Otto Julius Bierbaum
Yankeedoodle-Fahrt (1)
Otto Julius Bierbaum

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Unser Kammersteward war ein hübscher Schweizer Bursch mit verflucht gescheiten Augen und eigentlich gar kein Steward, sondern ein Kanzleischreiber, der in Mailand sogar an einer Bank angestellt gewesen war. Er hätte Karriere machen können, wenn es nur nicht so langsam zuginge beim Karrieremachen. Und dann, was ein richtiger Schweizer ist, der will nicht bloß immerzu Aktenstöße, Tintenfaß und Federhalter, sondern die Welt sehen. Also ging unser Freund zu Schiffe nach Amerika. Chaibe! Chaibe!. Dort ist es gar nit lustig g'si. Ja, wenn einer Geld hat, dann freilich! Aber so . . . Chaibe! Chaibe! Er hat den Schiffslader gemacht, den Tellerwascher, ist zum Kellner avanciert, schließlich sogar beinahe Hotelportier geworden. Aber so hoch wollte sein Ehrgeiz gar nicht hinaus. Ihm war es genug, mit ein paar Fränkeli im Sack und einem anständigen Gewand wieder nach Hause zu können, wenn auch nicht gerade als gestellter, so doch als gereifter Mann. Aber einfach als Zwischendecker? – nein: als Steward. Wozu hatte er das Servieren und Trinkgeldernehmen gelernt? Und es mußte ein Schiff sein, das Umwege machte, möglichst große, damit noch ein bitzli Welt dabei abfiele. So kam ihm denn der Yankeedoodle gerade recht mit seinem »Grand Winter Cruise to Madeira, Spain, the Mediterranean and the orient, – a cruise of seventy-nine days duration to the most interesting countries in the world«. Die interessantesten Länder der Welt, – das war etwas für unseren Schweizer. Dafür wollte er gerne Stiefel wichsen, Betten machen, Teller schwenken und was sonst noch Stewardspflichten sind. Ließ sich also anmustern und fuhr los, höchst begierig auf die oriental wonderlands. Aber ach: auch die sind nur für die zahlungsfähigen Gäste des schwimmenden Hotels, nicht für das dienende Gesinde da. Nur wer sich auf den Liegestühlen der Ozean-Komfort-Kompagnie genügend dazu hat ausruhen können, um die Strapazen der Landausflüge frisch zu bestehen, darf die Wunder des Orients anschauen; wer sich statt dessen mit gemeiner Arbeit abgab, soll, um nicht aus der Uebung zu kommen und an Arbeitsfreudigkeit einzubüßen im Anblick von Schönheiten, die nun mal nicht für den Arbeitspöbel da sind, an Bord bleiben und weiter schuften. Schuften? Nein: cavalieren; denn »Arbeit adelt«, sagt Detlev Freiherr von Liliencron. Ein sehr verschmitztes Wort. Es verleiht dem Arbeiter kostenlos (auch für den Verleiher) den Adel und würde damit gewiß die soziale Frage lösen, wenn der Arbeiter nicht so würdelos dächte, auf den Adel zu pfeifen. Mein Schweizer zumal, als Republikaner, hätte herzlich gerne auf ihn verzichtet, wenn er dafür ein bißchen Genuß gekriegt hätte. Er war durchaus der Meinung, daß Arbeit nicht schändet; ja er rühmte sich geradezu der niederen Arbeiten, die er verrichtet hatte. Aber er fügte hinzu: bloß arbeiten und zusehen, wie sich die anderen amüsieren, sei auf die Dauer eine verfluchte Geduldsprüfung. »Wenn ich mich doch nur in einen Hund verwandeln könnte,« sagte er, »um hinter den Herrschaften herzulaufen, wenn sie alle die Wunderdinge sehen!« Dieser Gedanke verblüffte mich, weil er mich an eine glänzende Novellenidee erinnerte, die mir Felix Salten einmal mitgeteilt hat. Aber er ergriff mich auch. Denn das war wie ein Schrei; und ich fühlte: wer so empfand, der war es wert, zu sehen, wonach er sich so ingrimmig sehnte, und er mußte scheußlich leiden als Ausgeschlossener.

Es war ein Herr an Bord, mit dem ich mich gerne über diese Dinge unterhalten hätte: ein sehr langer, dürrer Herr mit glattrasiertem Gesichte, in dem sofort der sehr große, aber dennoch seine, scharfe Mund auffiel; der Mund eines Redners, Anklägers – entweder eines Staatsanwalts oder Demagogen. Der Kabine nach, die der Longinus innehatte, einer der teuersten auf dem Yankeedoodle, entschied ich mich für Staatsanwalt, bis ich erfuhr, daß der Herr einer der mächtigsten Redner der nordamerikanischen Sozialdemokratie sei. Und deshalb hätte ich, wäre meine Scheu vor dem veramerikanisierten Englisch nicht gewesen, gerne mit ihm darüber gesprochen, wie es seine Partei anzustellen gedenkt, daß man die Arbeit nicht bloß mit schönen Redensarten abspeist, sondern ihr reelleren Lohn verschafft, und zwar nicht allein genügend Brot (was sie, auch mit Beilage, sich bereits selber zu verschaffen weiß) und allerhand Freiheiten: zu reden, zu drucken, zu streiken usw. (an denen es auch nicht fehlt), sondern auch die Möglichkeit, an den feineren Genüssen teilzunehmen, ohne die das Leben schließlich, auch wenn es fett ist, doch bloß ein armseliger Quark bleibt. Die Weisheit Grillparzers (die auch Goethes Weisheit war):

Ein jeder treibt, wozu er ward,
So will's ein ew'ger Schluß:
Hephästen steht die Arbeit wohl,
Cytheren der Genuß,

ist zur wohlfeilen Schlauheit derer geworden, die sich beim Genusse nicht stören lassen wollen durch die Zaungäste aus der Tiefe. Nicht bloß Begehrlichkeit ist wach geworden, sondern Bedürfnis. »Die Unzufriedenheit wächst,« ist zwar ein Gemeinplatz, und man kann, wie an allen Banalitäten, seinen Witz daran üben, ohne sich in sonderliche Unkosten des Geistes zu stürzen, aber doch mit dem ganz sicheren Effekte, für einen starken Geist gehalten zu werden. Was hilft's aber? Er wird, wie ein Fettfleck, immer größer, und schließlich ist das ganze schöne Tafeltuch der sicher Schmausenden von ihm so unsäuberlich bedeckt, daß es für Leute von einigem Sauberkeitsbedürfnis gar kein Vergnügen mehr ist, mitzutafeln.

Irgendwo bei Wedekind findet sich der Gedanke, daß zum besseren Gefühle des Reichtums auch der Bettler am Portale gehört. In Rainer Maria Rilkes »Stundenbuch« aber heißt es (dem Sinne nach), daß heute die Reichen nicht mehr reich, die Armen nicht mehr arm sind. Beide Gedanken gehören zusammen, obwohl der eine nach einem Kardinal aus der italienischen Renaissance, der andre nach orientalischem Christentum schmeckt. Es gibt nicht mehr solche Reiche im Wedekindschen Sinne, und es gibt im Rilkeschen Sinne überhaupt keine richtigen Reichen, keine richtigen Armen mehr, weil das Christentum als wirklich bestimmende Macht abgewirtschaftet hat. Die Lehre Jesu war eine frohe Botschaft für die Armen gewesen, aber, da Jesus wirklich die Liebe war, so ließ sich aus seiner Lehre mit Leichtigkeit eine Religion ableiten, die es auch den Reichen recht machte. In ihr funktionierte der Wedekindsche Bettler am Portale (wenn auch nicht im Sinne Wedekinds) tadellos und war dabei auch seinerseits in vortrefflicher Gemütsverfassung. Die große Kunst des Orients, Religionen zu schaffen, die, realistisch und idealistisch zugleich, Genuß und Hoffnung in der Gleichschwebe halten: den Mächtigen erlauben, mit Glanz mächtig zu sein, und den Ohnmächtigen eine Art Wollust der Ohnmacht bescheren, hatte sich wunderbar bewährt. Die Griechen, ehedem das Bollwerk des Westens gegen den Orient, wurden durch das Christentum zu Orientalen. Rom, nicht so völlig überwunden, mußte doch, um wenigstens über die Geister mächtig zu bleiben, paktieren (was es mit dem ganzen Geschicke seiner Begabung für bona pacta tat); und selbst die siegreich heranpolternden westlichen Barbaren, die germanischen Bären voran, sogen den süßen Dampf der orientalischen Weihrauchkörner mit soviel innigem Behagen ein, daß das ganze Innere ihres Volkswesens auf gut ein Jahrtausend hin verräuchert worden ist. Auch heute schmeckt die germanische Seele noch deutlich nach dem orientalischen Räucherwerk des Christentums, aber schon seit Luther riecht spiritus teutonicus merklich mit hinein, und von einer angenehmen Benebelung kann längst keine Rede mehr sein. Der Orient hat seine Macht verloren. Seine Wunder sind Ruinen. Aegypten, Syrien, Palästina, Byzanz, Griechenland: Museum, nicht mehr palaestra; Studienobjekt, nicht Leben; Peripherie, nicht Fokus. Und nun muß der Westen Ersatz schaffen für die immer mehr verduftende Religion aus dem Osten. Die große Unzufriedenheit ist da – es fehlt nur noch der große Mensch, der diesmal vermutlich nicht mit der großen Liebe, sondern mit dem großen Zorne kommen wird. Die Sozialdemokratie freilich will uns glauben machen, es bedürfe im XX. Jahrhundert keines Heilandes mehr: die Masse selber werde das Heil herbeiwalzen – langsam, aber sicher. »Mahle, Mühle, mahle!« Aber der Wille zur Tat pflegt nicht so langmütig zu sein. Er sammelt seine Kräfte in Millionen Machtlosen, um sie, wenn die Zeit gekommen ist, in einem genialen Temperament machtvoll zu vereinigen: dem Helden. Der, der einmal sein Vater sein wird, sehnt sich jetzt vielleicht beim Ausbürsten der Unterröcke einer Sen-Sen kauenden Miß danach, nachts heimlich ein Boot heranzurufen und sich an einem Tau hinabzulassen, um wenigstens bei Nacht die Wunder des Orients kennen zu lernen. Der mächtigste Redner der nordamerikanischen Sozialdemokratie wird derweile ruhig in seiner Luxuskabine schlafen, neue Kräfte zu sammeln für gewaltige Reden, die das Heil der Organisation predigen und die alleinseligmachende Kirche der Partei, außer der nichts gedeiht, als fruchtloses ohnmächtiges Wüten. Er ruhe sanft: auch er ein Johannes. wenngleich er sich nicht von Heuschrecken nährt. Denn Wüstendiät oder härenes Gewand sind gewiß nicht das Wesentliche an einem, der den verkündet, der da kommen soll. Ja, man kann sogar ein Johannes sein, ohne an einen Jesus zu glauben. Solcher Johannesse gibt es heute viele. Sie werden einen heillosen Schrecken erleben, wenn statt der Sache, die sie verkündet haben, ein Mensch kommt.

Ich für mein Teil glaube an diesen Menschen, ohne daß ich mich zu den Johannessen zähle, die an »seine« (nämlich ihre) Sache glauben. Ich glaube vielmehr, daß er diese Sache genau so als Held traktieren wird, wie jede andre. »Gebet Raum dem Zorn!« wird sein Ruf sein, und er wird sicherlich mit dem Schwert kommen. Und es wird eine Weile sehr ungemütlich, aber gar nicht langweilig sein. Das Leben wird wieder einmal billig im Preise stehen, und es wird Kommerzienräte geben, die mit Witz und Anstand zu sterben wissen: vielleicht mit einem Verse von Stefan George auf den Lippen (was schon sehr witzig wäre). Der eine Held wird viele Helden machen: rechts und links, aber die Löwen der ästhetischen Salons mit den gebrannten Mähnen werden zu ganz, ganz kleinen Pintscherchen werden und sich hinterm Nachttopf ihrer Anbeterinnen verkriechen: denn die Blutlosen können kein Blut sehen. Gelten und walten wird die Gewalt der Vergeltung ohne alle Gerechtigkeit im kleinen, denn alles Persönliche wird Bagatellsache sein in dem großen Prozesse der Massenrache.

*

Yankeedoodle, wohin hast du mich geführt mit deinen beiden Schloten, deren einen ich Elend, den andern aber Ueberfluß taufte?

Kehre zurück ins Gemütliche, o Doppelschraube, und alles ist verziehen!

*

Das Reisebureau wollte uns verlocken, eine Gesellschaftsfahrt im Automobil mitzumachen, die die herrlichsten Punkte der unbeschreiblich schönen Riviera abschnaufen sollte. Aber wir sind weder für Gesellschaftsautomobile, noch für die unbeschreiblich schöne Riviera eingenommen. Sobald das Automobil zum Omnibus wird, verliert es jeden Reiz für uns, und eine mit Palmen frisierte Natur, die überdies mit protzigen Villen im schlechtesten modernen Geschmack besteckt ist, wie die Frisur einer Demimondaine minderen Grades mit falschen Schildpattkämmen aus Zelluloid, mißbehagt uns gar heftig. Wir hatten das auf dem Wege zu unserer Niederlage am grünen Tische schon genügend gesehen; Theater, Kulisse, hergerichtet für das Publikum des gegenwärtig in den besseren Kreisen so sehr beliebten Ausstattungsstückes: Riviera oder der Frühling im Winter. Es ist ein leeres, verlogenes Stück ohne alle poetischen Qualitäten, gerade gut genug für Menschen, die weniger empfinden, als, ganz äußerlich, sehen, und weniger noch sehen, als gesehen werden wollen. Gegenwärtig spielt dabei die Hauptrolle das Automobil. Die schönen Wagen, allesamt geschlossen, weil der eine den andern in Staubwolken hüllt, rasen wie die Verkörperung der Tobsucht wild besessen hintereinander her. Eine wunderbare Kraft jammervoll mißbraucht. Stupor! Stupor!

Wir fuhren mit der Trambahn nach Nizza. Eine etwa fünfzigjährige französische Dame saß mit einer etwas jüngeren uns gegenüber. Ich machte von der gütig gewährten Erlaubnis meiner Frau (die auf Reisen nicht so ist) Gebrauch und verliebte mich in sie. Wie reizend war sie aber auch! Wie lebhaft, munter, elegant! Und ihr Französisch klang wie tongewordener Esprit. Auch ein bißchen kokett war sie noch, aber es war die Koketterie, die fünfzig Jahren noch wohl ansteht. Sie war ganz Dame und doch Natur: eine weibliche Dame. Wie angenehm das ist. Ich war sehr glücklich darüber, daß sie meiner Frau genau so gut gefiel wie mir. Grazie, Signora!

Nizza hat das Kunststück fertig gebracht, aus lauter Hotels eine Stadt zu bilden, und noch dazu eine amüsante Stadt. Das Vorbild liegt natürlich an der Seine. Einen Pariser Boulevard hat man tel quel herübergenommen. Und es fehlen auch nicht die Pariser Boulevardtypen, als da sind: mustergültige Kokotten jeden Genres (doch keine Midinetten; für die ist das Pflaster zu industriell); ernsthaft elegante ältere Viveurs von schon beinahe geistreichem Aeußern, weil sie den Stil des großen Dégouts brillant markieren; Offiziersaspiranten des taggültigen Geschmacks mit noch zu absichtlicher Korrektheit, aber doch montmartrehoch stehend über unseren dilettantischen, pseudobritischen Snob-Dandys; zweifelhafte Gentilhommes mit der gewissen Unsicherheit in den allzu begehrlichen Augen und in den Bewegungen wider Willen eine latente Brutalität verratend; Engländer mit den Erobererschritten; deutsche Offiziere in Zivil mit dem unaustilgbaren Parademarsch im allzu strammen Leibe; die drolligen kleinen Rentner aus der französischen Provinz, halb Neugier, halb moralische Mißbilligung; und, sieh da, sieh da Timotheus: auch der junge Herr Poet aus dem Kaffeehause, der selbst mit langen Haaren nicht wie ein Tapezierergehilfe, sondern ganz richtig wie ein Dichter nach dem Herzen junger Mädchen aussieht, obwohl er, dem Zeitgeiste Rechnung tragend, ein Monokel trägt.

Wir fanden das alles sehr hübsch, und meine Frau war klug genug, sich das Vergnügen daran nicht durch den Anblick des immerhin etwas sonderbar anmutenden Denkmals verderben zu lassen, das (nicht Nizza, denn Nizza gibt's offiziell nicht mehr, sondern) »la ville de Nice à la France« errichtet hat. (Ob wir ein Denkmal erleben werden mit der Aufschrift: »Die Stadt Straßburg dem Deutschen Reiche«? Kaum. Das Elsaß, der alten deutschen Kultur zugehörig und durchsetzt mit vielen und schönen Elementen der französischen, wird dem Reiche so lange nur angegliedert sein, als dieses Reich wesentlich preußischen Geist atmet. »Der Norden, ach, ist kalt und klug.« Und der Nordwind streng. Lauter Eigenschaften, die schwer Liebe erregen, zumal wenn sie hochfahrend auftreten. Ich habe mich auf dieser Reise überzeugt, daß dieses oft geradezu karikaturhaft wirkende hochnäsige Gebaren von Vertretern der preußischen Hegemonie im Grunde auf einen Mangel an feinerem Formsinn zurückzuführen und meist »gar nicht so gemeint« ist; aber was hilft das? Der einzelne mag ja, wenn er dahinter kommt, versöhnt werden (obwohl ein gewisser Widerwille bleibt), aber das Volk schließt aus dem Aeußeren und lehnt ab, wo es nichts als Ablehnung gewahrt. – Nebenbei: Merkwürdig, daß das nuancenlose Entweder-Oder des preußischen Wesens sich schon in den preußischen Farben, diesem harten Nebeneinander: Schwarz-Weiß ausdrückt. Möge auch das hinzugekommene Rot eine symbolische Bedeutung haben. Denn wenn es die Farbe der Liebe ist, ist es wohl auch die Farbe der Liebenswürdigkeit, und das ist eine Eigenschaft, um deretwillen, wie es die Sympathie beweist, deren sich die Franzosen zu erfreuen haben, viel verziehen wird.)

Für die große, einfache Linie echter Architektur scheint auch in Nizza, wie an der französischen Riviera überhaupt, kein günstiger Boden zu sein. Der geschwollene Reichtum, der hier baut, tobt sich in Geschwollenheiten aus, die auch in glitzerndem Marmor höchst unerfreulich anzusehen sind. Die simpelste Villa in Toskana zeigt mehr Größe und Vornehmheit. Die Medicis, die doch gewiß nicht weniger große Herren waren als die Leute, die sich heute ein Haus an der Promenade des Anglais in Nizza leisten können: welche schöne Zurückhaltung legten sie an den Tag, wenn sie bauten. Hier aber kreischt alles, und es ist ein ewiges Pochen auf das Portemonnaie. Reichtum, der blödsinnig geworden ist, statt Majestät zu werden.

Zum Karneval sahen wir nur die Vorbereitungen: die Ehrenpforte und die via triumphalis des jokosen Prinzen, der auf gewaltigen Plakaten als der gnädige Souverän von Nizza bezeichnet war. Ich fürchte, auch er ist keine echte Majestät von Humors Gnaden, sondern nur ein armer Lohn-Narr, der so tun muß, als sei er vor Uebermut närrisch geworden. Was ist ein Karneval ohne Volk? Kann es sehr lustig zugehen, wo man nach Programm närrisch ist? Ich glaube, daß es auf dem Karneval von Nizza sehr bunt und kostspielig zugeht, aber gar nicht lustig. Ein gemanageter Fasching, – Gott bewahre mich!

So waren wir gar nicht betrübt darüber, diese Glanznummer des Riviera-Ausstattungsstückes entbehren zu müssen, und beschlossen, dafür eine der Stätten zu besuchen, wo sich das Logen-Publikum dieser Vorstellung auf ihren Genuß vorzubereiten pflegt durch Einnahme von Mahlzeiten, die uns ein erfahrener Kenner als »absolut erstrangig« bezeichnet hatte. Nun kann das moderne Adjektivum »erstrangig« einem den schönsten Appetit verderben, aber um so sicherer, schlossen wir, würde es sich dann herausstellen, ob die berühmte Küche des Restaurants du Helder-Armenonville ihren hohen Ruhm verdient. Kein Wort darüber: sie ist eines geschmackvolleren Adjektivums würdig. Nur im Savoy-Hotel in Kairo sind uns Meisterwerke der Kochkunst von gleicher Vollendung aufgetischt worden. Und dabei haben wir uns nicht einmal auf Finessen eingelassen, sondern mit dem ordinären Tagesmenu begnügt. (Denn der Geist der Hybris war aus uns gewichen seit unserm Débâcle in Monte Carlo.) Aber ganz ausgeschlossen vom Genusse des höchsten Raffinements blieben wir doch nicht: wir durften es als Schauspiel genießen. Da es gratis war und ich mir von Unbekannten nicht gerne was schenken lasse, will ich versuchen, es nachträglich in klingender Hexameter-Münze abzubezahlen. Auch widerstrebt der außerordentliche Gegenstand gemeiner prosaischer Behandlung. Und somit: Singe mir, Muse!

Siehe, am Nebentische erschien hochherrlich ein Ober-,
Nein: ein Ueberkellner erschien: ein Cherub im Fracke,
Ganz untadelig schön, gemessen in jeder Bewegung.
Feierlich trug er einher, streng wagerecht haltend die Hände,
Während die Beuge des Armes fest lag am Einschnitt des Leibes,
Silbern ein tiefes Kassrol, bedeckt von knaufiger Stürze.
Dieses Gefäß, lautlos, aufstellte er silbernem Dreifuß,
Brachte dem Weingeist nahe die gelblich weinende Kerze
Und entzündete so die schlangenäugige Flamme.
Wartend, die goldene Uhr in der Hand, stand still eine Weile,
Völlig im Banne des Amts, das ihm Würde verlieh und Trinkgeld,
Gänzlich der Welt entrückt, der Träger des schößigen Frackes.
Nun aber hob er die Stürze und fuhr mit der silbernen Gabel
Sicher hinein in den Bauch der mäßig erhitzten Kassrolle.
Sieh und er brachte ans Licht eine speckumhäutete Schnepfe,
Löste den Speck rund ab und legte den leckeren Vogel
Lind, wie die Mutter das Kind hinlegt auf schimmerndes Linnen,
Rücklings grad vor sich hin und öffnete sicheren Schnittes
Hurtig den Leib des Tiers. Nun wieder die Gabel zu Händen
Fuhr er ins Dunkel hinein und brachte mit spießender Zinke
Blutig Magen und Herz und Lunge und sonst vielleicht noch was
Triefend heraus. Es war, beim Zeus, kein lieblicher Anblick.
Vor sich breitend das Ganze bewarf er's mit reichlichem Pfeffer,
Gab auch Salzes hinzu genügendes Maß und sprühte
Aromatische Säure darauf gepreßter Limone.
Jetzt ergriff er ein Messer und hackte in Stücke der Schnepfe
Würziges Interieur, so daß es ein blutiger Brei ward,
Und vertraute den Brei nochmals dem silbernen Kochtopf,
Wieder entzündend die grünliche Gier des hitzigen Weinsprits.
Aber das übrige auch des unglückseligen Vogels,
Der der Schlinge verfiel, weil allzu lecker sein Fleisch ist,
Ward auf Feuer gebettet in silberner Platte, belegt mit
Buttrig geröstetem Brot. So war ein doppeltes Kochen
Unter dem wachsamen Auge des unvergleichlichen Kellners.
Dieser rückte heran einen Tisch mit vielerlei Flaschen:
Glänzenden Leibern voll Geist, entstanden aus fruchtiger Gärung.
Und zuerst erhob er den dreifach gestirneten Kognak.
Davon weihte ein winziges Glas dem schnepfigen Innern
Höchst bedacht der erfahrene Mann, indes von Madeiras
Süßerem Feuer das doppelte Maß zuführte der Weise.
Und so schmorte in Geist und schmorte in Würze der Blutbrei,
Bis die Kunst es gebot, hinzuzufügen das andre,
Das indessen gediehen zu völliger Gare und braun war.
Zwei Minuten, die Uhr in der Hand, gewährte der Künstler,
Daß das Fleisch sich erfüllte mit Saft und Würze des Mischbreis;
Dann erhob er den Topf und setzte beiseite den Dreifuß.
Und er lüpfte den Deckel; es kam der lange ersehnte
Hohe, sublime Moment, da die Nase genießt. Mit Schweigen
Zoll' ich dem Unsagbaren Respekt und künde nur dies noch:
Hoch auf silbernem Dreizack hielt der Kellner der Kellner
Frei in der Luft das ambrosische Tier und zerlegte es also,
Keinerlei Basis bedürfend, ein Meister auch in der Tranchierkunst.

Wir aber begaben uns, im Bewußtsein, ein Kulturschauspiel genossen zu haben, das auch zu Luculli Zeiten nicht vollendeter in Szene gesetzt und durchgeführt worden sein kann, nach Villafranca zurück, wo wir, bis unser Boot bereit war, einer Schar italienischer Erdarbeiter zusahen, wie sie sich zwischen zwei Steinen in einem eisernen Topfe ihre Polenta kochten.


 << zurück weiter >>