Otto Julius Bierbaum
Yankeedoodle-Fahrt (1)
Otto Julius Bierbaum

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II.

Wer auch nur oberflächlich mit der modernen deutschen Literaturgeschichte bekannt ist, weiß, daß ich von schmutzigster Geldgier besessen bin. Im übrigen schwankt mein Charakterbild ja bedenklich: denn, während die einen sagen, daß ich zwar ein ganz passabler Lyriker sei, aber leider auch Romane schreibe, so finden andre, daß ich zwar im Romane gewisse Qualitäten an den Tag gelegt, bedauerlicherweise aber den üblen Ehrgeiz hätte, auch Verse machen zu wollen; und so durch alle übrigen Gattungen der belles lettres durch, mit denen ich mich, immer einigen zum Vergnügen, anderen aber zur Mißlust, abgegeben habe und immerzu weiter noch abgebe. Das einzige, was feststeht, ist, wie ich mich nun hinlänglich überzeugt habe, die felsenfeste Gewißheit, daß ich ein hervorragendes Talent besitze, Schätze zu sammeln. So werde ich als ein zweiter Midas in die holzpapierene Unsterblichkeit eingehen und bin schon jetzt, wie mein phrygisches Urbild, durch Eselsohren entstellt – wobei es dahingestellt bleibt, ob es lauter Apollos sind, die mir zu diesem Schmucke verholfen haben.

Kein Wunder, daß ich manchmal Lust habe, diesem Zustande ein Ende zu machen, der immerhin etwas Peinliches hat. Nichts trägt sich so lästig, wie der Ruf von Talenten und Reichtümern, die man nicht besitzt. Und dann: man kommt sich, auch wenn man ihn nicht verbreitet hat, wie ein Schwindler vor.

Also möchte ich ihn furchtbar gerne wahrmachen.

Und so beschloß ich, in Monte Carlo hundert Franken zu setzen, um zehntausend zu gewinnen.

»Nimm deinen großen Pompadour mit,« sagte ich zu meiner Frau, als der Yankeedoodle sich Villafranca näherte; »wir werden ihn nötig haben.«

»Du willst also wirklich spielen!?« rief sie voller Entsetzen aus.

»Ja!!« sagte ich mit zwei Ausrufezeichen.

Und ich tat mein schönstes Gewand an und setzte den großen grauen Lordshat auf, den ich in Deutschland nicht zu tragen wage, weil er eine Art Nabel hat, nämlich einen Filzknopf zur Kaschierung der Ventilöffnung. Denn es ist ein Hut, den die englischen Lords in Indien tragen, wo es sehr heiß ist.

Auch meine Frau putzte sich so stattlich heraus, wie es dem Umstande angemessen erscheinen mußte, daß wir uns in den wabernden Dunstkreis rollenden Reichtums begeben wollten.

Da hier das »Reisebureau« noch keine Macht über uns hatte (denn den Weg zum Spieltische würden wir, so meinte es nicht ohne psychologischen Scharfsinn, schon selber finden), durften wir, o Glück und Wonne, o Seligkeit, allein gehen. Die Prozedur der Ausbootung, vor der meine Frau auf recht anmutige Art Angst an den Tag legte, während ich nicht ganz so graziös den erfahrenen Falltreppenkletterer spielte, vollzog sich ohne jede Fährlichkeit, obwohl ich, zu meinem nur mühsam verhehlten Mißvergnügen, gezwungen war, mit der Linken den zwar schönen, aber nicht ganz festsitzenden Lordshut zu halten, da ich doch die entschiedene Tendenz hatte, mit ihr Halt am Treppengeländer zu suchen. Aber es ging auch so, und ehe wir's uns versahen, befanden wir uns alle drei: die Frau, der Hut und ich, im Boot. Nervige Arme ruderten uns an die französische Küste. (Das muß ich einmal in einem Romane gelesen haben.) Da diese von Rechts wegen eine italiänische Küste sein sollte, regte sich in meiner Frau die Patriotin, und sie hätte gar zu gerne gehört, daß sich der Mann mit den nervigen Armen zur Italia irredenta bekannt und Verwünschungen gegen die Franzmänner ausgestoßen hätte. Aber es fiel ihm gar nicht ein, Gefühle dieser Art grünweißrot aufleuchten zu lassen, vielmehr sagte er, und noch dazu in einem stark französisch unterwachsenen Italiänisch, sie in Villefranche (!) seien allzumal höchlich zufrieden mit der Pariser Republik, denn der gallische Hahn füttere die Seinen besser als der savoyische Adler.

»Vergogna!« meinte die Toskanerin, gab ihm aber doch eine gute Mancia, wenn auch demonstrativerweise in italiänischer Münze. Worauf der Nervige dann endlich Evviva Italia! rief.

Nach den mächtigen Befestigungen zu urteilen, mit denen die Franzosen den Hafen von Villafranca (das aber nur die Bücher so nennen; die Leute sagen alle Villefranche) umgürtet haben, gedenken sie, dieses schöne Stück Land gewiß nicht freiwillig wieder herzugeben. Auch liegt eine Menge Kriegsvolk dort in Garnison; Alpenjäger, sehr gut aussehende und malerisch uninformierte Leute. Indessen fand die etwas kordial demokratische Art, mit der sie ihre Vorgesetzten grüßen, durchaus nicht den Beifall zweier unsrer Reisegenossen, die, wohl in der Meinung, daß kein Mensch in Frankreich deutsch versteht, recht laut und ungeniert Kritik daran übten, wobei der Ausdruck »schlappe Bande« noch der mildeste war. Mir kam das weder sehr klug vor, noch fand ich es hübsch, habe aber auch im weiteren Verlaufe unsrer Reise noch recht oft die Beobachtung machen müssen, daß unsre Landsleute sich gerne darin gefallen, fremde Sitten, Gewohnheiten, Einrichtungen unter dem Gesichtswinkel des in Deutschland Ueblichen zu beurteilen, zuweilen direkt mit dem Schlußtrumpf: hier sollten wir Ordnung schaffen dürfen! Ob Geibel das gemeint hat, als er ausrief »Und es mag am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen«, scheint mir fraglich, während ich der sehr bestimmten Ueberzeugung bin, daß dieses Wesensmachen vom deutschen Wesen sehr dazu angetan ist, das deutsche Wesen in Mißkredit zu bringen.

Schade nur, daß der schöne Weltverstand, der bisher die Deutschen auszeichnete, verloren gehen muß, wenn dieses Mauldeutschtum, das nachgerade zum Großmauldeutschtum zu werden droht, um sich greift. Ich habe auf dieser Reise nicht viele Deutsche getroffen, auf die das Wort Goethes hätte angewendet werden dürfen, das sonst vom deutschen Geiste gelten durfte: »Der ist nicht fremd, der teilzunehmen weiß.« Und so habe ich mich manchmal gefragt: Warum reisen diese Leute eigentlich? Nur um sich einzuprägen, daß es eigentlich ein Unsinn ist, zu reisen, da es ja doch in Deutschland am schönsten ist? Insofern, als der Deutsche sich auf die Dauer am wohlsten in Deutschland befinden mag, wie jeder andere Mensch in seinem Vaterlande, ist das gewiß richtig. Aber, zu reisen, bloß um das bestätigt zu sehen: welch eine sonderbare Sinnesverkehrung ist das doch! Man geht freilich nicht in die Fremde, um sich der Heimat zu entfremden, aber einen vernünftigen Sinn hat das Reisen doch nur insofern, als es von der Sehnsucht eingegeben ist, zu dem heimisch Schönen sich etwas fremd Schönes einzuverleiben, innerlich reicher zu werden aus den Schätzen der Fremde, indem man an ihnen teilnimmt. Dies scheint aber vielen direkt unmöglich zu sein. Sie sehen z. B. (ich konstruiere hier nicht, sondern gebe wieder, was ich mit eigenen Ohren gehört habe) einen Oelbaum. »Gott, was für ein häßliches Ding ist das!« sagen sie, »da ist doch eine richtige deutsche Eiche was andres!« Man müßte närrisch sein, wenn man das bestreiten oder sich durch einen Oelbaum den Geschmack an einer Eiche verderben lassen wollte, aber nicht weniger närrisch ist es auch (von dem damit bewiesenen Mangel an Schönheitsempfinden gar nicht zu reden), im fernen Syrierlande die deutsche Eiche heraufzubeschwören, um den Eindruck eines Oelbaums zu deklassieren. Es wäre davon, als von etwas schlechthin Törichtem, gar nicht der Rede wert, wenn sich nicht eben eine Art von perversem Nationalismus darin äußerte, ein häßlicher Geist der Selbstzufriedenheit und Ablehnung alles Fremden, das nur noch als kurios, nicht aber als schön anerkannt wird. Diese Art Negation hat etwas Freches, das ganz unleidlich gerade für den ist, der sein deutsches Wesen als Bejahung jeder Schönheit empfindet. Auch ist es gottsträflich dumm, mit also verkleisterten Sinnen auf Reisen zu gehen.

Ein Rosselenker rief uns an, fragend, ob er uns für zwanzig Franken zweispännig nach Monaco befördern dürfte. Mein Lordshut und Madames Spitzenmantel hatten es ihm angetan. Aber es lag uns wahrhaftig ferne, unserm Spielfonds zwanzig Franken zu entziehen. Wir blieben, wie hold er auch lächelte, fest und warteten auf die elektrische Trambahn.

Diese Charakterstärke hätte einen besseren Lohn verdient als den, der uns zuteil wurde. Wir mußten fast eine Stunde harren, bis ein Wagen kam, in dem es noch zwei freie Plätze gab, und zwar Stehplätze. Ich erwähne dies als Beitrag zur Morallehre. Nein, o ihr gutgläubigen Schwärmer, es ist nicht wahr, daß Tugend belohnt wird. Das lüsterne Fleisch fährt zweispännig, und der stoische Wille muß sich von knoblauchduftigen Nizzarden auf den Hühneraugen herumtreten lassen. Aber das ist richtig: hinterher ist die Genugtuung der Tugend groß, die achtzehn Franken für den Spieltisch gespart hat.

Von der Pracht und Herrlichkeit des Kasinoplatzes auf Monte Carlo möge ein anderer handeln. Ich für mein Teil finde ihn allzu prächtig und allzu herrlich. Mir fehlt der Sinn für Pompositäten ohne lebendigen Geschmack. Dagegen habe ich mit Signora recht andächtig und entzückt die Auslagen einiger Pariser Putzmachergeschäfte bewundert. Beim Andenken der verliebten kleinen Müsette! – meine Frau hat recht: diese Pariser »Schurkerinnen« (so heißt in toscano-tedesco das Femininum von Schurke) haben mehr als Talent, haben Genie. Aus ein bißchen Sammet oder Seide, Spitzen oder Tüll, Stroh oder Pelz, mit ein paar Blumen, Schleifen, Rüschen, Federn wirken sie ästhetische Wunder. Diese Hüte haben den Reiz von Improvisationen geistreich geschmackvoller Menschen. Es haftet ihnen nichts vom Geiste der Schwere an, keine Steifheit, keine Absichtlichkeit. Es ist Grazie mit Witz; Esprit, der Phantasie hat; Geschmack, der es bis zur Poesie bringt. Ein fabelhaft sicherer Sinn für Form und Farbe unternimmt die frechsten Wagnisse bis hart an die Grenze des Möglichen, ohne doch je etwas hervorzubringen, das nicht als Kunstwerk von Distinktion wirkte. Selbst das Höchste in der Kunst bringt er zuwege: reine Einfalt ohne Banalität. Wir sahen einen Hut, der eigentlich nichts war als ein umgestülpter Topf aus rotem, weißem und schwarzem Sammet. Es ist ganz unmöglich, zu sagen, warum dieses Ding nicht etwa plump oder komisch, sondern schlechterdings hinreißend schön aussah. Das Geheimnis seiner Schönheit lag wohl darin, daß die Linien seines Umrisses sowohl wie jede Falte des Stoffes von Fingern gebildet waren, die genialer Eingebung des Momentes folgten, nachdem das Ganze zuvor innerlich von der Künstlerin gesehen worden war.

Es begreift sich leicht, daß meine Frau den lebhaften Wunsch hegte, einen solchen Hut zu besitzen, und ich den noch lebhafteren, sie in einem solchen Hute zu sehen. Daß aber ein deutscher Dichter, und er sei gleich, wie ich, noch mehr Geschäftsmann als Dichter, nicht in der Lage ist, seiner Frau ein derartiges Kunstwerk, die Verkörperung des ästhetischen Genies einer traditionell ästhetischen Rasse, zu kaufen, leuchtet ohne weiteres ein.

Unsre Begierde, die Bank von Monte Carlo zu sprengen, wurde zur wilden Leidenschaft. Kaum, daß ich noch Blicke für die eleganten Ambassadricen der Venus von Paris hatte; kaum, daß meine Frau noch Andachtskraft für die Auslagen der großen Schneider aufzubringen vermochte: das Gold läutete uns in seinen Tempel; wir folgten der großen Glocke. (Ich rühre die Pauke des Pathos. Wenn sie ledern klingt – ist es meine Schuld?)

Das Leben in den Spielsälen der Monaco-Aktien-Gesellschaft, deren Dividenden so gewaltig sind, wie es unsre Hoffnung war, sie durch einen phänomenalen Gewinn zu schmälern, ist zum Glück schon so oft und mit so glühenden Farben geschildert worden, daß ich mir die Mühe ersparen kann, ein Gemälde davon zu entwerfen. Ich lasse es um so lieber bleiben, als ich weder die flackernden Augen der verzweiflungsvoll ihr Letztes auf eine Karte setzenden Spieler, noch das müde Lächeln der Verspieler von Riesenvermögen, noch die grausame Verkniffenheit in den erbarmungslosen Augen des Croupiers bemerkt habe. Ich sah es nicht, weil ich lediglich auf die dicken Fünffrankenstücke guckte, die ich, gänzlich unbekannt mit den Regeln des Spieles, irgendwohin setzte, wo gerade Platz war. Ich hörte »Faites votre jeu, messieurs« und »rien ne va plus«; und die Kugeln tanzten; und es roch wie in einem Parfümerieladen. Und das ging eine Weile so hin, bis ich fünfzig Franken verloren hatte und die Stimme meiner Frau vernahm, die da lautete: »Du hast gar keine Ahnung von der Sache. Laß mich machen!«

Sie hatte nämlich, während ich im Interesse unsrer Finanzen rastlos tätig gewesen war, versucht, den Sinn der Figuren und Nummern zu ergründen, die auf dem grünen Tuche zu sehen waren. Und nun fing sie an, mit Ueberlegung zu tun, was ich völlig unüberlegt getan hatte. Mit anderen Werten: ich hatte gespielt – sie: berechnete.

Wenn Fortuna nicht ein ganz albernes Frauenzimmer wäre, das keine Idee davon hat, worin ihr Wesen eigentlich beruht: nämlich im Unberechenbaren, das ich mit dem Instinkte des Schicksalskundigen kühn und groß herausgefordert hatte, so hätte sie meine Frau sofort durch andauerndes Einziehen ihrer Fünffrankenstücke betrafen müssen. Statt dessen bereitete sie ihr den Triumph, sie die fünfzig Franken wiedergewinnen zu lassen, die ich verloren hatte.

Ich wußte nicht, ob ich mich darüber freuen oder ärgern sollte. Denn, wenn es zwar erfreulich war, den Spielfonds wieder beisammen zu haben, so war es doch auch ärgerlich, dies mit einer Einbuße an Autorität zu bezahlen.

Indessen: würdelos, wie man nun einmal wird, wenn man, wie ich, den Sinn auf das Materielle zu richten gewöhnt ist, freute ich mich schließlich doch, indem ich im geheimen hoffte, die verlorene Autorität auf anderem Wege wieder zu gewinnen.

Meine Frau aber setzte mit Ueberlegung weiter. Einmal sogar zehn Franken. Und gewann immerzu. Es kam der Augenblick, wo unser Spielfonds verdoppelt war.

»Siehst du?« sagte sie und lächelte so infam, wie ich es ihr niemals zugetraut hätte.

»Was denn?« entgegnete ich kühl.

»Duecento lire!« erwiderte sie, – der Moment war zu erhaben, als daß sie ihn nicht toskanisch hätte verklären müssen.

»Wenn's weiter nichts ist!?« warf ich verächtlich hin.

Da setzte sie, gereizt und kühn, fünfzig Franken auf einmal.

Ich dachte nicht anderes, als sie sei im Glückstaumel übergeschnappt, und ergriff eines der unheimlichen Schiebestäbchen, den Wahnwitz aufzuhalten, die fünfzig Franken zurückzuscharren. Da krähte der glatzköpfige Croupier aber auch schon los: Rie ne va plus, und die schicksalträchtige Kugel hopste wie besessen in der Roulette.

»Du bist verrückt«, stöhnte ich, von dem Rechte des Ehemanns, grob zu sein, skrupellos Gebrauch machend.

Die Kugel stand still.

Mein Herz auch.

Der Croupier scharrte geschickt und gelassen die Unglückshäufchen von Fünf- und Zehnfrankenstücken zu sich heran, denen die Kugel Pech gehopst hatte.

Gleich wird ihr Häufchen auch beim Teufel sein, dachte ich mir und verfluchte den weiblichen Leichtsinn.

Da: ping, ping, ping, ping ließ er Goldstücke auf das Häufchen regnen; lauter Napoleondors; eine unglaubliche Menge.

In diesem Momente bewies meine Frau wahre Seelengröße.

Sie machte, ruhig, als sei es ihr ein gemeiner Anblick, Goldstücke dutzendweise um sich zu versammeln, ihren Pompadour auf, kramte darin herum, als suchte sie etwas, entnahm ihm ihr Taschentuch, wischte sich am Näschen, legte das Tuch hinein, placierte den geöffneten Silberbügel des Pompadours am Rande der Tafel und ließ mit unglaublich gut gespielter Gleichgültigkeit, den Goldstrom hineinplätschern.

Dies getan, stand sie nicht ohne Majestät auf und sagte zu mir: »Ich glaube, unsre letzte Trambahn muß gleich abgehn.«

Es ist unglaublich, aber nichts als die reine Wahrheit: sie wollte sich mit ihrem Raube auf den Yankeedoodle zurückziehen.

»Wir haben genug«, erklärte sie. »Ich weiß nicht, wieviel ich gewonnen habe, aber: es ist genug. Wenn ich jetzt weiter spiele, verliere ich.«

Ich hatte die dunkle Empfindung, daß sie recht hatte; daß sie wirklich die Stimme des Schicksals in sich vernahm: daß es also vernünftig war, was sie sagte. Und ich wollte sie schon am Aermel nehmen und mit ihr fortgehen – direkt zu dem himmlischen Hute drüben.

Da ging ein Rauschen durch den Saal, ein Flüstern, das zu einem Surren von Stimmen wurde, und ein Rascheln von vielen, vielen seidenen Frauenkleidern.

»C'est Théodore!« hörten wir rufen. »Théodore! Théodore! Cinquante mille! Soixante! Théodore!«

Wir sahen uns um und genossen den Anblick von gut drei Dutzend aufgeregter Damen verschiedenen Alters, aber gleichen Metiers, die, Eisenfeilspänen gleich, wenn der Magnet sie in seine Sphäre gezogen hat, allesamt auf einen Punkt zuschossen: in den Nebensaal zu einem anderen grünen Tische, wo ein unangenehm schöner junger Herr stand, durchaus und ausschließlich damit beschäftigt, Tausendfrankennoten in ein enormes Portefeuille zu stopfen.

»Redner wird beglückwünscht,« sagte ich zu meiner Frau.

»Glaubst du wirklich, daß er fünfzig-, sechzigtausend Lire gewonnen hat?« sagte sie.

»Nach der Ovation zu urteilen, die ihm Fortunas Kusine, die eifersüchtige Venus, bringt, gewiß. Du kannst dich darauf verlassen, daß er diesen Tag nicht als Einsiedler beschließen wird«, sagte ich.

»Diese Unanständigkeiten interessieren mich garnicht«, sagte sie.

»Ich finde es gar nicht unanständig, sechzigtausend Franken zu gewinnen, und bin jeden Augenblick zu der gleichen Unanständigkeit bereit«, sagte ich.

»Ich auch«, sagte sie, und ging in den Nebensaal zu dem anderen grünen Tische.

Sie hatte es sehr bald heraus, daß es dort in Einsatz, Gewinn und Verlust erheblich anders kleckte, als bei unsrer zahmen Roulette.

»Ich glaube,« sagte sie, »wir versuchen es einmal hier.«

»Aber«, sagte ich, »ich denke, du hast kein Glück mehr?«

»Dort!« sagte sie; »hier ist es etwas anderes. Wie du siehst, muß man hier mindestens zwanzig Lire setzen.«

Ich sah ein, daß das in der Tat etwas ganz anderes war, und erhob keinen eheherrlichen Einspruch. Nur machte ich zur Bedingung, daß auch ich in Théodores Spuren wandeln durfte.

»Doppelt genäht hält besser, weißt du . . .«

»Ja, wenn du nur eine Ahnung vom Nähen hättest.«

»Ich? Bitte: Im Trente et quarante habe ich vor zehn Jahren einmal zweihundert Franken gewonnen.«

»Und sie wieder verloren, weil du nicht zur rechten Zeit aufhörtest.«

»Aber heute habe ich zwei große Beispiele vor mir: dich und Théodore.«

»Wenn du mir versprichst, aufzuhören, sobald du fünftausend, – nein: viertausend, – nein: wenn du dreitausend Franken gewonnen hast . . .«

»Selbstredend.«

Sie ließ mich einen Griff in den Pompadour tun, und ich begab mich mit einer Faust voller Goldstücke zur anderen Seite des Tisches.

Ich war wirklich vom Glück begünstigt: eben, als ich erschien, stand eine dicke Dame auf und fluchte etwas polnisches.

Hast du verloren, mein Täubchen, dacht ich mir, so ist die Wahrscheinlichkeit um so größer, daß ich auf diesem Platz gewinnen werde.

Ach, – ich bin immer ein schlechter Mathematiker gewesen: auch diese Wahrscheinlichkeitrechnung stimmte nicht.

Andere Leute gewinnen wenigstens anfangs und verlieren das Gewonnene nur infolge ihrer Willensschwäche, weil sie nicht aufzuhören wissen und blind und blöde die Schwelle überschreiten, die aus dem Gewinnen ins Verlieren führt: ich aber verlor von Anfang an, unaufhörlich, immerzu, ohne Unterlaß und Unterbrechung.

Da ich von Mal zu Mal die Einsätze verdoppelte, ging es sehr schnell; ich darf wohl sagen: rapid. Die Sache hatte nicht den mindesten psychologischen Witz. Es war eine ganz blödsinnige Wiederholung von Niederträchtigkeiten.

Angeekelt von einem Schicksal, das keine Nuancen kennt, schob ich den Stuhl zurück, aufzustehen. Es blieb mir auch nichts anderes übrig, denn nicht der Schatten eines Napoleondors war mehr in meinem Besitze.

Ich hörte im zermarterten Geiste bereits die Reprimanden von Madame und trug Bedenken, mich der großen Gewinnerin zu nähern, als ich, aufstehend und mich umwendend, sie mir gegenüber sah.

Ich senkte den Blick.

Als ich ihn erhob, sah ich, daß der ihrige noch nicht den Mut aufgebracht hatte, sich zu erheben.

Ich wußte genug.

»Hast du noch Geld zur Trambahn?« fragte ich.

»Wir können sogar noch Abendbrot essen«, sagte sie, »und ein paar Ansichtspostkarten wegschicken.«

»Es gibt welche mit Schmähungen auf Albert I., Honoré Charles, Fürsten von Monaco«, sagte ich.

»Die nehmen wir«, sagte sie.


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