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Aus dem Dunkel empor!

Dengern verneigte sich, trat zurück. Und nun erhob sich ein Sturm, wie ihn das Gerichtsgebäude in Moabit noch nie erlebt hatte. Dröhnendes Gelächter, Schluchzen, Rufe der Entrüstung wurden laut, Leute klatschten Beifall gegen Hartwig zu, andere zischten. Der Staatsanwalt schrie das Wort »Blasphemie« unaufhörlich vor sich hin, der Präsident brüllte »Ruhe!«, der Verteidiger stand bleich und fassungslos da und zitterte am ganzen Leib, die Berichterstatter drängten rücksichtslos zur Tür, um die Fernsprecher zu stürmen. Und schon hatte irgendwie die Menschenmasse auf der Straße etwas von den Vorgängen erfahren und auch draußen wogte und brauste es wie am Meeresstrand.

Endlich war die Ruhe soweit hergestellt, daß sich der Präsident Gehör schaffen und dem Staatsanwalt das Wort erteilen konnte. Der stand mit geballten Fäusten da, Speichelflocken auf den Lippen und wollte losdonnern. Aber nein, was war das? Saß da nicht der Reichskanzler und krümmte sich vor Lachen? Jawohl, der Reichskanzler prustete und lachte, daß ihm das Wasser aus den Augen lief, und hörte nicht auf zu lachen, war eben im Begriff, das Taschentuch in den Mund zu pressen, um seine Lachsalven weniger laut zu gestalten.

Blitzschnell verschoben sich die Begriffe und Empfindungen im Gehirn des Staatsanwaltes. War die Sache nicht eigentlich mehr komisch als empörend, wenn sie derart die Heiterkeit des ersten Beamten im Staate erregte? Und würde er sich nicht blamieren, wenn er, statt halbwegs gute Miene zum grotesken Spiel zu machen, seiner Entrüstung Ausdruck geben wollte? Die Überlegung dauerte nicht eine ganze Sekunde, dann sprach der Staatsanwalt gelassen und kühl:

»Wir haben hier Ungeheuerliches erlebt und müssen vorläufig dem Herrn Kriminalkommissär von Dengern für seine lichtvollen Ausführungen danken. Bevor ich aber aus diesen Ausführungen die notwendigen Konsequenzen ziehe, beantrage ich, das anwesende Fräulein Lotte Fröhlich hereinzurufen und als Zeugin zu vernehmen, ferner in der Zwischenzeit den Trödler Goldlust vorzuladen und auch die bereits vernommenen Zeuginnen, die Fräulein Fröhlich als ihre Mieterin identifizieren sollen. Nachher bitte ich, nochmals den Angeklagten zu befragen.«

Der Präsident gab den Anträgen Folge und gleich darauf betrat, von tausend Augen durchbohrt, Lotte Fröhlich den Saal.

Sofort hatte die sieghafte Schönheit, die mädchenhafte Anmut der Zeugin alle Herzen erobert. Der Reichskanzler, über dessen Gesicht es noch immer zuckte, klemmte sein Monokel ein und betrachtete ersichtlich wohlgefällig das Mädchen, worauf Präsident und Staatsanwalt mit ihr sehr höflich waren.

Lotte Fröhlich erklärte sich bereit, zusammenhängend zu erzählen. Was sie berichtete, bestätigte die Aussagen Dengerns vollinhaltlich. Seit Jahr und Tag hatte sie beobachtet, wie ihr heimlich Verlobter immer mehr verbittert und mutlos wurde. »Ich sah voraus, daß er eines Tages alle seine Hoffnungen begraben, den Glauben an sich selbst verlieren und ganz in der Tagesjournalistik untergehen würde. Ich wußte, daß er oft bittere Not litt, sich das Abendessen versagte, um mir ein paar Blumen schenken zu können, und nachts Adressen schrieb, um wenigstens etwas zu verdienen. Dabei durfte ich ihm nicht helfen, auch wenn ich es hätte tun können. Denn Hartwig ist stolz und empfindlich und mehr als einmal erklärte er es als Vergehen zu empfinden, daß er mein Leben an seine Hoffnungslosigkeit knüpfe. In solcher Stimmung las ich ein französisches Buch, das Hartwig mir geborgt hatte. Einen Roman, in dem unter anderem auch ein Maler vorkommt, den die Welt nicht beachten will. Später, zu Ruhm gelangt, erzählt er von seinen Kämpfen und sagt:

'Damals war ich so weit, daß ich hätte einen Mord begehen können, nur um aus dem Dunkel emporzusteigen.'

Diese Worte faszinierten mich und ließen mich nicht mehr los. Ich strich die Stelle an, machte eine Randbemerkung und erzählte davon Thomas. Er lachte und sagte: »Also eine moderne Herostratestat, aber nicht um durch die Tat berühmt zu werden, sondern um durch sie schon vorhandene Werke berühmt zu machen.' Ich aber drängte von da an in vollem Ernst, daß Thomas irgendetwas scheinbar ganz Ungeheuerliches tun müsse, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Eben hatte sich in Paris der Landru-Prozeß abgespielt und meine vagen Ideen nahmen immer festere Formen an. Hartwig war mit seiner spielerischen Phantasie leicht gewonnen und nach und nach heckten wir einen Plan in allen Details aus, um Frauenmorde vorzutäuschen, die zur Verhaftung Hartwigs führen mußten. Als wir endlich einig waren, behob ich mein kleines Vermögen und machte mich so rasch an die Arbeit, daß Hartwig gar nicht mehr überlegen konnte. Hartwig verfaßte die vielversprechende Annonce und ich schrieb in verschiedener Handschrift fünf Antworten. Mein Feuereifer war aber zu groß, ich beging den Unsinn, zwei Briefe noch am Tage vor dem Erscheinen der Annonce aufzugeben. Wären nicht zufälligerweise gerade diese zwei Stempel sehr undeutlich gewesen, so hätte das unser Spiel allzurasch beenden können.

Im Laufe des Juli veränderte ich mich dann mit Hilfe von Chignons und anderen Sachen – »falscher Busen«, brummte es und Heiterkeit entstand – veränderte ich mich fünfmal, mietete mich fünfmal unter falschem Namen ein, erzählte immer von meinem Bräutigam und seinem Haus an der Havel. Alles andere ist bekannt. Unser Hauptbestreben war darauf gerichtet, die Spuren nur soweit zu verwischen, daß man Hartwig doch würde verhaften können, und das ist uns ja auch gelungen. Warum Hartwig nicht schon am ersten Verhandlungstag die Sache aufgeklärt hat, weiß ich nicht, da ich, seitdem er in Untersuchung war, keine Fühlung mit ihm hatte.«

Fräulein Fröhlich zog den Handschuh von der feinen, schlanken Hand, beeidete ihre Aussagen und das Publikum schwamm in Wonne und Behagen. Der Reichskanzler spitzte die Lippen, lachte wieder aus vollem Halse und strich sich, angenehm erregt, durch die buschigen weißen Haare. Demgemäß begnügte sich der Staatsanwalt mit der feierlichen Erklärung:

»Wenn ich auch zugeben muß, daß Fräulein Fröhlich aus durchaus nicht unedlen Motiven gehandelt hat, so liegt doch hier zweifellos das Vergehen des groben Unfuges und der fünffachen Falschmeldung vor. Ich werde in diesem Sinne Anträge an das zuständige Gericht stellen müssen.«

Lotte schien nicht sonderlich geängstigt zu sein, und als wieder aus dem Hintergrund eine tiefe Baßstimme ausrief: »Die Geldstrafe zahl' ick!« dröhnte ein heiteres Lachen durch den Saal. Der Präsident unterließ jede Rüge, weil es schließlich nicht anging, den Reichskanzler zurechtzuweisen.

Die fünf Frauen, der Portier Zimmermann, der Trödler Goldlust stellten ohne langes Überlegen die Identität der Zeugin mit der Müller, der Möller, der Jensen, Pfeiffer und Cohen fest. Die Wirtin der üppigen Selma Cohen schlug allerdings vor Verwunderung die Hände zusammen und rief unter schallender Heiterkeit aus:

»Nu, aber abgemagert ist das Fräulein ordentlich! Damals hatte sie einen solchen Busen gehabt.« Und machte eine kreisende Bewegung mit den Armen.

Der Trödler Goldlust erkannte ohne weiteres die Käuferin wieder, und nun endlich wurde unter allgemeiner Spannung Thomas Hartwig vorgerufen.

Verlegen lächelnd, errötend wie ein Schuljunge, bestätigt er die Angaben Dengerns und seiner Braut.

»Die Sache verlief nicht so einfach, wie ich geglaubt. Ich hatte angenommen, daß schon die Personsbeschreibungen, die die vermietenden Damen von mir gaben, genügen würden, um mich ausfindig zu machen, sah mich aber darin enttäuscht. Schon wollte ich durch eine anonyme Selbstanzeige den Verdacht gegen mich lenken, als meine Braut die von der Polizei aufgegebene Annonce im ›Generalanzeiger‹ entdeckte! Ich war sofort überzeugt, daß es sich um eine Falle handelte, ging aber natürlich gerne in sie ein. Auch als sich der Herr Kriminalkommissär in der Rolle eines Bewunderers mir näherte, faßte ich Verdacht. Aber Herr von Dengern spielte diese Rolle so gut, daß ich wieder irre wurde. Die fünf Briefe hatte ich natürlich absichtlich in die Schublade zu den vielen anderen gelegt, damit Beweise gegen mich gefunden würden.

Nun möchte ich aber mein Vorgehen auch moralisch rechtfertigen. Ich bin mir vollauf bewußt, eine ganz außerordentliche Frivolität begangen zu haben, ja sogar eine Gemeinheit, in dem ich die Öffentlichkeit durch Wochen in Erregung hielt und der Justiz, diesem hohen und wertvollen Faktor jedes Staates, unnütze, aufreibende Arbeit machte. Aber Herr von Dengern hat ganz richtig gesagt, daß ich den Wert meiner Persönlichkeit, besser gesagt meines Schaffens, hoch genug veranschlagte, um mich über vieles hinwegzusetzen. Meine Herren, die groteske, phantastische Idee, die meine Braut und ich ausgeheckt hatten, sollte mir die Möglichkeit bieten, meine Werke zur Geltung zu bringen und dann mit neuer Kraft weiterzuarbeiten. Würde die Nachwelt einem der großen deutschen Denker und Dichter es übelnehmen, wenn er auf ähnlichem Wege wie ich sein Ziel erreicht hätte? Sicher nicht! Ich, der ich an mich glaube und gewiß bin, noch Großes schaffen zu können, sah den Weg vor mir mit Hindernissen verbarrikadiert, die ich nicht übersteigen konnte. Es ist leicht gesagt: Das Genie bricht sich Bahn! Man kennt eben nur das Genie, das sich Bahn gebrochen hat, nicht aber die vielen, die unterwegs liegen geblieben sind als Opfer oft lächerlicher Widerwärtigkeiten. Hätte ich geduldig weitergearbeitet, so würde mein Roman wahrscheinlich demnächst nur als Käsepapier zur Geltung gekommen sein und mein Drama wäre bei Herrn Direktor Hohlbaum so lange im Schrank liegen geblieben, bis es die Mäuse zernagt hätten. Ich wollte und konnte aber nicht warten und lieber ließ ich mich durch einen frivolen Schelmenstreich ans Tageslicht zerren, als in aller Bescheidenheit im Dunkel zu verkümmern.«

Tiefe Stille folgte diesen Worten, erst nach Augenblicken wurden vereinzelte Bravorufe laut. Der Reichskanzler nickte bedächtig und warf Thomas Hartwig einen langen Blick voll Teilnahme zu. Der Präsident stellte eine Frage:

»Nun sagen Sie mir, Herr Hartwig, warum Sie diesem immerhin durchaus nicht einwandfreien Spiel nicht schon gestern ein Ende bereitet haben?«

Hartwig lächelte.

»Herr Präsident, aus einem sehr menschlichen Gefühl heraus. Ich hatte einfach Angst vor der Kritik! Wäre gestern die Seifenblase geplatzt, so hätte dies das Schicksal meines Dramas wesentlich beeinflussen können. Nicht daß ich an dem guten Willen und der Ehrlichkeit der Kritiker zweifeln will! Aber es ist immerhin etwas anderes, über das Stück eines Menschen zu urteilen, der die Aufführung seines Dramas durch eine Verzweiflungstat erzwingt und morgen schon mitten im Berliner Leben auftauchen wird, als über das Drama eines Mannes, der sozusagen nicht mehr unter den Lebenden weilt. Ich wollte abwarten, bis die Herren Kritiker ihr Urteil gefällt haben würden, deshalb war ich entschlossen, erst heute zu reden.«

Der Präsident blickte fragend den Staatsanwalt an, worauf sich dieser erhob:

»Hoher Gerichtshof, meine Herren Geschwornen! Da an der Tatsache, daß ein Verbrechen überhaupt nicht vorliegt, nach den Beweisen des heutigen Tages nicht gezweifelt werden kann, trete ich hiemit von der gegen Thomas Hartwig erhobenen Anklage zurück und beantrage, den Angeklagten auf freien Fuß zu setzen. Im übrigen behalte ich mir vor, auch gegen ihn die Anklage wegen groben Unfuges und Verleitung zur Falschmeldung zu erheben.«

Damit war die große Berliner Sensation beendet, und als eine Viertelstunde später Thomas Hartwig an der Seite Lotte Fröhlichs das Gerichtsgebäude verließ, brauste ihnen heller Jubel, vermischt mit ulkigen Ausrufen entgegen. Nur mühsam konnten sie sich durch die Menschenmassen einen Weg bahnen, um das herbeigerufene Auto zu besteigen. Es war aber Joachim von Dengern, der ihnen den Wagenschlag öffnete, die Hände schüttelte, um dann kurz und trocken zu sagen:

»Auf die Gefahr hin, daß Sie mich verraten und damit meiner Karriere schaden, möchte ich Ihnen versichern, daß ich schon damals, als ich Ihnen vom Postamt aus auf dem Fuße folgte, meine Bedenken gehabt hatte. Sie habe ich nie für einen Mörder, Ihre Braut aber immer für ein höchst schlaues Persönchen gehalten. Und das Spiel gefiel mir so gut, daß ich es zu Ende gespielt sehen wollte!«

 

Ende


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