Otto Julius Bierbaum
Yankeedoodle-Fahrt (1)
Otto Julius Bierbaum

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Otto Julius Bierbaum

Yankeedoodle-Fahrt

I.

Vom Nervenseiltanzen und Tunnelfahren; vom schwimmenden Hotel und dem Geflügelhofe; von Lyrik, Meer und Himmel.

Als ich so außer mir geraten war, daß ich mich selbst mit fatalster Deutlichkeit betrachten konnte, fühlte ich das Bedürfnis, wieder zu mir selber zu kommen. Aber es ist schwer, in sein Ich zurückzukriechen, wenn man es einmal verlassen und dann allzuscharf von außen angesehen hat. Ich fuhr um mich herum wie eine vergiftete Maus, die ihr Loch nicht findet und dennoch immerzu dies Loch umkreist. Ein schauderhaftes Heimweh und ein Grauen vor der Rückkehr zugleich. Selbst meinen verehrtesten Feinden wünsche ich diese Sensation nicht, obwohl es mir nicht zweifelhaft ist, daß sie, deren Oberflächlichkeit mir in der Tat manchmal Uebelkeit verursacht hat, ein bißchen Seelenqual zu ihrer Vertiefung wohl brauchen könnten.

Da sprach ein weiser Arzt und Seelenkenner also auf mich ein: Sie gehören zu jenen Akrobaten, die auf ihren eigenen Nerven seiltanzen und dadurch gezwungen sind, immerfort einen Punkt im Auge zu behalten, der in ihnen selber liegt: nämlich im eigenen Gehirne. Das tut weder den Nerven noch dem Gehirne gut und ist überdies eine brotlose und lebensgefährliche Kunst. Wenn Sie nicht binnen kurzem augenscheinlich verrückt werden wollen (denn eine heimliche Verrücktheit ist Ihr Zustand bereits), so ist es nötig, daß Sie unverzüglich eine breitere Basis zu gewinnen suchen, um von ihr aus Ihre Blicke in einem möglichst weiten Gesichtskreis umherschweifen zu lassen. Sie sind außer sich, weil Sie zu sehr in sich sind. Das vertragen nur Heilige, und Sie würden sich einem verhängnisvollen Irrtum hingeben, wenn Sie meinen wollten, daß Sie zur Heiligkeit angelegt wären. Dazu sind Sie zu korpulent und libidinos, – wohl auch nicht unbescheiden genug. Leute Ihrer Konstitution sind darauf angewiesen, die Welt auf sich wirken zu lassen. Ihre Empfindlichkeit sträubt sich dagegen, und es ist gewiß, daß Sie unter den nicht immer zarten Fingern der Welt leiden, aber dieses Leiden ist immer noch heilsamer für Sie, als die selbst bereiteten Schmerzen der Heautontimorumenie. Ich rate Ihnen: Kaufen Sie sich einen Schiffskoffer und stellen Sie Amphitriten auf die Probe. Ihre Zukunft liegt auf dem Wasser, das Salzgehalt und im Salze Brom hat. Speien Sie sich einmal lästig aus und trinken Sie so viel Sonnenlicht als möglich. Aber, ich beschwöre Sie, lassen Sie alles Schreibgeräte zu Hause, denn, unter uns gesagt, der Federhalter ist die gefährliche Balancierstange, mit der Sie sich bisher auf dem Nervenseile im Gleichgewichte erhalten haben.

Ich honorierte diese Invektionen mit zwanzig Franken und einem müden Lächeln, nahm den breitbeinigen Gang eines alten Seekapitäns an und versetzte meine ahnungslose Frau in das äußerste Erstaunen durch Intonierung des Liedes:

Auf, Matrosen, die Anker gelichtet,
Den Kompaß gespannt und die Segel gerichtet!

Ihre Bemerkung, daß der Kompaß keine Flinte sei, die man spannen könnte, wies ich mit der Entgegnung zurück, daß nautische Details uns bald mehr als genug beschäftigen würden, einstweilen aber Wichtigeres zu erledigen sei: nämlich die Frage, ob man auf eine moderne Seereise einen Frack oder bloß einen Smoking mitnehmen müsse.

Klug und versorglich, wie sie ist, entschied sie sich für beides, ja sie wollte sogar, daß ich auch einen Zylinderhut mitnähme. »Wahnwitzige Idee!« grollte ich; »dir fehlt jedes Stilgefühl. Eine schottische Mütze oder ein Dreimaster, – ja; niemals eine Tube.«

Am entsprechenden Orte wird es sich zeigen, wer von uns beiden auf der Höhe der Situation gewesen ist.

Da es uns vollkommen gleichgültig war, wohin wir reisen würden (denn ich hatte ja lediglich das Gebot erhalten, eine Seereise »an sich« zu machen), überließen wir es einem Freunde, Schiff und Ziel zu bestimmen. Er sandte uns eine Kabinenkarte für den Doppelschraubendampfer Yankeedoodle, den die berühmte Onkel Sam-Michel-Linie eben zu einer Orientreise in Genua bereithielt. Ein beigeschlossenes Druckheft schilderte die ganze Reise in äußerst lebendigen Farben, so daß mir sofort ganz orientalisch zumute wurde, als ich las, was alles uns bevorstand.

»Kein Zweifel,« sagte ich zu meiner Frau, »es wird äußerst lehrreich werden. Schade nur, daß wir uns nicht länger auf die Reise freuen dürfen, denn das ist doch das Schönste am Reisen: sich vorher darauf zu freuen.«

Aber es half nun nichts: kaum, daß die Koffer gepackt waren, mußten wir uns in den Dampfwagen setzen, der uns nach Genua transportierte. Meine Idiosynkrasie gegen das Eisenbahnreisen gestaltete diese Fahrt zu einer via crucis, an die ich nur mit Grauen denken kann. Kein Zweifel: ich bin ein arger Sünder, aber so viele Todsünden habe ich denn doch nicht begangen, daß ich die Höllenqualen verdient hätte, die mir in den endlosen Tunnels an der Riviera zuteil wurden, wo rechts und links des Gleises offenbar teuflische Dämonen aufgestellt waren, die, während ich in stinkendem Qualm fast erstickte, mit eisernen Hämmern gegen eiserne Wände zu schlagen schienen. Nun: wir sind nicht zum Vergnügen auf der Welt, und es ist gewiß in der Ordnung, daß Nerven, die für angenehme Sensationen besonders empfindlich sind, dafür um so heftiger unter unangenehmen leiden. Sela.

Das Gedröhne einer Kesselschmiede in den Ohren, die Lungen voller Ruß und im Schädel ein Gefühl, als seien sämtliche Gehirnwindungen mit flüssigem Blei angefüllt, begab ich mich mit meiner Frau in das berühmte Theater Carlo Felice, aber beileibe nicht, um uns Tristano e Isotta italienisch vorspielen zu lassen, sondern von wegen der exzellenten Küche seines Restaurants. Doch wurde uns auch hier ein außerordentliches Schauspiel zuteil: wir sahen einen jener italienischen Eßkünstler, die den illustre Fressern der Antike nichts nachgeben. Was dieser überlebensgroße Bauch sich alles servieren ließ, und mit welch andächtigem Kennerentzücken er seine Füllung zu einer Art gottesdienstlichen Handlung erhob, läßt sich in Kürze und auf Deutsch nicht schildern. Es muß genügen, zu sagen, daß es ein klassisches Schauspiel war, würdig, von einem Petronius der Nachwelt überantwortet werden. Denn es läßt sich von derart großen Gegenständen wohl nur in monumentaler Latinität handeln.

Als ich am nächsten Morgen den Yankeedoodle vor mir liegen sah, wie er unabsehbare Massen von Koffern und Menschen in sich aufnahm, mußte ich an den gewaltigen Speisevertilger denken, und so erübrigt es sich, zu bemerken, daß Yankeedoodle ein imposantes Schiff ist.

Wir wurden (leider) ganz tief unten in seinem Innern verstaut und fühlten uns sehr winzig. Dafür erfüllte uns aber sogleich eine sehr gewisse Zuversicht zu dem massigen Zweischlöter. »Ich glaube kaum, daß wir mit dem Yankeedoodle untergehen werden,« sagte ich zu meiner Frau; »ja selbst meine Hoffnung auf ausgiebige Seekrankheit ist bereits ins Wanken geraten.«

»Und mir ist schon übel,« entgegnete sie.

Dabei stand das Schiff fest wie ein Turm.

Weshalb ich sagte: »Autosuggestion gilt nicht, und wenn du mit Gewalt seekrank wirst, um später damit zu renommieren, so kannst du sicher sein, daß ich deine Finten aufdecken werde.«

In diesem Augenblicke brüllte Yankeedoodle auf eine Weise, daß mir Hören und Sehen verging. Dreimal. Wie nie ein Mastodont gebrüllt hat. Homer hätte das hören sollen, und er hätte kein solches Wesen vom Gebrüll seiner verwundeten Helden gemacht.

»Was hat er denn?« fragte ich entsetzt.

»Er sagt Adieu,« erklärte meine Frau ruhig, die von nun an überhaupt gerne so tat, als wüßte sie alles.

Und es war wirklich so. Immer, wenn Yankeedoodle sich anschickte, in See zu stechen (ein Ausdruck, der aber für solche Kolosse gar nicht paßt; ebensogut könnte man sagen, ein Dampfhammer sticht ins Erz), brüllte er so unmanierlich. Es gehört das zum guten Ton bei diesen Dampfgiganten. Ob es einen Zweck hat, weiß ich nicht. Vielleicht heißt es nicht bloß: adieu, sondern auch: Platz da! Hühneraugen weg!

Und richtig: wir fuhren. Doch muß ich wohl besser sagen: wir glitten dahin. So leise, sanft, unmerklich, daß ich fürs erste jede Hoffnung auf das große Speien aufgab, während meine Frau mit weiblicher Beharrlichkeit beteuerte, nun werde ihr aber schon sehr übel.

Da sie offenbar nur höchst ungern von diesem holden Wahne lassen wollte, bestärkte ich sie in der Ueberzeugung, seekrank zu sein, indem ich ihr erklärte, sie sähe grasgrün aus und tue mir furchtbar leid.

Worauf es ihr sehr bald besser wurde.

Eine kleine Weile noch, und sie teilte meine Empfindung, daß Yankeedoodle, weit davon entfernt, ein Schiff zu sein, wie wir es uns gedacht hatten, einfach ein Hotel war, das sich auf Salzwasser bewegte. Statt Matrosen zu sehen, die an Tauen herumkletterten, und Kommandorufe zu vernehmen von Offizieren, die Sprachrohre am Munde und Fernrohre vor den Augen hatten, erblickten wir Kellner, die da höflich leise säuselten: Bouillon gefällig? Doch lernten wir bald, sie Stewards zu nennen, was immerhin eine gewisse Seestimmung erzeugte.

Doch blieb eine deutliche Enttäuschung in uns zurück. Unser romantisches Bedürfnis wollte nicht auf seine Rechnung kommen. Wir hatten uns das alles viel abenteuerlicher vorgestellt. Wenn wenigstens ein Mastkorb dagewesen wäre, in dem sich ein Matrose befunden hätte, der Ahoi! rief . . .

Statt dessen sagte ein Herr, der zwar eine Art Seemannsmütze aufhatte, aber den Gymnasialprofessor durchaus nicht verleugnen konnte, laut und vernehmlich: Thalassa! Thalassa!

Mein Magen drehte sich um und ich mich mit ihm.

O Aegier, Herr der Fluten, stöhnte ich in meinem lieben Herzen, sorge dafür, daß ich diesem Humanisten nirgendwo benachbart werde in diesem schwimmenden Hotel!

Und ich fühlte, daß es jetzt vor allem nötig war, einen Platz auf dem Yankeedoodle ausfindig zu machen, wohin wir uns vor den übrigen Hotelgästen flüchten könnten, falls diese irgendwie nicht nach unserem Geschmack sein sollten.

Alle diese Herrschaften, sagten wir uns, sind gewiß durch Qualitäten ausgezeichnet, die uns fehlen, und wir wollen ohne weiteres annehmen, daß sie nicht bloß einer höheren Steuerklasse angehören als wir, sondern auch in jeder anderen bürgerlichen Hinsicht den Vorzug vor uns verdienen. Aber wir sind nun mal Uhunaturen, die in den Geflügelhof nicht passen. Zärtlich girrende Tauben, gluckende Hennen, majestätische Hähne sind kein Umgang für uns, geschweige denn diese stolzen Pfauen und Perlhühner aus Amerika, die sich, das merkten wir bald, als die Elite des Yankeedoodle betrachteten und von den Funktionären der O. S. M. L. auch als solche ästimiert wurden, da sie die besten Käfige innehatten Alles das, gaben wir gerne zu, ist ganz in der Ordnung, aber diese Ordnung ist nicht die unsere. Suchen wir uns also einen Winkel aus, wo wir das prächtige Gesamtbild am wenigsten stören.

Wir fanden es auf dem Hinterdeck, das von allen besseren Passagieren streng gemieden wurde, weil es bei den gewöhnlichen Fahrten des Yankeedoodle, die nicht dem Vergnügen, sondern der Ueberfahrt nach Amerika dienen, als das Deck der zweiten Kajüte gilt. Für uns besaß es außer dem Vorzug, wenig besucht zu sein, auch noch den, zwei Etagen zu haben. Die obere war die schönste, denn auf ihr befand man sich wirklich en plein air. Hier verbarg uns kein vorgespanntes Segeltuch Meer und Himmel, wie sonst überall auf diesem Schiffe, dessen Einrichtungen mehr darauf berechnet zu sein schienen, das Meer vergessen, als sehen zu lassen. Die begehrtesten Plätze des Hauptdecks (zumeist von Amerikanern besetzt), nämlich die an den Innenseiten, gewährten den dort in ihren Klappstühlen Ausgestreckten die Aussicht auf den Streifen Himmel, der zwischen dem Dach und der Segeltuchwand des Decks sichtbar bleibt. Weder Meer noch Küste war von dort aus zu sehen. Die Außenseiter des Hauptdecks sahen aber nicht einmal diesen Streifen Himmel, sondern nur die Kajütenwand, garniert mit horizontal gelagerten Amerikanern.

Es wollte uns anfangs nicht in den Sinn, wie gerade diese Plätze so sehr begehrt sein konnten, die eigentlich nichts anderes waren als Einzelglieder im Spalier einer Promenade; denn zwischen ihnen war der allgemeine Wandelgang. Wir mußten erst begreifen lernen, was wir Uhus nicht ohne weiteres wissen: daß das Publikum auch auf Reisen sich vor allem anderen für das Publikum interessiert. Die Menschen lieben einander zwar nur in einem sehr gemäßigten Grade, aber sie sind sich gegenseitig äußerst interessant, und so leben sie gerne in Gesellschaft, sei es auch nur, um sich innerhalb deren wieder in Extragesellschaften abzuspalten. Je länger wir das Wesen auf unserem Schiffe betrachteten, um so mehr spürten wir, daß viele geradezu deshalb den Yankeedoodle bestiegen hatten, um nach der vielleicht monoton gewordenen Gesellschaft zu Hause hier eine neue zu finden. Und wir merkten schließlich, obwohl wir immer nur aus der Ferne in dieses lebendige Netz von Gesellschaftsfäden blickten, daß nicht bloß die Spinne Sympathie dabei am Werke war, sondern auch mancherlei Berechnung, – nicht zu vergessen die mehr oder weniger schönen Damen Eitelkeit und Medisance.

Ich kann nicht leugnen, daß, von der Ferne angesehen, dieses große Gesellschaftsspiel einen gewissen Reiz für mich hatte, da ich nur selten dazu komme, derlei zu beobachten. Einen reineren Genuß bereitete mir aber doch der Anblick des hohen Himmels und der weiten Wasserfläche, obgleich ich gestehen muß, daß eigentlich poetische Stimmungen ausblieben. Der Anblick war schön, – aber nur Genuß, nicht Erregung. Mein Auge ließ sich's wohl sein, und mein »Herz« quittierte mit Dank darüber, – aber kühl, eigentlich unbeteiligt. Ich habe es ein paarmal gescholten deswegen und bin mir selber sehr gram gewesen darum. Bist du das noch, habe ich mir gesagt, der vor Zeiten sich bis zur wonnigsten Verrücktheit entzücken konnte vor einem Tümpel, auf dem ein paar Spritzer Sonnenuntergang kringelten? Dem ein schüchternes, dummes kleines Ding wie eine junge Birke Seligkeiten ins Herz schüttete, der vor einem Quellchen in die Knie sinken konnte, Verse zu stammeln, dessen Blicke verzückt an Wolken hingen und mit ihnen hinüberschwammen zu den goldberänderten Himmelsküsten einer nicht bloß äußerlich gesehenen, sondern innig umfaßten Schönheit, – das ist derselbe, der sich hier in einem Stuhle der Ocean-Comfort-Company liegend, Lichteffekte servieren läßt, wie kurz vorher Tee mit Streuselkuchen? Ei du satter, fauler, leerer Halunke du, mach daß du hinunterkommst auf das Promenadendeck und sieh, wenn die Sonne untergeht, nach der Uhr, ob es auch pünktlich geschehen ist! Laß dich von dem Gymnasiallehrer auf Aegypten, Kleinasien, Griechenland vorbereiten; du hast es nötig; denn, wer nicht mehr fühlen kann, soll wenigstens wissen. Und wenn du auch dazu zu faul bist, so zeige den jungen Töchtern Germaniens, die, halb Misses, halb Gretchen, die moderne Weiblichkeit des zahlungsfähigen Deutschland mit mehr Selbstbewußtsein als Geschmack vertreten, daß auch du tennis-englisch und über »Frühlings Erwachen« reden kannst. Da du nüchtern geworden bist, ist dein Platz bei den Nüchternen. Vielleicht sagen sie dir etwas, da die großen Dinge dir stumm geworden sind. – So schimpfte ich mich. Aber mit Unrecht. Denn es war nicht so, wie ich mir sagte. Meer und Himmel waren mir nicht stumm. Ich verstand ihre Sprache nur nicht so schnell, wie früher die von Busch, Baum, Quelle, Wolken. Und dies ist nicht verwunderlich. Jene Dinge, die den jungen lyrischen Menschen so schnell ins Gespräch zogen, sprachen seine Sprache, die Sprache der schnellen Gefühle, naiver Lust, einfältiger Triebe. Er hörte und sah in allem nur sich. Wenn er niederkniete und ins Plappern der Quelle Verse rief, so kniete er vor sich selber und überschrie das murmelnde Element. Er war (Heil ihm, daß er's gewesen) frech beim Frohsinn, und so hatte er's wohl leicht, zu schwärmen. (Lyrik! Eine selbstverständliche Sache für junge Menschen, denn es ist ihr Ausundeinatmen. – In dieser Parenthese wäre noch allerhand zu bemerken. So dies, daß die große Seltenheit wirklicher Lyriker damit nicht im Widerspruche steht. Es gibt nämlich nur sehr wenige junge Menschen in dem Alter, wo zum Gefühle künstlerisches Vermögen tritt. Was Goethe das Närrische im Lyrischen nennt, ist das Kindliche. Die beiden reinsten Lyriker unter den heutigen Deutschen; Martin Greif und Max Dauthendey, sind Kindsköpfe. Auch Ludwig Finckh hat Anlage dazu. Rilke dagegen, dieses unheimliche Genietalent, ist ein Wunderkind. Uebrigens liegt beim reinen Lyriker die Gefahr nahe, aus dem Kindlichen ins Kindische zu verfallen, sich auszuleiern. Aber wo komme ich hin!) Das schlechthin Große dagegen, Meer und Himmel, monoton erhaben (mit Worten aus der Terminologie menschlicher Kunst zu reden: Monumentalnatur) – das duckt die Frechheit. Seine Sprache ist Gedröhn und Brausen. Vokabeln fehlen in dieser Musik voll rhythmischer Symbole. Das Herz, das hier nur stummen Dank hat, verdient keine Schmähung, und der Mann, der vor diesem Schauspiele Auge wird, ganz Auge: und klares, nicht trunkenes, mag sich der Zuversicht getrösten, daß dieser ruhige Genuß des Reichsten, das dem Menschen an äußeren Eindrücken zuteil werden kann, nicht bloß der Netzhaut zugute kommt, sondern zu einem inneren Schatze wird, auch wenn er sich nicht gerade kleinweis in lyrische Silberstücke ausmünzen läßt.


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