je unerreichbarer, um so geheimnisvoller und heiliger. Der Oberpriester oder Prophet teilte auf die Anfragen der Sterblichen die Antworten des Gottes mit, den man Zeus Ammon nannte. Der Ägyptergott Amon wurde eben mit dem Zeus der Griechen gleichgesetztAmon war der Schutzgott des ägyptischen Theben; daher hieß dies Theben die Amon-Stadt, Nut-Amon; die Griechen übersetzten dies in Diospolis (s. Eduard Meyer, Ägypten S. 147 u. in Roschers Mythol. Lexikon I S. 288). Bei Arrian II 3 lautet freilich die Erklärung anders; Zeus und Amon werden unterschieden, und es heißt, Alexander leitete sein Geschlecht einerseits durch Perseus von Amon, anderseits durch Herakles von Zeus ab., und das Orakel galt bei den Griechen als untrüglichSchon der Spartanerkönig Lysander, ja, schon Kimon und andere Athener hatten daher dies Orakel aufgesucht; vgl. Plutarch Kimon 18; Nikias 13.. Das Gottesbild stand verhüllt auf der Sonnenbarke, wenn es die Priester durch den Hain in Prozession auf den Schultern trugen unter Frauengefolge und Hymnengesang. Dies geschah, so oft Wallfahrer sich nahten, und so sah es auch Kallisthenes, der Literat, der im Troß Alexanders mit erschienen.

War es mystischer Trieb bei Alexander? oder wollte er sich auch hiermit wieder nur die Sympathie des ägyptischen Publikums erwerben? Uns fehlt eine bestimmte AntwortDaß Alexander sich von den Ägyptern als Nachfolger der Pharaonen hierdurch legitimieren wollte, weil die Pharaonen als Inkarnationen Gottes galten, genügt zur Erklärung nicht. Denn Alexander wollte erstlich ja gar nicht in Ägypten dauernd residieren und hat seine Gottessohnschaft ja, soweit er sie überhaupt betonte, vielmehr in Babylon und Persien und unter den Griechen geltend gemacht. Zweitens verhielten sich die Ptolemäer, die in Ägypten seine Nachfolger waren, dort durchaus anders; diese haben sich wohl als Gott hingestellt, sind aber nicht in die Oase gezogen, um Göttersöhne zu werden.. Aber das Wunder umgab ihn auf diesem Zuge. Durch den tiefen Wüstensand zog man; nirgends Wasser; siehe da, ein reichlicher Regen fiel plötzlich und erquickte die Verschmachtenden. Dann kam der Samum, der gräßliche Wüstenwind aus Süden, der den Sand hochtrieb und alle Wegspuren unter ihm vergrub. Obschon dem Ziel schon nah, verlor man die Richtung völligDies letztere sagt Curtius.. Da bemerkten die Führer der Karawane, eingeborene Leute, zwei Schlangen und rieten der Richtung zu folgen, in der die Tiere sich vorwärtsbewegten; die Schlangen aber suchten wirklich die Oase und wurden so für Alexander die Führer zu dem Gott, den er suchtePtolemäus ist der zuverlässige Zeuge für dies sog. Wunder. Zoologisch betrachtet scheint der Hergang nicht unmöglich. Daß afrikanische Schlangen weite Strecken wandern, um Nahrung, Raub zu suchen, habe ich in Afrika-Schilderungen öfter gelesen. Daß sie also in diesem Fall die Oase suchten, ist ganz natürlich. Schlangen kriechen nicht schneller, als ein Mensch marschiert; dies lese ich in Brehms Tierleben; sie blieben also für die Führer der Karawane dauernd in Sehweite. Auch das ist klar. Daß diese Führer Eingeborene waren, versteht sich von selber; diese Leute aber verstanden sich auf Schlangen und wußten, daß die Tiere eine Stelle suchen würden, wo es Nahrung gab, seien es auch nur Eidechsen und Mäuse. Es war also das Gegebene ihnen zu folgen. Die ägyptische Jachschlange z. B. wählt zu ihrem Aufenthalt regelmäßig trocknen Boden, sonnige, steinige Abhänge: so Brehm V S. 226. Auch das hat also nichts Auffälliges, daß man die Schlangen zunächst in der Wüste in der Nähe der Oase antraf. Wenn die andern Autoren außer Ptolemäus statt der Schlangen Raben als die Führer nennen, so ist das klärlich Fälschung; die griechische Vorstellung drang hier ein, daß Raben dem Zuge vorausfliegen, wenn Griechen ausziehen, um Kolonien zu gründen. Diese Raben sind dann die Sendboten des Apoll; s. O. Gruppe, Griech. Mythologie S. 796, 2; 1231; 1246; auch S. 1557, 4. Daß die Schlangen die Karawane dann auch wieder zurückführten (so Arrian), sagt wohl freilich zu viel..

142 Alexander brachte dem Tempel reiche Spenden, wie es seiner Stellung entsprach, und er befragte den Gott. Welche Schicksalsfrage aber stellte er? und was hat der Prophet ihm geantwortet? Es blieb zunächst Geheimnis, und er selbst hat augenscheinlich darüber Stillschweigen gewahrt. Aber seit dieser Zeit gilt Alexander als Gottessohn, und man sagte, der Zeus, d. i. der Jupiter Ammon, habe ihn ausdrücklich durch des Propheten Mund als Sohn angeredet. Unbedingt aber hat auch er selbst den Glauben daran gehegt – Kallisthenes bezeugte esDes Kallisthenes Frg. 37 M. zeigt, daß dieser Autor den Alexander selbst als Sohn des Zeus reden ließ. So darf man denn auch aus Frg. 36 entnehmen, daß Kallisthenes das Orakel mitteilte, daß diese Gottessohnschaft verkündet haben sollte. An anderer Stelle führte er in seiner schwülstigen Weise den König geradezu als Gott ein und gab ihm gar Ägis und Donnerkeil; vgl. Polybius XII 12 u. 23. Die Reise zum Orakel selbst geschah nach ihm unter göttlicher Leitung; s. Frg. 36. –,hat der Auffassung nie widersprochen, ja, im Lauf der Zeit bei wachsendem Selbstgefühl mehr und mehr auf sie Wert gelegt.

Alexander mit der Aegis

Alexander mit der Aegis

Alexander d. Gr. Bronzestatuette aus Unterägypten in der Sammlung des Dr. Fouquet zu Kairo. Der König ist als Gott dargestellt, bekleidet mit der Aegis, die Zeus im Gigantenkampf trägt, der erhobene rechte Arm stützte sich auf eine Lanze, in der verlorenen linken Hand trug er, wie aus Kalksteinwiederholungen des Typus hervorgeht, ein kleines Bild der geflügelten Siegesgöttin. Nach Monuments Piot XXI, Tafel 5.

Er fühlte immer deutlicher, so kameradschaftlich er sonst auch dachte, einen Abstand zwischen sich und seiner Umgebung, und die Wirkung war, daß den Abstand auch andere fühlten. Größenwahn wäre das falsche Wort. Der Mann des beispiellosen Erfolges erlag nur der Wirkung der eigenen Größe. Sein eigenes Ich stieg überwältigend vor ihm auf, und er fragte staunend nach seinem Ursprung. Seine Mutter Olympias entrüstete sich zwar. Ein Gott sollte ihr beigewohnt haben? Zeus selbst? oder gar ein verkappter Priester, der den Zeus vertrat? Sie richtete brieflich hiergegen ihren Protest an den Sohn; sie sei dem Philipp immer eine treue Gattin gebliebenGellius 13, 4. Man bezweifelt die Echtheit dieses Briefes; ich aber sehe keinen Grund dafür..

Nüchterne Seelen sollen von diesen Dingen nicht reden; wir sind heute zu abgebrüht, um zu begreifen, wie im Orient und in jenen Zeiten des erregten religiösen Lebens Himmlisches und Irdisches unausgesetzt durcheinander flossen. Ein Gott im Menschen? ein Gottwandeln auf Erden? Freilich war das ein Wunder, aber ein mögliches Wunder und köstlich erhebend, daran zu glaubenAuch David erscheint 2. Samuel 14, 17 u. 19, 27 seinen Untergebenen als Engel Gottes auf Erden; er hat die Weisheit eines solchen; ib. 14, 20. Vgl. auch ebenda II 7, 14 die Verheißung für Davids Nachkommen: ἐγὼ ἔσομαι αὐτῷ εἰς πατέρα καὶ αὐτὸς ἔσται μοι εἰς υἱόν.. Das betraf schon im allgemeinen die Monarchie. Sagte doch damals Alexanders Lehrer Aristoteles in seiner Staatslehre ausdrücklich, nur ein Gott könne ein guter Staatslenker sein, oder wörtlicher: ein hervorragender Mann sei im Staat allemal Gott gleich (unter den Menschen), und ihm müsse daher die Alleinherrschaft zufallenAristoteles polit. III 13 p. 1284: der ganz hervorragende Mensch im Staate muß allein herrschen, und er ist ὡς ϑεὸς ἐν ἀνϑρώποις. Von solchen Naturen gilt das αὐτοὶ γάρ εἰσι νόμος. So ist auch der ägyptische König »der gute Gott«, der ohne böse Leidenschaften die Geschicke des Landes lenkt (Ed. Meyer, Ägypten S. 119).. Aber das genügte 143 dem Alexander nicht. Sein Glaube war individueller und persönliches Erlebnis. Er mißachtete seinen Vater; das war es. Er wollte nicht dieses Philipp Sohn sein; denn unsauberen Geistes war dieser sein Vater gewesen und ein Mann der Lüge. Der Sohn sehnte sich nach größerer Reinheit, nach Göttlichkeit, und der Spürsinn seiner Seele wies ihn auf die erste Kraftquelle alles Lebens, auf Zeus, den Homer den Vater der Götter und Männer nenntNicht »der Götter und Menschen«; vgl. »Das Kulturleben der Griechen u. Römer« S. 425..

Also hatte der Gott die Königin Olympias gesucht? War das möglich? Wie die Menschen in der Tat in solchen Vorstellungen vom ehelichen Beiwohnen von Gott und Mensch eben damals lebten, dafür möge zunächst der König Kotys zeugen; die Sache muß dem Alexander wohlbekannt gewesen sein, und sie ist allerdings so wüst wie möglich. Der üppige König Kotys herrschte im benachbarten Thrazien. Er liebte das Schlemmen und das Zechen. Wie er im Rausch ist, will er die Göttin Athene zum Beilager erwarten, und der Diener soll melden, daß die Göttin eben gekommen sei; als der Diener das leugnet, tötet er ihnAthenäus p. 531 F.. Man sieht, was für Blasen damals die Phantasie in den Köpfen trieb. Daneben aber steht das Erhabene: Plato, der Sohn Apolls. Neun Jahre alt war Alexander, als dieser größte der Philosophen, der das Weltall, Himmel und Hölle erschloß, in Athen starb. Platos Neffe Speusipp hielt ihm die Gedächtnisrede und erklärte, nach dem Volksglauben sei der große Denker nicht seines irdischen Vaters Ariston Sohn, vielmehr Apoll sein Vater. Dieser Neffe Speusipp war Platos Nachfolger als Schulhaupt der Akademie und hatte in intimstem Verkehr mit ihm gestandenSpeusipp war auch sonst über alles Häusliche unterrichtet; vgl. Apulejus Dogm. Plat. 2: Speusippus domesticis instructus documentis. Zur Sache vgl. Diogenes Laert. III 2, Plutarch Sympos. VIII 1, 2; Apulejus a. a. O.; Aelian var. hist. X, 21. Platos Geburtsfeier wurde mit der des Apoll im Datum zusammengelegt, auf den 7. Thargelion.; und sogleich glaubte der ganze aus Platos Schule hervorgegangene Philosophenkreis an dies Mysterium; das beweisen die seitdem für Plato eingerichteten sakralen Gedächtnisfeiern. Auch Alexander aber stand in persönlichen Beziehungen zu diesem Kreis der Platoniker. Auch er wird sicher daran geglaubt haben. Ob sich Plato selbst schon zu diesem Volksglauben geäußert hatte, wissen wir freilich nicht. Keinesfalls aber konnte der Neffe es 144 wagen, das Wunder aus dem Stegreif zu erfinden, oder ein Zweifel und Widerspruch wäre in der Gemeinde seiner Altersgenossen nicht ausgeblieben.

So nun auch Alexander selbst. Sein Regiment, seine persönliche Haltung war bisher eines Plato nicht unwürdig; auch waren sichtlich die Götter mit ihm; alle schweren Enttäuschungen fehlten noch in seinem Leben, und der Erdkreis begann schon ihm zu huldigen. Sein Königtum aber war nicht Muße, es war Dienst, Dienst bis zum Selbstopfer, Herakles, der dienende, sein Vorbild: Herakles, der Zeussohn. Und der Dienst war noch nicht am Ende, der Köcher seiner Pläne noch voll. »Zeus im Himmel, Alexander Herr auf Erden«Vgl. oben S. 108, Anm. "Vgl. Anthologia Planudea 120..."., das war das Los, das ungeheure, das die Parzen ihm zuspannen. So war er sich selbst ein Mirakel, sein Wille Weltwille. Aber das Reich dieses Gottessohns war von dieser Welt.

Bei alledem war Alexander viel zu sehr derb zugreifender Tatsachenmensch und Mann der Praxis, um sich im täglichen Verkehr wirklich irgendwie als höheres Wesen zu gebärden. Damals, als er in Ägypten weilte, stand er ohne Frage auf der idealen Höhe seiner Existenz. Es sollte die Zeit kommen, wo mit dem Wechsel des Orts, der Umgebung und der eigenen Pläne, mit der Ausdehnung seiner Macht und vor allem durch den Bruch mit so vielen, denen er vertraut hatte, in Alexander sich das Despotische steigerte und sein Wesen an Milde und an reinem Licht verlor.

Der Frühling war da. Schon ließ er Ägypten hinter sich und rüstete zum Aufbruch gegen Babylon. Alexandria, die neue Weltstadt, die er nach seinem Namen benannte, so wie sein Vater Philipp auf dem Heimatboden die Städte Philippi und Philippopel gegründet hatte, lag noch unfertig. Aber überraschend schnell scheint auf seine Anweisung eine Bevölkerung unternehmender Leute nicht nur aus umliegenden Ortschaften in den Platz zusammengeströmt zu sein, sondern auch Griechen, Mazedonen, hernach auch Juden, als sollte die Stadt, international wie keine andere, ein Beleg werden für Alexanders Theorie von der 145 Vorzüglichkeit der Gleichstellung und Versöhnung der Menschenrassen. Indes die Rassen vertrugen sich dort übel. Nichts abenteuerlicher, interessanter, bunter, toller und blutiger als die Geschichte der Stadt Alexandrien im Altertum, in der Zeit ihrer merkantil-weltbeherrschenden Größe.

Alexander erhielt in Ägypten zu Schiff noch bedeutende militärische Verstärkungen. Für das ganze Reich, soweit es bisher in seiner Hand, traf er noch neue wichtige Dispositionen: Verwaltungs- und Personalfragen ohne Ende. Eine Menge Posten galt es neu zu besetzen. Ein Reichsfinanzamt wurde geschaffen und in die Hand des Harpalus gelegt. Dieser Harpalus sollte ihn schwer enttäuschen. Dann brach er auf. Eine Schiffsbrücke größten Ausmaßes schlug er über den Nil. Über sie ging es von Memphis dem Sinai zu und weiter über Tyrus und Damaskus gegen Babylon zur letzten Entscheidung.

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