Otto Julius Bierbaum
Yankeedoodle-Fahrt (1)
Otto Julius Bierbaum

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XIV.

Von einem freien Nachmittag; von Blinden; von den Engländern; vom deutschen Buchhandel; von deutschen Kellnern; von schweizer Stubenmädchen; vom Photographieapparate; von Geiern.

Ehe wir Kairo verließen, hatten wir einen Nachmittag frei. Das tat uns wohl, wie Schulkindern, wenn der Unterricht ausfällt. Wir fuhren und bummelten durch die Stadt und die Basare. Dabei fanden wir, daß diese orientalischen Handelsleute garnicht so orientalisch sind, wie wir gedacht hatten. Deutsche Marktfrauen sind im Allgemeinen lebhafter darauf bedacht, Vorübergehende zum Kaufe zu animieren. Die meisten Händler und Handwerker saßen stolz und still auf ihrem Teppich und betrachteten uns mit demselben Kuriositäteninteresse, wie wir sie. Blieben wir stehen, so gaben sie auf Fragen ruhig und mit Würde ihre Antwort. Daß sie etwas vorboten im Preise, ist Landesbrauch. Aber auch das hielt sich in anständigen Grenzen. Ich bin nicht blos in Italien, sondern auch in Deutschland schon mehr geprellt worden als Fremder. Kommt man ihnen, durch Freundlichkeit, etwas näher, so entwickeln sie oft eine reizende Art von Humor. So war ein altes Herrchen, das sudanesische Fliegenwedel und Flechtwaren verkaufte, ungemein drollig in seinem Vergnügen über die Winzigkeit seines Lädchens. Daß die Schuster auch in Kairo Humor haben, wunderte mich nicht; Schuster haben überall Humor. Woher mag das kommen? – Übrigens sind die Saffianschuhe von Kairo Meisterwerke an Leichtigkeit. Ich wünschte, daß ich mir mehr als ein Paar gekauft hätte. Dagegen taugen die orientalischen Parfümerien nichts. – Wir kauften allerhand Kleinigkeiten für sehr wenig Geld und hatten als Zugabe das bunte, amüsante Leben um uns herum. Zum ersten Male begegneten wir hier jenen Gestalten aus dem alten Testament, die man im Oriente immer und immer wieder sieht: den Blinden, die mit ihrem Stabe so ruhig durch das größte Gewühl tasten. Sie sind im Osten überhaupt sehr zahlreich; nirgends aber im dem Maße wie in Ägypten, wo die Augen-Krankheiten so häufig zu sein scheinen, wie bei uns der Schnupfen und in Mexiko die Syphilis. Manchmal war es, als seien mehr Einäugige da, als Leute mit zwei heilen Augen. Die Engländer sollen schon viel dafür getan haben, die Augenleiden zurückzudrängen, und sie haben überhaupt manches getan in der Fürsorge für ihre Schutzbefohlenen, in denen sie bereits britische Untertanen erblicken mochten, aber die Liebe, die sie dafür gewonnen haben, ist doch wohl recht mäßig. Kein Wunder. Was man nicht aus Liebe tut, sondern aus Berechnung, erweckt keine Liebe; kaum Dank. Liebe ist eine Reflexerscheinung; sie beruht auf Gegenseitigkeit. Und die Engländer sind selbst dazu zu stolz, Liebe zu heucheln. Sie geben sich nicht die mindeste Mühe, liebenswürdiger zu erscheinen, als sie sind. Es genügt ihnen vollkommen, Respekt einzuflößen, und dazu haben sie alles Talent. Ihre Haltung ist tadellos: Zurückhaltung, immer von oben herab. Und ihr Blick geht immer aufs Ganze. Sie verstehen durchaus, zu imponieren, ohne die Absicht merken zu lassen.

Bemerkenswert ist, daß noch immer die italienische Sprache von allen fremden die ist, die die Eingeborenen am meisten beherrschen. Dagegen ist das Französische schnell vor dem Englischen zurückgewichen.

Deutschland wird, wie auch sonst im Oriente, am bedeutsamsten durch den deutschen Buchhandel repräsentiert. Die deutsche Buchhandlung in Kairo ist ein imposantes Etablissement. Der Deutsche fühlt sich hier umgeben vom Besten seiner Kultur und der westlichen überhaupt. Das alte deutsche Weltverständnis (das dem deutschen Imperialismus hoffentlich nie zum Opfer gebracht wird!) hat hier sich gleichsam als geistige Macht etabliert. Wenn etwas würdig ist der Förderung durch das Reich und jeden einzelnen Deutschen, so ist es der deutsche Buchhändler, der einen Laden im Auslande eröffnet. Er tritt uns überall als der sympathischste Pionier deutschen Wesens entgegen; immer frei von nationaler Engherzigkeit und stets doch im besten Sinne für das Deutschtum wirkend. Er betätigt sich als Kulturverknüpfer von Metiers wegen. Auch er ist Ausdruck und Folge der deutschen Reiselust, die ich wahrlich nicht bemängeln will, wenn ich karrikierte Äußerungen von ihr mit Abschätzigkeit behandle.

Auch der deutsche Kellner im Auslande ist kein schlechter und wertloser Repräsentant des Deutschtums, und für den deutschen Reisenden bedeutet er überdies eine sehr angenehme Erscheinung deswegen, weil man mit ihm nur so lange englisch zu reden braucht, bis er mit schöner Offenheit erklärt: Mein Herr, ich bin aus Perleberg. Unser Oberkellner im Sayoy-Hotel (es gibt bekanntlich nur noch Oberkellner) hatte in Wien als Piccolo begonnen, sich in London vervollkommnet, in Paris die höchsten Weihen empfangen und fungierte nun im Sommer 1400 Meter überm Meere im Engadin, im Winter aber in Kairo unfern der Wüste. Kein Wunder, daß er ein Mann von Welt war. Aber sein Ideal sah er doch in einem kleinen Gasthause Thüringens, zu dessen Erwerbung ihm nur noch die Trinkgelder der nächsten Engadiner Saison fehlten. »Überall« sagte er mir, »sind die Stubenmädchen aus der Schweiz, die Köche aus Frankreich, die Kellner aus Deutschland.« »Und wie vertragen sich diese Nationen miteinander?« fragte ich. »Ausgezeichnet,« antwortete er, »doch würde das Einvernehmen noch herzlicher sein, wenn nicht alle Stubenmädchen so merkwürdig alt wären.« Dieses Phänomen ist auch mir schon aufgefallen. Es läßt sich nur damit erklären, daß die schweizer Stubenmädchen in ihrer Jugendblüte sämtlich schweizer Gouvernanten gewesen sind. Daher denn auch ihre unnahbare Würde, ihre beklemmende Bildung und ihr resignierter Gesichtsausdruck.

*

Ich habe die Empfindung, längst nicht alles erzählt zu haben, was wir in Kairo sahen. Man vergißt so viel, wenn man photographiert.

Der Kodak ist ein Fluch, von dem man nicht loskommt. Wie oft habe ich es mir schon vorgenommen, ihn zu Hause zu lassen, aber immer wieder baumelte er über der Mitte meines Leibes und lockte mein Auge von den Dingen, um seine Linse daraufzurichten, mit deren Bedienung ich dann so viel zu tun hatte, daß das Leben selber für mich ausgeschaltet war. Wir werden immer mehr zu Sklaven irgendwelcher Maschinen. Es gechieht aus einer Art Gier und Habsucht, die wie Besessenheit ist. Wir möchten mit allen möglichen technischen Mitteln mehr erraffen, als es unsere persönlichen lebendigen Kräfte und Sinne vermögen, und wir werden im Grunde von den toten Apparaten elend beschummelt. Um nur vom photographischen Apparat zu reden (es gilt auch vom Automobil und noch manchem anderen): Er gibt uns zwar ein Bild, das wir schwarz auf weiß nach Hause tragen können, aber dieses Bild hat für uns nicht entfernt die Bedeutung irgend eines Anblicks, den wir mit konzentriertem Augengenuß in uns selber: nicht in einen Apparat, sondern in unsere Seele aufgenommen haben. Und dieses tote Glasauge im schwarzen Kasten beherrscht uns, daß wir ihm wie Knechte dienen müssen. Wir sehen nicht mehr das Ganze, sondern suchen Ausschnitte für seinen Gesichtskreis. Statt uns zu Künstlern des persönlichen Sehens auszubilden, bescheiden wir uns mit einer Ausbildung als Amateurphotographen: wir entziehen uns intensiver (und daher beglückender) seelischer Arbeit unter dem Gesetze einer Trägheit, die lebloses für sich arbeiten lassen möchte und doch zur Dienerin von etwas Totem wird. Es ist ein Stumpfsinn, doch er hat Methode.

Wie sehr ich ihm gefröhnt habe, zeigt auch dieses Buch.

Ein Glück, daß man nicht alles photographieren kann. So z. B. nicht die Geier (oder was für Aasvögel es sind), die über Kairo kreisen als die Hauptbeamten seiner Gesundheitspolizei. Denn sie sind für Kairo das, was für die anderen größeren Städte des Orients die herrenlosen Hunde sind: ihr Magen ist die Abfuhrgrube der Stadt. Ihr Flug über Kairo ist das erste, was dem Fremden auffällt, wenn er sich nähert, und dieses Bild bleibt fest in seiner unheimlichen Symbolik. Es ist aber auch ein schönes Bild, denn es hat etwas feierliches, eine ruhige, hohe Gelassenheit. – Diese großen Vögel (kein Eingeborener tut ihnen etwas zuleide) nisten mitten in der Stadt auf den Sykomoren und anderen Bäumen. Als ich einmal auf der Terrasse von Shephards Hotel saß, sah ich ein Nest mit nackthälsigen Jungen schräg über mir. Nie aber werde ich den von einem jagenden Engländer angeschossenen Geier vergessen, der hinter unserem Nilboot ins Wasser fiel und wild mit den Fängen um sich schlug, während die gelben Nilwellen rot von seinem Blute wurden. Andere seiner Art kreisten kreischend über ihm; ich weiß nicht, ob sie ihn beklagten, oder auf sein Aas warteten. Vielleicht hieß ihr Kreischen: »Herzlichst willkommen.«

Uns winkte dieser gemütvolle Gruß vom Yankeedoodle entgegen, als wir wieder seine Falltreppe emporklettern durften. Die Musik bot gleichfalls all ihr Blech auf, unser Herz mit Heimatswonne zu erfüllen, und das schöne Schiff hatte Flaggengala angetan. Als wir uns aber auf Deck umsahen, fehlte manch teures Haupt. Ein Teil der Passagiere weilte noch, tiefer ins Innere dringend, in Ägypten. Wir waren froh, uns an dieser Expedition nicht beteiligt zu haben, denn schon das Genossene hatte uns genugsam angestrengt. Allein die Strapazen eines allzu heftigen und daher nicht genügend vertieften Genusses hatten doch nicht in dem Maße Abspannung hervorgerufen, daß wir das viele Schöne und Merkwürdige, an dem wir vorübergeeilt waren, nicht mit Dankbarkeit als eine Bereicherung unseres inneren Lebens empfunden hätten.

Wir sagten uns: als Vorbereitung zu einer wirklichen Reise nach Ägypten war diese Exkursion sehr gut, und selbst wenn uns eine solche Reise nicht beschieden sein sollte, dürfen wir immerhin eines dauernden Gefühles der Genugtuung froh sein: denn es bedeutet viel, im persönlichen Augenschein einen Begriff von den ungeheuren Dingen gewonnen zu haben, die eine alte Kultur uns hier hinterlassen hat.


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