Otto Julius Bierbaum
Yankeedoodle-Fahrt (1)
Otto Julius Bierbaum

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VII.

Kurz nachdem ich die große Zuckertüte erhalten hatte, mit der in der mythologischen Aera meiner Kinderjahre vor 1870 der erste Schulgang versüßt zu werden pflegte, war ich Zeuge eines ungeheuren Jubeltrubels, in dem die Stadt Leipzig sozusagen symbolisch ihr Teil an der großen Reichszuckertüte in Empfang nahm: worauf dann der schwere politische Schulgang des deutschen Volkes begann, der jetzt bis zu der rigorosen Maturitätsprüfung mit dem Thema Weltpolitik gediehen ist. Ich war sechs Jahre alt und hatte an den kriegerischen Errungenschaften nur insofern teilgenommen, als ich, wie alle anderen Leipziger Jungen, fleißig mit den französischen Kriegsgefangenen »kaupelte«. Für eine Tasche voll Dreier, die ich meiner guten Mutter abgebettelt hatte, war ich in den Besitz eines französischen Soldatenkäppis gelangt, das mir zwar bis über die Ohren herunterrutschte, mich aber doch viel forscher dünkte als die schöne schottische Mütze mit Flatterbändern, die ich nach der damaligen Jungenmode sonst trug: natürlich schief sitzend, denn, wie es damals hieß: schief ist englisch, und englisch ist modern. Nun aber durfte ich als Zuschauer auch am Allgemeinen der Siegeslust teilnehmen. »Einzug der siegreichen Truppen«: das Wort rauschte durch den Tag wie die schwarzweißroten Fahnen, die aus allen Fenstern hingen. (Uebrigens habe ich es nicht in der Erinnerung, daß die Straßen Leipzigs, durch die der Siegeseinzug damals ging, mit demselben Aufwand von Goldgewinden und Triumphpforten so pompös dekoriert waren wie die Straßen Wiesbadens vor drei Jahren zum Einzuge Kaiser Wilhelms II., der sich in der Stadt der heißen Quellen nicht von Siegen, sondern von einer Reise auszuruhen kam. Angesichts dieser Via triumphalis ohne triumphale Ursache habe ich mich damals gefragt, was den guten Wiesbadenern wohl zu tun übrig bliebe, wenn es einmal gilt, wirklich einen Triumph zu feiern. Vermutlich werden sie sich dann allesamt persönlich vergolden lassen.) Alle Welt war aufgeregt und begeistert. Das ging aus dem Gebrause hervor, das in meine Welt drang, deren Mittelpunkt mein Vater war: gewiß der aufgeregteste und begeistertste von allen. Er hatte Biertonnen vor sein Haus rollen und Bretter darauflegen lassen, und auf dieser Tribüne erwartete er mit meiner Mutter und mir und seinem gesamten »Personale« die Sieger. Jeder von uns war mit Eichenkränzen bepackt. Ein kleines, dickes Küchenmädchen Namens Ida (sprich Idda) stand überdies in einem Wäschekorbe zwischen aufgehäuften Eichenlaubgewinden, die zur Reserve bestimmt waren Ich erinnere mich noch deutlich, daß es unablässig das Lied summte: »Und der Hauptmann mit dem Schnurrbart.« Ich ritt, mit dem Franzosenkäppi bedeckt, auf den Schultern meines Vaters und hatte somit eine unvergleichlich schöne Aussicht. Wenn ich aber auf die Frage antworten sollte, was ich gesehen habe, so wüßte ich nichts zu antworten. Es war ein Strudel vor meinem Augen. Ich war völlig benommen von all dem Gewoge und Gelärme. Und als die Soldaten kamen, als die Militärmusik dröhnte, und ein ungeheures Hurra sich heranwälzte und über mir zusammenschlug wie eine brüllende Woge des Jubels, da riß ich zwar den Mund auf, vermochte aber, wie sehr mein Vater mich auch anfeuerte, kein Hurra herauszubringen. Warf auch meine Kränze nicht: starrte bloß. Starrte und sah nichts, das mir geblieben ist. Nur das Bild eines Offiziers zu Pferde hat sich mir eingegraben, unauslöschlich: Es war ein großer, breitschulteriger Mann mit einem langen, blonden Vollbarte, der seinen Degen hochhielt. Aber der Degen war bis zur Spitze verborgen unter Eichenkränzen. Und er hatte scheinbar keine Pickelhaube auf, sondern einen Eichenkranzbau: so war sein Helm davon bedeckt. Er lachte mit offenem Munde und bewegte dabei seinen Kopf fortwährend zum Gruße hin und her, auf und ab. Wie eine Vision ist mir das geblieben. Als mich mein Vater dann fragte: »Na, Junge, war's schön? Hast Du auch alles gesehen?«, da wußte ich erst gar nichts und dann nur zu sagen: »Der Feldherr war das Schönste, der wie Gambrinus aussah.«

Mein Vater lachte, und ich hatte noch lange unter dem Spotte zu leiden, daß ich einen siegreichen Gambrinus hatte einreiten sehen. Man nannte einen komischen Einfall, was ein ganz feierlicher Eindruck gewesen war. Denn Gambrinus, den ich oft abgebildet gesehen hatte, wenn mein Vater Bockbier ausschenkte, war für mich nicht etwa bloß ein König so gut wie jeder andere, obwohl er auf einem Bierfasse saß, sondern unbedingt der schönste von allen Königen, weil er so majestätisch lustig und bunt aussah.

Doch ich habe mehr erzählt, als ich in diesem Zusammenhange beabsichtigte. Ich wollte auf ein Wort hinaus, das ich an diesem Tage immer wieder hörte: »Der Erbfeind ist geschlagen.« Mein Vater, der es gerne gesehen hätte, daß ich die Bedeutung dieses Siegeseinzugs erfaßte, versuchte, mir das Wort klarzumachen, indem er etwa so zu mir sprach: »Das deutsche Volk hat immer nur einen Feind gehabt: das französische. Das haben wir nun besiegt. Es muß Ruhe halten. Nun können wir ganz ruhig sein; niemand wird uns mehr angreifen. Die Franzosen können nicht mehr, und alle anderen Völker sind unsere guten Freunde.«

Zugegeben, daß mein Vater kein großer Politikus war. Er war wohl zu gutmütig dazu. Aber es gab solcher guten Leute viele, und ich hörte, solange ich Kind war, immer dieselbe Meinung. Auch später, als ich selber Zeitungen las, vernahm ich das gleiche. Und so wurde auch in mir die Meinung fest: für Deutschland könne es nur einen Krieg geben: mit Frankreich. Als ich dann, zu meinem großen Mißvergnügen, im Hofe der Pleißenburg zu Leipzig ein Jahr lang zum Krieger dressiert wurde, sagte mein Feldwebel, wollte er mich zu exakteren Wendungen, schöneren »Griffen«, hinreißenderem Stechschritt anfeuern: »Dadrrmit wärn Se Buhlangern nich imbonieren!« Es war die Zeit, wo General Boulangers Name als Wetterwolke figurierte. Aber auch nach dessen Tode, der viel mehr nach Liebe als nach Rache Durst gelitten hatte, blieb die Meinung bestehen, daß für Deutschland nur ein Krieg mit Frankreich in Betracht käme. Wir überdies, die Generation, die den Krieg mit Frankreich als Kinder erlebt hatte, wuchsen immer mehr in die Zuversicht hinein, daß überhaupt an keinen Krieg zu denken sei. Wir sind, je älter wir wurden, immer friedenszuversichtlicher geworden, da uns Zeichen genug dafür aus Frankreich gekommen sind, daß die dort heraufsteigende Generation Wichtigeres ins Auge faßt als das Loch in den Vogesen. Wenn aber, so fragten wir uns, die Franzosen nicht mehr mit uns anbinden wollen: wem sonst sollte das einfallen?

Ich war daher nicht wenig erstaunt, als ich vor ein paar Jahren zum erstenmal in einer Zeitung dem Gedanken begegnete: England sei der Feind.

Oh, wie bist du doch geduldig,
Zeitungsrotationspapier!
Dacht' ich mir.
Leitartikelpolitikaster
Zeugen in perversem Laster
Mondkalbsphantasien mit dir.

Aber siehe: die Mondkälber traten herdenweise auf. Und, wie bei uns, so bei den Briten. Ich hätte das immer noch nicht ernst genommen (weil meine Bewunderung für die anonymen Lenker der Weltgeschichte in den Zeitungen reichlich mit Skepsis untermengt ist), wenn ich nicht eines Tages von der erlauchten Stiefelsohle des vortrefflichen Poeten Rudyard Kipling einen Tritt gegen die Magengegend erhalten hätte. Die Grobheit, mit der der Verfasser des Dschungelbuchs uns »Teutonen« als Barbaren und Schlimmeres anbrüllte, gab mir zu denken. Wenn es in einem englischen Gehirne, dem für Phantasien der üppigsten Art ganz Indien zu Gebote steht, so daß es also gewiß nicht an Stoffmangel leidet, so aussieht, muß wirklich etwas los sein, das besser fest wäre, und sei es nur eine Zerebralschraube, kalkulierte ich. Die politischen Redakteure der großen Tageszeitungen mögen das Gras wachsen hören: aber das ist ein Vorgang, dessen Phonetik so schwach ist, daß auch die sensibelste Akustik in einem Redakteurgehirn sich täuschen kann. Die Gedanken eines rassigen Poeten aber sind sozusagen das Gras selber. Schießt das in so bedenkliche Halme, dann muß man wohl acht geben.

Ich tat's, und es dauerte nicht lange, so war auch ich in das große Netz von Fühlfäden eingesponnen, die jetzt zwischen Deutschland und Großbritannien, mit recht fataler Elektrizität geladen, hin und her gehen. Wird Kurzschluß eintreten? Oder werden Onkel und Neffe, die allem Anschein nach eine Weile auch reichlich geladen waren, noch rechtzeitig den Funkenstrom ausschalten können? Wird das schwarze Meer von Tinte einem roten von Blut Platz machen, oder werden wir in ein paar Jahren den Heroismus unserer politischen Schriftsteller, die hüben wie drüben sogar die großen Batterien dröhnender Kriegsromane in die Gefechtslinie rasseln ließen, so vergessen haben, wie uns jetzt Held Buhlanger in Vergessenheit geraten ist?

Notwendigkeiten entgeht kein Mensch, kein Volk: auch dann nicht, wenn Mensch und Volk scheinbar ohne Not Notwendigkeiten vor sich aufrichten. Wenn zwei Bauernburschen ein Mädel haben wollen, so ist die Wahrscheinlichkeit gering, daß sie sich einigen: heute nacht du, morgen nacht ich. Viel größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß jeder auf einen günstigen Moment lauert, wo der andere mit möglichst großer Aussicht auf Erfolg an der Gurgel zu packen ist. Oder sie werden so wütig, daß sie bei erstbester Gelegenheit aufeinander losfahren. Manchmal gehen sie auch taktisch vor: warten irgendeine Kirchweih oder sonst ein Fest ab und sichern sich vorher Spezis zu Hilfe und Rückhalt. Was ist bei alledem die Notwendigkeit? Daß jeder allein genießen – herrschen will. Auch spricht cavalleria rusticana mit. Wer zurücktritt, gilt dem anderen als Lapp, und es hilft ihm nichts, wenn er beteuert, er habe ein anderes, ebenso gutes oder besseres Mädel gefunden, eine aus der Nachbarschaft. Es wäre bloß vernünftig, wenn er die andere nähme. Es könnten dann zwei gleich große Bauern nebeneinander sitzen, so dick im Fett, als es nur möglich ist, es auszuschöpfen, und sie könnten sich mit ihren Weibern Sonntags zum Kaffee besuchen und über die anderen lachen. Ich frage aber alle Verfasser von Bauernstücken, ob sich aus solcher Vernunft ein rechtschaffenes Drama machen läßt. Nein, es läßt sich nicht! Schon weil Vernunft unwahrscheinlich ist. Denn es sitzt die Notwendigkeit in den Bauernburschen, zu raufen. Sie wird als Liebe und Ehre empfunden: was ist dagegen zu machen? Und sie führt zu prachtvollen Aufregungen, die stärker und verlockender sind als alle Vernunft. Denn: wohin führt die schließlich? Ins Fett? Gewiß! Aber im Fett ist die Langeweile, und so dick ist kein Bauernblut, daß es nicht einmal schäumen möchte.

Zwischen Deutschland und England scheint die Sache ähnlich zu liegen; nur kommt als verschärfender Umstand hinzu, daß England das Mädel schon sicher zu haben glaubt und über alle Begriffe erstaunt ist, kurz vorm Kirchgang einen Rivalen auf dem Plan erscheinen zu sehen, der bisher für einen zwar kräftigen, aber etwas einfältigen Knaben galt.

*

Diese Betrachtungen scheinen mit dem Thema der Yankeedoodlefahrt nicht das geringste zu tun zu haben, hängen aber durchaus damit zusammen. Denn jede Seereise führt irgendwie nach England und damit zu den Fragen, die heute als Holzpapierwürmer durch die Zeitungen rascheln. Die Grundfrage ist wohl die: hat England ein Monopol auf die alleinige Beherrschung der Meere? In welchem Grade es die Vorherrschaft zur See besitzt, lehrt der Augenschein auch im Mittelmeer, wo die Engländer eigentlich gar nichts zu suchen hätten – hätten sie nicht ein paar recht derbe Brocken dort schon – gefunden. Im Finden und Behalten haben sie bisher den höchsten Rekord aufgestellt – dank ihrer Flotte. Und nun macht sie der Gedanke höllisch nervös, es könnte auch ein anderer zum Suchen flottmachen. Schon die kanonenlosen Schiffe à la Yankeedoodle sind ihnen recht sehr zuwider. Denn ein wie nobles Volk sie sonst auch sein mögen – sie sind geschäftsneidisch. Auch der adlige Kaufmann wird eklig, wenn Konkurrenten kommen. Und wenn's gar ein sogenannter Vetter ist, einer aus der Verwandtschaft, dem man bisher mit einigem Wohlwollen sein Budikchen gönnen durfte, dann wird's bös. Unter Cousins sind Eifersuchten am gefährlichsten.

Es läßt sich wohl begreifen, daß den Briten die schwarzweißrote Fahne (von der Kriegsflagge gar nicht zu reden) auf See ein unerwünschter Anblick ist, zumal wenn sie, wie im Mittelmeere, fast ebenso häufig auftritt wie die englische. Die deutschen Schiffe haben den englischen bereits fühlbar Abbruch getan. Amerikaner scheinen überhaupt nur unter den schwarzweißroten Streifen zu reisen. Dafür wird auf deutschen Schiffen der Geburtstag Washingtons genau so gefeiert wie der des Deutschen Kaisers, und die O. S. M. L. geht sogar so weit, besonders anmutige und muntere junge Herren mit auf Reisen zu schicken, deren Hauptamt es zu sein scheint, mit den Amerikanerinnen zu flirten. Auch die Speisekarte hat einen deutlichen amerikanischen Einschlag, und das Englisch der Schiffsoffiziere, die, wenn sie bei Tische Ansprachen halten, es nie unterlassen, auf die deutsche Rede den englischen Speech zu setzen, huldigt den Yankees guttural. Da diese die teuersten Kabinen innehaben und überdies auch deshalb bessere Kunden sind als die Deutschen, weil sie ihre Reise in die oriental wonderlands nicht erst in Genua, sondern schon in New York antreten und ebenso weit zurückfahren, so ergibt sich, vom kaufmännischen Standpunkte, eine gewisse Bevorzugung der größeren Portemonnaies von selbst. Und die Amerikaner scheinen Leute zu sein, die auf Schmeichelbutterbröten selbst ein Uebermaß von Butter recht wohl vertragen, – während die Deutschen patriotisch genug sind, selbst einen scheinbaren Mangel an vaterländischem Selbstbewußtsein läßlich zu finden, wenn damit einem patriotischen Zwecke gedient wird; eben der Yankee-Kaptivierung. Allright. Ich bin weder Geschäftsmann noch Politiker und konstatiere die geschäftspolitischen Bücklinge bloß. Habe im Grunde auch gar nichts dagegen, »pourvue que le geste est beau«. Daran fehlt's ein bißchen. Die Haltung könnte doch ein wenig mehr Zurückhaltung sein. Den Engländern Abbruch tun: schön. Nur sollte man es vermeiden, dabei das ohnehin recht beträchtliche Selbstbewußtsein der Großbeutel-Yankees bis zur Ueberhebung hinaufzukitzeln. Die Briten befolgen die entgegengesetzte Taktik: sind steif, fast hochmütig. Servieren weder nationalamerikanischen Hirsebrei, noch die ebenso schmackhafte amerikanische Musik und reden natürlich englisches Englisch. Sie haben dadurch, wenn ich recht berichtet bin, die amerikanischen Passagiere verloren (und das tut ihnen bitter leid), aber der Respekt, den die Amerikaner vor ihnen haben, hat nicht die leiseste Nuance von – Wohlwollen (und das erfüllt sie mit einer Genugtuung, die ich vollkommen begreife). Daß sie uns gar nicht recht mögen, spürt man bei allen Begegnungen: sei es auf See, sei es an Land. Auch Schiffe besitzen die Möglichkeit, einen Gruß in der Art eines Mannes zu erwidern, der erst einen Moment den Ueberraschten spielt (»Wer ist denn das? Wo hab' ich den denn schon mal . . .? Ach so! Na ja!«) und dann ein bißchen am Hute rückt. Mag es nun an der allgemeinen Stimmung liegen, die uns heute, wenn nicht schon beherrscht, so doch immer unheimlicher beschleicht, oder beruht es auf Tatsächlichem: man fühlt sich als Deutscher draußen sonderbar kühl, fast höhnisch und herausfordernd gemustert. Ich bin vielleicht übersensibel; aber wenn wir an der Seite eines englischen Schiffes lagen, kam es mir immer vor, als hüllte sich dies, während Yankeedoodle, nach seiner schlechten Gewohnheit, unausgesetzt Musik verübte und die Fülle seiner elektrischen Beleuchtung blendend zur Geltung brachte, aus feindseligem Degout in Stille und Finsternis. Einmal rückte eins sogar mitten in der Nacht von uns ab. Das mag irgendeinen nautischen Grund gehabt haben. Aber mir war, als sei es aus dem Gefühle geschehen: die Nachbarschaft gefällt mir nicht. Daß uns selbst die kleinen Seekadetten eines englischen Schulschiffes hochmütig-phlegmatisch von oben herab wie gelangweilte Masken über die Achsel ansahen, als wir nach Malta ausgebootet wurden, war, glaub' ich, keine Einbildung, sondern ein durchaus richtiger Eindruck.

Der Abschied von Syrakus (abends um sechs) war rötlichlila gewesen: einer der aquarellsten Sonnenuntergänge, die ich erlebt habe. Die Begrüßung von Malta vollzog sich (früh um sieben Uhr, nach einer wunderbar ruhigen Meerfahrt) auspiciis von Grau und Orange: ganz Pastell.

Der Anblick von Hafen und Insel gehört zu den stärksten Eindrücken, die uns die ganze Reise beschert hat. Er drängte sofort das Wort auf, das mir geblieben ist: Malta, die steinerne. Das Ganze eine große Bastion. Zu höchst ein Wachtturm, auf dem sich der berühmte elektrische Knopf befinden soll, durch den beim Nahen eines feindlichen Schiffes punktgenau dann, wenn es die Minenlinie überfahren will, die höllische Granatenkette unter See zur Explosion gebracht werden kann. Erzählte mir ein Herr, der bereit war, darauf zu schwören. Möglich, daß er trotz seines grauen Bartes phantasierte. Aber ich traue den Engländern solche Punktgenauigkeiten schon zu. Und auch wenn's nicht stimmt: von der See aus dürfte es sich kaum jemand unterstehen, nach dieser steinernen Seekrone Englands zu langen. Und mit der Zeppeline ist's ein wenig weit. Ich schlage vor, wir lassen das Vaterland der frühesten Kartoffeln unsern geliebten Vettern. Sie haben ein gewisses Anrecht darauf durch die musterhafte Ordnung erworben, die sie auf der Insel verbreitet haben, auf der es sonst wohl immer etwas afrikanisch zugegangen ist, obgleich sie die Herren oft genug gewechselt hat.

Ein kleiner Abriß in den beliebten Sechsfüßern:

Malta, kartoffelberühmt in der Gegenwart, früher durch Rosen,
Ragt wie ein steinerner Kamm Amphitritens hervor aus der Salzflut.
Seltsame Insel, vom Schicksal bestimmt, gewonnen, verloren,
Immer als Beute von Hand zu Hand der Herren zu fallen:
Söhne Phöniziens; Griechen; Karthager; Römer; Vandalen;
Goten; Byzanz; der Araber Faust; normannische Franken;
Arragon dann, bis der spanische Karl, ein Kaiser der Deutschen,
Hin sie gab den Rittern aus allerlei Blute Europens:
Deutschen, Franzosen, Spaniern und was noch sonst sich dem Schlitzkreuz
Keusch, gehorsam und arm unterwarf, großmeistergeleitet.
Doch ein größerer Meister erschien und nahm im Vorbeigehn,
Wie seine Art es war, das Inselchen: Held Bonaparte,
Bis Old England, geschickt in derlei Geschäften, sich freundlich
Selbst übertragenen Amtes befliß: den Fels zu verwalten.
Ach, und er ward ihm so lieb, und die Bürde so süß, daß es höflich
Sprach: Ich bleibe, ihr Herrn von der keuschen gehorsamen Armut,
Da euch, wie sich's gezeigt, das heiße Klima nicht guttut,
Während für mich keine Hitze zu groß, kein Reichtum zu viel ist.
Und seitdem spaziert souverän der Rotrock auf Malta,
Der auf dem Welttheater die Rolle des lächelnden Erben
Wie kein anderer zu spielen versteht. – Der braune Malteser,
Araber halb, halb Grieche, soweit er nicht sonst noch etwas ist,
Denkt sich: sei's wer es sei, geniert er nur nicht die Kartoffeln.

Die guten Malteser, von denen meine Frau behauptet, daß sie halb wie Griechen, halb wie Affen aussehen, haben sich vermutlich nie so wohl geborgen gefühlt wie unter dem britischen Dreizack. Ganz sicher scheint es mir, daß es den Tieren auf Malta nie so gut gegangen ist, wie unter der Herrschaft der Engländer, deren Tierfreundlichkeit sich die Italiäner bezeichnenderweise damit zu erklären versuchen, daß sie annehmen, die Lords glaubten an Seelenwanderung und malträtierten die povera bestia nur deshalb nicht, weil englische Seelen darin stecken könnten. So gutgehaltene Pferde, Maultiere, Esel haben wir auf der ganzen Reise nicht zu sehen bekommen wie auf diesem britischen Dominium. Mit Ziegen und Hunden wird geradezu eine Art Kultus getrieben. Vor mehr als einem Hause sahen wir die dürren Meckertiere auf Teppichen liegen, und die Hunde, obwohl kein einziger »Malteser« darunter war (die Rasse scheint von den Ladies nach England exportiert worden zu sein), erfreuen sich Münchener Dackelembonpoints.

Die Hauptstraßen der Treppenstadt La Valette sind in einer Weise stattlich, sauber, soigniert, daß man den malerischen Dreck Siziliens beinahe vermißt. Da es Sonntag war, präsentierten sich auch die Untertanen des Kings im »Staate«, so daß nur die braune Hautfarbe und die unglaublich schwarzen afrikanischen Augen uns davor bewahrten, sie für waschechte Gentlemen zu halten, als welche, wie bekannt, die schönsten Apfelbäckchen unter allen Europäern haben und so blaue Augen, daß nur die friesischen sich daneben sehen lassen können.

Wie oft mögen die Eingeborenen schon das Kostüm gewechselt haben! Da wir schlecht imitierte Engländer auch bei uns zu Hause bewundern können, hätten wir natürlich lieber Nationaltrachten gesehen als diese vom praktischen England erfundene Normaltracht. Aber nur die Frauen haben davon etwas bewahrt: die Faldetta, eine Art Mittelding zwischen Kopftuch und Sonnenschirm, gleichzeitig auch Mantel. Ich bin nicht recht hinter den Mechanismus der Sache gekommen, die nach Art einer Wagenplane konstruiert zu sein scheint: schwarzer, dünner Stoff, auf einen beweglichen Reifen gespannt. Von weitem sieht es aus, als käme ein Schiff, das gegen den Wind kreuzt: so bläht sich nach der Sonnenseite der Stoff über den Reifen. Uebrigens fand ich die Malteserinnen hübsch, und es muß unangenehm gewesen sein, das Keuschheitsgelübde ernst zu nehmen gegenüber diesen rassigen Heißblütlerinnen, die etwas liebenswürdig Animales haben. Meine Frau behauptet, und ich glaube, sie hat recht (wie immer), daß das schönste Menschenkind, mit dessen Anblick uns diese Reise begnadete, ein malteser Baby war, das, auf dem Schoße seiner Mutter sitzend, uns sein Köpfchen zuwandte, wie wir vorüberfuhren. »Wenn es Engel gibt: das war ihr König«, sagte meine Frau, die damit freilich einen für eine gute Katholikin unziemlichen Skeptizismus, aber auch die schöne Kunst bewährt hat, einen Eindruck kurz und gut in Worte zu fassen.

Zur Belobung dafür erhielt sie einen Orden: ein Malteserkreuz aus Silberfiligran und ein Medaillon in derselben Arbeit, gleichfalls schlitzkreuzdekoriert. Sowie in demselben Dekor ein paar Meter malteser Seidenspitze. Ich erwähne das nicht, um zu zeigen, wie generös ich sein kann, (obwohl dies Detail vielleicht dazu beitragen könnte, meinen Charakter reizend zu illustrieren), sondern einmal, um darauf hinzuweisen, wieviel besser treffende Worte honoriert werden, wenn sie, statt aus der Stahlfeder, aus einem Frauenmunde kommen, und dann, um auf diese hübschen malteser Industrien hinzuweisen: Silberfiligran und Spitzen. In ihnen wird das Malteserkreuz noch auf die Nachwelt kommen, die keine Ordenskreuze mehr kennt.

Vergeblich habe ich mich auf allen Plätzen nach den Kreuzen umgesehen, die, noch bis zum Schluß der Ordensherrschaft auf Malta, dort an die Mauern gemalt worden sind, wo ein Ritter im Duell gefallen war. Malta war nämlich das gelobte Land der unbedingten Satisfaktionspflicht. Seine Gesetze verboten nicht einmal pro forma den ritterlichen Zweikampf. Gesetzlich bestimmt war nur der Ort, wo die Mensuren, öffentlich, auf einem bestimmten Platze, ausgefochten werden mußten, und es war ferner Konvention mit der Kraft eines Gesetzes, daß augenblicklich die Degen eingesteckt werden mußten, wenn ein Weib, ein Priester oder ein Ritter es befahl. Da aber die Weiber kein Interesse an den Rittern hatten, die Priester deren Diener und die Ritter selber Freunde des ehrehegenden Degens waren, so ist anzunehmen, daß eine Mensur auf Malta noch seltener aufgehoben worden ist als eine im Hirschgraben zu Heidelberg. Eine Geschichte aus der Zeit des letzten regierenden Ordensmeisters zeigt, wieviel gefährlicher ein Verruf wegen »Kneifens« unter diesen Rittern war als heute unter Korpsstudenten. Zwei Ritter hatten sich beim Billardspiel entzweit, und der eine hatte dem anderen einen Schlag versetzt. Darauf, natürlich, Forderung. Aber der, der geschlagen hatte, weigerte sich, zum Erstaunen ganz Maltas, das derlei für unmöglich hielt, Satisfaktion zu geben. Die Forderung wurde wiederholt: der sonderbare Ritter, ein allzu verfrühtes Mitglied der Antiduelliga, weigerte sich noch immer. Daraufhin wurde er nicht etwa c. i. dimittiert, sondern er erhielt folgende Strafen: 1. fünfundvierzig Tage hintereinander Kirchen- (Kirchen-!) Buße in der großen Kathedrale zu St. Johann, 2. fünf Jahre Dunkelarrest in einem unterirdischen Kerker, 3. lebenslängliche Festungshaft, ein bißchen viel, aber schließlich optimo jure verhängt. Denn Ritter sollen nicht kneifen – am wenigsten, wenn sie sich vorher »in Realavantage gesetzt« haben. Arg aber ist, was der zeitgenössische Erzähler weiterhin berichtet: auch der andere blieb diffamiert. Die Ritter konnten sich nicht darüber hinwegsetzen, daß einer unter ihnen war, der einen empfangenen Schlag nicht mit dem Blute seines Gegners weggewaschen hatte.

Wir durchwanderten im Trupp die Räume des ehemaligen Großmeisterpalastes, in dem jetzt der englische Gouverneur residiert. Waffen, Waffen, Waffen. Aber alle diese Spieße, Beile, Schwerter, Flinten, Kanonen haben nichts ausgerichtet gegen den kleinen Bonaparte. Es scheint, die Ritter haben alle gerade Billard gespielt oder pp.-Suiten ausgefochten, als er ankam. Das Schönste ist der Gerichtssaal mit seinem prachtvollen Gobelins. Aber wir wurden vorbeigetrieben wie eine Herde am saftigen Raine. »Vorüber, ihr Schafe, vorüber, so will es das Reisebureau«. Im Hofe eine erstaunliche Sehenswürdigkeit – für Malteser: ein paar ausgewachsene Bäume. Weil es deren auf der Insel sonst keine gibt, hat jeder ein Schild umgehängt gekriegt mit seinem Namen. Man tauft hier Bäume wie anderswo Schiffe. In der Tat, Goethe hatte recht, als er 1822 zu Parthey sagte: »Dieser dürre Kalkfelsen zwischen Sizilien und Afrika muß einen eigentümlichen Charakter haben«. Das Eigentümlichste an ihm ist, daß er keinen Baumwuchs hat; nur der Johannisbrotbaum kommt auf ihm fort: vermutlich eine Aufmerksamkeit für die Johanniter.

Von der Baracca superiore, dem obersten Bollwerk dieser unglaublichen, zum großen Teile aus dem Felsen gehauenen Festung, genossen wir nicht nur den prachtvollen Blick auf den Hafen, sondern auch hinterwärts über das Land. Land? Wir sahen nur Gestein. Und worauf wachsen dann die berühmten Blutorangen? Die Baumwollstauden? Rosen? Limonen? Feigen? Alles auf diesem Steinicht. Es kommt einem ganz unwahrscheinlich vor, wenn man es hört, daß ein Fels ohne Erde zu den fruchtbarsten Flecken unseres Planeten zählt. Einiges Erdreich soll zwar früher aus Sizilien herübergeschifft worden sein; in der Hauptsache aber ist es die künstlich zerbröckelte Oberschicht des Felsens selber, die alle diese Pflanzenwesen hervorbringt und erhält. Es gibt nichts Totes. Alles lebt und zeugt. Wer weiß, was für schöne Sachen auf den Kratern des Mondes wachsen. Die Mondkälber (die wirklichen) sind am Ende fetter als unsere.

Unerhört schön ist die Kathedrale San Giovanni. Hier hat Aristokratie Pracht mit höchstem Geschmacke entfaltet. Es ist, als stünde man in lauter Gold. Die Priester, wie lauter zelebrierende Könige, sangen die Messe. Der blaue Weihrauchdampf wölkte durch Licht und Glanz. Aber die Malteser (mehr Männer als Frauen: wieder eine Eigentümlichkeit dieses Kalkfelsens) sahen und hörten nichts; sie knieten nicht: sie lagen auf den Marmorfliesen und beteten. Den Katholizismus wird der englische Stahlbesen hier nicht fortfegen. Gütiger Himmel! wie brennt die Andacht in afrikanischen Augen.

Wir schritten durch die Seitenkapellen, die nach den verschiedenen Nationen der Ritter eingeteilt sind. Da glänzt silbern die Lilie Frankreichs, dort flammt golden der deutsche Adler; die Wappen der edelsten Geschlechter Europas durchsetzen mit ihren bunten Farben das überall dominierende Gold. Zusammengehalten aber wird das Ganze durch das immer wiederkehrende Kreuz des Ordens.

Unter den Bildern ist mir eins aufgefallen: ein Martyrium des heiligen Johannes. Der Adel seiner Linien, das Zurückgehaltene in seinen Farben, die schöne Einfalt im Ausdrucke seines Inhaltes lassen dieses bedeutende Kunstwerk als die kostbarste Einzelheit in diesem erstaunlich eindrucksvollen Ganzen erscheinen.

Als wir aus dieser alten katholisch-ritterlichen Pracht heraustraten, kam uns der Herr Konstabler mit seiner Londoner Nebelmontur denn doch etwas sonderbar vor.


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