Otto Julius Bierbaum
Yankeedoodle-Fahrt (1)
Otto Julius Bierbaum

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XIII.

Vom Nilschlamm und seinen Produkten; von meinem Mangel an Humor; vom Sandmahlen; von Ramses-Guliver; von Memphis; von meinem Freund Bartels und anderen Heiligen; von einem lustigen Geheimrat; von meinem Egoismus.

Die großen Flüsse waren in früheren Zeiten den Menschen viel mehr als heute. Sie waren ihnen so viel, daß man ihnen göttliche Ehren erwies, sie zu Göttern versinnbildlichte, und heute noch haben Namen, wie Rhein, Donau, Wolga einen besonderen Klang. Es tönt aus ihnen Dank, Ehrfurcht, Bewunderung. Kein Name aber hat mehr Majestät, als der des Stromes von Ägypten. Der Nil. Er ist auch heute noch nicht bloß die Lebensader Ägyptens: er ist die Lebensquelle des Landes, das überall Wüste ist, wohin sein Schlamm nicht reicht.

Millionen Menschen haben diesem Strome gedient, haben ihm gehuldigt als dem großen Lebensbringer, und er hat auf seinem Schlamme eine Bildung erstehen sehen, die uns nicht nur durch ihr Alter ehrwürdig ist. In diesem Schlammboden lagen die Keime auch unserer Kultur und wurden Frucht. Wie alle Erde ist er mit Schweiß und Blut gedüngt worden, und er hat ebensoviel Leben gefressen wie geboren.

Vielleicht ist die alte Weisheit der Ägypter so tief und reich, weil sich diese Menschen ihrer Herkunft aus dem Schlamm so deutlich bewußt waren. Sie mußte zur Mystik werden, mußte Götter bilden, weil das unbegreiflich Wunderbare der Lebensentstehung hier so augenfällig und in so kolossalem Maßstabe vor sich geht, und immer Tod und Leben: Wüste und Nilschlamm dicht beieinander liegen. Man mußte glauben, d. h. dichten, um sich neben dieser Macht zu behaupten. Aus demselben Grunde baute man hier so kolossal und gleichsam für die Ewigkeit: aber immer in Symbolen und ausschließlich Werke von allgemeiner Bedeutung. Was dem gewöhnlichen Menschendasein diente, wurde in vergänglichstem Material nur eben zur Not ausgeführt, aber die Bauten, die Göttliches repräsentieren sollten, die Tempel und Staatsgebäude, türmten sich in ungeheueren Quadern. Desgleichen wurden für die Toten die allerfestesten Kammern gemauert und die Leichen selber mit unglaublicher Kunst konserviert. Das sieht fast wie Trotz aus. Auf alle Fälle ist es Ausfluß einer ungeheueren Entschlossenheit, Menschliches als das Bleibende im ewigen Wechsel zu stabilieren. Sie wollten durchaus nicht wieder zu Dreck werden, diese merkwürdigen afrikanischen Menschen, die doch den Dreck als heilig erkannten: als Lebens-Herkunft. (Und wem haben sie ihre Mumien aufbewahrt? Den Museen, d. h. den Gaffern und Gelehrten. So kommt Hochmut vor dem Fall.)

Geilheit und Öde umgab sie in schroffem Kontrast; sie sahen zum Himmel empor und ahnten Gesetze unabänderlicher Gewißheit. Das Rechnen, das sie vom Nile gelernt hatten, wandten sie auf die Gestirne an. Aber alles wurde ihnen göttlich, denn sie waren noch keine Gelehrten, sondern Weise, und also waren sie Dichter. Aber sie waren auch Priester, und aus Priestern kommen immer Pfaffen. So wurde aus der Weisheit und Poesie ein wirres Gewusel von bestioformen Göttern: eine ungeheuerliche Groteske (die Religion als Ueberbrettl.)

Amenhotep IV. fand diese Menagerie unwürdig und erkühnte sich, zu befehlen, daß nur ein Gott sei: Aten, die Sonne. Ihr (die hier unten dem doppelten Namen Re und Atum angerufen wird) galt der schöne Hymnus:

Anbetung dir, o Re, beim Aufgang, Atum beim Untergang!
Du gehst auf, du gehst auf, du strahlest, du strahlest
Mit feuchtender Krone, du König der Götter
Des Himmels, der Erde Herr bist du.
Du bist der, der die Sterne da oben, die Menschen hier unten schuf.
Du bist der einzige Gott, der war schon zu Anfang.
Länder ließest du werden, und Völker hast du geschaffen.
Du hast die Wasser der Feste, hast den Nil uns erschaffen.
Alle Gewässer hast du geschenkt und Leben dem, das darin ist.
Du warst, der der Berge Ketten verband und Menschen und Erde ließ werden.Ich entnehmt die Verdeutschung dem schönen Werke von Svante Arrhenius »Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten« (Leipzig. Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. – der ich auch das Bild des Sonnengottes verdanke.)

Aber es war (um 1400 vor Christus) zu spät. Das Volk liebte bereits sein Spielzeug und wollte nicht von seinem heiligen Tiergarten lassen. Schon Amenhoteps Nachfolger mußte von sich sagen: »Ich muß die Kniee beugen vor Göttern, die ich verachte.«

Auf so nachdenkliche Dinge führt eine Fahrt auf dem Nil, dessen Gottheit sich die Aegypter als doppelgeschlechtliches Wesen dachten: mit Bart und Frauenbrüsten und blauhäutig. (Schöner ist der Gedanke, daß das Steigen des Nils von einer Träne der Isis herrührt. Denn es hat viel für sich, zu glauben, daß Götter weinen müssen, um Menschen glücklich zu machen. Das Christentum ruht ja auch auf dieser Vorstellung.)

*

O ihr grundgütigen Leser. Verzeiht diese hartgesottene Einleitung! Man fährt nicht ungestört zwischen Palmen auf dem Nile mit einer Yankeedoodlegesellschaft. Denn diese ist so unendlich fidel, daß man notgedrungen an das Variete der lieben alten ägyptischen Götter denken muß, die ganz gewiß unsterblich sind, obwohl sie schon König Ai, des direktionslosen Amenhotep Nachfolger, verachtet hat. Hei, was für Witze habe ich auf dem Nil genießen dürfen! Ein wahres Feuerwerk prasselte auf, als wir an der Stelle vorüberkamen, wo die Legende will, daß Moses in seinem Körbchen von der Tochter des Pharao gefunden worden ist. Wie oft mußte ich mir da sagen, daß ich ein grundhumorloser Mensch bin. Kein Wunder also, daß ich traurig wurde.

Ja, mir war sehr ernsthaft zumute. Nicht einmal die Wettfahrt erheiterte mich, die unser Yankeedoodleboot mit dem Cook-Dampfer veranstaltete, der Miene machte, vor uns am Ziele anzukommen. Und dann hätten die Cook-Engländer uns die besten Esel weggegrabscht. Es war gewiß gut, daß diese Absicht der Konkurrenz vereitelt wurde, aber eine nationale Angelegenheit war es doch eigentlich nicht.

Der Nil war nur von wenig Booten belebt mit seltsam schräg gestellten Segeln an dünnen gebogenen Stangen. Genau die selben Segel haben wir später auf alten ägyptischen Malereien abgebildet gesehen.

Immer wieder kamen wir an Schöpfwerken vorbei, – gleichfalls den selben, die schon die alten Ägypter hatten: von Stieren bewegt, die mit verbundenen Augen im Kreise schritten.

In der Ferne Palmenpflanzungen; an den Ufern wasserholende Frauen. Manche tragen statt der alten schönen Gefäße moderne Conservenbüchsen aus Blech auf dem Kopfe. Einmal kamen wir an einem Gefängnis vorbei. Sträflinge mit Ketten an den Füßen schleppten Steine. Das hat der heilige Nil wohl am oftesten gesehen. Mühsal mahlt im gleichen Takte . . .

An unserem Bestimmungsorte angelangt, empfing uns eine kleine Armee von Eseltreibern mit ihren schönen Tieren. Ich hatte mich leider entschlossen, einen Sandwagen zu bestellen, da ich meine Erfahrungen mit dem Esel von Giseh nicht wiederholen wollte. Ich wäre gescheiter gewesen, wenn ich mutiger gewesen wäre. Die Fahrt im Sandwagen war eine Tortur, weil das Pferd nicht imstande war, das schwere Gefährt mit zwei Personen zu ziehen (denn außer mir fuhr noch eine Dame von gleichfalls beträchtlicher Leiblichkeit mit). Daß ich zuweilen im Wüstensande laufen mußte, war nicht weiter schlimm, aber die Qual der vierbeinigen Kreatur mit ansehen zu müssen, war schauderhaft. Dafür entschädigte mich das Vergnügen, das meine Frau am Eselreiten hatte, und der Anblick, den sie dabei bot. Sie hatte einen der hübschesten und stärksten Esel erwischt, der eigentlich Moses hieß, ihr zu Ehren aber von seinem Führer Kaiser Wilhelm genannt wurde. Dieser Führer war ein hübscher Kerl und hieß Hassan. Daß er etwas italienisch sprach, erwarb ihm die Sympathie meiner Frau, aber daß er zu der in Ägypten weitverbreiteten Zunft der Pizzicatori gehörte, die es lieben, ihre Hände mit weiblichen Körperteilen in Berührung zubringen, wo sich nicht alle Damen von jedermann betasten lassen, brachte ihm einige Male Namen aus der italiänischen Zoologie ein, bis er diese Vertraulichkeiten ließ. Dafür erklärte er dann unablässig, meine Frau sei »kolossal«, wollte damit aber nicht sagen, daß sie riesig, sondern daß sie überhaupt etwas besonderes sei, denn er hatte das Wort von Deutschen aufgeschnappt, die ja wirklich gerne »kolossal« sagen, wenn sie Bewunderung ausdrücken wollen. Natürlich sagt er das gewohnheitsmäßig zu jeder Dame, die jeweils auf seinem Moses sitzt. Warum auch nicht? Auch wir sagen ja zu jedermann »Herr« und versichern alle Welt schriftlich einer Hochachtung, von der wir sogar voll zu sein vorgeben.

Wir ritten also (ich mahlte) zur Wüste Sarkarah. Bald kamen wir durch Palmenwälder, bald ging's durch Sand und Sand und nochmal Sand, zwischen enormen Kaktusstauden. Ich sagte eben: Palmenwälder. Das ist eine Übertreibung, insofern man sich unter Wald das vorstellt, was bei uns so heißt. Palmenanpflanzungen wäre richtiger gewesen. Es sind Kulturen, und jede Palme ist in den Steuerlisten Ägyptens numeriert. Trotzdem haben diese Versammlungen von Palmen mitten in der leeren, riesigen Ebene etwas Schönes, fast Heiliges. Da die Palmen weit auseinander stehen, kann von einem dichten Schatten nicht die Rede sein. Vielmehr sieht man das Schattenbild jedes einzelnen Baumes klar und scharf auf dem sandigen Boden. Das gibt einen sehr sonderbaren Anblick.

Die erste Rast machten wir an der Kolossalstatue des zweiten Ramses, die es längst vorgezogen hat, sich lang hinzulegen, statt aufrecht dazustehen. Da unsere Zeit in der Dramatik die horizontalen Helden liebt (wie Franz von Königsbrun-Schaup G. Hauptmanns »Männer« nennt), würde eine Abbildung dieses liegenden Königs als Kapitelleiste über den Aktanfängen moderner Theaterstücke ein recht sinniger Buchschmuck sein. Noch sinnfälliger symbolisch wirkte der Anblick auf mich, den ich hatte, wie ich als Letzter der Karawane in meinem Sandwagen ankam: die ganze Yankeedoodlegesellschaft stand und saß auf dem steinernen Riesen und ließ sich photographieren. O Gulliver! – Die andere Riesenbildsäule desselben Herrschers liegt überdacht da, und man kann auf Treppen an ihr herumkriechen.

Erstaunlicherweise wurden hier keine Ansichtspostkarten verkauft. (Oder waren sie schon vergriffen, als ich ankam?) Dafür liefen Beduinen mit kleinen Mumienfiguren herum, für die sie 10 Franken verlangten, um sie schließlich für einen herzugeben. Es sind brillante Imitationen der Holzpuppen, die, wenn ich nicht irre, mit Kinderleichen begraben wurden. Ich habe sie, naiv wie ich bin, lange Zeit für Holz gehalten, bis mir einmal eine zerbrach und es sich herausstellte, daß sie aus gebackenem Dreck besteht. Seitdem ist sie mir noch wertvoller, denn nun habe ich etwas Nilschlamm im Hause.

Unweit der Ramsesstatuen beginnen die Ruinen der Stadt Memphis. Ruinen? Wo denn? Unser Freund Knofelduft, der uns auch hierher begleitet hatte, aber selten zu sehen war, weil sein Trupp nicht zusammenhielt, preschte auf seinem Esel an mir vorüber, machte eine gewaltige Armbewegung und rief pathetisch: »Memphis!« »Wo denn?« schrie ich. »Überall!« rief er. »Wir reiten durch Memphis mitten durch!« Und er hatte noch die Güte, einige Angaben über die Millionenzahl der Einwohner dieser alten Hauptstadt Ägyptens für mich fallen zu lassen. – Also: wir ritten durch »Memphis« mitten durch, aber von einer Stadt war nicht mehr zu sehen, als auf einem riesigen Kartoffelacker. Hier hat der Zahn der Zeit gründliche Arbeit getan. Nur von dem Tempel des Weltengottes Ptah sollen Trümmer übrig sein. Ich habe nichts davon gesehen. Aber ich bin »durch Memphis durch«geritten und habe der Worte gedacht, die Horatius an seine Leuconoe gerichtet hat: . . . carpe diem! Quam minimum credula postero! Zu deutsch etwa: Pfeif auf die Zukunft, Schatz. Nimm, was du hast!

Kurz hinter »Memphis« mußte ich mich von meiner Frau trennen, die mit der Eselkarawane weiter galoppierte, während ich, der mit Recht bestrafte Sybarit, in meinem Sandwagen einsam einen kürzeren Weg dahinmahlen mußte, denn das arme, kranke Pferd konnte kaum mehr. (Nie vergeß ich sein Röcheln.)

Was meine Frau gesehen hat, hat sie in einem Brief sehr hübsch beschrieben. Ich setze diese Stelle hierher: »Ich kam durch einen entzückenden Dorf von Beduinen. Die Frauen saßen vor den Türen und bereiteten das Essen für ihre Männer, die sicher im Feld arbeiteten.« (Oh du Idealistin! Diese Beduinen arbeiten nie. Sie nähren sich als Eseltreiber und Pizzicatori.) »Kleine Kinder mit dünnen und zerlumpten Hemdchen, aber Armbänder an den Fußgelenken« (Armbänder an den Fußgelenken? Holla, Madame, Logik! Aber nein: man sagt ja auch: ein silbernes Huf eisen. Ich nehme alles zurück!) »schreiteten wackelnd von Frau zu Frau und erlaubten sich auch mit den Händchen, die sicher zweimal schwarz waren, in den Schüsseln herumzusuchen. Von den Frauen sah ich, leider, wieder sehr wenig, aber die Augen lachten immer, wenn man ihnen freundlich zunickte« (und das tatest du gewiß!). »Man konnte auch manchmal einen Teil der Brust sehen, denn fast alle Weiber hatten ein kleines Kind. Aber die Brüste waren Flaschen. Das ist die Rasse.« (Ich hüte mich, zu widersprechen) »Komischerweise war ich immer sehr beliebt bei den Schwarzen« (darin finde ich gar nichts Komisches) »und mein Hassan war sehr stolz darauf« (ich wäre es auch gewesen) »und machte seine Schwestern« (Schwestern? das kenn ich) »auf mich aufmerksam, indem er sagte: ›Sehr gute Madam, sehr schöne Madam‹. Er wollte nur die Räder schmieren für den Bakschisch« (Sehr kluge Madam!) »Wir verließen das Dörfchen und kamen durch Felder, auf denen herrliches fettes Gras wuchs, endlich auf eine Hochfläche: ›das Totenfeld von Sakkarah‹. Vorher aber mußten wir auf einen Bahndamm hinauf.«

Dort trafen wir uns und hatten gemeinsam einen Anblick wie aus der Zeit der Pyramidenbauten, der nicht zu meinem Zweifel an der Arbeitsfreude der Beduinen zu stimmen schien. Denn wir sahen große Karren, bepackt mit enormen Säulen (eben entdeckten Altertümern, die nun für das Museum in Kairo bestimmt waren), durch Menschenkraft auf Gleisen gezogen und geschoben. Vorn lagen die braunen Kerle in den Seilen, hinten wuchteten sie mit dem ganzen Leibe gegen den Wagen, aber die vorderen wie die hinteren sangen zu ihrer Plage, die am Ende nicht so groß war, wie sie aussah. Es waren aber keine Beduinen.

Die Sonne brannte wie durch ein großes Vergrößerungsglas; die Strahlen sprangen uns gleichsam vom Sande her wie Pfeile ins Gesicht. Aber sonderbar: diese Hitze tat mir nichts. Je weiter ich nach dem Süden komme, je mehr Hitze kann ich vertragen.

Hirten badeten ihre Schafe in einem Teiche. Ein Zeltlager war in einer Palmenlichtung zu sehen. Vor uns lag endlos Sand und Sand und immer wieder Sand: gleißend, flimmernd. In der Entfernung ragten wie Schemen, gelbrosa, ein paar Pyramiden auf: körperlos, ganz nur farbige Erscheinung. Und der Himmel schien eher weiß, als blau. Hier allein, und ich würde mich nicht wundern, wenn Engel vom Himmel stiegen und mit mir in fremden Zungen redeten, die ich plötzlich verstünde. Ja, wenn der alte böse Judengott selber käme, in einem weißen Burnus, sonst aber ganz wie Hermann Bahr (letzte Allüre) aussehend, und spräche mich hebräisch an: ich wäre gar nicht erstaunt und würde antworten wie ein Rabbiner. (Himmel: wenn das mein guter Freund Bartels liest! Dann wird seine Liebe zu mir keine Grenzen mehr haben. Denn er wird endlich merken, daß ich wirklich ein Judensprößling bin. An mein Herz, Alfred, holdester aller Germanen. Ich glaube zwar, daß du übel riechst, aber deine Seele ist rein, seitdem du das Dichten gelassen hast. Oh, liebe mich weiter und höre niemals auf, mich zu lieben! Du bist mein Labsal, Alfred; glaub es nur! Die zwanzigste Auflage des Prinzen Kuckuck werde ich dir widmen und keinem andern. – Doch mein Gefühl überwältigt mich. Ich muß die Parenthese schließen, mit der ich meinen Bartels umklammert habe, und zu den heiligen Ochsen kommen.)

Doch nein: Vorher besuchten wir das Grab des Ti. Dieser Mann war ein Wirklicher Geheimrat, Exzellenz. Aber das ist schon lange her. Ich glaube 4000 Jahre. Die Bilder aber, mit denen er seine Grabkammer hat ausschmücken lassen, leuchten in so frischen Farben, daß jeder verständige Antiquar sie erst in ein Kaffeebad tun würde, um ihnen den Reiz von echten Altertümern zu geben. Man sieht auf ihnen, wie lustig Herr Ti gelebt hat. Er aß gerne Gänsebraten und liebte es, nackte Mädchen vor sich tanzen zu lassen. Auch mußten diese, zu seinem, wie zu ihrem Pläsiere, auf einander reiten und dabei Ball spielen. Ti war ein raffinierter Geheimrat.

Nun gelangten wir zu den Apis-Gräbern. Jeder Besitzer eines Konversations-Lexikons weiß, daß man bei den alten Ägyptern für heilig gehalten wurde, wenn man ein weißer Stier mit einem schwarzen Stirnfleck war. Aber, während es die christlichen Heiligen zu Lebzeiten meistenteils recht schlecht hatten, wurden die Apisse auf jede Weise verwöhnt. Daß sie neben dem Könige wohnen durften, war ihnen am Ende gleichgültig, und auch für die dargebrachten Weihgeschenke aus Gold und Silber und Edelstein hatten sie wohl wenig Sinn; eher behagte ihnen gewiß das auserlesene gute Futter, das ihnen von schönen Mädchen serviert wurde, aber das schönste und ganz nach ihrem Geschmack war, daß man ihnen einen Harem aus den feistesten Kühen des Landes gab. Nur an Bewegung wird es ihnen gefehlt haben, und es wird ihnen vermutlich verwehrt gewesen sein, zu raufen, und das ist doch wohl die stiermäßigste aller Vergnügungen. Item: Ganz vollkommen war auch die Wollust dieser Existenz nicht. Dafür wurden sie nach ihrem Tode einbalsamiert und auf eine Weise begraben, über die sich heute noch die Menschen den Kopf zerbrechen.

Auch ich wollte mir Gedanken darüber machen, aber die Hitze in diesen Stiergrabkammern war so ungeheuer, und das Gedränge von einer Unzahl flüsternder Menschen in den engen Gängen so unangenehm, und ich wurde so oft von den Wachskerzen meiner Genossen bekleckert, und der Vortrag unseres Dragomans über das Rätsel: Wie die riesigen Granitsärge hier herunter gekommen sein mochten, knofelte so stark, daß ich fluchtartig das Weite und Helle suchte. Ich glaubte, blind zu werden, wie ich an das Tageslicht kam; noch mehr überraschte es mich aber, daß die vorher als brennend empfundene Sonnenhitze mir plötzlich wie Kühle erschien nach der Backofentemperatur da unten. Heiß wie in den Apisgräbern: das ist der Superlativ von Hitze.

Wir ritten (ich mahlte) zurück. Zum Glück durfte ich den Wagen tauschen. Jedoch nahmen es mir meine dänischen Freundinnen sehr übel und legten es als preußisch-deutschen Egoismus aus, daß ich ihr gesundes Pferd für uns (meine beleibte Begleiterin und mich) requirierte und unserem kranken Gaule wenigstens die Erleichterung verschaffte, daß er die geringere dänische Last zu schleppen hatte, aber ich wußte mich mit dem Gedanken darüber wegzutrösten, daß auch sonst anständige Handlungen der Rücksicht auf andere Wesen als Eingebungen der Selbstsucht bei mir ausgelegt worden sind. Schließlich kommt es doch immer auf die Sache und nicht auf die Auslegung an. Und: wer Verkennungen nicht auf seinen Buckel zu nehmen vermag, ist schwach im Rückgrate.

Kurz bevor wir die Einschiffungsstelle erreichten, lief ein reizendes Beduinenmädchen mit erstaunlicher Ausdauer neben unserm Wagen her, unablässig »Bakschisch« auf eine so süße, suggestive Art flüsternd, daß ich gemein genug war, sie das sehr lange tun zu lassen, nur um den Genuß des Hörens länger zu haben. Sie kriegte dafür doppelt, und ich bereue meine Schändlichkeit garnicht, denn noch heute höre ich dieses wundersame holde Gezwitscher.

Noch ein kurzer, aber heftiger Kampf mit Kutscher und Eseltreiber wegen des Lohns, dann gingen wir an Bord unseres Dampfbootes.

Die Heimfahrt war schöner, als die Herfahrt, denn die Genossen und Genossinnen unserer Wüstenwanderung waren etwas müde und darum weniger laut und lustig, Auch war es frisch geworden, und das tat wohl.

Abends fielen mir ein paar Verse ein:

Klein Moses lag im Binsen-Korb
Und schwamm den Nil hinunter.
Ihn fand die Tochter Pharaos
Und nahm ihn, als ein Spielzeug blos,
Und päppelte ihn munter.

Wär auf der andren Seite er
Des großen Nil geschwommen:
Die ganze Weltgeschichte wär,
Wer weiß wohin, die kreuz und quer:
Anderswohin gekommen.

Denn, wenn kein Mann sie führt,
So läuft die Menschenherde
Ins Ungewisse, Irre. Nur
Der Genius erkennt die Spur
Der Gottheit auf der Erde.


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